von Marwan Abou Taam und Aladdin Sarhan
Der Salafismus in Deutschland vollzieht seit 2005 eine spürbare Entwicklung. Sie reicht von der Etablierung einer einheimischen Szene über die Schaffung einer funktionierenden salafistischen Infrastruktur bis hin zu großen Mobilisierungserfolgen. In den verschiedenen Entwicklungsphasen wurden Propagandakanäle geschaffen und optimiert mit dem Ziel, Anhänger anzuwerben, die Anhängerschaft ideologisch zu festigen und sie vor der Mehrheitsgesellschaft zu schützen. Dafür erwies sich die salafistische Propaganda als nützliches Instrument. In diesem Beitrag wird der Wandel der salafistischen Szene in Deutschland skizziert.
Die salafistische Szene in Deutschland
Das deutsche Grundgesetz betont die Wahrung der Menschenwürde und garantiert die Achtung des Gleichheitsgrundsatzes in Bezug auf Geschlecht, Glaube sowie religiöse und politische Anschauungen. Der Salafismus hingegen vertritt eine dualistische Weltanschauung, in der sich vermeintliche „Gläubige“ und „Ungläubige“ unversöhnlich gegenüber stehen. Dabei werden „Ungläubige“ und nicht salafistisch orientierte Muslime sowie Frauen als minderwertig betrachtet. Daher steht der Salafismus im eindeutigen Widerspruch zum Grundgesetz. Dabei ist der Salafismus ähnlich dem Rechtextremismus nicht erst in seinen terroristischen Handlungsformen eine Bedrohung für den gesellschaftlichen Frieden. Die deutschen Salafismusnarrative legen den Akzent auf die Islamisierung von unten durch Missionierung. Hierbei bewerten sie die „deutsche“ Lebensart als „gottlos“ und „dekadent“ und wollen Muslime aus dem „Sumpf der deutschen Gesellschaft“ retten. Sie ahmen andere europäische salafistische Szenen (vor allem in Großbritannien, Belgien und Frankreich) nach und beweisen als lernendes Netzwerk durch zielgruppenorientierte Daʿwa (Aufruf zum Islam) in Deutschland ("Street-Daʿwa" und "Daʿwa aus der Tüte") ihre Flexibilität. In diesem Zusammenhang werden Konflikte mit dem Staat einkalkuliert und bewusst harte staatliche Reaktionen provoziert, um Muslime als Opfer staatlicher Repression darzustellen. Die Koranverteilaktion "LIES!" ist ein Paradebeispiel hierfür. Dadurch hat die salafistische Szene auch bei nicht-salafistisch orientierten Muslimen an Prestige gewonnen. Das stellt eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, denn die im Dienste jihadistischer Gruppen tätigen Rekrutierer suchen ihre potentiellen Zielpersonen absichtlich in den Kreisen salafistischer Neuanhänger. Dies zeigt die Analyse der Biographien von Personen, die in den vergangenen Monaten in die Jihad-Schauplätze in Syrien und Irak ausgereist waren. Es ist davon auszugehen, dass selbsternannte islamische Tugendwächter der salafistischen Szene ihre Aktionen, als wichtigste Form der punktuellen Organisation, weiterhin medial betreiben und in sozialen Netzwerken bewerben werden. Hierbei muss immer bedacht werden, dass selbsternannte Religions- und Sittenwächter Andersdenkende bedrohen und bedrängen.
Salafismus als personenzentriertes Netzwerk
In Deutschland unterhalten Salafisten wenige erkennbare Strukturen. Der Salafismus wird jedoch als Glaubens- und Weltanschauung in Vereinen, Moscheen, im Internet (vor allem in sozialen Netzwerken) aber auch in kleinen Gruppen und von Einzelpersonen praktiziert. Die Anhänger betreiben einen regelrechten Personenkult um Prediger. Diese wiederum pflegen untereinander eine flache Hierarchie und unterhalten enge Beziehungen, die sich in erster Linie auf Islamseminare konzentrieren.
