von Robin Schroeder
In Deutschland gehen immer mehr Flüchtlingsunterkünfte bei Brandanschlägen in Flammen auf. Obwohl sich in den meisten dieser Gebäude Menschen aufhielten, spricht niemand von Terrorismus. Warum eigentlich nicht?
Eine besorgniserregende Entwicklung im Zusammenhang mit der aktuellen Flüchtlingskrise ist die Zunahme ausländerfeindlicher Gewalt. Insbesondere Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte haben hier deutschlandweit Aufmerksamkeit erregt. Allein zwischen Januar und September dieses Jahres kam es laut Recherchen von NDR, WDR und der Süddeutschen Zeitung zu 61 Brandanschlägen, von denen sich 40 gegen bewohnte Häuser richteten. Bei zwei Dritteln dieser Brandstiftungen wurden also eine mögliche Verletzung der dort untergebrachten Flüchtlinge oder gar schlimmere Folgen mindestens billigend in Kauf genommen. In allen Fällen wollte man das Obdach der Flüchtlinge bewusst zerstören. Dies allein ist bereits eine erhebliche Schädigung der Opfer.
Auch der Anschlag auf die mittlerweile gewählte neue Oberbürgermeisterin der Stadt Köln, Henriette Reker, unterstreicht die zunehmende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft in fremdenfeindlichen Kreisen. Die Motive des voll zurechnungsfähigen Täters waren Ausländerhass und die Ablehnung der Asylpolitik Rekers.
Vor diesem Hintergrund muss dem Thema Rechtsterrorismus in Deutschland unabhängig von dem immer noch laufenden NSU-Fall wieder mehr Aufmerksamkeit beigemessen werden. Brandanschläge und andere Fälle fremdenfeindlicher Gewalt erfolgen derzeit über ganz Deutschland verteilt mit einer bedrückenden Regelmäßigkeit. Die Gefahr rechtsextremistischer Gewalt im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise ist aktuell deutlich konkreter als die abstrakte Bedrohung durch gewaltbereite Islamisten unter den Flüchtlingen, auch wenn das keinesfalls abgetan werden kann.
Das "T-Wort": Eine schwierige Begriffsbestimmung
Im Rahmen der Arbeit am nächsten Jahrbuch Terrorismus des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel spielt die Frage, wann rechtsextreme Gewalt die Schwelle zum Terrorismus überschreitet, eine wesentliche Rolle. Mit Hinblick darauf, dass das "T-Wort" selten mit Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte in Verbindung gebracht wird, stellen mittlerweile auch Vertreter der Medien die relevante Frage nach der Definition von Terrorismus.
Kann also das vorsätzliche Anzünden von Flüchtlingsunterkünften als Terrorismus bezeichnet werden? Die Antwort darauf hat eine sozialwissenschaftliche und eine rechtliche Ebene. Als Sozialwissenschaftler möchte ich mich dieser Frage vor allem auf der ersten Ebene nähern, will jedoch auch die wichtigsten Aspekte in der deutschen Rechtsprechung nicht gänzlich unterschlagen.
Bis heute gibt es keine allgemeingültige, weltweit anerkannte Definition des Begriffs Terrorismus. Eason und Schmid (2011) konnten allein ca. 260 unterschiedliche Definitionen zusammenstellen. Dies ist zum einen darin begründet, dass es immer Ausnahmefälle geben wird, die eine wissenschaftliche Definition nicht hundertprozentig "wasserdicht" machen. Zum anderen ist die Definition von Terrorismus für viele Staaten eine politisch recht delikate Angelegenheit. Seit jeher ist "Terrorismus" ein normativ extrem aufgeladener Begriff. Es ist das alte Lied: Was für den einen Terroristen sind, sind für den anderen Freiheitskämpfer. Als Konsequenz konnte auf internationaler Ebene bis heute keine verbindliche, offizielle und allgemeingültige Definition gefunden werden, die von allen Staaten anerkannt wird.
Kernelemente wissenschaftlicher Terrorismusdefinitionen
Auch im wissenschaftlichen Diskurs findet man zahlreiche unterschiedliche Definitionsversuche des Terrorismusbegriffs. Um sich von dem Problem des oben genannten normativ-politischen Framing zu lösen, hat sich in der Wissenschaft jedoch eine gewisse Einigkeit hinsichtlich der Frage entwickelt, welche Eigenschaften ein Gewaltakt mindestens haben muss, um als terroristisch definiert zu werden:
Erstens, wird die Tat planmäßig, also mit Vorsatz, verübt und verfolgt dabei ein politisches Ziel bzw. will einen politischen Wandel bewirken. Der Begriff "politisch" schließt hier ideologisch und religiös mit ein (Hoffmann 1998: 43; Waldmann 2005: 32). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Tat nicht einem unmittelbaren persönlichen Nutzen, wie etwa der Selbstbereicherung, dient. Dies bedeutet auch, dass in der Regel keine direkte persönliche Beziehung zwischen Tätern und Opfern besteht, wodurch z.B. ein persönliches Rachemotiv ausgeschlossen werden kann.
