von Lisa Bogerts
Vielen hängt das Thema „Grexit“ schon zum Hals heraus. Seit dem ersten Hilfspaket 2010 kehrt es wellenartig in der Berichterstattung wieder, seit Wochen ist es das Top-Thema in den deutschen Medien. Ein Abstumpfen gegenüber dem politischen Gerangel sollte aber nicht dazu führen, dass unser kritischer Blick dafür schwindet, wie „Deutschland“ auf die Krise reagiert – sowohl außen- und finanzpolitisch als auch medial.
Man mag denken was man will über weitere „Hilfspakete“ für Griechenland (ein skurriles Wort für eine Sache, aus der viele Beteiligte Profit schlagen, außer den GriechInnen selbst…). Neben dieser „sachlichen“, finanzpolitischen Komponente wird zunehmend die Art und Weise thematisiert, in der die Krise diskursiv verhandelt wird – und wie geistlos einige PolitikerInnen und Medien ihre Meinung rechtfertigen. Es ist ein „Wettbewerb der Verunglimpfungen“ 1, der an Herablassung kaum zu überbieten ist: Da ist von „gierigen“ und „faulen“ „Pleite-Griechen“ die Rede, denen „wir“ den Euro „wegnehmen“ und die doch mal „ihre Inseln verkaufen“ und ihre „Hausaufgaben machen“ sollten, bevor sie „unser“ Geld ausgeben. Dieser Hetzkampagne stehen aber auch zunehmende Aufrufe gegenüber, im Sinne des europäischen Gedankens selbstkritisch und solidarisch zu sein, für einen europäischen Zusammenhalt zu kämpfen und somit auf Polarisierungen zu verzichten.2
Neben dieser Debatte um verbale Äußerungen sticht auch eine Ebene ins Auge, die zunächst nur als ein äußeres Phänomen, eine Nebenerscheinung daherkommt – die der (visuellen) Illustration von Medienbeiträgen. Viele MedienmacherInnen schrecken offenbar auch vor bildlichen Mitteln nicht zurück, die nicht nur einen Niveau-, sondern auch einen Kreativitätslimbo veranschaulichen. Das Titelbild einer kürzlich erschienenen SPIEGEL-Ausgabe brachte es zu der zweifelhaften Ehre, die Aufmerksamkeit und Kritik auf die visuellen Begleiterscheinungen der Krise zu richten, die uns tagtäglich am Kiosk begegnen. Auf dem Cover tanzen ein Klischee-Grieche (rauchend mit Ouzo-Glas) und ein Klischee-Deutscher (mit WM-Trikot und angstvollem Griff an seine pralle Brieftasche) gemeinsam Sirtaki und bemerken den steilen Abgrund hinter ihnen nicht, dem sie sich nähern. Der Titel zu diesem Meisterwerk des Einfallsreichtums: „Unsere Griechen – Annäherungen an ein seltsames Volk“. Nachdem eine Welle der Empörung losgebrochen war, verteidigte SPIEGEL-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer das Bild folgendermaßen:
„Darf man in Krisenzeiten dennoch Humor haben? Karikaturen drucken? Auf einem Titelbild? Ja, natürlich. Karikaturen spielen mit Schwächen und Peinlichkeiten und überzeichnen Klischees und bleiben doch satirisch humorvoll, auch in Krisenzeiten.”3
Nun kann man tatsächlich fragen: Darf man auch in Krisenzeiten schlechten Humor beweisen? Darf man auch in Krisenzeiten klägliche Satire machen? Ja, natürlich. Das Argument der Satire, die von der Pressefreiheit, ja wenn man will sogar von der Kunstfreiheit lebt, ist natürlich geschickt. Was darf Satire? Und was darf Satire „in Zeiten der Krise“? Dürfen Karikaturen Personengruppen verunglimpfen, im Namen der (Presse-)Freiheit?
Dass sie es dürfen, schien in einem anderen Fall ganz eindeutig zu sein: Die Mohammed-Karikaturen, die im Januar dieses Jahres zu den Angriffen auf das Satire-Magazin Charlie Hebdo führten, wurden in der „westlichen“ Öffentlichkeit wie selbstverständlich verteidigt, und das obwohl sie weltweit die Gefühle vieler MuslimInnen verletzten. Dabei ging es zumeist nicht nur um eine Kritik der bestialischen Reaktion der islamistischen Attentäter (dann würde der Vergleich arg hinken), sondern um eine generelle Kritik der Möglichkeit, Äußerungen zu kritisieren, die von der Pressefreiheit geschützt sind. Im Fall Griechenland gehen die Meinungen auseinander – vielleicht, weil viele schon eingesehen haben, dass die deutsche Politik nicht ganz unschuldig an der Finanzmisere Griechenlands ist. Und wohl leider auch, weil Griechenland uns einfach deutlich näher ist als die meisten islamischen Staaten.
