Von Jean Rokbelle
„Terrorismus ist Theater“, stellte der Terrorismusforscher Brian Michael Jenkins im Jahr 1974 fest. Gut 40 Jahre später scheint diese Beschreibung das brutale Vorgehen der Gruppe „Islamischer Staat“ (IS) adäquat zu beschreiben. Das soll nicht bedeuten, dass die Gewalt des IS ein harmloses Schauspiel ist. Im Gegenteil: Die teils bestialische Gewalt ist echt, aber sie ist kein Selbstzweck, sondern wird bewusst eingesetzt und inszeniert wie in einem Film. Der IS verfolgt damit mehrere Ziele: Unter seinen Gegnern will er Schrecken verbreiten, während er selbst als nahezu übermächtig erscheint und seine Botschaft mittels medialer Berichterstattung weltweit verbreiten kann. Damit wiederum erreicht er Sympathisanten, Unterstützer und potentielle Rekruten.
Dabei kommt der Organisation der Warencharakter von Nachrichten entgegen. Jede alarmistische Schlagzeile kann die Auflage steigern. Viele Medien zeichnen die Bedrohung durch den IS in grellen Farben. Seit der Einnahme Mossuls im Juni überschlugen sich die Berichte über dessen Vorrücken. So entstand der Eindruck, als würde sich der IS beinahe unaufhaltsam ausbreiten und vor keinen Grenzen Halt machen. Als „Landfresser mit Weltmacht-Ziel“wurde die Organisation plakativ bezeichnet, womit indirekt den Lesern zu verstehen gegeben wurde, dass sie nirgendwo vor den Ambitionen der Dschihadisten sicher sind.
Der IS ist auf diese Berichte angewiesen. Unermüdlich arbeiten die Medienstrategen der Organisation unter Verwendung sozialer Netzwerke wie Twitter, Instagram und Facebook deshalb daran, solche Meldungen zu provozieren. Vor allem mit dramatisch inszenierten Hochglanzvideos grausamer Hinrichtungen – zuletzt die Verbrennung des jordanischen Piloten Mu'ath al-Kasasba –, versucht der IS Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Dies geschieht in verstärktem Maße dann, wenn er auf dem militärischen Feld Misserfolge zu verzeichnen hat. So ist zu vermuten, dass die Organisation mit der außerordentlich grausamen Hinrichtung al-Kasasbas versuchte von der verlustreichen Niederlage im syrisch-kurdischen Kobane abzulenken.
Losgelöst von den militärischen Realitäten bemüht sich der IS deshalb seine angebliche Schlagkraft unter Beweis zu stellen. Dies dient nicht nur dazu, Sympathisanten zu gewinnen, sondern auch, um Feinde einzuschüchtern – wie geschehen im Zuge der Übernahme Mossuls am Beispiel der Flucht der irakischen Armee. In der westlichen Welt versucht der IS mittels Dschihadisten aus westlichen Ländern Eindruck zu machen. Diese „Auswanderer“ drohen mit Anschlägen und rufen Sympathisanten zum Dschihad für den Islamischen Staat auf. Bisher lässt sich nur mutmaßen, inwieweit beispielsweise der Attentäter, der vergangene Woche in Kopenhagen zwei Menschen tötete, durch derartige Videos motiviert wurde.
Spätestens in Verbindung mit Berichten über Massenvernichtungswaffen sorgen Vorfälle dieser Art für besondere Schreckensszenarios, so dass der Islamismusexperte – und Autor in diesem Sipo-Blog-Forum zum IS – Yassin Musharbash kürzlich eine Form der „Angstlust“ in hiesigen Medien witterte. Im Juni 2014 hatten beispielsweise verschiedene Medien, mit Verweis auf Angaben der US-Regierung angedeutet, der IS könnte alte Giftgasbestände der irakischen Baath-Regierung geplündert haben. Gesteigert wurde die Dramatik durch eine Meldung der Zeitung Bild: „ISIS besitzt radioaktive Bombe“ titelte sie Anfang Dezember und berichtete von einer Drohung, die Bombe im London Stadtkern einzusetzen. Natürlich war die Quellenlage für die Behauptung dünn und stützte sich einzig auf eine Facebook-Nachricht eines britischen IS-Anhängers.
