von Maik Fielitz
Am 20. April beginnt der lang erwartete Prozess gegen die Führungsriege und Mitglieder der sog. Sturmtruppen der griechischen Goldenen Morgenröte (Χρυσή Αυγή – XA). Insgesamt 69 Angeklagte müssen sich für die Bildung bzw. die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation verantworten. Es stehen Anklagepunkte wie Mord, Körperverletzung, Bestechung und Schutzgelderpressung im Raum. Trotz der deutlichen Ausgangslage liegen die konkreten Organisationsstrukturen weithin im Dunkeln, wodurch eine Rädelsführerschaft schwer nachzuweisen ist. Andererseits wird der Prozess auch Verbindungen in den ‚politischen Mainstream‘ deutlicher machen als es manchem Akteur lieb sein wird, was wiederum neue Herausforderungen für die Unabhängigkeit des Verfahrens mit sich bringt.
Die Bilder gingen um die Welt: Die Führung der XA in Handschellen, abgeführt von der Anti-Terror-Einheit und eingesperrt wegen des Verdachts, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. Eine kriminelle Organisation mit 440.000 potentiellen Unterstützern wie die Partei hämisch betonte – denn so viele Griechinnen und Griechen setzten 2012 ihr Kreuz nach ganz rechts außen. Gleichzeitig verwies die Parteiführung auf ihre repräsentative Legitimation sowie die Immunität ihrer Abgeordneten.
Doch XA hatte sich offensichtlich verspekuliert. Getragen von Umfragewerten von bis zu 15% und Zugeständnissen der rechten Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) intensivierte sie ihre Aktionen auf der Straße. Ihren gewaltsamen Höhepunkt fand diese Mobilisierung in dem koordinierten Angriff auf Syndikalisten der kommunistischen Gewerkschaft PAME und dem Mord am antifaschistischen Musiker Pavlos Fyssas im September 2013. Die Verantwortlichkeit und Kommunikationsstruktur dieser beiden Tathergänge sowie zweier weiterer brutaler Angriffe auf ägyptische Fischer in Piräus und pakistanische Migranten auf Kreta werden ab Montag vor dem Gericht des Frauengefängnisses im Athener Vorort Korydallos im Zentrum der Beweisführung stehen.
Da das griechische Parteienrecht aufgrund historischer Gegebenheiten die Möglichkeit eines Verbots ausschließt, sobald sich die Partei einmal zur Verfassung bekannt hat, galt die Kriminalisierung als einzige, jedoch heikle Alternative, um XA mit juristischen Mitteln zu begegnen. Dieses Vorgehen birgt die Gefahr, die Strafverfolgung als politisch motiviert zu konterkarieren und durch einen eindimensionalen Gewaltfokus die Komplexität des Aufstiegs des griechischen Neofaschismus zu unterschätzen.
Kriminelle Organisation mit Geleitschutz
So gibt es sicherlich viel zu sagen über die organisierte Gewalt der XA. Die 30-jährige Geschichte des sich immer wieder neu erfindenden, doch im Kern unveränderten Akteurs der post-diktatorischen extremen Rechten, sowie die Biographien ihrer Protagonisten sind gespickt mit Bombenattentaten, illegalem Waffengebrauch, klandestinen Angriffen, Brandstiftungen, Milizen und Ausschreitungen. Es mangelt weder an der Dokumentation noch an der eindeutigen Referenz zu internationalen Neonazi-Strategien steht, deren Pamphlete XA selbst übersetzte.
Ebenso viel ließe sich über die Untätigkeit der Strafverfolgungsbehörden berichten, die dem Treiben der XA durch wiederholte Sanktionslosigkeit Auftrieb gab. Im März dieses Jahres wurde erst XA-Pressesprecher Kasidiaris freigesprochen, nachdem er der kommunistischen Abgeordneten Kanelli wiederholt in einer Talkshow ins Gesicht schlug. Weitere Beispiele ließen sich anbringen, die mit der Frage verbunden sind, wie eine Neonazi-Organisation mit einem bewaffneten Arm jahrzehntelang ungestört agieren konnte.
Dies bringt schließlich die politische Rückendeckung ins Spiel, die XA seit Jahren im Staatsapparat und im nationalistischen Lager genießt. Mehr noch: Den Angriffen gegen Migranten wurde vor dem Hintergrund der xenophoben Migrationspolitik durchaus Legitimität eingeräumt. So stellte der ND-Abgeordnete Michalis Tamilos fest, dass „die Säuberungen von Migranten durch die XA“ der alten Regierung sehr gut ins Konzept passte, da sie ihr keine politischen Kosten verursachte. Vor diesem Hintergrund ist die Kriminalisierung der XA ein gänzlich neuer Ansatz, der den Beigeschmack einer opportunistischen Entledigung politischer Gegner hat und somit den Erfolg des Verfahrens gefährdet.
Der Prozess als ‚Lehrstück der Demokratie‘?