Doch so polarisierend das SPIEGEL-Cover auch ist, so wenig überrascht es oder stellt gar eine Ausnahmeerscheinung dar. Gerade nationenbezogene Stereotype – bei denen „die Deutschen“ mit vergangenheitsbezogenen (meist Nazi-)Analogien oder mit Attributen wie „pflichtbewusst“ noch gut davonkommen, während sie auf Süd- und OsteuropäerInnen meist hinabschauen – sind auch in der Mitte der Gesellschaft weit verbreitet. Der Einfluss der skurrilen Hetze einiger Volksmedien – allen voran die auflagenstärkste Zeitung BILD – dürfte da ein Übriges tun.
Die „Macht der Bilder“ in den Medien und in der Politik ist ein Phänomen, das nach und nach auch in den Sozialwissenschaften Aufmerksamkeit erhält. In den Internationalen Beziehungen allerdings ist die Analyse von visuellen Aspekten noch ein Nischenbereich und bislang nur wenige konkrete Studien betrieben.4 Dass Bilder unsere Wahrnehmung von Politik stark prägen ist unbestreitbar. In der (visuellen) Diskursforschung heißt es, Bilder seien „nicht länger nur illustrativ, sondern indikativ und mehr noch: ko-konstitutiv für die jeweils untersuchten Phänomene und Prozesse“.5 Sie beteiligen sich „[…] an der (Re‑)Produktion diskursiver Positionen und an der (Re-)Produktion von Gesellschaft“.6
Bilder werden gezielt von verschiedensten gesellschaftlichen Akteuren eingesetzt: zur Verkaufsförderung und Imagepflege von Parteien, Unternehmen und Medien bis hin zu zivilgesellschaftlichen Protestbewegungen, die z. B. mithilfe von schockierenden Fotos AnhängerInnen mobilisieren wollen. Dabei wird von einer zunehmenden Visualisierung emotionaler Ausdrucksformen gesprochen, was bedeutet, dass „immer mehr Bilder mit der Intention publiziert [würden], emotionale Reaktionen bei den Betrachtern auszulösen“.7
Doch warum beeinflussen uns Bilder so – und warum regen sie uns so auf?
Bilder können durch ihre schnelle und emotionale Wirkung als starkes Mobilisierungsmittel gesehen werden. Die Auswertung sprachlicher und visueller Informationen findet zwar vernetzt statt, die visuell hervorgerufenen emotionalen Stimuli werden aber schneller verarbeitet als die linguistischen Reize.8 Bilder folgen einer assoziativen Logik, die offener ist als die argumentative Logik textbasierter Kommunikation.9 Dadurch können sie auch verschiedene Deutungen vereinen, die je nach individueller subjektiver Wahrnehmungslogik der Betrachtenden variieren. Bilder bedienen sich häufig einer Symbolsprache. Durch ihre individuelle Assoziation mit einer Sache oder einem Gefühl wirken Symbole oft emotional und identitätsbildend; nicht selten rekurrieren sie auf die kollektive Erinnerung und auf kulturelle oder historische Assoziationen einer Gruppe oder Nation.
Diese symbolischen Assoziationen findet man natürlich auch in deutschen Printmedien und in der Satire wieder. Das BILD-Cover, das Angela Merkel mit einer preußisch-Bismarck´schen Pickelhaube zeigt (Titel: „Keine neuen Milliarden für Griechenland – Heute brauchen wir die eiserne Kanzlerin“) ist ein Beispiel dafür: für Aufgeklärte ein Schreckensbild, für den konservativen BILD-Käufer vermutlich ein Ruhepunkt am Horizont der Krise um „unser“ schönes Geld.
Auch der SPIEGEL ist bei historischen Assoziationen im „Grexit“-Diskurs mit dabei: Brinkbäumer musste sich auch schon für das missliche Titelbild „The German Übermacht“ rechtfertigen, das die Bundeskanzlerin mit eingephotoshoppten Schwarzweiß-Nazis vor der Akropolis zeigt. Zugegeben, schon vorherige SPIEGEL-Cover – wie etwa das mit dem Titel „Euroland abgebrannt – from Greece with Love“ (2010) oder „Akropolis adieu! Warum Griechenland jetzt den Euro verlassen muss“ (2012) – hätten einen Preis für die abgegriffenste Gestaltung und Beschriftung eines Titelbildes verdient.
