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von Nikolaus Brauns
„Wir sind zwar hinter Gittern, aber unsere Ideen sind an der Macht“, erklärte der Führer der Grauen Wölfe, Alparslan Türkeş nach dem Militärputsch vom 12. September 1980 in der Türkei. Damals hatten die Generäle als Zeichen ihrer angeblichen Neutralität neben Zehntausenden inhaftierten Linken auch einige hundert Anhänger der faschistischen Grauen Wölfe anklagen lassen. Entsprechend könnten sich heute seine Nachfolger rühmen: „Wir sind zwar nicht an der Regierung, aber unsere Ideen sind an der Macht.“ Denn die Herrschaft der seit 2002 alleine regierenden und gemeinhin als islamisch-konservativ charakterisierten Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (Adalet ve Kalkınma Partisi - AKP) von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu stützt sich zunehmend auf die Ideologie, die Methoden und selbst das Personal der Grauen Wölfe. Umgekehrt ist die offiziell in der Opposition stehende parlamentarische Vertretung der Grauen Wölfe, die Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetçi Hareket Partisi - MHP) eine Kriegsallianz mit der AKP-Regierung gegen die kurdische Befreiungsbewegung eingegangen.
Graue Wölfe hießen ursprünglich nur die jugendlichen Paramilitärs unter der Führung des Oberst a.D. Alparslan Türkeş, die während der bürgerkriegsähnlichen Zustände in den 1970er Jahren Tausende Linke, Angehörige der alevitischen Glaubensgemeinschaft sowie Kurden töteten. Inzwischen steht die Bezeichnung Graue Wölfe als Oberbegriff für eine sich selbst als Idealisten (Ülkücü) verstehende pantürkische Strömung, die für ein Turan genanntes Großreich aller Turkvölker vom Balkan bis zur chinesischen Mauer eintritt. Repräsentiert wird diese Strömung im Wesentlichen von der als viertstärkste Fraktion im türkischen Parlament vertretenen MHP sowie der von ihr abgespaltenen stärker religiös orientierten Große Einheitspartei (Büyük Birlik Partisi - BBP).
Opposition gegen kurdischen Friedensprozess
Noch im Jahr 2014 verstand sich die MHP als klare Opposition zur AKP. Bei den Präsidentschaftswahlen stellte sie zusammen mit der kemalistisch-sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi - CHP) den Wissenschaftler und früheren Generalsekretär der Organisation der Islamischen Konferenz Ekmeleddin İhsanoğlu als gemeinsamen Oppositionskandidaten auf. Gegen Erdoğan unterlag dieser allerdings mit 38,3 Prozent. Im Mittelpunkt ihrer verbalen Angriffe auf die Regierung stand zu der Zeit der von der MHP als Vaterlandsverrat bezeichnete Friedensprozess der AKP mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Der MHP-Vorsitzende Devlet Bahçeli behauptete, zwischen Erdoğan und dem gefangenen PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan sei ein Geheimplan zur Teilung der Türkei vereinbart worden. Doch nachdem deutlich wurde, dass sich die durch die legale linke Demokratische Partei der Völker (Halkların Demokratik Partisi – HDP) politisch repräsentierte kurdische Seite nicht auf einen von der AKP erhofften Kuhhandel einlassen und der Errichtung eines Präsidialsystems nicht zustimmen würde, brach Erdoğan den Friedensprozess im März 2015 ab. Hatte die AKP zuvor den Spagat versucht, sowohl religiös-konservative Kurden als auch türkische Nationalisten zu erreichen, so setzte sie im beginnenden Parlamentswahlkampf ganz auf eine nationalistische und religiöse Rhetorik, die sich vor allem gegen die als separatistisch, terroristenfreundlich und gottlos diffamierte HDP richtete. Die MHP ihrerseits versuchte angesichts dieser Demagogie der AKP, mit einem in wirtschaftlichen Fragen geradezu sozialdemokratisch anmutenden Wahlprogramm zu punkten.