Zweitens, basiert die Auswahl der Zielpersonen darauf, dass sie – oft auch im sehr weiten Sinne – zu einer Gruppe gehören, die etwas repräsentiert, was die Täter aus politischen Gründen ablehnen. Im Rahmen dieser Gruppe erfolgt die Auswahl der Opfer zumeist willkürlich. Eine Ausnahme von der willkürlichen Auswahl der Opfer stellen vor allem gezielte Anschläge auf politisch relevante Personen dar, wie etwa im Falle des Anschlags auf Henriette Reker in Köln. Weiterhin hat sich nach langer Diskussion heute die Meinung durchgesetzt, dass die Opfer eines terroristischen Anschlages Zivilisten bzw. "Nicht-Kombattanten" sein müssen (Schmid 2014).
Drittens, ist Terrorismus vor allem ein Akt der Kommunikation. Die Willkür der Opferauswahl weist hierauf bereits hin, denn die direkten Opfer sind nicht das Primärziel eines terroristischen Anschlages. Vielmehr dient ihr Leid nur als Mittel zum Zweck, um eine größere Zielgruppe mit einer impliziten oder expliziten Nachricht zu erreichen. Die so erzielte politische Kommunikation ist gleichsam eine gewaltsame Einschüchterung der sozialen Gruppe, zu denen die Opfer des Anschlages zählen; eine mit einer Drohung verbundene Aufforderung an den Staat (oder mehrere Staaten) ein bestimmtes Verhalten zu ändern; sowie auch ein an Sympathisanten der eigenen Sache gerichteter Aufruf zur politischen Mobilisierung (Schneckener 2006: 32; Waldmann 2005: 43).
Hinsichtlich der Frage, ob und wie Terrorismus organisiert sein muss, unterscheiden einige Wissenschaftler Staatsterrorismus von nichtstaatlichem Terrorismus (Schneckener 2006: 21). Die meisten Definitionen weisen allerdings darauf hin, dass Terroristen – selbst wenn sie im Auftrag eines Staates handeln – als "clandestine agents" aus dem Verborgenen heraus agieren. Dies impliziert auch eine Position der Schwäche gegenüber der politischen Ordnung, welche die Terroristen ändern wollen. Nach wissenschaftlicher Definition können Terroristen auch Einzeltäter sein, d.h. es bedarf nicht der Angehörigkeit zu irgendeiner radikalen Organisation, um terroristische Anschläge zu verüben. Gerade in letzter Zeit wurde dies durch das Phänomen der sogenannten "lonewolf"-Terroristen, die oft durch Selbstradikalisierung zu Tätern wurden, unterstrichen.
Die Terrorismusdefinition des U.S.-Außenministeriums von 2007 ist nach Auffassung des einflussreichen niederländischen Terrorismusforschers Alex P. Schmid zeitgemäß. Demnach ist Terrorismus
[…] premediated, politically motivated violence perpetrated against non-combatant targets by subnational groups or clandestine agents, usually intended to influence an audience.
Aus wissenschaftlicher Perspektive ein eindeutiger Befund
Gleicht man nun die oben genannten Kernelemente wissenschaftlicher Terrorismusdefinitionen mit den hier diskutierten konkreten Fällen der Brandanschläge auf bewohnte Flüchtlingsunterkünfte ab, kommt man zu folgendem Schluss: Das Ziel der Anschläge ist ein politisches, die Auswahl der Opfer ist willkürlich und der Zweck des Anschlages, fremdenfeindliche Botschaften zu transportieren, ist eindeutig. Dabei richtet sich die Botschaft als Drohung an die soziale Gruppe der Flüchtlinge selbst, als gewaltsame Widerstandsbekundung an die politischen Entscheidungsträger und als Mobilisierungsaufruf an politisch Gleichgesinnte innerhalb der Bevölkerung. Dass dieser Aufruf Gehör findet, zeigt die steigende Zahl der Brandanschläge. Es wird deutlich, dass Brandanschläge auf bewohnte Flüchtlingsheime aus sozialwissenschaftlicher Perspektive in der Tat als Terrorismus bezeichnet werden können.
Wer ist Terrorist nach deutscher Rechtslage?
