2015 – ein Superwahljahr mit ungewissem Ausgang!
von Kai Striebinger
Ebola in Liberia, Sierra Leone und Guinea; Boko Haram in Nigeria; Revolution in Burkina Faso. Politische Entwicklungen in Westafrika sind Teil der täglichen Berichterstattung in Deutschland. Diese Ereignisse bieten Anlass, sich mit den politischen Strukturen und potentiellen Entwicklungen der Regime in Westafrika zu beschäftigen. In fünf westafrikanischen Ländern sind 2015 Präsidentschaftswahlen geplant. Nigeria macht am 28. März den Anfang. Es folgen dann Togo (Mitte April), Burkina Faso, Guinea und Côte d’Ivoire (alle im Oktober).
Dieser Beitrag ist der Beginn einer vierteiligen Serie zu diesen Wahlen. Im ersten Teil werden allgemeine Trends der Regimeentwicklung in Westafrika vorgestellt und eine Analyse der Situation in Nigeria präsentiert. Im zweiten Teil geht es dann um die Wahlen in Togo, im dritten um die Wahlen im Oktober und schließlich im letzten Teil um einen Vergleich der fünf Wahlprozesse.
Eindeutige Trends zu weniger Autokratie
Die längerfristigen politischen Entwicklungen in Westafrika sind bei weitem nicht so dramatisch wie es die krisengeleitete Berichterstattung vermuten lässt. Die einschlägigen politikwissenschaftlichen Indikatoren zu Regimeentwicklungen in Westafrika verdeutlichen drei Trends (Marshall, Gurr, und Jaggers 2010): Erstens gibt es wenige Länder, die über die letzten zwei Jahrzehnte stabile demokratische Strukturen aufweisen (z.B. die Kapverdischen Inseln). Zweitens, die Anzahl stabil autokratischer oder in Bürgerkriegen verwickelter Länder nimmt kontinuierlich ab. Drittens, gibt es ein Gros an Ländern, die demokratische und autokratische Strukturen aufweisen; in diesen Ländern werden zwar Wahlen abgehalten; gleichzeitig konsolidieren sich sowohl autokratische, als auch demokratische Elemente der Regierungsführung. Diese sogenannten hybriden Regime machen seit Mitte der 90er Jahre zwischen der Hälfte und Zwei-Dritteln der Regime in Westafrika aus (Levitsky und Way 2010). 1 Nigeria, Togo, Guinea, Côte d’Ivoire und Burkina Faso gehören dazu.
Wahlen in diesen sogenannten hybriden Regimen sind jedoch nicht zwangsläufig Ausdruck demokratischer Konsolidierung. Stattdessen kulminiert hier die Auseinandersetzung um die Ausrichtung des Regimes. Ob die Wahlen nach demokratischen Prinzipien stattfinden, hängt von drei Punkten ab: (1) Unterstützen staatliche Institutionen (Wahlkommission, Verfassungsgericht, Militär) einen freien und fairen Wahlprozess? (2) Sind Regierung und Opposition bereit, das Wahlergebnis zu akzeptieren? (3) Unterstützen externe Akteure den demokratischen Wandel?
Skeptisch Stimmende Strukturen
Bevor die oben genannten drei Punkte für jedes Land analysiert werden, lohnt sich ein Blick auf die strukturellen Bedingungen, vor denen die Wahlen stattfinden. Dieser zeigt, dass in allen fünf Ländern die strukturellen Bedingungen für reibungslose Wahlprozesse nicht umfassend ausgeprägt sind. Die grundlegende Idee der Modernisierungstheorie, dass es ökonomische, soziale und kulturelle Voraussetzungen gäbe, ohne die Demokratie unmöglich sei, wird in Westafrika nicht bestätigt (Lipset 1959): Die demokratisch stabilen Länder haben durchschnittlich ein niedrigeres Bruttoinlandsprodukt als den Wert, der als Voraussetzung für die Entstehung von Demokratien angenommen wird (Przeworski u. a. 2000).