Die salafistische Szene kennzeichnet sich durch dynamische Netzwerkbildungen. In Deutschland setzt sich die salafistische Szene aus unabhängigen meist nicht eingetragenen Vereinen, informellen Personenzusammenschlüssen, Internetseiten und Initiativen zusammen. Zwischen den einzelnen Akteuren und Anhängern bestehen häufig Kennverhältnisse. Die Szenen und Netzwerke werden nicht zentral gesteuert, doch werden zentrale Bestandteile der Ideologie geteilt. Wahrnehmbar ist der Salafismus in Deutschland durch die Aktivitäten der verschiedenen Einrichtungen und Personenzusammenschlüsse in drei Bereichen. Die Daʿwa und die Öffentlichkeitsarbeit im Internet stellen den größten und effektivsten Handlungsbereich des Salafismus dar. Des Weiteren sind die Gefangenenhilfe und öffentliche Auftritte von „Star“-Predigern zu erwähnen. Letztere sind der Motor und das Bindeglied der Mobilisierung. Gleichzeitig führen Eitelkeiten und Konflikte unter diesen Prediger regelmäßig zu Spaltungen und Feindschaften innerhalb der Anhängerschaft.
Aktive und verbotene salafistische Gruppierungen in Deutschland
Salafistische und salafistisch beeinflusste Gruppierungen und Vereine besitzen teilweise ein regional begrenztes Aktionsfeld und teils überregionale Wirkung. Zu den wichtigsten Gruppierungen gehört das Netzwerk "Die Wahre Religion", mit einem umfangreichen Web-Angebot, bundesweit organisierten Seminaren und der obengenannten öffentlichkeitswirksamen "LIES!"- Aktion.
In den vergangenen Jahren wurden die Gruppierung "Millatu Ibrahim“, "An-Nussrah" und das Missionierungsnetzwerks "DawaFFM" sowie "Tauhid Germany" durch das Bundesinnenministerium aufgrund des Verstoßes gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung verboten. "Tauhid Germany" hatte gar dazu aufgerufen, gegen den deutschen Staat und seine Vertreter zu kämpfen.
Transnationale Vernetzung salafistischer Akteure
Die transnationale Vernetzung salafistischer Gruppierungen in Deutschland mit Einrichtungen in der Golfregion, vor allem in Saudi-Arabien, wird über offizielle Beziehungen realisiert. Daneben existieren aber auch informelle Vernetzungen etwa über Bildungs-, Finanzierungs- und Propagandanetzwerke, die in den verschiedenen Entwicklungsphasen mit dem Ziel optimiert wurden, um Anhänger anzuwerben, die Anhängerschaft ideologisch zu festigen und sie vor der Mehrheitsgesellschaft zu schützen. Dafür erwies sich die salafistische Propaganda als nützliches Instrument, mit dem menschenverachtende Feindbilder, gewaltverherrlichende Polemik religiöse Färbung, eine dualistische Weltanschauung und vermeintliche gottgefällige Normen postuliert werden.
Dem Salafismus inhärent ist das Gebot zur Abschottung und Abwertung von andersdenkenden Muslimen und Nichtmuslimen (al-wala‘ wa-l-bara‘). Gepaart mit der von den salafistischen Predigern eingeforderten Unterwerfung unter den vermeintlichen Willen Gottes schafft dieses Gebot den Nährboden für die Mobilisierung von Szenemitgliedern und Sympathisanten. Es polarisiert die Gesellschaft, verursacht Ängste und festigt Vorurteile und Klischees, unter denen oft die Muslime in der deutschen Gesellschaft zu leiden haben.
Dr. Marwan Abou-Taam ist seit 2006 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz. Er studierte Politik, Volkswirtschaftslehre und Islamwissenschaften. Er hat zahlreiche Lehraufträge an verschiedenen Universitäten und Hochschulen erfüllt und ist assoziiertes Mitglied des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung mit den Arbeitsschwerpunkte internationaler Terrorismus, Migration und innere Sicherheit.
1 Kommentar