Strategie der Spannung
Die Parlamentswahl im Juni 2015, bei der die HDP mit 13 Prozent die Zehnprozenthürde überspringen konnte, kostete die auf nur noch 41 Prozent der Stimmen kommende AKP eine zur Fortsetzung ihrer 12-jährigen Alleinregierung notwendige absolute Mehrheit. Die MHP kam auf 16 Prozent und wurde damit zur drittstärksten Fraktion nach der CHP. Staatspräsident Erdoğan bezeichnete das Wahlergebnis umgehend als einen Fehler, den es durch Neuwahlen zu korrigieren gelte. Um die Stimmung für eine erneute Alleinregierung als scheinbarer Garantin von Stabilität zu bereiten, setzte die AKP nun auf eine Strategie der Spannung. Auf massive Luftangriffe gegen vermutete PKK-Lager im Nordirak Ende Juli reagierte die kurdische Guerilla ihrerseits mit blutigen Vergeltungsaktionen im Osten der Türkei. Bei Anschlägen auf junge Sozialisten in der Grenzstadt Suruç im Juli sowie auf einer Friedensdemonstration in Ankara im Oktober wurden über 130 Menschen getötet. Die Selbstmordattentäter gehörten einer Zelle des sogenannten Islamischen Staates (IS) aus der türkischen Stadt Adıyaman an. Diese konnte – wie eine Untersuchungskommission der Oppositionspartei CHP mit einem Report im Parlament belegte – unter den Augen der Sicherheitskräfte agieren. Hinweise auf geplante Anschläge wurden von Behördenseite geflissentlich ignoriert. Der IS wiederum hat sich bis heute zu keinem einzigen Anschlag in der Türkei bekannt, so dass HDP-Politikerinnen und Politiker ein Mitwirken des Staates an den Anschlägen vermuteten.
Der Wahltag am 1. November brachte mit einer unerwarteten Mehrheit von 49,5 Prozent für die AKP die bittere Erkenntnis, dass Erdoğans Plan aufgegangen war. Zwar hatte die HDP mit rund elf Prozent erneut den Parlamentseinzug geschafft. Doch mit ihrem antikurdischen Kriegskurs und ihrer chauvinistischen Rhetorik war der AKP ein großer Erfolg beim rechtsnationalistischen Wählerspektrum gelungen. Die MHP bekam nur noch 12 Prozent und büßte aufgrund des Wahlsystems sogar rund die Hälfte ihrer bisherigen 80 Abgeordnetenmandate ein. Mit Tuğrul Türkeş, dem kurz vor der Wahl von der MHP zur AKP gewechselten Sohn des verstorbenen historischen Führers der Grauen Wölfe, wurde nun einer der namhaftesten Faschisten zum Vizeministerpräsidenten der neugebildeten AKP-Regierung.
Elemente faschistischer Herrschaft
Die 2001 als Sammlungsbewegung gegründete AKP zählt so in ihren Reihen nicht nur Politiker verbotener radikal-islamischer Parteien aus der Tradition der Islamischen Gemeinschaft Millî Görüş (Nationale Ordnung) und bedeutungslos gewordener nationalkonservativen Parteien, sondern auch aus der MHP. Ihre Grenzen ins faschistische ebenso wie ins radikal-islamische Lager waren von jeher fließend. Nachdem die AKP-Herrschaft in den letzten Jahren bereits polizeistaatliche Züge angenommen hatte, zeichnete sich seit vergangenem Jahr ein Übergang zu offener faschistischen Herrschaftsmethoden ab. Diese können unter anderem charakterisiert werden durch
- den Einsatz paramilitärischer Gruppierungen, die außerhalb von Armee und Polizei agieren und sich aus dem faschistischen Milieu rekrutieren;
- das willkürliche sich Hinwegsetzen des Präsidenten über die verfassungsmäßige Ordnung;
- die Gleichschaltung der Justiz unter der Kontrolle der Regierungspartei;
- die Gleichschaltung der Medien verbunden mit der Inhaftierung von regierungskritischen Journalisten und der Unterstellung oppositioneller Zeitungen und Sender unter staatliche Treuhänderschaft;
- einen keine Zwischentöne mehr kennenden Freund-Feind-Diskurs der AKP-Regierung sowie einen zunehmend rigiden religiös inspirierter Moralduktus zur Kontrolle des Verhaltens der Bürgerinnen und Bürger und insbesondere der Frauen;
- die Säuberung des Staatsapparates von jeglichen nicht der Regierungspartei angehörenden oder mit ihr verbundenen Beamten;
- Schauprozesse aufgrund fingierter und manipulierter Ermittlungen gegen Kritiker und Oppositionelle auch aus dem bürgerlichen und religiösen Lager (Gülen-Bewegung) und Einschüchterung jeglicher oppositioneller Stimmen durch staatliche Repression, wie im Falle der Akademiker, die wegen ihrer Unterstützung eines Friedensappells inhaftiert wurden;
- die versuchte oder tatsächliche Übernahme von Kapitalgruppen, die mit den AKP-nahen Kapitalverbänden konkurrieren durch staatliche Treuhänder;
- den Einsatz aller militärischen Machtmittel und willkürlicher Massaker an kurdischen Zivilisten durch staatliche und parastaatliche Kräfte ohne jede Aufklärung oder Rechenschaft durch die politisch und militärisch Verantwortlichen.
