Die Kurden und der Islamische Staat

Von Sabine Küper-Büsch

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Teil VIII unserer Serie zum "Islamischen Staat"

Die Kurden feiern in diesen Tagen den Sieg über den Islamischen Staat in Kobane. Die Hauptstadt des Distrikts Ain al-Arab im Gouvernement Aleppo in Syrien liegt nahe der syrisch-türkischen Grenze. Seit Anfang 2014 ist Ain al-Arab Zentrum eines der drei selbstverwalteten Kantone Rojavas. Diese Kantone stehen unter der Kontrolle der kurdischen “Partei der Demokratischen Union” (PYD) und ihrer Verbündeten. Die PYD ist eine Schwesterpartei der PKK, sie erkennt Abdullah Öcalan als ideologischen Führer an.

Der Kampf um Kobane hat eine Stellvertreterfunktion. Die Kurden und der Islamische Staat (IS) repräsentieren zwei diametrale Modelle. Die türkische Soziologin Nazan Üstündağ hat in der Region Rojava geforscht und kommt zu dem Ergebnis, dass dort beispiellose dezentrale kommunale Strukturen entstanden sind. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der österreichische Politologe Thomas Schmidinger in seiner aktuellen Publikation „Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan. Stimmen aus Rojava“. Auch wenn die politische Doktrin der PKK der Modus Vivendi sei, so existiere doch plötzlich ein spannendes politisches Rollenmodell für die Region. Ob die verschiedenen Religionen und Ethnien tatsächlich rivalitätsfrei zusammenleben können, wie die Wissenschaftler erhoffen, muss sicherlich weiter beobachtet und genauer untersucht werden.

Das hierarchisch organisierte, religiös legitimierte Kalifat des IS steht zu dem Modell Rojava ideologisch und institutionell in einem starken Spannungsverhältnis. Vor allem auch, weil die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) die gleichwertigeren Geschlechterrollen als zentrale Abgrenzungsmöglichkeit erkannt hat. Sicherlich setzen auch PKK und YPG die Bilder schöner, junger Soldatinnen gern medienwirksam zur eigenen Imagepflege ein. Gleichzeitig waren es tatsächlich ihre Kämpfer und Kämpferinnen die 2014 Tausende Jesiden gerettet haben. In den Flüchtlingscamps im Nordirak und in der Türkei steht das Konterfei Abdullah Öcalans für die Jesiden heute als Symbol für Befreiung. Die Kämpferinnen der YPG halfen aktiv bei der Evakuierung der Jesiden vom Berg Sinjar mit und haben sich als Widerstand gegen die Versklavung von Frauen durch den IS in das Bewusstsein der Menschen der Region eingeprägt. Die westlichen Luftangriffe haben den Kampf der Kurden unterstützt. Als Akteure aber stehen die Kämpfer und Kämpferinnen der YPG im Vordergrund. Der Einsatz der internationalen Gemeinschaft hinsichtlich des sich anbahnenden Genozides und der kolossalen Menschenrechtsverletzungen an den Frauen wird als unangemessen schwach bewertet. Baba Çalış, der religiöse Führer der Jesiden auf dem Tempelberg Lalish bringt es auf den Punkt. „Die Versklavung unserer Frauen durch den Islamischen Staat ist ein Verbrechen an der Menschlichkeit“ äusserte er im November 2014 gegenüber dem Amnesty Journal. „Sie zeigt, wie eine sich religiös legitimierende Gruppe alle Regeln der Zivilisation außer Kraft setzen kann ohne adäquate Konsequenzen befürchten zu müssen.“

Der Vormarsch des IS und die Türkei

Die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) begann Mitte September 2014 eine Großoffensive auf das nordsyrische Kobane. Schleppend unterstützten schließlich amerikanische Luftangriffe und Truppen-Verstärkungen seitens der Kurdischen Regionalregierung im Nordirak den Kampf gegen den IS. Sowohl die USA als auch die EU wollten es sich mit dem NATO-Partner Türkei nicht verderben. Die türkische Regierung wünscht keine Stärkung einer der PKK verbundenen kurdischen Enklave in Nordsyrien.

Die kurdische PKK und kurdische KDP

Im Hintergrund brodeln weitere regionale Rivalitäten. Die kurdische Regionalregierung wird von der KDP des Kurdenführers Massoud Barzani dominiert. Da nicht die Peshmerga der Regionalregierung sondern die PKK-nahe YPG die Jesiden im Sommer vom Berg Sindschar evakuierte, bahnen sich dort Autonomiebestrebungen an. Die Jesiden sind ethnisch Kurden, aber gleichzeitig Angehörige einer religiösen Minderheit. 210 Jesiden bildeten Mitte Januar 2015 einen jesidischen Nationalrat auf dem vor allem von Jesiden bevölkerten Berg Sinjar. Die kurdische Regionalregierung in Erbil ist absolut gegen die Autonomiebestrebungen und sieht die PKK nahen syrischen Kurden der YPG als Unterstützer im Hintergrund. Erst in letzter Minute unterstützte die nordirakische Peschmerga Ende vergangenen Jahres die YPG gegen den Islamischen Staat in Kobane. Das liegt vor allem auch daran, dass der Barzani-Clan die Jesiden, die er dem IS im Sommer kampflos überlassen hatte, weiter unter dem eigenen politischen Einfluss halten will.