Bereits das Datum scheint bewusst gewählt. Der 20. April gilt aufgrund des Geburtstags von Adolf Hitler weltweit als einer der zentralen Gedenktage der internationalen Neonazi-Szene. Die Symbolkraft soll die Repräsentanten der XA bewusst an deren Hitler-Verehrung erinnern, dessen Selbstmord die Parteispitze wiederholt betrauerte. Es eigne sich allerdings auch der 21. April für „eine Lehrstunde der Demokratie und der Gerechtigkeit“ wie die konservative Tageszeitung Kathimerini polemisch erklärte. Der Jahrestag des als ‚Junta‘ in die Geschichte eingegangenen ‚Regime des 21. April‘ gilt seit jeher für Nostalgiker und Nationalisten als Protesttag gegen die liberale Demokratie. Jüngst versuchte XA diesen Tag zu vereinnahmen. Nicht nur sie weiß, dass ca. 30% der griechischen Bevölkerung sich unter dem Eindruck der wirtschaftlichen und politischen Krise das autoritäre Regime zurückwünscht. Denn auch die rechte ND gilt als Auffangbecken für Junta-Sympathisanten und heimatlose Rechtsradikale. So hielt sich gerade der nationalistische Premier Samaras ein Backup nach Rechtsaußen offen und installierte sogar Schlüsselfiguren der extremen Rechten in der Regierung. Die Symbolkraft des 21. April würde sich daher eher zu einem Bumerang entwickeln und die Frage eröffnen, wer hier wem eine Lehrstunde erteilen möchte.
Denn der vielmals beschworene, faktisch jedoch nicht existierende, Cordon Sanitaire, mit dem sich eine (unbestimmte) politische Mitte allein über die Referenz zur neonazistischen Kernideologie der XA von ihr distanziert, lässt personelle Seilschaften und ideologische Grauzonen im nationalistischen Milieu Griechenlands schwer erklären. Darüber hinaus hat XA bewiesen, dass sie ihre strategischen Verbindungen als Instrument nutzen kann, um einerseits den Prozess zu delegitimieren und andererseits Kapital aus einer halbherzigen Distanzierung zu schlagen. So musste die rechte Hand Samaras‘ Takis Baltakos seinen Posten im April 2014 räumen, nachdem er dem XA-Offiziellen Kasidiaris einräumte, dass der Prozess gegen XA keine rechtliche Grundlage besitze, sondern von der ND-Parteispitze angezettelt wurde. In diesem Zusammenhang wurde auch deutlich, dass es zu wiederholten Abstimmungsabsprachen kam.
Es ist weiterhin unklar, inwieweit sich auf institutionellen Säulen der Demokratie bauen lässt. So wählten nicht nur 50% der Athener Polizei die Partei, sondern sie kooperierte regional eng mit deren Schlägertruppen und deckte sie während der repressiven Maßnahmen im September/Oktober 2013. Drei Polizeidirektionen wurden daraufhin untersucht, es kam zu mehreren Festnahmen, die die Verwicklung der Polizei in Verbrechen der XA verdeutlichen. Ebenso sind weite Teile des Militärs und der Kirche der XA durchaus freundlich gesinnt.
Die erweiterte Relevanz des Verfahrens
Die Frage des Umgangs mit extrem rechten Herausforderern der liberalen Demokratie stellt sich vor diesem Hintergrund noch einmal neu. Der Widerspruch zwischen radikaler Exklusion und gleichzeitig intakten Kommunikationskanälen kann einen Verbotsprozess sehr schnell in eine Propagandashow verwandeln und somit gar zur Festigung des Unterstützerkreises beitragen. XA arbeitet mit mehr als 100 AnwältInnen auf dieses Szenario hin.
Daher wird es darauf ankommen, einen Gegennarrativ im Zuge des Prozesses zu entwickeln, der sowohl die Ideologie und das Handeln der XA in den Blick nimmt, aber auch die institutionellen Verantwortlichkeiten für ein xenophobes, polarisiertes Klima, in denen gewaltsame Übergriffe auf marginalisierte Gruppen stattfanden, kritisch reflektiert. Als symbolischer Bruch mit dieser Praxis muss den Opfern rassistischer und homophober Gewalt eine Stimme zu geben, was bisher tunlichst von allen Parteien vernachlässigt, wenn nicht gar vermieden wurde.
Soll dieser Prozess tatsächlich einen Signalwirkung haben, muss die systematische Verletzung von Menschenrechten, die Rückkehr der Folter, der institutionelle Rassismus sowie die aufweichenden Linien zwischen politischem Mainstream und extremer Rechter thematisiert werden. Somit muss der Prozess gegen ‚eine der extremsten Parteien Europas‘ auch einen der ‚extremsten Mainstreams in Europa‘ in den Blick nehmen. Ob die neue Regierung ihren Teil dazu beiträgt, ist schwer vorherzusagen.
Die mehrheitlich von AnwältInnen getragene Initiative JailGoldenDawn wird regelmäßig Monitoring-Berichte vom Prozess auf ihrem Blog veröffentlichen, die sowohl ins Englische als auch ins Deutsche übersetzt werden. Eine erste Informationsveranstaltung findet am 24. April 2015 in Berlin statt. Diese Veranstaltung schlägt zudem den Bogen zum NSU-Prozess in München.
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