von Daniela Pisoiu
Dschihadismus ist keine neue Erscheinung in Deutschland, und schon gar nicht in Europa. Erinnert sei beispielsweise an drei der 9/11-Attentäter, die in Hamburg lebten und konspirierten, an die Mitglieder der so genannten Sauerlandzelle und die Anschläge von Madrid 2004 und London 2005. Seit Jahren werden immer wieder neue Gesichter des Terrors vor Richter und Kamera geführt. Seit der Entstehung des „Islamischen Staates“ (IS) ändert sich jedoch nicht nur die Art wie Terroristen kommunizieren und mobilisieren, sondern auch ihre Motivation. Sowohl die IS Propaganda als auch die individuellen Motivationen werden durch subkulturelle Merkmale gekennzeichnet: ästhetische, Audio- und Videoelemente – zum Teil westlicher Natur –, die inspirieren und motivieren sollen, sowie Abenteuerlust, Provokation und Widerstand.
Vor einigen Jahren habe ich über „terroristische Karrieren“ geschrieben. Es ging um Personen, die sich bewusst und rational für die Ausübung von Terrorismus entschieden, sich langsam in die Ideologie eingearbeitet haben und professioneller wurden, in dem, was sie gemacht haben und sich so Status in der Organisation erarbeitet haben. Es waren vor allem Personen, die von den politischen Zielen ihrer Organisation und der Notwendigkeit des Einsatzes extremer Mittel für die Durchsetzung ihrer Ziele überzeugt waren. Diese Dschihadisten existieren immer noch, sind aber unter den sogenannten europäischen „Auslandskämpfern“ eine Minderheit. Die Mehrheit ist zwar zum Teil politisch interessiert, ihr Kampf wird aber eher und indirekt gegen den Mainstream in Europa, als Widerstand, geführt. Ihre Bezugspunkte, ihre Deutungsmuster und ihre Peer Group, von der sie sich Anerkennung erwarten, sind westlich.
Lange Zeit waren Al Qaida, Afghanistan und Irak die Schlüsselwörter der Diskussion, jetzt sind es der Islamische Staat, Irak und Syrien. Manchmal ist sogar von einer neuen Ära des Terrorismus die Rede. Nie zuvor konnte eine Terrororganisation auf so erfolgreiche Art und Weise westliche Rekruten mobilisieren wie der Islamische Staat, und nie zuvor war eine Terrororganisation so gewandt in der Nutzung sozialer Medien und Kommunikationstechnologien. Das Angebot der Terroristen hat sich verändert, ist professioneller, bunter und inhaltlich durchaus auch westlicher geworden.
Die Nachfrage hat sich aber auch verändert: Die Mehrheit der europäischen Auslandskämpfer ist jünger als 30, kaum in Ideologie oder Islam belesen, praktiziert eine oberflächliche und vereinfachte Religiosität, und möchte vor allem „Action“, Waffen, und ihre Männlichkeit ausleben. Überspitzt gesagt, während Rechtsextremisten „nur“ im Wald Krieg spielen können, dürfen Dschihadisten ihn in Syrien „live“ führen.
Verfolgt man die Nachrichten und Selbstdarstellungen in sozialen Medien, ohne den typischen salafistischen Inhalten Aufmerksamkeit zu schenken, so könnte man den Eindruck gewinnen, dass es sich um eine ganz „normale“ Jugendkultur handelt. Auch die Diskussionen in Foren drehen sich nicht nur um religiöse Gebote oder logistische Fragen, sondern auch um tagtägliche, jugendspezifische Themen. Liebe spielt eine nicht unbeträchtliche Rolle und kommt den heldenhaften männlichen Selbstbildern sehr gut entgegen. Manche junge Frauen verlieben sich tatsächlich in Dschihadisten oder finden sie zumindest attraktiv. Die Videos und Bilder, die vom IS produziert werden, beinhalten ganz bewusst westliche Elemente, Strukturen und Bilder, wie sie typisch für Hollywood-Filme sind. Angebot und Nachfrage stimmen also überein.
