Die salafistische Genderordnung und die (falsche) Romantisierung des Dschihad

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Dies ist der sechste Artikel unseres Blogfokus "Salafismus in Deutschland". Weitere Informationen gibt es hier.

von Susanne Schröter

Salafisten propagieren eine Geschlechterordnung, die auf der Vorstellung gottgewollter Unterschiede zwischen Männern und Frauen basiert, aus denen ein komplementäres Rollenmodell mit klar umrissenen Handlungsfeldern abgeleitet wird. Diese Ordnung wird dezidiert als Alternative zur universalen Idee der Geschlechtergleichheit angeboten und erscheint darüberhinaus als attraktiver Lebensentwurf gerade für junge Männer und Frauen, die das Heroische jenseits des vermeintlich nüchternen Alltags suchen. Die Romantisierung des Dschihad zerschellt jedoch an der Wirklichkeit – was für wirksame Gegennarrative genutzt werden könnte.

Normative Grundlagen der salafistischen Genderordnung

Den Kern der salafistischen Genderordnung bildet die Unterordnung der Frau unter den Mann und damit verbundene die Zuweisung von konkreten Aufgaben als Ehefrau und Mutter. Dies wird aber mit einer Befreiungsrhetorik argumentativ gewendet.

Die normativen Grundlagen dieses Geschlechterbildes bilden selektive Verweise auf religiöse Quellen, primär auf den Koran sowie die Taten und Aussprüche des Propheten Mohammed, wie sie in den islamischen Überlieferungen festgehalten wurden. Diese historischen Quellen werden durch salafistische Prediger und Autor/innen interpretiert, als Handlungsanleitungen für die Gegenwart aufbereitet und medial, entweder im Internet oder in gedruckten Broschüren und Büchern zugänglich gemacht. Ausführlich wird die salafistische Genderordnung z.B. in den Schriften „Die Stellung der Frau im Islam“ (Al-Sheha o.J.) und „Women of the Islamic State“ (Al-Khanssaa-Brigade 2015; Mohagheghi 2015) erörtert. Die Autor/innen beider Texte schreiben explizit gegen den westlichen Emanzipationsdiskurs und behaupten, dieser unterdrücke Frauen, weil er ihnen wesensfremde Tätigkeiten wie Ausbildung und Beruf aufdränge. Der Islam dagegen befreie die Frauen, weil er sie auf ihre Natur beschränke. Frauen seien gefühlvoller als Männer und daher bestens für ihre Aufgaben als Ehefrauen und Mütter gerüstet. Allerdings sei ihr Verstand unterentwickelt, weshalb ihnen keine wichtigen Entscheidungen überlassen werden dürfen – nicht einmal die Wahl des Ehepartners oder eine mögliche Ehescheidung. Die eher als vernunftbegabt gedachten Männer dagegen seien für Führungsaufgaben jeglicher Art privilegiert. Beide Texte zitieren Vers 4:34 des Korans, in dem es heißt: „Die Männer stehen über den Frauen, weil Gott sie ausgezeichnet hat.“ Dazu kommt eine ebenfalls durch den Koran in Vers 33:33egründete Beschränkung von Frauen auf das Haus, das sie nur in Vollverschleierung und mit Erlaubnis oder in Begleitung ihres Ehemannes verlassen dürfen.

Frauen, die sich dieser Ordnung nicht freiwillig unterwerfen, sollen, so die salafistische Logik, vom Ehemann diszipliniert werden. Die für angemessen erachteten Maßnahmen schließen auch körperliche Gewalt ein. Berufen wird sich dabei auf den Koranvers 4:34, in dem steht: „Und wenn ihr fürchtet, dass Frauen sich auflehnen, dann ermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie“. Unter islamischem Recht exerzieren auch die Organe des Staates drakonische Strafen wegen Verletzungen der Genderordnung.

Dschihadistische Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit

Diese vergleichsweise trockenen Belehrungen salafistischer Literatur und Reden werden in sozialen Netzwerken und in Videoproduktionen konkretisiert und zu heroischen Gegenerzählungen der Moderne verdichtet. Vor allem im Dschihadismus entstehen idealtypische Kategorien von Männ- und Weiblichkeit.

Eine von drei idealtypischen Männlichkeitskonstruktionen betont die vernünftigen und gleichzeitig heroischen Aspekte der Entscheidung in den „Dschihad“ zu ziehen. „Ich widme dir diese Worte, während ich dem Feind gegenüberstehe ... Mutter, dein Sohn, ein Mujaheed.“1 So beginnt das Video des deutschen Dschihadisten Abu Ibraheem. Abu Ibrahim zufolge befindet sich „der Westen“ seit mehr als 60 Jahren im Krieg mit der muslimischen Welt. Unschuldige Kinder, Mütter und Alte seien den „Ungläubigen“ schutzlos ausgeliefert und deshalb seien tapfere Muslime wie er aufgefordert, das begangegen Unrecht zu rächen und Gerechtigkeit herzustellen. Andere Videos fokussieren ganz auf Stärke und Sieg. Sie zeigen Aufmärsche von schwer bewaffneten Dschihadisten, junge Männer, die auf Pick-ups durch die Landschaft rasen und immer wieder Folter- und Hinrichtungsszenen. Die Botschaft ist klar: Der Dschihad ist eine Legitimation zum Töten und rechtfertigt den vollkommenen Machtrausch.

