Das Internet ist allgegenwärtig - so allgegenwärtig, dass es inzwischen in gewissen Kreisen en vogue ist, sich ab und an komplett vom Internet abzukapseln. Passend zur vorösterlichen Zeit könnte man von Internetfasten sprechen.1 Aber was passiert, wenn das Internet einfach komplett abgestellt wird, für alle? Was für uns primär eine akademische Fragestellung ist, ist in Kamerun, Indien, Pakistan und vielen anderen Ländern Realität. Diese Beispiele verdeutlichen nicht nur wie Internetabschaltung ein Instrument sozialer und politischer Kontrolle sind, sie zeigen auch ihre dramatischen Auswirkungen. Das Thema sollte uns auch hier interessieren. Denn erstens wurde auch schon in Deutschland Internetabschaltung als ein mögliches Werkzeug des Staates diskutiert, gleiches gilt für andere westliche Nationen wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien oder Polen, wo es Teil einer neuen Anti-Terror-Gesetzgebung ist. Zweitens steht der Westen mit dem von ihm propagierten Bild eines freien Internets normativ in einer gewissen Bringschuld. Internetabschaltungen sind damit, ebenso wie mit internationalem Recht, schwer zu vereinbaren. Bleibt man diesbezüglich zu lange still, kann dies die Glaubwürdigkeit gefährden.
Internetabschaltungen verdeutlichen, dass Zensur nicht nur über die Kontrolle von Inhalten erfolgen kann, sondern auch über den Zugang dazu. Um die Effekte von Internetabschaltungen zu verstehen, hilft es, auf Staaten wie Kamerun, Indien oder Pakistan zu schauen.
In Pakistan sind die Abschaltungen von unterschiedlicher Reichweite und meist kurzer Dauer. Sie betreffen Städte oder Regionen, manchmal sogar nur Viertel einer Stadt, in denen Proteste stattfinden, Paraden abgehalten werden, hohe Politiker zu Besuch sind, die Ort eines Terroranschlags waren oder wo große Zeremonien religiöser Hochfeste gefeiert werden. Ihre Dauer ist meist auf einen oder zwei Tage beschränkt, allerdings gibt es auch Fälle, in denen die Abschaltung länger anhielt.2
Die Abschaltungen umfassen im Allgemeinen das verkabelte wie das kabellose Internet, also auch Mobilfunk. Ebenso sind SMS-Dienste betroffen. Eine Umfrage in der Bevölkerung im März 2015 verdeutlicht die negativen Auswirkungen auf die Bevölkerung: Oftmals setzt Verwirrung ein, ebenso Spekulationen über die Gründe der Abschaltungen und Dauer. Da von Seiten der Behörden keine Ankündigung oder Begründung erfolgt, tappen die Bewohner im Dunkeln. Einige Betroffene fühlen sich in die Steinzeit zurückversetzt.3 Ebenso führt man Frustration, Wut, Langeweile und ein Gefühl der Isolation an. Die Unmöglichkeit, Freunde und Angehörige zu kontaktieren, ist für die Betroffenen eine große Quelle von Angst: Gerade im Fall von Terroranschlägen ist es ein nachvollziehbares Bedürfnis, die Sicherheit von einem nahestehenden Menschen überprüfen zu wollen. Dies ist durch die Abschaltung aber nicht möglich. Sicherheitsbehörden und medizinische Notfalldienste sind ebenso betroffen. Da die Mobilfunknetze abgeschaltet wurden, ist es vielen Menschen nicht mehr so einfach möglich, die Polizei oder einen Krankenwagen zu rufen. Ärzten fehlt ohne das Internet nicht nur ein wichtiges Mittel zur Koordination, gerade in Katastrophenfällen, sondern auch eine wichtige Wissensressource. Dass der fehlende Zugriff auf das Internet ebenso negative Auswirkungen auf Unternehmen und Bildungseinrichtungen hat, sollte klar sein.4
Indien ist ein weiteres Beispiel: Kein Land verzeichnete 2016 mehr Internetabschaltungen. Diese werden mit der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt: Man möchte vor allem die Organisation von Demonstrationen und anderen Protestformen verhindern, auch wenn dies in einem demokratischen Land an sich möglich sein sollte. Auch dort zeigen sich Verunsicherung in der Bevölkerung, ebenso aber auch Probleme für Ärzte, die Patienteninformationen nicht abrufen können. Der wirtschaftliche Schaden der Abschaltungen ist ebenfalls erheblich. Einer Studie der Brookings Institution zufolge kosteten die Internetabschaltungen Indien allein vom 1. Juli 2015 bis 30. Juni 2016 fast 1 Milliarde Dollar.5
Mit Kamerun gibt es einen aktuellen, besonders drastischen Fall. Dort ist in der einzigen englischsprachigen Region des Landes seit Mitte Januar 2017 das Internet abgeschaltet. Dies betrifft sowohl das Mobilfunknetz als auch verkabelte Infrastruktur. Die Abschaltung geht auf Unruhen in der Provinz zurück, die sich aus dem Protest von Lehrern und Anwälten gegen den zunehmenden Einfluss der französischsprachigen Regierung speisen. Die englischsprachige Minderheit Kameruns fühlt sich seit Langem von der französischsprachigen Mehrheit marginalisiert und dies äußerte sich immer wieder in Spannungen. Die Unruhen seit Dezember 2016 zogen sogar Tote nach sich.