Entstanden ist ein Klima, in dem nichts mehr unmöglich scheint. Der IS ist zu einem Schreckgespenst geworden, dem man alles zutraut. Dass dies zu einer Bedrohung ganz anderer Art führen kann, zeigen rechte Protestbewegungen in Europa und insbesondere Deutschland. Meldungen, dass der IS angeblich beabsichtige, als Flüchtlinge getarnte Schläfer nach Europa einzuschleusen, sind Munition für Parteien und Bewegungen, die die Asylgesetze noch weiter verschärfen wollen.
Es liegt nahe, einen Zusammenhang zwischen dem medialen „IS-Hype“ und dem Erstarken rechter Bewegungen wie Pegida und Hogesa zu sehen. Gleichzeitig könnten vermehrte rassistische Übergriffe auf Muslime wiederum dazu führen, dass das dschihadistische Narrativ von der Unterdrückung der Muslime durch die westlichen „Ungläubigen“, bei manchen marginalisierten Muslimen auf fruchtbaren Boden fällt. So perpetuieren und legitimieren sich Islamismus und Rechtsradikalismus gegenseitig, während die Politik mit Forderungen nach Vorratsdatenspeicherung und anderen Eingriffen in das Privatleben der Bürger ihren Teil dazu beiträgt, diejenigen bürgerlichen Freiheiten, die gegenüber dem Islamismus demonstrativ in Schutz genommen werden, nach und nach selber einzuschränken.
Beinahe prophetisch mutete daher die jüngste Ausgabe der IS-Publikation Dabiq an, welche den bedeutungsschweren Untertitel „die Auslöschung der Grauzone“ trug. Muslime Europas sollten sich endlich zwischen „Unglaube“ und dem „wahren Glauben“, also der Glaubenslehre des IS, entscheiden. Hier wie dort versuchen Scharfmacher die Welt in Schwarz und Weiß zu teilen und bekommen dabei von vielen Medien die Munition geliefert.
sie beschreiben die ‘gruppe’ IS – nun ist es jedoch keine gruppe sondern es sind tatsaechlich richtige terroristen, die dafuer sorgen dass getoetet, vergewaltigt, versklavt und veraengstigt wird.
solange sie diese unmenschen ‘gruppe’ nennen, solange sie sich fuerchten die IS terroristen zu nennen, solange werde ich dafuer sorgen, dass ihre darstellungen ueberprueft werden
Zuerst eine Frage: was wollen Sie mit der Bezeichnung „terroristisch“ zum Ausdruck bringen? Sie erklären, der IS und seine Anhänger_Innen seien keine Gruppe, sondern Terroristen, „richtige“ zumal! Und dies deshalb – so Ihre Begründung – weil der IS töte, vergewaltige, versklave und verängstige. Nun sind dies alles keine Alleinstellungsmerkmale für Terrorismus. Das Töten muss zum Beispiel jede konventionelle Armee eines Staates draufhaben. Mit dem Verängstigen ist es kaum anders, siehe die „Shock and Awe“-Taktik der US-Streitkräfte im Irakkrieg ab 2003. Terrorismus hat meiner Meinung nach aber viel mehr mit einer bestimmten Form der Kommunikation zu tun und definiert sich nicht über ein besonders hohes Level an Gewalt.
Ich hege daher den Verdacht, dass sie die Bezeichnung Terrorismus weniger als analytische, denn als moralische Kategorie benutzen, eine Vermutung, die durch Ihre Verwendung der Bezeichnung „Unmenschen“ gestützt wird. Ihnen erscheint die Gewalt des IS als so außerordentlich, dass sie den IS-Kämpfern absprechen, überhaupt Menschen zu sein. Aber wer oder was soll denn sonst zu solch brutalen Gewalttaten fähig sein, wenn nicht der Mensch? Menschsein und Terroristsein kann sich natürlich gar nicht ausschließen, so wie ihre Argumentation das impliziert.
Wir können gerne darüber diskutieren welchen Erkenntnisgewinn wir haben, wenn wir zu dem Schluss gelangen, dass die eine oder andere Organisation, Miliz oder eben Gruppe terroristisch ist. Mich würde Ihr Standpunkt dazu interessieren.