Die wissenschaftliche Definition eines politisch motivierten Gewaltphänomens allein gibt jedoch einem Rechtstaat noch keine Handhabe, um dagegen vorzugehen. Aus diesem Grund soll abschließend ein kurzer Blick auf die Rechtslage in Deutschland geworfen werden.
Der einzige Paragraph im deutschen Strafgesetzbuch (StGB), der sich explizit mit Terrorismus auseinandersetzt, ist § 129a. Dieser Paragraph, der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verbietet, stammt aus der Zeit der Roten Armee Fraktion (RAF) und wurde vor dem Hintergrund transnational agierender terroristischer Gruppen durch § 129b StGB in seinem Geltungsbereich auf das Ausland ausgeweitet. Die aus § 129a StGB zu entnehmende Definition von Terrorismus orientierte sich an den diversen Straftaten im Sinne des StGB, wie etwa Mord, die als Mitglied einer solchen Organisation begangen werden. Zu den unter § 129a StGB aufgeführten Straftaten zählt übrigens auch Brandstiftung (§§ 306 a, b, c).
Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Definitionen bindet § 129a den Straftatbestand Terrorismus selbst aber explizit an die Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung". Im Falle von terroristischen Einzeltätern, die keiner Organisation zugehörig sind, greifen dabei unabhängig von § 129a StGB alle weiteren im deutschen Strafrecht definierten Straftaten. Grundsätzlich ist der Staat auf dieser Basis gegenüber terroristischer Gewalt strafrechtlich handlungsfähig. Eine eindeutige Definition des rechtlichen Verständnisses von Terrorismus ergibt sich aus § 129a StGB jedoch nicht. Der konkrete politische Hintergrund, der eine Straftat zu einem terroristischen Akt werden lässt, ist im deutschen Strafrecht somit von zweitrangiger Bedeutung.
Kurzum: Zündet ein Terrorist eine Bombe, so wird er in erster Linie zum Kriminellen, weil er vorsätzlich Menschen verletzt oder umgebracht hat, und nicht weil er ein Terrorist ist. Insofern sind Personen, die Flüchtlingsheime anzünden, nach deutschem Strafrecht zwar Brandstifter und damit Straftäter, nicht jedoch Terroristen, solange sie nicht eindeutig einer als terroristisch klassifizierten Organisation angehören.
Konkreter als § 129a StGB: das Antiterrordateigesetz
Das sogenannte Antiterrordateigesetz (ATDG), welches 2006 vor allem vor dem Hintergrund des transnationalen islamistischen Terrorismus verabschiedet wurde, gibt weiteren Aufschluss über die Definition von Terroristen in den Augen des deutschen Staates. Laut § 2 ATDG handelt es sich hierbei um
Personen, die rechtswidrig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange anwenden oder eine solche Gewaltanwendung unterstützen, vorbereiten oder durch ihre Tätigkeiten, insbesondere durch Befürworten solcher Gewaltanwendungen, vorsätzlich hervorrufen.
Ist Flüchtlingspolitik nun ein Thema von international ausgerichtetem politischem Belang? Da die derzeitige Flüchtlingskrise die internationale Politik mindestens genauso sehr beschäftigt wie die Innenpolitik der europäischen Länder, kann diese Frage wohl mit ja beantwortet werden. Trifft die weitere Definition eines Terroristen nach § 2 ATDG auf Personen zu, die aus fremdenfeindlichen Motiven bewohnte Flüchtlingsunterkünfte anzünden? Im Sinne der vorausgegangenen Darstellung in diesem Beitrag kann auch das bestätigt werden.
Fazit: Die Dinge beim Namen nennen
Es zeigt sich also, dass Brandanschläge auf bewohnte Flüchtlingsheime nach sozialwissenschaftlichen Maßstäben, aber auch auf Grundlage von § 2 ATDG, als das bezeichnet werden können, was sie der Definition nach sind: Terrorismus. Und selbst wer sich scheut, das T-Wort in diesem Kontext zu nutzen, sollte zumindest nicht den Kopf in den Sand stecken und verleugnen, dass es sich hierbei eindeutig um politisch motivierte, rechtsradikale Straftaten handelt.
Eine konsequente Positionierung von Medien, Behörden und Politik in diesem Sinne könnte – ganz abgesehen von einer rigorosen Strafverfolgung – eventuell sogar einige Straftaten verhindern: Der ein oder andere potentielle Täter würde es sich vermutlich einmal öfter überlegen, zu Streichholz und Benzinkanister zu greifen, wenn ihm und auch seinen Mitbürgern klar wäre, dass er damit zum Terroristen wird.