von Diana Schubert
Bislang haben sich über 700 junge Menschen aus Deutschland den gewaltbereiten Salafisten des IS angeschlossen. Sie haben die Bundesrepublik verlassen und sind in den Jihad gezogen. Die mediale Diskussion beschränkt sich bei der Diskussion darüber, wie dies zu verhindern sei, zumeist auf sicherheitspolitische Maßnahmen. Das sind Maßnahmen, die auf Bundes- oder Länderebene durchgeführt werden. In der Prävention von Radikalisierung spielen allerdings die Kommunen eine entscheidende Rolle. Dieser Beitrag beleuchtet die Maßnahmen, die auf kommunaler Ebene getroffen werden (sollten) – von verschiedenen Präventionsangeboten bis hin zu Chancen kommunaler Vernetzung.
Die Szene der gewaltbereiten Salafisten hat ihre Missionierungsarbeit in den letzten Jahren auch in deutschen Kommunen ausgeweitet (z. B. durch Verteilen von Koranbänden und Betreiben von „Islam“-Infoständen). Diese Aktionen können zumindest einen Nährboden für beginnende Radikalisierung bieten, die in wenigen aber drastischen Einzelfällen auch zu terroristischen Handlungen führen kann. Die Quantität der zum gewaltbereiten Salafismus zugehörigen Personen ist hierbei marginal, die Qualität der von diesen Personen ausgehenden Gefahr aber ist immens hoch. Die Problematik ist dabei nicht nur eine sicherheitspolitische: Demokratiefeindliche, intolerante Haltungen gefährden das friedvolle Zusammenleben vor Ort. Extreme Schwarz-Weiß Bilder von dem, was „gut“ oder „falsch“ ist spalten die Gesellschaft.
Dieser Entwicklung können und sollten Städte und Gemeinden möglichst frühzeitig universell und selektiv präventiv entgegensteuern. Die Aufgabe ist als gesamtgesellschaftlicher Auftrag zu verstehen, der langfristig angelegt ist. Demokratiefeindlichen Grundhaltungen muss möglichst frühzeitig entgegen gewirkt werden. Aufklärung, Vernetzung, sowie Stärkung möglicherweise gefährdeter Zielgruppen lautet die Aufgabenstellung.
Prävention als umfassende Aufgabe
Allgemein wirken Maßnahmen, die das Verständnis füreinander und das friedliche Zusammenleben miteinander fördern, auch hinsichtlich des Phänomens eines gewaltbereiten Salafismus präventiv. Sie mindern starke Risikofaktoren für Radikalisierung – wie Ausgrenzung und Diskriminierung – erheblich.
Im Vordergrund steht das gemeinsame Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung, unabhängig von Herkunft oder Religion. Die Implementierung von Runden Tischen der Religionen und regelmäßige Durchführung von interkulturellen und interreligiösen Projekten und Events, wie beispielsweise Festivals der Kulturen, stärken ein solches Miteinander. Ebenfalls bedeutsam ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden und Migrantenorganisationen. Auch Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund sollen aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Leider gelingt dies häufig nur bedingt. Institutionalisiert kann dies zumindest zum Teil durch einen Integrationsbeirat geleistet werden. Der Integrationsbeirat erfüllt eine Brückenfunktion zwischen der Bevölkerung mit und der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (die selbstverständlich nicht ausschließlich aus muslimischen Migrant_innen besteht) und gibt Informationen über Kultur, Religion, Sitten und Gebräuche. Innovative Beteiligungsprozesse, die Bürgerinnen und Bürger in ihrem direkten Umfeld ansprechen, sollten möglichst alle Betroffenen und insbesondere benachteiligte Gruppen erreichen und „empowern“. Hier besteht in vielen Städten und Gemeinden noch einiges an Potenzial. Speziell die Jugend kann besser beteiligt werden. Projekte wie der Bau von Skateparks oder Spielplätzen, öffentliche Kunstinstallationen oder andere Events im öffentlichen Raum sind Anlässe, Teilhabe zu ermöglichen. Sie können, obwohl nicht Phänomen-spezifisch ausgerichtet, eine enorme präventive Wirkung entfalten. Es ist kaum vorstellbar, dass ein Jugendlicher, durch dessen Initiative eine Skateanlage errichtet wurde und der damit noch fester in seine Bezugsgruppe eingebunden wird, anfällig für Propaganda von gewaltbereiten Salafisten wird. Er erfährt, wie ein demokratisches Miteinander konkret den eigenen Alltag zum besseren verändert und vor allem ist er bestärkt im Glauben an sich selbst und seine Fähigkeiten.