Die fünf Länder stehen jedoch symptomatisch für wenig diversifizierte Ökonomien und starke Ungleichverteilung des Wohlstands. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist zwar in allen fünf Ländern seit 1989 gestiegen (in Nigeria als ölexportierender Nation besonders stark; ebenso in Burkina Faso, Guinea und Togo), aber insgesamt verharrt es auf einem niedrigen Niveau von zirka 600 USD/ Kopf für die drei letztgenannten und 1200 oder 1400 USD/ Kopf für Côte d’Ivoire und Nigeria (2012). Die sehr geringen Ressourcen sind zusätzlich höchst ungleich verteilt. 2
Angesichts dieser wirtschaftlichen Entwicklung und der ungleichen Verteilung des existierenden Wohlstands ist in allen fünf Ländern die Unzufriedenheit mit der gelebten politischen Kultur groß. Die jüngsten Ereignisse in Burkina Faso verdeutlichen, wie schnell eine hohe Mobilisierung und innenpolitischer Druck zum Sturz einer Regierung führen kann. Das Afrobarometer hat in allen fünf Ländern (ironischerweise bis auf Burkina Faso) eine stark unter dem Durchschnitt liegende Zufriedenheit der Bürger_innen mit dem politischen System ermittelt (sie reicht von 39% in Guinea bis 21% in Togo).
Die starke Ungleichverteilung des Reichtums und die unbefriedigende wirtschaftliche Entwicklung, verstärkt durch die Einschränkungen der Mobilität durch die Ebola-Epidemie und die angespannte Sicherheitslage im Saharagürtel, können in einem hohen Protestpotential münden. Inwiefern dieses für freie und faire Wahlen mobilisiert wird, hängt auch von den drei genannten Faktoren ab.
Wahlen in Nigeria – Demokratie am seidenen Faden
In Nigeria ist die Lage kurz vor der Wahl angespannt. Die Auseinandersetzung zwischen Präsident Goodluck Jonathan als Kandidat der People’s Democratic Party (PDP) und Muhammadu Buhari, dem Kandidaten der größten Oppositionspartei, des All Progressives Congress (APC), hat in den letzten Wochen neue Höhen erreicht. Der Wahlkampf wird von der Sicherheitssituation vor allem im Nordosten Nigerias bestimmt. Seit 2014 hat die Terrorgruppe Boko Haram dort mehrere Tausend Zivilisten umgebracht. Dem mit der Bekämpfung von Boko Haram betrauten Militär gelingt es nicht, die zivile Bevölkerung im Nordosten Nigerias zu schützen.
Beide Seiten versuchen die Sicherheitssituation zu ihrem Vorteil zu nutzen. Der ehemalige Präsident einer Militärregierung, Buhari (an der Macht von 1983 bis 1985), präsentiert sich als hart durchgreifender Politiker, der dem traditionell wohlgelittenen Militär zu neuer Stärke verhelfen würde. Mit seinem Diskurs, der Wandel und Veränderung betont, hat er bereits viele prominente Mitglieder der PDP – unter anderem den elder statesman Olusegun Obasanjo – zum Übertritt in die APC überzeugen können.
Die große Popularität Buharis blieb von Jonathan und seiner Partei nicht unbemerkt. Die Entscheidung der INEC die Wahlen um sechs Wochen auf den 28. März zu verschieben ist auch in diesem Zusammenhang zu verstehen. Wenn das Militär in den letzten Jahren nicht in der Lage war den Nordosten zu stabilisieren, ist es unwahrscheinlich, dass dies in sechs Wochen gelingt. Die PDP hat sich von dieser Entscheidung vielmehr versprochen noch in den letzten Wochen Stimmen zu gewinnen. Die Popularität von Jonathan ist jedoch nicht gestiegen; andere Möglichkeiten, um die Wahl zu gewinnen werden deswegen ausgelotet.
Erstens versuchen Repräsentanten der PDP den technischen Ablauf des Wahlprozesses zu verändern. Die INEC hat ein besonders raffiniertes und fälschungssicheres System mit Wählerkarten entwickelt, das auch von der APC unterstützt wird. In einem zweistufigen Verifizierungssystem kann ausgeschlossen werden, dass Personen doppelt wählen oder Wahlurnen mit fiktiven Stimmen gefüttert werden. Es wird entscheidend sein, dass dieses System nicht ausgehebelt wird – was jedoch einige PDP-Politiker versuchen. Zweitens gibt es Überlegungen seitens der Regierung einen landesweiten Notstand auszurufen und eine Übergangsregierung einzusetzen. Diese Pläne stoßen auf heftige Kritik der Opposition und es scheint, dass weite Tele der politischen Klasse solche Ansinnen ablehnen. Es ist somit wahrscheinlich, dass die Wahlen stattfinden (zumindest außerhalb des Nordostens).
