von Stephan Jockheck
Am Donnerstag, dem 26.01.17, beschloss der Deutsche Bundestag, wie schon im letzten Jahr, eine Ausweitung des Bundeswehreinsatzes im Rahmen der UN-Mission MINUSMA in Mali. Die maximale Anzahl der in und um Gao im Norden Malis eingesetzten Soldatinnen und Soldaten wird von bisher 650 auf 1000 erhöht, da Deutschland zukünftig auch die Bereitstellung von Kampf- und Rettungshubschraubern für MINUSMA übernimmt. Damit wird der Einsatz in Mali zum Größten der Bundeswehr. Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos hat das Gefährdungspotenzial schon im vergangenen Jahr mit der ISAF-Mission in Afghanistan verglichen und in keinem anderen UN-Einsatz sind im letzten Jahr mehr Soldaten getötet worden.
Die Entsendung weiterer Soldatinnen und Soldaten vom Deutschen Bundestag in einen Einsatz, in dem sie erheblichen Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt sind, erfordert eine umfangreiche Begründung durch die politisch Verantwortlichen und eine kritische Würdigung durch die Zivilgesellschaft.
Humanitäre und nationale Gründe für den Einsatz
Die Regierungsbegründungen zu den Mandaten seit der Erstmandatierung 2013 und die Debattenbeiträge verschiedener Parlamentarier im Bundestag zeigen humanitäre und an den nationalen Interessen ausgerichtete Begründungsstränge.
Die humanitären Gründe lassen sich auf den sog. „Schutz der Menschen“ zusammenführen, der in den ersten Jahren besonders durch die Sicherung der territorialen Integrität und Stabilität Malis erreicht und seit Sommer 2015 durch die Umsetzung des Friedensabkommens von Algier gewährleistet werden soll.
Die nationalen Gründe für die deutsche Beteiligung an MINUSMA sind dagegen deutlich vielfältiger. Sie lassen sich in die Stichworte „Auswirkungen von Terrorismus, Kriminalität und Instabilität in Mali auf Europa verhindern“, „Fluchtursachen bekämpfen“ und „Solidarität mit den Bündnispartnern“ zusammenfassen. Diese Gründe werden, zumindest in der Rhetorik, stark von aktuellen Entwicklungen beeinflusst. So kann man einen engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Terroranschlag auf Charlie Hebdo am 07.01.2015 und der erstmaligen Nennung des Stichworts „Auswirkungen von Terrorismus ... verhindern“ in der Regierungsbegründung zu EUTM-Mali am 28.01.2015 erkennen. Die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ wurde erstmals in den Begründungen zu EUTM-Mali 2015 und MINUSMA 2016 vorgebracht, was einen Zusammenhang zur „Flüchtlingskrise 2015“ nahelegt, obwohl der Anteil an Flüchtlingen aus Afrika südlich der Sahara oder Mali sehr gering war. Schließlich wurde die Ausweitung der MINUSMA-Beteiligung im Januar 2016 von der Bundesverteidigungsministerin mit der Bündnissolidarität für Frankreich nach den Pariser Terroranschlägen vom 13.11.2015 begründet. Tatsächlich war wohl eher die Bündnissolidarität mit den zu diesem Zeitpunkt bereits seit längerem stark bei MINUSMA engagierten Niederlanden für die Entscheidung maßgeblich , denn die Obleute der Bundestagsausschüsse für Verteidigung und Auswärtiges wurden bereits am 05.08.2015 über die Pläne zur Ausweitung der Bundeswehrbeteiligung informiert.1 Dass für den Einsatz der Bundeswehr in Mali sowohl humanitäre als auch nationale Gründe vorgebracht werden, ist generell bei humanitär motivierten Militäreinsätzen nicht unüblich.2 Eine Beobachtung drängt sich aber auf: Die an nationalen Interessen orientierte Begründung richtet sich eher an aktuellen Ereignissen statt an einer längerfristigen Strategie aus.
Vernünftige Erfolgsaussichten?
