von Max Hoffmann
Auch wenn seit George W. Bushs "War on Terror" die Bekämpfung von Terrorismus nicht mehr ohne fragwürdigen Beigeschmack mit dem Begriff des "Krieges" bezeichnet werden kann, erlebt eine derartige Rhetorik zusammen mit dem Aufstieg des Islamischen Staates ein neues Revival. Während zunächst Papst Franziskus von einem "Dritten Weltkrieg" sprach, assistierten nach den jüngsten Anschlägen in Frankreich und Sousse auch deutsche Medien bei der Konstruktion solch umfassender Bedrohungsszenarien. Selbst der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, sieht mittlerweile einen "terroristischen Weltkrieg" ausgebrochen. Lässt man einmal die zahlreichen Gründe beiseite, warum eine derartige Bezeichnung im besten Fall falsch und im schlimmsten Fall kontraproduktiv ist 1, so kann man derlei Aussagen als Ausdruck einer Gefahrenwahrnehmung interpretieren, aus der nicht zuletzt eine gefühlte Hilflosigkeit angesichts der terroristischen Bedrohung von immer mehr Lebensbereichen spricht. Auf Flugreisen, auf dem Weg zur Arbeit, bei der Arbeit, bei Sportveranstaltungen: die Orte gefühlter Sicherheit werden zunehmend weniger. Und nun ist selbst ein Strandurlaub nicht mehr frei vom Risiko, einen gewaltsamen Tod zu sterben. In der Totalität eines beschworenen Weltkriegsbildes spiegelt sich die Angst vor der omnipräsenten Bedrohung angesichts zunehmend schwindender Rückzugsorte. Wichtig ist nicht mehr allein die Zahl der Opfer, sondern immer mehr auch die Lokalität ihres Todes. Wo muss ich überall damit rechnen getötet zu werden? Raum, in Gestalt unterschiedlich konnotierter Orte, und Gewalt sind in der psychologischen Wirkung von Terrorismus nicht voneinander zu trennen. Vor dem Hintergrund des Raumes verdeutlicht der Anschlag im tunesischen Ferienort Sousse par excellence die beabsichtigte Wirkungslogik von Terrorismus und zeigt darüber hinaus einige Besonderheiten von Anschlägen in Touristengebieten. Der Urlaubsort als Anschlagsort bietet drei Dimensionen an, in denen Terrorismus potentiell wirkungsmächtig wird.
Erstens wirkt Gewalt in belebten Ferienorten auf einer ökonomischen Ebene, was im Falle Tunesiens direkte politische Probleme nach sich ziehen dürfte. Die Tourismusindustrie gilt als ein wichtiger wirtschaftlicher Pfeiler des Landes. Mit schwindenden Besucherzahlen angesichts des Anschlags ist eine nicht zu unterschätzende wirtschaftliche Krise für mehrere hunderttausende Arbeitnehmer verbunden, was besonders in sehr jungen Demokratien als ein Risiko für einen gelungenen Konsolidierungsprozess gilt 2. Dabei ist Tunesien mittlerweile eines der wenigen Länder, das nach dem sogenannten "arabischen Frühling" nicht erneut in autokratische Strukturen oder einen Bürgerkrieg abgerutscht ist. Rufe nach einer "harten Hand", die zumindest für Sicherheit sorgt, wären ein schwerer Schlag für die Demokratisierungsbewegung. Damit stünde Tunesien symbolisch als besonders bitterer Fall des Scheiterns da. Terrorismus erlangt im Kontext von touristisch geprägten Ländern eine starke direkte Hebelwirkung um wirtschaftliche und politische Stabilität anzugreifen.