Ich kann es übrigens nur sehr begrüßen, wenn sie mir „drohen“ meine Darstellungen zu überprüfen. Argumente zu prüfen kann schließlich nie schaden.
oh je, schoene welt 🙂
fuer sie als 1. welt bewohner ist scheinbar der terrorismus und seine zusammenhaenge klar einsehbar, alles schoen schubladisierbar und alles -entsprechend ihrem intellektuellen niveau- wohl auch erklaerbar…
so wie es der usa, merkel in der brd, dem saudi arabischen koenigshaus, einem grossteil der arabischen, gespaltenen muslimen und den presseorganen weltweit gelingt, feindbilder in den koepfen ihrer ‘buerger-anhaenger-leser’ fest zusetzen, so wollen sie mir klar machen dass terrorismus nicht mit einem besonders hohen niveau von gewalt definiert werden soll/kann?
natuerlich sind sie informiert ueber die nicht-terrorismus definitionen der uno, der eu, der einzelnen staaten, des vatikans, des islams und so weiter und natuerlich werden sie sich wohl mit den erscheinungformen des terrorismus auseinandergesetzt haben in all seinen aspekten.
— da sie peter waldmann und seine feststellung anfuehren, dass terrorismus in erster linie eine furchtausloesende kommunikationsstrategie ist, werden sie vermutlich auch darueber informiert sein dass es akademikern auch nicht weiterhilft sich auf die geistige und damit abstrakte ebene zu begeben und versuchen heraus zu finden, welche ‘form’ von terrorismus sich nun von gut und boese ableitet.
wenn im islam von muhammad iqbal (1877 – 1938) und anderen islamischen denkern nur handlungen, die aus freier wahl resultieren, als „gut“ charakterisiert werden, da das gutsein die freiheit zur bedingung hat, dann koennen wir nun durch alle zeiten, alle geschehnisse reisen und alle philosophen, religioesen ‘fuehrer’ und politiker, feldherren und ideologen aller zeit mit ihren mehr oder weniger eigenartigen gedanken zitieren…–
es wird ihnen nicht erspart bleiben, koerperliche gewalt gegen andere und machtausuebung, physisch und psychisch und in andereren formen, ueber andere zur mehrung der eigenen vorteile als erste form des terrors zu betrachten.
saemtliche bisher ‘gefundenen’ definitionen des terrorismus werden sie vergessen, wenn sie in den einflussbereich von terroristen geraten die ihnen ihren willen aufzwingen…
ich lebe in indonesien, (spreche nicht besonders gut deutsch) und habe auf meinen langen und weiten reisen auf der ganzen welt gewalt gesehen und erlebt, in all ihren formen.
nirgendwo manifestiert sich jedoch so viel gewalt derart menschenverachtend und grauenvoll gegen andere menschen wie in terroristischen vereinigungen, gleich welcher art und gleich unter welchem ziel diese operieren oder agieren.
jeden tag erleben wir, dass terror nichts mit irgendeiner moralischen kategorie zu tun hat, denn terror eine moralische berechtigung geben zu wollen, grenzt schon an menschenverachtung und kann nur jemanden einfallen, der als junger studiosus im elfenbeinturm seinen weltverbesserer ideen nachhaengen muss, weil er angst vor der wirklichkeit hat.
das ist oft die art der wirklichkeit
welche mit einem buch in in der hand als rechtfertigung fuer ein besseres leben andere menschen in den tod treibt, weil diese sich weigern, buecher und ihre ideologien und ausbeutung, sklaverei und unterwerfung zu akzeptieren.
welche ‘gruppen’, milizen, organisationen terroristisch sind, wird durch die uno bekanntgegeben, auch das wird ihnen bekannt sein. darueber muessen wir nicht diskutieren.
auch bekannt sein sollte ihnen die feine unterscheidung zwischen drohung und pruefen von argumenten … ich kann in meinen ‘leserbrief’ an sie nichts von einer drohung herauslesen…
oder wollen sie politiker werden… LOL
Guter Beitrag von Jean Rokbelle, vielen Dank. Es wird leider eher selten differenziert über das Thema geschrieben. Zu oft gibt es Streit über Marginalien, da wird aus dem Koran zitiert und Vergleiche angestellt, welche Gewaltakte die schlimmeren waren etc. So hat das Volk, wir Menschen eben Material zur Diskussion und die meisten, die nicht wirklich betroffen sind, können nach ein paar Wochen zur Tagesordnung über gehen, bzw. sich an anderen Themen entbrenne. Zuletzt im Bezug auf Charlie Hebdo, die Karrikaturen dienen den radikalen Islamisten zur Auffrischung ihres Feindbildes, genauso wie die Anschläge zu Auffrischung des Feindbildes ihrer Gegner dienen. Es geht im Grunde gar nicht um verletzt oder gekränkt sein. Die Kränkung hat schon an anderer Stelle stattgefunden.