Fraglich ist aber, ob Art und Umfang des deutschen Engagements in Mali auch „vernünftige Erfolgsaussichten“ (Reasonable Prospect) bieten, die Ziele des deutschen Engagements in Mali auch zu erreichen. Das Kriterium „vernünftige Erfolgsaussichten“ ist für die Analyse militärischer Einsätze in der Ethik als Teil der Lehre vom gerechten Krieg bekannt und fand auf sicherheitspolitischer Seite u. a. in die Entwicklung des Konzepts „Responsibility to Protect“ Eingang. Die UN bezieht sich in der Sicherheitsratsresolution zu MINUSMA explizit auf die Responsibility to Protect, die auch implizit in dem humanitären Begründungsstrang zum Ausdruck kommt.
Zunächst kann die militärische Komponente des internationalen Engagements in Mali nur zum Ziel haben, für militärische Sicherheit im Norden Malis, der Grundvoraussetzung für die Umsetzung des Friedensabkommens, zu sorgen. Doch ob die derzeit ca. 10.300 UN-Soldatinnen und Soldaten für ein Gebiet von rund 800.000 km², also einer Fläche doppelt so groß wie Deutschland, ausreichen, um Sicherheit herzustellen, muss schon anhand der Anzahl der Truppen bezweifelt werden.3 Hinzu kommt, dass Deutschland und die Niederlande die einzigen westlichen Industrienationen unter den größten Truppenstellern sind. Sie bringen zwar wichtige Fähigkeiten wie Verwundetenevakuierung, Luftunterstützung und Aufklärungsfähigkeiten mit Drohnen in die UN-Mission ein, doch der Großteil der besonders gefährdeten Infanterieeinheiten wird von afrikanischen oder asiatischen Staaten wie Burkina Faso, Tschad und Bangladesch gestellt.4 Diese vielfach schlecht ausgebildeten und ausgerüsteten Truppen sind zugleich dem größten Risiko ausgesetzt, wie den Statistiken über die Herkunftsländern der getöteten UN-Soldatinnen und Soldaten zu entnehmen ist. Dies führt zu einem großen Ungleichgewicht innerhalb der UN-Truppe.5 Mit dieser Truppenzusammensetzung sind die vernünftigen Erfolgsaussichten von MINUSMA und deren Ziel, Sicherheit wenigstens im Umkreis der Bevölkerungszentren zu erreichen, sehr fraglich. Diese Zweifel bestätigt auch der letzte Bericht des UN-Generalsekretärs zu Mali vom Dezember 2016.6 Wenn man den Blick allein auf die Bundeswehrbeteiligung an MINUSMA richtet, kann man zwar festhalten, dass Deutschland wichtige Kompetenzen in die UN-Mission einbringt. Trotzdem führen die Beiträge nicht dazu, dass die UN-Mission insgesamt eine vernünftige Erfolgsaussicht hat. Daher stellt sich die Frage, ob Deutschland nicht mehr tun könnte, wie z. B. die eingesetzten Kräfte um gut ausgebildete und ausgerüstete Infanteristen zur Unterstützung der anderen Nationen zu erweitern und sich parallel dazu stärker als bisher an der Ausbildung der UN-Soldatinnen und Soldaten anderer Nationen zu beteiligen, wie dies z. B. vom Danish Institute for International Studies gefordert wird.7 Die Alternative, ein Rückzug Deutschlands aus der UN-Mission, wäre theoretisch zwar möglich, würde aber den oben besprochenen Gründen und dem im Koalitionsvertrag der großen Koalition vereinbarten stärkeren Engagement in UN-Missionen widersprechen.