Die Gegenkonstruktion ist der Dschihadist als fröhlicher Junge, lachend in der Gemeinschaft der Kameraden, beim Plantschen im Wasser oder bei der Schneeballschlacht. Diese Inszenierungen werden seit 2014 zugespitzt in einer Bilderreihe, die Kämpfer mit Katzen zeigen – siehe auch die Verbreitung über den Twitter-Hashtag #catsofdschihad. Die jungen Männer streicheln die Kätzchen, füttern sie, fotografieren sie neben oder auf ihrer Waffe oder sie stellen Bilder ins Internet, auf denen sie friedlich mit einer Katze im Arm schlafen.

Diese Inszenierungen von Empfindsamkeit, die auch darauf anspielen, dass Mohammed ein Katzenfreund gewesen sein soll, werden in großer Anzahl von Frauen weiterverbreitet, die darin offensichtlich das Ideal eines als zart besaitet imaginierten muslimischen Ehemannes sehen möchten.  Hier existiert eine Überlappung mit einer dschihadistischen Weiblichkeitskonstruktion, die in der Presse als „romantischer Dschihad“ bezeichnet wurde. „Im Land des Dschihad habe ich dich getroffen, mein geliebter Mujaheed“, steht unter kitschigen Bildern, die tief verschleierte Frauen bei der Hochzeit mit Kämpfern zeigen. Und andere schreiben: „Bis das Märtyrertum uns scheidet“. 2 Salafistinnen, die hoffen, den idealen Ehemann im „Land des Dschihad“ zu treffen, werden durch Postings von Kochrezepten und kleine Begebenheiten aus dem Hausfrauenalltag derjenigen ermutigt, die den großen Schritt der Ausreise bereits getan haben. Dass junge im Westen aufgewachsene  Dschihadistinnen sich jedoch nicht problemlos mit der Rolle der Hausfrau und Mutter anfreunden können, zeigen die zahlreichen Selbstinszenierungen von Dschihadistinnen mit Kalaschnikows ihrem Hochzeitsgeschenk.

Wider der Romantisierung: Die Realität im Dschihad

Wir wissen wenig darüber wie die Realität im sogenannten Islamischen Staat („IS“) aussieht, doch es scheint einen eklatanten Widerspruch zu den inszenierten Wunschvorstellungen zu geben. Die Aktivität in einer salafistischen Gruppe in Europa stellt für junge Frauen aus patriarchalischen Familien durchaus eine Art der Befreiung dar, da die salafistische Ideologie genutzt werden kann, um die repressive Enge der Familie zu verlassen. Auch die abenteuerliche Reise nach Syrien muss man durchaus als Akt der Emanzipation verstehen. Sobald die Frauen in Syrien/dem Irak ankommen, ändert sich die Situation vollständig. Sie verschwinden in arrangierten Ehen und können diese meist nicht mehr verlassen. Ihr Bewegungsspielraum ist auf ihre Wohnung reduziert, die Kommunikation nach außen wird kontrolliert und „Aussteigen“ ist nicht vorgesehen. Nur langsam dringen Berichte von häuslicher Gewalt, Folter und Ermordung an die Öffentlichkeit.

Für junge Männer stellt sich die Situation anders dar. Diejenigen, die foltern und morden wollen wie der deutsche Ex-Rapper Denis Cuspert, kommen möglicherweise auf ihre Kosten, diejenigen, die von der Idee einer gerechten Welt getrieben werden, fühlen sich enttäuscht. Das zeigen erste Rückkehrergeschichten.

Je länger der Krieg in Syrien und dem Irak dauert, desto mehr Berichte von Rückkehrer/innen oder vielleicht auch wirklichkeitsgetreue Schilderungen aus dem „IS“ werden wir bekommen. Diese Geschichten sollten für eine wirkungsvolle Gegennarrative genutzt werden. Die heroischen Inszenierungen eines Lebens im Dschihad sollten mit dem armseligen Leben unter der Herrschaft des „IS“ kontrastiert werden, das sich nicht nur durch die Härten des Krieges, sondern auch durch beispiellose Repression und vollständige Negierung der Freiheit des Einzelnen bzw. der Einzelnen auszeichnet. Für junge Männer bedeutet das eine Existenz als Folterknecht, Mörder oder Handlanger der IS-Führer bzw. den verordneten Tod als Selbstmordattentäter, für Frauen ist es schlicht die Auslieferung an einen Mann, den sie vor ihrer Heirat nur kurz zu Gesicht bekamen und nach dessen Tod die Weitergabe an einen anderen Kämpfer – als Zweit-, Dritt- oder Viertfrau.

Literatur

Al-Khanssaa-Brigade 2015: Women of the Islamic State. Übersetzt und kommentiert von Charlie Winter. Quilliam Foundation: London.

Al-Sheba, Abdul Rahman o.J.: Die Stellung der Frau im Islam. http://books.islamway.net/de/de_woman_in_the_shade_of_islam.pdf

Mohagheghi, Hamideh 2015: Frauen für den Dschihad. Das Manifest der IS-Kämpferinnen, Freiburg: Herder.

Schröter (2015): Die jungen Wilden der Ummah. Heroische Geschlechterkonstruktionen im Jihadismus, in: Friedensgutachten 2015. Berlin: Lit, 175-186.

Susanne SchröterProf. Dr. Susanne Schröter ist Professorin für Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums globaler Islam am Exzellenzcluster „Herausbildung normativer Ordnungen. Sie forscht in Südostasien, Nordafrika und Deutschland zu islamischem Extremismus, Reformislam, Frauenbewegungen und zu Konstruktionen von Gender und Sexualität.
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