Selbstverständlich spielen Jugendarbeit und Schulen eine große Rolle in der universellen Prävention. Eine fundierte Werteerziehung und die Stärkung der Kinder und Jugendlichen in ihrer Selbst- und Sozialkompetenz sind dabei nur ein wichtiges Handlungsfeld. Auch Angebote wie der Modellversuch „Islamischer Unterricht“, der an Schulen angeboten wird, bilden mittelbar ein Gegengewicht zu fundamentalistischer Indoktrination.
Eine weitere, wichtige Funktion übernehmen Projekte wie HEROES. HEROES ist ein Projekt für Gleichberechtigung und gegen Unterdrückung im Namen der Ehre. Zielgruppe des Projektes sind junge Männer im Alter zwischen 14 und 18 Jahren mit Migrationshintergrund aus Ländern, die patriarchale Strukturen ermöglichen. In wöchentlichen Treffen diskutieren die Teilnehmer Themen wie Gleichberechtigung, Sexualität, Ehre, Gewalt und religiös begründeten Extremismus. Nach einem Jahr Ausbildung geben die jungen Männer ehrenamtlich Workshops in Schulklassen und motivieren die Schüler über Rollenspiele, diese Themen zu diskutieren und Meinungen auszutauschen. Das Projekt hat sich bewährt und der peer-to-peer-Ansatz zeigt positive Wirkung.
Traditionelle Rollenbilder und patriarchale Erziehungsmuster sind ein Grund dafür, dass sowohl junge Männer als auch Mädchen sich in der salafistischen Ideologie wiederfinden. Insbesondere Mädchen mögen es als befreiend empfinden, dass der Salafismus sowohl von Mädchen als auch Jungen strenge Moral einfordert, was die Einhaltung sexueller Tabus angeht. Insofern ist HEROES kein Projekt das sich Phänomen spezifisch gegen Salafismus wendet, wohl aber eine seiner Ursachen gezielt thematisiert. HEROES wird durch freie Träger in den jeweiligen Kommunen umgesetzt. Doch sollte die Umsetzung durch staatliche bzw. kommunale Bezuschussung sichergestellt werden.
BürgerIinnen, die sich als BürgerInnen fühlen und zwar von ‚Anfang an‘, also auch als Kinder und Jugendliche, brauchen keine alternativen Globalideologien, die sie aus einer Ohnmacht ziehen.
Aufklärung und Wissensvermittlung
Essentiell für eine nachhaltige Prävention von Radikalisierung sind die Wissensvermittlung zum Themenbereich gewaltbereiter Salafismus und die Sensibilisierung aller relevanten Akteure.
Zivilgesellschaftliche Träger wie ufuq.de bieten spezielle Beratungsangebote. Sie arbeiten Phänomen spezifisch mit PädagogInnen in Schule und Jugendarbeit, SozialarbeiterInnen, MitarbeiterInnen der kommunalen Verwaltungen und anderen MultiplikatorInnen. Workshops in Schulklassen und Jugendeinrichtungen werden durchgeführt, um auf Augenhöhe mit den jungen Menschen insbesondere die Frage „Wie wollen wir leben?“ zu diskutieren. Ziel ist es, junge Menschen auch in Fragen von Identität und Religion sprechfähig zu machen.
Im schulischen Kontext ist es erfahrungsgemäß leider oft schwierig, ein abgestimmtes, nachhaltiges Präventionskonzept zu verankern. Häufig werden zwar Themen durch die Lehrkraft definiert, die in der jeweiligen Klasse bearbeitet werden sollten. Doch kommt es nicht selten vor, dass nach der Buchung eines Theaterstücks zum Thema oder der Einladung externer Anbieter eine Vorbereitung der SchülerInnen und vor allem die so dringende Weiterbearbeitung der Materie, ausbleiben. Seitens der Verantwortlichen für Prävention sollte bei einem komplexen Bereich wie der Prävention von gewaltbereitem Salafismus darauf bestanden werden, dass entsprechende schulische Angebote nur im „Komplettpaket“ gebucht werden können. Darin enthalten könnten z. B. Lehrerfortbildungen sein, die sowohl Antworten auf inhaltliche Fragen zu gewaltbereitem Salafismus geben, als auch Ideen zum pädagogischen Handeln bei entsprechenden Reaktionen von SchülerInnen. Als Türöffner für die SchülerInnen eignet sich ein Theaterstück. Im Anschluss muss es Raum für Diskussionen geben. In zeitlich geringem Abstand sollten dann Workshops in den Klassen und fachlich begleitete Elternabende folgen. Zu empfehlen ist auch die Einbeziehung der Regionalbeauftragten für Demokratie und Toleranz bei der Ausgestaltung des Konzeptes.