Satire lebt von Überzeichnungen und Stereotypen. Allerdings wäre es wohl zu schön, wenn alle geschmacklosen Zeitungs- und Zeitschriften-Illustrationen als Satire angesehen werden könnten und nicht als der bittere Ernst der Ansichten, die sie widerspiegeln. Empörung über nationalistische und polemische (Bild-)Berichterstattung, wie sie sich in diversen Boykott-Aufrufen gegen die BILD-Zeitung äußert, ist durchaus angebracht – denn wenn griechische Medien zu „satirischen“ Nazi-Analogien greifen, zeigt die BILD wenig Humor und erbost sich: „Wir zahlen und sie bepöbeln uns – Schmeißt die Griechen endlich aus dem Euro!“.10
Man könnte nun im Sinne der Satire über solche Dinge lachen und sich sagen, dahinter stecke bestimmt nur der für schlechte SPIEGEL-Titelbilder verantwortliche Praktikant „Photoshop-Philipp“, eine Kunstfigur aus der Late-Night-Show Neo Magazin Royale. Wenn Satire wirklich ein so wertvolles Gut in „Zeiten der Krise“ ist, dann hilft vielleicht nur die Satire der Satire: Die Reaktion der TITANIC auf das „Unsere Griechen“-Cover – eine Version des Bildes, in der sie den Klischee-Griechen mit einem Klischee-Juden ersetzte – soll wohl verdeutlichen, wie schnell satirisch Gemeintes ins rein Rassistische abgleiten kann.
- https://www.freitag.de/autoren/marcob/es-geht-nicht-nur-um-griechenland-1?utm_content=buffer9b408&utm_medium=social&utm_source=facebook.com&utm_campaign=buffer ↩
- Wer sich das Lesen sämtlicher Verunglimpfungen ersparen und gleichzeitig ein Beispiel für einen Solidaritätsaufruf sehen möchte, sollte sich die Video-Zusammenfassung der Fernsehmoderatoren Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann ansehen: http://www.sueddeutsche.de/medien/neues-video-von-boehmermann-und-heufer-umlauf-im-bademantel-gegen-griechen-bashing-1.2561708. ↩
- http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelblog/spiegel-titel-zu-griechenland-karikaturen-erlaubt-a-1043309.html ↩
- siehe z. B. zu den Mohammed-Karikaturen von 2006: Hansen, Lene (2011): Theorizing the Image for Security Studies. Visual Securitization and the Muhammad Cartoon Crisis, in: European Journal of International Relations 17 (1), S. 151-174. ↩
- Maasen, Sabine/Mayerhauser, Thorsten/Renggli, Cornelia (Hrsg.) (2006): Bilder als Diskurse – Bilddiskurse, Weilersvist, S. 3. ↩
- Maasen et al. 2006, S. 16. ↩
- Kappas, Arvid/Müller Marion G. 2006: Bild und Emotion – ein neues Forschungsfeld. Theoretische Ansätze aus Emotionspsychologie, Bildwissenschaft und visueller Kommunikationsforschung, in: Publizistik 51 (1), S. 4. ↩
- Fahlenbrach, Kathrin 2002: Protestinszenierungen. Visuelle Kommunikation und kollektive Identitäten in Protestbewegungen, Wiesbaden, S: 138. ↩
- Kappas/Müller 2006, S. 3. ↩
- http://www.deutschlandfunk.de/zeitungsverkaeufer-gegen-bild-boykott-am-kiosk.1769.de.html?dram:article_id=316709 ↩
Besonders die Preußen- und NS-Assoziationen (und wie sie jeweils aus Binnen- und Außenperspektive funktionieren, bzw. mal gewollt und mal unerträglich skandalös sind) finde ich extrem spannend.
Drüben beim IR Blog haben wir auch gerade einen Beitrag zum Thema Griechenland in den Medien veröffentlicht. http://irblog.eu/7-years-crisis-eurozone/
Es wirkt nicht so, als wären die immer häufiger auftauchenden Spiegel-Cover tatsächlich (!) Satire. Das ist Berichterstattung auf einem nur marginal höheren Niveau als BILD, Focus, etc. Was in den Köpfen bleibt sind doch wieder nur die Vorurteile gegenüber den “faulen Südländern”.
Wenn der Satire die Substanz fehlt und sie um ihrer selbst Willen produziert wird, dann ist es ja keine mehr.
Sehr treffend hat es vor allem Tucholsky formuliert:
“Übertreibt die Satire? Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird, und sie kann gar nicht anders arbeiten als nach dem Bibelwort: Es leiden die Gerechten mit den Ungerechten.” (1919)