Die Türkei, die Kurden und die EU

Erbil und Ankara stehen in einem stabilen Dialog. Clanchef Massoud Barzani und den türkischen Präsidenten Recept Tayyip Erdoğan eint das Interesse am eigenen Machterhalt. Von einer kurdischen Allianz zwischen PKK und nordirakischer kurdischer Regionalregierung kann daher nicht ausgegangen werden. Die kurdischen Parteien rivalisieren über die Grenzen hinweg um ihre Einflussbereiche.

In Nordsyrien ist die Situation noch komplizierter. Der IS kämpft zwar gegen andere islamistische Gruppen, wie die al-Nusra Front und gegen die Freie Syrische Armee. Die Freie Syrische Armee und die anderen jihadistischen Gruppen haben sich während der vehementen Kämpfe um Kobane jedoch neutral verhalten und sich mit dem IS lieber nicht angelegt. Das hat mit der Politik der Türkei zu tun. Die unterstützt momentan alle jihadistischen Gruppen in Syrien militärisch und logistisch und unterbindet offensichtlich, dass sie sich gegenseitig bekämpfen. Selbst ein UN-Bericht konstatiert Ankara mittlerweile ein Hauptakteur der Gewalteskalationen im Hintergrund zu sein. Umso skandalöser ist es, dass weder die USA noch die EU das vehement öffentlich kritisieren und bislang keine politischen Konsequenzen ankündigen.

Konklusion

Ende Januar 2015 erklärte die Führung der YPG den “Sieg” im Kampf um Kobane. Trotz des militärischen Erfolges bleibt der IS in Nordsyrien und im Nordirak eine stete Bedrohung. Die Kurden bilden keine einheitliche Allianz. Letztendlich rivalisieren die PKK und die Führung der kurdischen Regionalregierung, der Barzani-Clan, um die Vormachtstellung in der Region.

Die regionalen Interessen der Türkei und ihre Unterstützung jihadistischer Gruppen in der Region stellen eine massive Bedrohung der internationalen Sicherheitslage dar. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan rechtfertigt diese Politik ganz offen. Die PKK, so unterstrich er mehrfach im vergangen Jahr, sei eine Terrororganisation wie der IS. Dieser Vergleich hinkt, denn die PKK führt keinen international ausgerichteten Expansionskrieg wie der IS.

Die Öffentlichkeit in Europa wird durch die militärische Unterstützung der nordirakischen Peshmerga und durch die internationalen Luftangriffe in dem Glauben gehalten, der IS werde nun wirksam bekämpft. Bislang hat sich der IS nur aus Kobane zurückgezogen. Sowohl die Zentralregierung in Bagdad als auch die Regionalregierung in Erbil kündigen seit Monaten an, den IS, der ein Drittel irakischen Territoriums besetzt hält, angreifen zu wollen. Das sind bislang allerdings reine Lippenbekenntnisse.

Die PKK-nahen Kurden streben ein egalitäreres Gesellschaftsmodell an. Teile der Jesiden sympathisieren damit. Ankara, Erbil und Bagdad ziehen es momentan vor, die Jihadisten gegen Teile ihrer Minderheiten einzusetzen, um eigene Machtverluste zu verhindern. Diese Aspekte werden in der internationalen Diskussion weitgehend ignoriert.

Die internationale Gemeinschaft muss sich mehr mit den regionalen Machtkämpfen in der Region beschäftigen, um nicht tatenlos Massenmorden und Versklavungen von Frauen und Mädchen zuzusehen und Flüchtlingsbewegungen hilflos gegenüberzustehen. Ein Dialog mit den PKK-nahen Kurden ist ebenso unerlässlich wie starker politischer Druck auf Ankara, den Dialog mit den politischen Vertretern der PKK fortzusetzen und aufzuhören, die Jihadisten zu unterstützen.

Gaeste

Sabine Küper Büsch studierte Politikwissenschaft an der Universität Hamburg. Seit 1992 lebt sie als Journalistin und Filmemacherin in Istanbul. Von dort aus berichtet sie aus der Türkei und dem Nahen und Mittleren Osten. Im vergangenen Jahr besuchte sie mehrfach die Konfliktregionen im Osten und Südosten der Türkei und im Nordirak und sprach mit Flüchtlingen und politischen Akteuren in der Region.

1 Kommentar

  1. Wie können Sie behaupten die PKK sei keine Terrororganisation? Dafür reicht schon eine einfacher Google Eintrag und Sie finden die Bestätigung. Für eine Terrororganisation spielt das Kriterium einer Expansion keine Rolle das ist höchstens eine neue Dimension.

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