Die Bedeutung des zivilen Engagements
Für eine vernünftige Erfolgsaussicht des Bundeswehreinsatzes reicht eine weitere Ausweitung des militärischen Engagements alleine nicht aus, kann sie doch maximal die Grundvoraussetzung für Frieden schaffen. Vielmehr wäre eine Ergänzung um eine starke zivile Komponente notwendig, was als Lehre aus dem Afghanistaneinsatz u. a. auch vom ehemaligen Chef der „Military Advisory Unit“ der UN-Mission in Afghanistan Brigadegeneral Brinkmann kürzlich bei einem Vortrag in Bonn gefordert wurde.8 Die in der Regierungsbegründung beschriebenen Maßnahmen vom Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wie z. B. die Förderung des malischen Ministeriums für Versöhnung und die Unterstützung beim Aufbau föderaler Strukturen, sind wichtige Schritte in diese Richtung. Auch die Tatsache, dass das Bundeswehrkontingent eine Einheit für zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) beinhaltet, ist positiv zu bewerten. Doch gemäß der Regierungsbegründung beträgt der Gesamtumfang der humanitären Hilfe für Mali und die Nachbarländer nur 26,5 Mio Euro, die Beteiligung an MINUSMA kostet dagegen ca. 163 Mio Euro. Die Diskrepanz zwischen militärischem und zivilem Engagement ist also erheblich und wirft auch hier die Frage auf, ob Deutschland in Zeiten des Haushaltsüberschusses nicht mehr leisten könnte.
Strategie und Sinn
Natürlich kann Deutschland durch militärisches und ziviles Engagement die vielfältigen Probleme der Welt oder Malis nicht allein lösen. Doch wenn man das Kriterium der vernünftigen Erfolgsaussichten ernst nimmt, kommt man nicht umhin, die Ausweitung des deutschen Engagements als Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Damit einhergehen sollte aber auch die Entwicklung einer mindestens mittelfristigen Strategie für das deutsche Engagement in Mali und der Region, die dann auch bei der Begründung thematisiert und diskutiert werden müsste. Eine solche Strategie könnte auch den eingesetzten Soldatinnen und Soldaten den Sinn ihres gefährlichen Auftrags aufzeigen, den zumindest einige derzeit nicht erkennen können, wie ein Bericht im Magazin .loyal zeigt.9 Und eine öffentliche Diskussion über diese Strategie ist nicht nur eine demokratische Pflichtübung, sondern könnte auch den notwendigen Rückhalt für einen solchen Bundeswehreinsatz in der Bevölkerung fördern, der von vielen Soldatinnen und Soldaten vermisst wird.
- Vgl. Wiegold, Thomas (2015): Bundeswehr prüft Einsatz im Norden Malis, http://augengeradeaus.net/ 2015/08/bundeswehr-prueft-einsatz-im-norden-malis/ (abgerufen am 22.01.2017). ↩
- Für einen Überblick zur Entstehung und Entwicklung von Humanitären Interventionen vgl. Klose, Fabian (Hg.) (2016): The emergence of humanitarian intervention. Ideas and practice from the nineteenth century to the present, Cambridge/New York. ↩
- Vgl. Egleder, Julia (2017): Mission Impossible?, in: Loyal: Magazin für Sicherheitspolitik, Nr. 1, 8–21, hier 21. ↩
- Vgl. Danish Institute for International Studies (Hg.) (2017): African Peacekeepers in Mali (DIIS Report, 2), 17. ↩
- Vgl. Danish Institute for International Studies (Hg.) (2016): African soldiers are in the firing line in Mali. Inequality in MINUSMA #1, Kopenhagen (DIIS Policy Brief, December); Egleder (2017): 15. ↩
- Vgl. UN Sicherheitsrat (2016): Report of the Secretary General on the Situation in Mali, S/2016/1137 vom 30.12.2016. ↩
- Vgl. Danish Institute for International Studies (Hg.) (2017): 62, 76. ↩
- Beim dem Vortrag von Brigadegeneral Kay Brinkmann, stellv. Amtschef des Streitkräfteamtes, „Im Dienst der UN als Leiter der Unterstützungsmission in Afghanistan (UNAMA)“ am 11.01.2017 im Bundespresseamt Bonn, veranstaltet durch die Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V., war der Autor persönlich anwesend. ↩
- Vgl. Egleder (2017): 21. ↩
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