Zweitens greift Gewalt in Ferienorten besonders auf psychologischer Ebene, da die Verletzlichkeit von Zielen an solchen Orten im starken Gegensatz zu den Emotionen und Vorstellungen steht, die mit Urlaubsorten assoziiert werden. Der oben bereits angedeutete Rückgang von Rückzugsorten manifestiert sich im zerstörten Bild eines Urlaubsidylls besonders deutlich und wirkt damit auf zweierlei Wegen. Einerseits verdeutlicht das Gelingen eines derart blutigen Anschlags erneut die bestehende Gefahr, auch im eigenen Land Opfer von Terrorismus zu werden. Die Schlagkraft von einigen wenigen Tätern, die mit einer Waffe ausgestattet großes Unheil anrichten können, wurde durch Sousse erneut deutlich. Der Anschlag reiht sich ein in ähnliche Amokläufe wie in Mumbai 2008 oder Paris zu Beginn des Jahres. Andererseits greift ein solcher Gewaltakt nicht nur die gefühlte Sicherheit im eigenen Land an, sondern reduziert zugleich die Möglichkeit, andere bevorzugte Orte aufzusuchen. Es ergibt sich das Bild eines "weder hier noch dort", wobei das bedrohte "Dort" in Gestalt eines Urlaubslandes durch seine starke emotionale Konnotation als Ort des sich Wohl- und Sicherfühlens einen besonderen Verlust an Freiheit darstellt. Zugleich ist einem solchen Bedrohungsgefühl in Touristengebieten noch schwerer zu begegnen als an anderen Orten: es fällt ungleich schwerer bewaffnete Sicherheitskräfte ins Bild eines unbeschwerten Strandurlaubes zu integrieren als etwa an Hauptbahnhöfen. Der wesentliche Zweck des Urlaubs, Entspannung zu finden, erlaubt die Präsenz von Gefahr nicht einmal in Form einer offensichtlichen Absicherung dagegen. "Resiliente Urlauber" sind weitaus schwerer denkbar als eine oft geforderte "resiliente Zivilgesellschaft". Urlauber müssen sich nicht der Gefahr aussetzen, wohingegen Bürgern bedrohter Nationalstaaten kaum anderes übrig bleibt.
Drittens ermöglichen belebte Ferienorte auf logistischer Ebene vielerlei Möglichkeiten, mit vergleichsweise geringem Aufwand an eine große Zahl potentieller Ziele zu gelangen. Der Attentäter von Sousse suchte ausschließlich westliche Urlauber, von denen er am Strand sicher sein konnte, diese dort zahlreich und ungeschützt anzutreffen. Bedenkt man, dass Zivilisten erst aufgrund einer ausgeprägten sozialen Distanz zu ihren Angreifern und deren Unterstützern zu akzeptablen Zielen werden 3, so stellen Urlaubsorte eine seltene Gelegenheit des Zugriffs dar: da räumliche Strukturen auch als Ausdruck gesellschaftlicher Strukturen gesehen werden können 4, drückt sich soziale Distanz häufig gemeinsam mit räumlicher Trennung aus. Der Zugang zu sozial legitimen Zielen, die der propagandistischen Absicht von Terroristen dienen, wird dadurch deutlich erschwert. Urlaubsorte bieten dagegen eine glückliche Überschneidung sozial und physisch sonst getrennter Räume an, welche terroristische Gewalt erleichtert.
Die drei hier genannten Punkte verdeutlichen die große Bedeutung des Ortes von Anschlägen und deren emotionale Konnotationen. Das Beispiel Sousse zeigt nicht nur die weithin bekannte Logik von Terrorismus, ein größtmögliches Klima der Angst zur Durchsetzung politischer Ziele zu schaffen, sondern bietet über die Einbeziehung des Raumes in Form von spezifischen Orten auch Ansätze für die Mechanismen einer solchen Wirkung. Urlaubsorte ermöglichen Anschläge, verstärken als verloren geglaubte Orte des Rückzugs ein Klima entgrenzter Bedrohung und erweisen sich in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als besonders geeignete Ziele um politische Instabilität herbeizuführen. Diese Mechanismen sind sicherlich auch an den tunesischen Kontext geknüpft, jedoch verweist der Fall Sousse darüber hinaus auf die gefährliche Verbindung von Terrorismus und Tourismus als Überschneidung zweier hochgradig symbolischer und emotionaler Handlungsfelder.
- Vgl. dazu: Richardson, Louise (2007): Was Terroristen wollen. Die Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung (Schriftenreihe / Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 679), S. 221ff. ↩
- Vgl.: Merkel, Wolfgang (22006): Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. 2. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften (Lehrbuch), S. 122. ↩
- Vgl.: Goodwin, Jeff (2006): A Theory of Categorical Terrorism. In: Social Forces 84 (4), S. 2027–2046. ↩
- Vgl.: Löw, Martina (12001): Raumsoziologie. 1. Aufl., Originalausg. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1506), S. 167. ↩