Erdogan selbst benannte ganz offen „Hitler-Deutschland“ als Beispiel für das von ihm angestrebte Präsidialsystem in einem Zentralstaat ohne entsprechende 'checks and balances'. Später ruderte das Präsidialamt zurück, Erdogan sei missverstanden worden.
Osmanen-Herde und PÖH
Nach der Erfahrung mit den landesweiten regierungskritischen Gezi-Park-Protesten im Sommer 2013 hatte die AKP-Führung die Notwendigkeit zum Aufbau einer eigenen paramilitärischen Truppe zum Zweck der Terrorisierung und Einschüchterung politischer Gegner erkannt. Hierfür wurden die bis dahin als Folkloregruppe zur Pflege osmanischen Brauchtums dienenden, ebenso nationalistisch wie streng religiös ausgerichteten Osmanen-Herde (Osmanlı Ocakları) in eine Straßenkampfformation umgewandelt. Zulauf erhielten sie nach der Spaltung einer Jugendorganisation der religiös-faschistischen BBP im Jahr 2014. Ein Teil der BBP-Jugend wollte damals nicht den gemeinsamen Oppositionskandidaten von CHP und MHP bei der Präsidentschaftswahl unterstützten, sondern stellte sich hinter Erdoğan. Dies war der gewalttätigste Flügel des türkischen Faschismus, aus dessen Reihen die Mörder des armenischen Journalisten Hrant Dink sowie mehrerer Christen in den Jahren 2006/2007 stammten. Auch der jetzige Osmanen-Führer Kadir Canpolat war im November 2006 unter dem Vorwurf inhaftiert worden, einen Anschlag auf Papst Benedikt während dessen Türkeibesuch geplant zu haben. Ihre Bewährungsprobe hatten die Osmanen-Herde Anfang September 2015. Innerhalb von wenigen Tagen verwüsteten ihre Schlägertrupps rund 200 HDP-Büros.
Angesichts wirtschaftlicher Einbrüche und dem vorläufigen Scheitern ihrer antikurdischen Politik im Nachbarland Syrien, wo sich eine kurdische Selbstverwaltung in der Grenzregion zur Türkei etablieren konnte, setzte die AKP auch nach ihrem Wahlerfolg auf nationalistische Mobilmachung. Für Erdoğan verbindet sich damit die Hoffnung, so längerfristig doch noch den Boden für eine Verfassungsänderung zur Einführung einer Präsidialdiktatur zu bereiten.
Die MHP hat ihre Oppositionsrolle seit den Parlamentswahlen aufgegeben und mit der AKP einen antikurdischen Kriegsblock gebildet, wobei sie sich als radikale Stichwortgeberin für die Regierung übt. Auf einer Fraktionssitzung im April forderte MHP-Führer Devlet Bahçeli, dass Städte wie Nusaybin, in denen es noch Widerstand gegen die laufenden Militäroperationen gibt, dem Erdboden gleichgemacht und alle nach einer dreitätigen Frist darin verbleibenden Bewohner getötet werden sollten. Die Angehörigen der in den kurdischen Städten operierenden Polizeisondereinheiten (PÖH) entstammen dem religiös-nationalistischen Milieu, wie auch ihre an den Wänden zerstörter Wohnhäuser hinterlassenen Parolen beweisen. „Sei stolz, wenn du ein Türke bist. Unterwerfe dich, wenn nicht!“ heißt es da, verbunden mit den drei Halbmonden der Grauen Wölfe.
