Von Florian Peil
Im November 2014 schworen mehrere jihadistische Gruppierungen in Ägypten, Libyen und Algerien dem Islamischen Staat (IS) zeitgleich den Treueid. Der Anführer des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, erklärte daraufhin, seine Organisation habe weitere Territorien in Nordafrika annektiert, diese Länder seien nun Provinzen des Islamischen Staates.
Diese konzertierte Aktion sorgte weltweit für Aufsehen, vermittelte sie doch den Eindruck einer ungebrochenen Expansion des IS, der nach Landgewinnen in Syrien und dem Irak nun auch in anderen Regionen der islamischen Welt die Vorherrschaft anstrebte. Doch bei näherer Betrachtung entpuppt sich die vom Islamischen Staat erklärte Expansion nach Nordafrika vor allem als geschickte PR-Aktion: Denn die Behauptung des IS, auf einen Schlag die Herrschaft über weite Teile Nordafrikas übernommen zu haben, ist falsch. Sofern diese Expansion stattfindet, dann vorrangig in den Köpfen der Beobachter - sie entspricht jedoch nur sehr eingeschränkt den Tatsachen am Boden. Dort ist der Einfluss der IS-Anhänger lokal begrenzt, dort sind sie nur eine von vielen Gruppen, die um Macht und Einfluss kämpfen. Von der Verwaltung ganzer Städte und Landstriche kann derzeit jedoch keine Rede sein.
In Ägypten hat die auf der Sinai-Halbinsel ansässige Jihadisten-Gruppe Ansar Bait al-Maqdis (ABM) dem IS die Treue geschworen und nennt sich jetzt „Islamischer Staat - Provinz Sinai“. ABM ist die gefährlichste und aktivste aller ägyptischen Terrorgruppen - und galt bislang als Verbündeter von Al-Qaida. Ihr Anschluss an den IS hat somit mindestens regionale Signalwirkung. Dennoch könnte der Anschluss auch ein Ausdruck von Schwäche sein: ABM hat in den vergangenen Monaten schwere Verluste in Gefechten mit den ägyptischen Sicherheitsbehörden hinnehmen müssen, viele ihre Anführer wurden getötet. Die operativen Fähigkeiten der Gruppe scheinen aktuell stark eingeschränkt sein. Hinzu kommt, dass es innerhalb ABMs offensichtlich zu einer Spaltung gekommen ist zwischen den IS-Anhängern und jenen, die weiterhin loyal zu Al-Qaida stehen. Eine Gruppierung namens Al-Ribat Al-Jihadiyya soll sich bereits von ABM abgespalten haben.
In Libyen hat der IS die stärkste Präsenz in Nordafrika und außerhalb Syriens und des Iraks. Der Islamische Staat wird hier durch mehrere Gruppen in unterschiedlichen Landesteilen repräsentiert. Eine Kooperation dürfte gegenwärtig nur eingeschränkt stattfinden, da die Jihadisten in Libyen stark in lokalen Konflikten gebunden sind.
Der IS beansprucht, Libyen in drei Provinzen aufgeteilt zu haben: Tripolis, Barqa (Cyrenaica) und Fezzan. Ausgangspunkt der IS-Aktivitäten in Libyen ist die im Osten des Landes gelegene Stadt Derna. Inzwischen operiert der IS auch in Benghazi, Tripolis, Sirte und Sabrata.
Die in Derna ansässige Gruppe Majlis Shura Shabaab al-Islam (MSSI) hat dem IS im November 2014 als eine der ersten die Treue geschworen und nennt sich jetzt „Islamischer Staat - Provinz Barqa“. In den sozialen Medien kursieren Bilder, wie Mitglieder der Gruppe durch die Straße paradieren, ihre Fahnen auf Regierungsgebäuden hissen und mittels einer Religionspolizei in der Stadt die Scharia durchzusetzen versuchen. Da es kaum Gegenstimmen gibt, die ein anderes Bild der Wirklichkeit zeichnen - soziale Medien wie Twitter und Facebook sind in Libyen weniger stark verbreitet als in anderen Ländern der Arabischen Welt - gelingt es dem IS, auf diese Weise die Wahrnehmung der Beobachter zu verzerren: Tatsächlich spricht einiges dafür, dass der MSSI lediglich einige Viertel kontrolliert und mit anderen islamistischen Gruppen um die Vorherrschaft in der Stadt kämpft. Dabei scheinen die Jihadisten aber in der Lage, den eigenen Einflussbereich weiter auszudehnen.
In Algerien hat eine Gruppe namens Jund al-Khilafa dem IS bereits im September 2014 die Treue geschworen. Sie sorgte mit der Entführung und anschließenden Enthauptung des französischen Bergführers Hervé Gourdel weltweit für Aufmerksamkeit. Bei der Gruppe handelt es sich um eine Abspaltung von Al-Qaida im Islamischen Maghreb (AQIM). Anführer der Gruppe war Abdalmalik Gouri, ein ehemaliger hochrangiger AQIM-Kämpfer. Gouri wurde im Dezember 2014 vom algerischen Militär getötet und zahlreiche Mitglieder der Gruppe verhaftet. Seither sind keine weiteren Aktivitäten bekannt geworden. Möglicherweise ist die Gruppe bereits zerschlagen.
In Tunesien und Marokko existieren bis dato keine jihadistischen Gruppen, die dem IS die Treue geschworen haben. Dennoch gibt es zahlreiche Verbindungen zum Islamischen Staat: Tunesien stellt Schätzungen zufolge die höchste Anzahl an Kämpfern, die sich dem IS in Irak und Syrien angeschlossen haben, dicht gefolgt von Jihadisten aus Marokko. In Marokko und auch in Mauretanien haben die Sicherheitsbehörden bereits mehrere Terrorzellen und Rekrutierungsnetzwerke ausgehoben, beide jeweils mit engen Verbindungen zu IS.
Der IS mag also nach Nordafrika expandieren - von einer Ausweitung des Territoriums des selbst ernannten Kalifats inklusive der Verwaltung ganzer Landstriche kann derzeit jedoch keine Rede sein. Hier offenbart sich die Kluft zwischen dem Genius des IS in Sachen Propaganda und psychologischer Kriegsführung auf der einen und den Realitäten am Boden auf der anderen Seite.
Dennoch bieten sich dem IS in Nordafrika vielversprechende Ansätze, um sein in Syrien und dem Irak praktiziertes Herrschaftsmodell auch in weiteren Regionen umzusetzen. Die Sinai-Halbinsel und Libyen sind hier am aussichtsreichsten. Libyen kommt bei der Expansion nach Nordafrika die entscheidende Rolle zu: Das Fehlen einer Zentralregierung, das Sicherheitsvakuum sowie die reichlich vorhandenen Waffen prädestinieren das Land dazu, ein neues Zentrum des globalen Jihadismus zu werden.
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