Kommunale Netzwerke
Gerade zur Prävention von gewaltbereitem Salafismus ist ein kommunales Netzwerk unabdingbar. Von Vorteil ist, wenn auf bereits vorhandene, etablierte Strukturen wie kommunale Präventionsräte zurückgegriffen werden kann, die um relevante Akteure erweitert werden. Kommunale Präventionsräte sind lokale Gremien, deren Zusammensetzung nach gesamtgesellschaftlichen Ansätzen gestaltet ist. Nach Möglichkeit werden alle Gruppen und Mitglieder der Stadtgesellschaft miteinbezogen, um einzelne Kriminalitätsphänomene, wie beispielsweise illegale Graffiti, häusliche Gewalt oder eben auch Radikalisierung junger Menschen, von allen Seiten zu beleuchten und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Nur inklusiv und ganzheitlich handelnd lässt sich nachhaltiger gesellschaftlicher Frieden herstellen.
In jedem Fall kann ohne den Aufbau eines ressortübergreifenden, transdisziplinären Netzwerks keine nachhaltige, qualitativ hochwertige Präventionsarbeit geleistet werden. Dem Netzwerk sollten Einrichtungen der Jugendarbeit und Jugendhilfe, städtische Dienststellen (z.B. Büro für Migration, Interkultur und Vielfalt, Jugendhilfeplanung, Büro für urbane Konfliktprävention, Fachstelle Jugend und Bildung usw.), der Regionalbeauftragte der staatlichen Schulberatung, Vertreter der Schulbehörden und der Polizei etc. angehören. Erfahrungsgemäß ist eine kontinuierliche Arbeit des Netzwerks dann sichergestellt, wenn ein federführender Koordinator (z. B. die Geschäftsführung des Kommunalen Präventionsrates) bestimmt wurde.
Bei größeren Kommunen lohnt es, neben stadtweiten, auch kleinräumigere Strukturen zu entwickeln und über Fortbildungen speziell zum Themenbereich Salafismus/Radikalisierung Akteuren vor Ort Phänomen-spezifisches Hintergrundwissen zu vermitteln. Dies trägt neben der Sensibilisierung gleichzeitig zur Vernetzung im Stadtteil/Sozialraum/Stadtbezirk bei. Muslimische und Migrantenorganisationen werden hier intensiv mit eingebunden. Im Vordergrund steht jeweils der Schutz der Jugendlichen und ihrer Familien. Die Stigmatisierung muslimischer Familien und Gläubigen sollte unbedingt verhindert werden. In der Zusammenarbeit mit den muslimischen Gemeinden wird klargestellt, wo und wie Radikalisierung (nicht nur dort) stattfindet. Ziel der Schulungen ist auch, Fragen wie „An wen kann ich mich wenden?“, „Welche Beobachtung/Information erfordert welches Handeln?“ oder „Welche Informationsweitergabe zieht welche Konsequenzen nach sich?“ zu beantworten.
Ausblick
Seit dem Jahr 2015 wurde das Bundesförderprogramm „Demokratie leben!“ aufgestockt, um Kommunen in der Salafismusprävention zu unterstützen. Leider sind die zur Verfügung stehenden Mittel (jährlich 10.000 Euro) sehr begrenzt und reichen bei weitem nicht aus, nachhaltige Präventionsarbeit zu finanzieren. Nur teilweise können durch die Länder finanzierte Angebote in Anspruch genommen werden.
Radikalisierung passiert vor Ort, in vielen deutschen Kommunen. Städte und Gemeinden kommt daher eine besondere Rolle in der Prävention von Radikalisierung zu. Sie sind diejenigen, die durch die Arbeit in Netzwerken vor Ort fähig sind, junge Menschen davor zu bewahren, Opfer von gewaltbereiten Salafisten und letztlich dem IS zu werden. Bund und Länder sollten in diesem Zusammenhang viel stärker auf Prävention und die Unterstützung der Kommunen setzen.
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