Kurdenhass als einendes Band
Parallel zum Krieg in der Türkei kommt es in der türkischen Diaspora in Europa zu Demonstrationen zur Unterstützung der türkischen Kriegspolitik. In Deutschland gibt es schätzungsweise 30.000 organisierte Anhänger der Grauen Wölfe in der MHP-nahen Türkischen Föderation sowie in zwei kleineren, stärker religiös geprägten Dachverbänden. Zudem existiert eine über soziale Medien vernetzte Ülkücü-Jugendszene. Außerhalb der Vereinsföderationen entstehen Gruppierungen wie der Motorradclub MC Turkos und der mit Rockerkutten mit dem Wolfsemblem auftretende Verein Turan e.V., dessen Mitglieder sich im Kampfsport üben. Dieses zunehmend militante Auftreten der türkischen Faschisten zielt auf die Einschüchterung von linken Kritikern und pro-kurdischen Aktivisten in den Reihen der türkeistämmigen Diaspora. So gab es mehrere Brandanschläge auf das HDP-Büro in Berlin; auch aus anderen europäischen Ländern wurden gewaltsame Übergriffe auf Kurden und türkische Linke bekannt.
Auf antikurdischen und antiarmenischen Demonstrationen ergänzen sich türkische Nationalfahnen und die Fahnen mit den drei Halbmonden der Grauen Wölfe, der Wolfsgruß und „Allahu-Akbar“-Rufe, Bilder von Atatürk und Erdoğan. Einendes Band dieser eigentlich gegensätzlichen Strömungen ist die bis zu den Jungtürken im Ersten Weltkrieg und die frühe Türkische Republik in den 1920er Jahren zurückgehende Formel „Eine Nation - eine Fahne - ein Vaterland - ein Staat“. Denn die Bildung des türkischen Nationalstaates und seine ideologische Grundlegung beruhen auf der Politik der zwangsweisen ethnischen und religiösen Homogenisierung des einstigen Bevölkerungsmosaiks auf dem Gebiet der heutigen Türkei, die sich im Ersten Weltkrieg und dem nachfolgenden Befreiungskrieg gegen die christlichen Bevölkerungsteile – Armenier und Griechen – und nach Republikgründung 1923 gegen die Kurden und nicht-sunnitische religiöse Minderheiten wie die alevitische Glaubensgemeinschaft richtete. Seit dem Militärputsch von 1980 stellt sich die Staatsideologie als türkisch-islamische Synthese dar. Ob jeweils der nationale oder der religiöse Aspekt stärker betont wird, ist eher eine konjunkturelle Frage und abhängig von den anzusprechenden Milieus.
Schlimm sowas. Man weiß was man glauben sollen. Es soll endlich Frieden auf dieser Erde geben.
Gruß Anna
Ich bin für Weltfrieden! Einfach nur traurig, dass sowas noch möglich ist.
von vorne bis hinten gelogen, ich kann nicht verstehen wie die Linken in ganz Europa auf die Lügen der aleviten und PKKlern reinfällt ! Der Grund das der Friedensprozess mit der PKK aufgehört hat ist die PKK selbst. Warum sagen sie nicht das die PKK in all den Jahren während des Friedensprozesse sich bewaffnet hat in den Städten verschanzt und Schützengräben errichtet hat, hätte der Türkische Staat zuschauen sollen ? und zu allerletzt hat die PKK gleich nach der Wahl wo die HDP fast 14% Stimmen geholt hat 2 Polizisten nachts in ihren Betten ermordet. Die Linken werden immer mehr zum Lügenträger der PKK/Aleviten
Der Grad des Fanatimus einer Person ist der reziproke Kehrwert des Grades seines Wissens und seiner Kundigkeit über die Phänomene, über die er sich äußert.
Also. Lassen Sie doch bitte mich und andere Menschen die Fakten erfahren, auf denen Ihre Polemik(en) basiert/basieren.
Als einer, der selber gerne recherchiert, wie zur Zeit über neue Atomkriegsstrategien
in den USA und Russland, freue ich mich stets über Fakten reiche Berichte, die in den Mainstream-Medien nicht zu lesen sind.