von Marco Fey
Die deutsche Bevölkerung lernt in regelmäßigen Abständen, aber wohl dosiert, die von der Bundeswehr verwendeten Waffensysteme kennen. Für gewöhnlich nämlich dann, wenn es Aufregung um ein bestimmtes System gibt. In den 1960ern waren dies der Starfighter, der über 160 Piloten das Leben kostete, und U-Boote, deren Stahl kein Salzwasser vertrug. In den 1980ern/1990ern entpuppte sich der Jäger 90, der heute Eurofighter heißt, als Paradebeispiel der Stückkostensteigerung. In jüngerer Vergangenheit lernten wir u.a. kennen: das IT-Projekt Herkules, das sämtliche Vorurteile bestätigt, die man über IT-Projekte zu haben pflegt; den Kampfpanzer Leopard, der in autoritäre Staaten exportiert werden soll(te); den militärischen Großraumtransporter A400M, der bei einem Testflug im Mai 2015 abstürzte und dessen Entwicklung ohnehin schon von vielen Pannen gekennzeichnet war; die Aufklärungsdrohne Euro Hawk, deren Entwicklung massive Mehrkosten drohten – ohne dass Aussicht auf Zulassung für den deutschen Flugraum bestand; und natürlich ganz aktuell das im heißgeschossenen Zustand unpräzise Sturmgewehr G-36. Ob es bei letzterem ebenso wie beim Euro Hawk zu einem Untersuchungsausschuss kommen wird, hängt allein von der Linken ab.
Die Benennung von größeren Waffensystemen folgt in Deutschland für gewöhnlich einer von zwei Regeln. Regel 1 heißt: "Gib mir einen Tiernamen". Vor allem bei der Bundeswehr findet man einen "ganzen Zoo auf Rädern", in der Luft und zu Wasser. Der Schützenpanzer Marder, das Schnellboot Wiesel oder der Tiger-Kampfhubschrauber sind nur drei von dutzenden Systemen, die nach Tieren benannt sind. Regel 2 lautet: finde einen Namen, dessen Abkürzung ein Apronym ist, also eine Abkürzung, die sich aus den Anfangsbuchstaben ergibt und ein schon bereits existierendes Wort bildet. Die Panzerabwehrwaffe MILAN, deren Kurzname aus der französischen Bezeichnung Missile d'Infanterie léger antichar abgeleitet wird, ist ein Beispiel hierfür. Häufig lässt sich jedoch kein (geeignetes) Apronym finden. Dann wird auf Akronyme ausgewichen, also Kunstwörter, die aus den Anfangsbuchstaben des Namens gebildet werden. Für die Akronym-Suche ist der Phantasie dabei nur eine Grenze gesetzt: Der Name sollte sich leicht aussprechen lassen. So wie MEADS. Das bis dato nur wenigen bekannte Akronym trendete (Verzeihung) vergangene Woche in Presse, Rundfunk, Fernsehen und Social Media.
MEADS steht für Medium Extended Air Defense System. Dabei handelt es sich um ein bodengestütztes taktisches Luftverteidigungssystem, das neben ballistischen Raketen auch Marschflugkörper, Drohnen und Kampfflugzeuge abfangen kann. Vergangenen Dienstag wurde die Beschaffung von MEADS im Verteidigungsministerium beschlossen. Kostenpunkt: mindestens vier Milliarden Euro. Die USA, die MEADS gemeinsam mit Deutschland und Italien entwickeln und produzieren wollten, stiegen 2013 nach Jahren des Streits im Kongress über das System ("missile to nowhere", wie es einer der Hauptgegner, der republikanische Senator Ayotte, taufte) endgültig aus dem Projekt aus. Bis dahin hatten sie im Laufe der Jahre weit über US$ 2 Milliarden in das Programm investiert.
Für die Opposition im Bundestag ist MEADS ebenfalls ein hochriskantes und unnötiges Rüstungsprojekt, dessen Beschaffung vor allem dem Erhalt von Arbeitsplätzen (bei der bayerischen Rüstungsschmiede MBDA) dient. Auch Experten sind skeptisch. Bernd W. Kubbig (HSFK), der sich in Deutschland wohl am detailliertesten mit dem Projekt auseinandergesetzt hat [etwa hier, hier und hier], zweifelt u.a. an der technischen Machbarkeit und den Kostenabschätzungen des Verteidigungsministerium. Liest man diese Analysen, so muss man MEADS wohl gute Chancen einräumen, dass es sich in den nächsten Jahren in die lange Liste der verspäteten, mit erheblichen Mehrkosten entwickelten und/oder gescheiterten Rüstungsprojekte einreiht. Aber immerhin lernt die deutsche Bevölkerung dann ein weiteres Waffensystem der Bundeswehr im Detail kennen.
Die Türken wollten MEADS beschaffen, was ist daraus geworden?