Nur im Falle eines eindeutigen Wahlsieges einer Partei, kann davon ausgegangen werden, dass beide Parteien das Ergebnis akzeptieren. Dies scheint jedoch unwahrscheinlich und sobald es zu einem knappen Ergebnis kommt, liegt es für beide Parteien nahe, zu behaupten, dass die Wahl manipuliert worden sei. In diesem Falle wären gewalttätige Ausschreitungen nicht auszuschließen – unabhängig davon, ob Vorwürfe der Wahlmanipulation gerechtfertigt sind oder nicht.
Wenn der politische Konflikt zwischen APC und PDP eskalieren sollte, ist das Militär eine wichtige Institution, dessen Kontrolle über die politische Macht mitentscheidet. Es wäre in diesem Szenario ebenfalls nicht auszuschließen, dass das Militär die Macht ergreift. Die Konstellation ist dabei denkbar ungünstig, denn beide Parteien können auf Loyalität bei den Militärs zählen. Ein ehemaliger Militärpräsident, Buhari, stünde in diesem Fall dem derzeitigen Verteidigungsminister gegenüber, der 1985 in dem Staatsstreich involviert war, der Buhari stürzte. In diesem Fall wäre zu hoffen, dass zumindest auf einer Seite die menschliche Größe besteht, den Konflikt nicht bis zu einer militär-internen Auseinandersetzung eskalieren zu lassen.
Im zweiten Teil: Die Wahlen in Togo, wo das Militär eindeutig auf Regierungsseite steht und die Opposition sich trotzdem Chancen auf einen Regierungswechsel ausrechnet.
Literatur
Collier, Paul, and AnkeHoeffler. 2005. “Coup Traps: Why Does Africa Have so Many Coups D’état?” In . Marriott Wardman Park, Omni Shoreham, Washington Hilton, Washington, DC. http://users.ox.ac.uk/~econpco/research/pdfs/Coup-traps.pdf.
Levitsky, Steven, and Lucan A. Way. 2010. Competitive Authoritarianism - Hybrid Regimes After the Cold War. Cambridge: Cambridge University Press.
Lindberg, Staffan I. 2006. Democracy and Elections in Africa. Baltimore: Johns Hopkins Univ. Press.
Lipset, Seymour Martin. 1959. “Some Social Requisites of Democracy: Economic Development and Political Legitimacy.” The American Political Science Review 53 (1): 69–105. doi:10.2307/1951731.
Marshall, Monty. G., Ted Robert Gurr, and Keith Jaggers. 2010. “Polity IV Project-Political Regime Characteristics and Transitions, 1800-2009.” Polity IV Project-Dataset Users’ Manual.
Marshall, Monty. G., and Donna Ramsey Marshall. 2011. “Coup d’Etat Events, 1946-2010. Codebook.” Center for Systemic Peace.
Przeworski, Adam, Michael E. Alvarez, Jose Cheibub, and Fernando Limongi. 2000. Democracy and Development: Political Institutions and Well-Being in the World, 1950 - 1990. 1. publ. Cambridge Studies in the Theory of Democracy. Cambridge [u.a.]: Cambridge Univ. Press.
Striebinger, Kai. 2012. “When Pigs Fly. ECOWAS and the Protection of Constitutional Order in Events of Coups d’Etat.” In Roads to Regionalism. Genesis, Design, and Effects of Regional Organizations, edited by Tanja A. Börzel, Lukas Golterman, Mathis Lohaus, and Kai Striebinger, 179–98. Aldershot: Ashgate.
Welch, Claude E., and Arthur K. Smith. 1974. Military Role and Rule. Perspectives on Civil-Military Relations. North Scituate: Duxbury Press.
- Die gemessenen Faktoren sind formaler Zugang zur Exekutive (Wahlen), Gewaltenteilung, politische Partizipationsmöglichkeiten und für autokratische Strukturen besonders die Kontrolle von Oppositionsaktivitäten (Marshall and Marshall 2011, 14–18). Es ist hier nicht von Bedeutung, ob die Zuordnung im Einzelnen zutrifft. Es geht lediglich darum aufzuzeigen, dass im Vergleich über Zeit nach diesen Kriterien formal autokratische Eigenschaften der Regime zu Gunsten demokratischer Faktoren abgenommen haben. In der Länderanalyse geht es nicht um formale Voraussetzungen, sondern um deren Ausgestaltung. ↩
- Weltbank-Daten zum GDP/ Kopf. ↩
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