von Daniel H. Heinke
Der Innensenator der Freien Hansestadt Bremen, Ulrich Mäurer, hat die Forderung nach einer Nationalen Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Extremismus erhoben. Ziel dieser Initiative ist es, durch eine effektive Verknüpfung aller beteiligten staatlichen Akteure in diesem Feld eine größtmögliche Wirkung von Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen zu erreichen. Sein Vorstoß wird einer der zentralen, sicherlich aber auch der kontroversen Beratungspunkte der nächsten Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (Innenministerkonferenz – IMK) Ende Juni sein.
Die Bedrohung durch gewaltbereiten Extremismus und Terrorismus und seit Jahren in besonderer Weise durch den islamistisch motivierten Terrorismus ist eine wohl nicht mehr bestrittene Tatsache. Dass eine wirksame Prävention, also die Verhinderung der Radikalisierung von potentiellen Extremisten, das erstrebenswerteste Mittel ist, um die Gefahr durch Terroranschläge nachhaltig zu reduzieren, ist nach einer längeren Phase des Zweifelns bei verschiedenen Fachpolitikern und Sicherheitsbehörden inzwischen auch Allgemeingut. Gerade die Innenministerkonferenz hat sich in den vergangenen Jahren kontinuierlich, zuletzt bei ihrer Sitzung am 11./12.12.2014 in Köln sowie bei einer Sondersitzung am 23.03.2015 in Brüssel, mit der Thematik des gewaltbereiten Salafismus und anderer Erscheinungsformen des gewaltbereiten Extremismus auseinandergesetzt. Die Etablierung von Präventionsnetzwerken gegen Salafismus in verschiedenen Ländern (statt aller seien neben Bremen, das eng mit der Beratungsstelle Radikalisierung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kooperiert, nur die Beispiele in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen oder Hessen genannt) stellt bereits einen wertvollen Baustein für die Entwicklung einer gemeinsamen, ganzheitlichen Präventionsstrategie gegen diese Form des Extremismus dar. Jedoch ist sie in Anbetracht einer Gesamtschau der möglichen und erforderlichen Maßnahmen noch nicht als ausreichend anzusehen.
Die Prävention vor gewaltbereitem Extremismus ist, richtig verstanden, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht lediglich in der Verantwortung der Innenministerien durchgeführt werden kann. Es ist vielmehr erforderlich, auch die für bestimmte Teilaspekte zuständigen Stellen anderer Ressorts, insbesondere der Justiz-, der Sozial- und der Bildungsbehörden, einzubeziehen. Die hierfür erforderliche Abstimmung wird zudem noch insoweit in seiner Komplexität erhöht, als in unterschiedlichen Bereichen unterschiedliche Zuständigkeiten des Bundes, der Länder und/oder der Kommunen betroffen sind. Außerdem agieren Propagandisten dieser Ideologien ganz selbstverständlich länder- und auch staatenübergreifend. Eine enge Abstimmung von Präventionsmaßnahmen zumindest über Ländergrenzen hinweg ist daher unerlässlich.
Allerdings ist es in der bundesdeutschen föderalen Struktur kein seltenes Phänomen, dass solche Abstimmungsvorgänge auf teilweise erheblichen Widerstand stoßen: Erstens, weil formale Fragen der Ressortzuständigkeit gelegentlich die inhaltliche Auseinandersetzung überlagern, und zweitens, weil eine inhaltliche Koordinierung der unterschiedlichen Tätigkeiten des Bundes, der Länder und gegebenenfalls der Kommunen durch einzelne Akteure als Angriff auf die jeweils bestehende Zuständigkeits- und Kompetenzverteilung verstanden wird.
Um diese Akteure wirkungsvoll zu vernetzen und die jeweiligen Maßnahmen unbeschadet regionalspezifischer, besonderer Handlungsanforderungen in einen kohärenten bundesweiten Aktionsplan einzubinden, ist die Erarbeitung einer Nationalen Präventionsstrategie erforderlich. Dieser Aktionsplan soll den Rahmen für die Umsetzung von Präventions- und Deradikalisierungsmaßnahmen bilden, innerhalb dessen die jeweils zuständigen Stellen unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten im Rahmen ihrer Zuständigkeit die geeigneten Maßnahmen erarbeiten und durchführen. Zielrichtung muss es sein, eine zwischen Bund, Ländern und ggf. Kommunen (vertikal) und den verschiedenen betroffenen Ressortbereichen wie zumindest Inneres, Justiz, Soziales und Bildung (horizontal) abgestimmte bundesweite Präventionsstrategie gegen gewaltbereiten Extremismus zu entwickeln. Der Fokus liegt dabei sicherlich derzeit auf dem gewaltbereiten Islamismus; gleichzeitig sollte, wenn eine solche Strategie angestrebt werden soll, diese nicht auf einen Themenbereich verengt werden.
In die Erarbeitung dieser Nationalen Präventionsstrategie sollte zudem neben dem verwaltungsinternen Sachverstand auch externe wissenschaftliche Expertise durch in diesem Themenfeld ausgewiesene – nationale und internationale – Fachleute eingebunden werden.
Darüber hinaus sollte meines Erachtens geprüft werden, ob je nach Zielrichtung und Handlungsfeld anlassbezogen auch zivilgesellschaftliche Träger von Präventionsprojekten sowie religiöse Organisationen (z.B. Evangelische Kirche in Deutschland, Deutsche Bischofskonferenz, Zentralrat der Muslime in Deutschland, Zentralrat der Juden in Deutschland) zur Beratung eingeladen werden sollen.
Die Notwendigkeit einer Nationalen Präventionsstrategie wird zwischenzeitlich vermehrt auch von Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis betont. Als einer der ersten hat sich der international renommierte Direktor des International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR) am King’s College London, Prof. Dr. Peter Neumann, für eine solche nationale Strategie auch in Deutschland ausgesprochen; jüngst hat auch der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, in einem Interview einen bundesweiten „Masterplan“ gefordert.
Mit einer solchen Nationalen Präventionsstrategie vollzöge Deutschland lediglich eine Entwicklung nach, die bereits in anderen westeuropäischen Staaten (u.a. Großbritannien, Niederlande, Dänemark, Schweden, Norwegen) in unterschiedlicher Ausprägung erfolgt ist. Ziel ist es ausdrücklich nicht, ein unabänderbares Handlungskonzept für alle denkbaren Situationen zu erstellen, sondern (a) allen beteiligten Akteuren in ihrer vertikalen und horizontalen Verknüpfung ihre Rolle und Bedeutung für die Gesamtaufgabe zu verdeutlichen sowie (b) einen Rahmen zu schaffen, der aufgrund eines gemeinsamen Grundverständnisses von Präventions- und Deradikalisierungsarbeit sowie verabredeter Grundstandards ein „Rankgerüst“ für die dann auf Landes-, regionaler und kommunaler Ebene zu etablierenden und durchzuführenden Maßnahmen darstellt.
Der Journalist Yassin Musharbash hat es in einem Beitrag zu diesem Thema auf den Punkt gebracht: Es geht nicht um Einheitlichkeit aus Prinzip. Ein gewisses gemeinsames Gerüst hilft aber, voneinander zu lernen. Und, so möchte ich ergänzen, ein gemeinsames Gerüst „zwingt“ (im positiven Sinne) alle Beteiligten zur Zusammenarbeit.
Die Herausforderung des islamistisch motivierten Terrorismus im Speziellen und des gewaltbereiten Extremismus im Allgemeinen ist zu groß, um sich durch mangelnde Abstimmung über Körperschafts- oder Ressortgrenzen hinweg selbst zu behindern.
5 Kommentare