Von Dr. Daniel H. Heinke und Hazim Fouad
Der „Islamische Staat“ veröffentlicht unter dem Namen „Dabiq“ eine eigene Propagandazeitschrift. Die mit zahlreichen großformatigen Fotos hergestellte Publikation mutet dabei wie ein modernes Magazin an und ist optisch durchaus mit dem seit mehreren Jahren bekannten Magazin „Inspire“ der al-Qaida vergleichbar. Im Folgenden soll die deutsche Ausgabe in die Rekrutierungs- und Medienstrategie des IS eingeordnet und mögliche Folgerungen für die Sicherheitslage und die Tätigkeit der deutschen Sicherheitsbehörden vorgenommen werden.
Das Magazin ist im Internet ohne weiteres verfügbar. Seine Verbreitung dürfte zwar in der Bundesrepublik nunmehr dem durch den BMI verfügten Betätigungsverbot zuwiderlaufen, doch ist nicht zu erwarten, dass dies die Zugriffsmöglichkeiten nachhaltig einschränkt.
Inhaltlich lässt sich die erste deutsche Ausgabe von Dabiq grob in folgende Themenbereiche aufteilen:
- Die endzeitliche Bedeutung des Ortes Dabiq
- Ausführungen zur vermeintlichen Legitimität des Kalifats
- Darstellung der Strategie des „Islamischen Staates“
Letzterer Punkt bildet den Fokus dieses Beitrages.
Die Strategie des „Islamischen Staates“
Das Magazin stellt ein fünfstufiges Modell vor, welches den langfristigen Erfolg der Bewegung sicherstellen soll.
Hiernach sollen die Mujahidin zunächst an einen Ort auswandern, an welchem sie im physischen Sinne sicher sind, um sich dort zu einer Gruppe (jama´a) zu konsolidieren. Durch gezielte Attacken gegen den Feind (nikaya) soll sich das Gebiet unter dessen Kontrolle in einen Zustand von Chaos (tawahhush) versetzt werden, in dem sich das Regime aus den ländlichen Gebieten zurückzieht. Diese freigewordenen Gebiete sollen durch die Mujahidin mit dem Ziel besetzt werden, dort erste staatsähnliche Strukturen aufzubauen. Sobald genug Territorium erobert und konsolidiert werden konnte (tamkin), wird das Kalifat ausgerufen.
Diese Vorgehensweise fußt in weiten Teilen den ideologischen Überlegungen jihadistischer Vordenker aus den Reihen al-Qaidas wie Abu Mus´ab al-Suri und Abu Bakr Naji. Der „Islamische Staat“ kann in der aktuellen Situation für sich beanspruchen, diese Vorgaben bis zu einem Niveau verwirklicht zu haben, das al-Qaida selbst nie erreicht hat. Berichte über militärische Erfolge über „die Feinde Allahs“, die im Rahmen des Magazins mit äußerst brutalen Bildern illustriert werden, und eine erfolgreiche Versorgung der „Bürger“ des so genannten Islamischen Staates sollen dazu beitragen, die bisherige Entwicklung als „Erfolgsstory“ zu verkaufen.
Die Zielgruppe des Magazins
Das Magazin wendet sich durchaus auch an bereits entschlossene Anhänger der Bewegung des „Islamischen Staates“, um diesen zu verdeutlichen, dass die angestrebten Ziele ganz real verwirklicht werden können. Sie tragen so zur inneren Festigung der Bewegung bei. Ihre vorrangige Bedeutung hat die Zeitschrift aber als Instrument zur Rekrutierung von weiteren Kämpfern für den „Islamischen Staat“. Dabei hat die Bewegung ganz offensichtlich auch Islamisten in Europa, den Vereinigten Staaten von Amerika sowie Russland respektive den Nachfolgestaaten der Sowjetunion im Blick.
Der „Islamische Staat“ fordert die Muslime weltweit auf, sich dem IS anzuschließen und so das Kalifat auszubauen. Das Magazin „Dabiq“ ist dabei zwar als „Leitmedium“ der Propaganda des „Islamischen Staates“ zu bewerten. Es wird aber flankiert von zahlreichen weiteren Einzelschriften sowie von Audio- und Videobotschaften des als „Kalif“ ausgerufenen Anführers al-Baghdadi und weiterer Vertreter der Bewegung. Ebenso richten sich einzelne ausländische Kämpfer, in ihren Auftritten insbesondere an die Bevölkerung ihrer jeweiligen Heimatstaaten.
Bewertung für die Sicherheitslage
Die Argumentation des „Islamischen Staates“ greift das aus der Radikalisierungsforschung bekannte Narrativ des vom Westen geführten „Krieg gegen den Islam“ auf. Sein Erfolg bietet mit der Ausrufung des Kalifats und der tatsächlichen Errichtung eines territorialen Herrschaftsgebietes tatsächlich die Möglichkeit, die im jihadistischen Salafismus angestrebte unangefochtene – und ausschließliche – Oberherrschaft Gottes (hakimiyyat allah) zu verwirklichen. Diese aus Sicht der Bewegung realistische Möglichkeit stellt eine deutliche qualitative Steigerung gegenüber den bloßen Terroroperationen des al-Qaida-Netzwerkes dar, die zwar den vermeintlichen Feinden erheblichen Schaden zuzufügen vermochten, aber doch nicht geeignet waren, den eigenen Erfolg herbeizuführen.
Die vom britischen International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR) durchgeführte Auswertung der Inhalte von Beiträgen von rund 450 ausländischen Kämpfern in Syrien und im Irak in Medien und insbesondere in sozialen Netzwerken legt nahe, dass die Darstellung brutaler Gewalthandlungen einschließlich der Tötung von Gefangenen – nicht zuletzt westlicher Nationen – zwar auf die allgemeine Bevölkerung abstoßend wirken, innerhalb der extremistischen Szene den „Islamischen Staat“ aber an Attraktivität gewinnen lassen. Diese bereits extremistisch motivierten Personen werden durch den Beleg, dass es in der Möglichkeit des IS liegt, auch westliche, insbesondere amerikanische und britische, Staatsangehörige zu töten, ohne dass diese Staaten unmittelbar etwas zur Verhinderung solcher Taten unternehmen können, aufgeheizt und motiviert, sich am bewaffneten Kampf für die vermeintlich gemeinsame Sache zu beteiligen.
Möglicherweise kann diese „Begeisterung“ gewaltbereiter Extremisten auch zur individuellen Begehung von Anschlägen im Westen führen. Das in einer Vielzahl von Sprachen verfügbare Magazin „Dabiq“ stellt vor diesem Hintergrund eine nicht unerhebliche Verschärfung der abstrakten Gefährdungslage dar. Es liefert wichtige Erkenntnisse über die Denkweise der Organisation IS, welche wiederum bei der Erarbeitung einer effektiven Präventions- wie aber auch Anti-Terrorstrategie Beachtung finden sollten.
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