Es ist aber nicht nur die Online-Szene, die subkulturelle Merkmale aufweist. Auch in der realen Welt ist die Subkultur angekommen. Nehmen wir z.B. einen typischen Radikalisierungsfaktor wie die Autorität des Predigers oder des Anwerbers. Früher ergab sich diese aus besonderen religiösen oder politischen Kenntnissen, oder der Kampferfahrung. Heute genügt eine imposante, rambo-artige Erscheinung, die durch Muskeln und provokante Sprüche imponiert: je krasser, desto besser. Auf meine Frage was ihn an einem bestimmten Prediger beeindruckt habe, erwiderte ein Rückkehrer: „...naja der hat. also erstmal von der vom Aussehen her klar. ist halt so so Boxer gewesen hat eine recht kräftige Statur.. und wenn man den dann dort sieht so und. so ein deutscher Konvertit.. redet so lautstark über den Islam das bewegt also es. hat mich schon so. ja bewegt fand ich schon...“
„Cool“ war schon länger eine Eigenschaft des westlichen Dschihads. „Cool“ ist heute zu „krass“ geworden.
Die berüchtigten Enthauptungs- und Hinrichtungsvideos dienen, aus der Sicht des IS, sicherlich auch als eine an den Westen gerichtete Einschüchterungsstrategie. In manchen Fällen könnte auch die Erklärung von Gewaltausübung als eine Art „Genuss“ greifen. In den meisten Fällen aber fungieren solche Aktionen eher als Mutprobe und Abhärtungsmaßnahme der Kämpfer. Der zweite Mord fällt immer leichter als der erste.
Die Dschihad-Subkultur besteht auch aus anderen Elementen, außer aus Selbstinszenierung von Männlichkeit, Heldentum und Gewalt. Subkultur versteht sich vor allem als Widerstand gegen den Mainstream, und politische Subkultur als Widerstand gegen den politischen Mainstream. Subkultur ist provokant und selbstbewusst. Subkultur ist durch ein Paradox des individuellen und des allgemeinen gekennzeichnet: der Nonkonformismus von Kleidung, Musik, Essen und Gewohnheiten in Bezug auf den Mainstream wird zum strikten Konformismus innerhalb der Gemeinschaft. Die Gemeinschaft der Gleichgesinnten, die Bezugsgruppe, ist der wichtigste Resonanzboden. Hier erhofft man sich Anerkennung, entdeckt Vorbilder und eifert ihnen nach – hier fühlt man sich angekommen. Subkultur ist auch Handeln – sofortiges und allgegenwertiges Handeln. Es geht dabei nicht nur um die Implementierung der verschiedenen Prinzipien in das tagtägliche Leben, sondern auch um das Erkämpfen einer Sache.
Nur weil Musik und Stil in dieser Art von Dschihad wichtig sind, heißt das nicht, dass man völlig außerhalb des politischen agiert. Im Widerspruch zu älteren Subkulturtheorien und deren empirischen Referenzobjekten, geben sich gegenwärtige Subkulturen wie der Dschihadismus (aber auch rechtsextreme Subkulturen) nicht mehr nur mit dem Ausleben von Musik und Ästhetik zufrieden, sondern möchten auch politisch wirken. Oft wird die Ausübung der politischen Praxis allerdings auf das Erleben von Abenteuern und die Lustbefriedigung reduziert. Im Gegensatz zu älteren Interpretationen ist Subkultur auch nicht ein Produkt des Versagens gemessen an Mainstreamstandards, sondern das Ergebnis einer Suche nach Individualität, wenngleich diese in Konformität mündet. Subkultur ist so gesehen also eine tragische Erscheinung, die durch eine Spannung zwischen Vorstellung und Wirklichkeit gekennzeichnet ist. Diese Spannung wird auf der individuellen Ebene im Normallfall durch drei mögliche Optionen gelöst: 1) Man distanziert sich mit dem Alter von der Szene, findet einen Platz für sich in der früher verachteten Gesellschaft und erinnert sich über ein Glas Bier an die abenteuerlichen alten Tage, 2) man übernimmt das Gedankengut immer mehr, wird professioneller und gefährlicher oder 3) man wechselt die Szene.
Ein weiteres Merkmal der Subkultur bezieht sich auf die Natur der subkulturellen Artefakte und auf ihre Beziehung zur Mainstream-Kultur. Subkultur ist „Bricolage“ : eine Mischung aus bereits bestehenden Elementen, die zu etwas Neuem und Spezifischem werden. Dieses Spezifikum bleibt wiederum nur solange bestehen, bis der Mainstream es entdeckt und in sich integriert. Das zumindest ist die Regel in der Beziehung zwischen Subkultur und Kultur, ein Hin und Her zwischen Individualisierung und Verallgemeinerung. Im Fall des Dschihadismus wird die Regel aber zur Ausnahme: die IS Fahne wird vermutlich nie Platz auf einem Button finden, wie es die Symbole der Friedens- oder Anti-AKW-Bewegung geworden sind. Das bedeutet, dass dem Dschihadismus ein langes Leben als Subkultur vorausgesagt werden kann.
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