Die Auswirkungen der Internetabschaltung sind auch hier mannigfaltig und weitreichend. Die Wirtschaft in der Region leidet und vor allem Firmen, die vom Internet abhängig sind, mussten den Betrieb gänzlich einstellen. Ebenso wird das Geld knapp, weil die Banken nicht mehr ausreichend funktionieren. Im Ausland arbeitende Kameruner können nicht länger Geld an ihre Angehörigen in der Region schicken, da Dienste wie Western Union ebenfalls vom Internet abhängig sind. Schließlich wirkt die Abschaltung des Internets wie ein Zensurvorhang, der den Fluss von Nachrichten aus der Region in ein kleines Rinnsal verwandelt hat. Als Resultat gibt es inzwischen sogar Internetflüchtlinge, die in andere Regionen Kameruns oder benachbarte Länder fliehen, nur um wieder mit der Welt kommunizieren können. Im Gegensatz zu den meist kürzeren Sperren in anderen Ländern hält die Situation in Kamerun nun schon seit Monaten an. Die aktuellen Entwicklungen der Lage lassen sich leicht über Twitter unter #bringbackourinternet verfolgen.
All dies zeigt nicht nur, dass Internetabschaltungen inzwischen ein erhebliches politisches Problem sind, es demonstriert auch die Abhängigkeit vom Internet und sollte uns vergegenwärtigen, dass dieses Politikinstrument schädlich ist und weltweit geächtet werden sollte. Der Zugang zum Internet ist inzwischen ein Menschenrecht.6 Das Internet für ganze Teile der Öffentlichkeit abzuschalten ist daher auch aus Sicherheitsgründen nicht rechtfertigbar, wie auch bereits der UN-Sonderberichterstatter zur Meinungsfreiheit sowie relevante Vertreter von OECD, der Organisation Amerikanischer Staaten sowie der Afrikanischen Kommission für Menschenrechte in einer gemeinsamen Erklärung betont haben. Es liegt daher gerade auch bei den Vertretern westlicher Ländern, die sich den Schutz der Menschenrechte auf die Fahne geschrieben haben, sich gegen Internetabschaltungen auszusprechen.
Letztlich aber muss Internetpolitik - und dies beinhaltet gerade auch die Themen von Zensur und Zugang - global auf die Tagesordnung gesetzt werden. Internetpolitik muss endlich den Mantel des Nischenthemas für Turbonerds abstreifen, denn sie betrifft uns alle. Direkt oder indirekt nutzen und profitieren wir jeden Tag von der Kommunikationsinfrastruktur, die das Internet ermöglicht. Wenn eine von der breiten Bevölkerung ignorierte Internetpolitik Abschaltungen als valides Mittel etabliert hat, ist es jedoch bereits zu spät. So wie Straßensperren als Unterdrückungs- und Kontrollinstrument eingesetzt werden können, um den Zugang in oder das Verlassen von gewisser Räume oder Regionen im Griff zu haben, so können Internetabschaltungen eingesetzt werden, um den Fluss von Informationen, Geldern und Unterstützung in Regionen zu unterbinden. Dies gilt es immer wieder zu betonen, denn ein Internetzugang sollte nicht als Privileg gesehen werden, sondern als globales Recht, dass eine globale Politik verdient hat.
- Aus Neugier habe ich den Begriff direkt gesucht. Natürlich ist er bereits etabliert und man diskutiert die Vor- und Nachteile. ↩
- Vgl.: IHRB, CIHR and Bytes for All, 2015: Security v Access: The Impact of Mobile Network Shutdowns, Case Study number 3, September 2015, Annex A. ↩
- Vgl.: IHRB, CIHR and Bytes for All, 2015: Security v Access: The Impact of Mobile Network Shutdowns, Case Study number 3, September 2015, 7. ↩
- Vgl.: IHRB, CIHR and Bytes for All, 2015: Security v Access: The Impact of Mobile Network Shutdowns, Case Study number 3, September 2015, 7. ↩
- West, Darrel M., 2016: Internet shutdowns cost countries $2.4 billion last year, The Brookings Institution: Washington DC, 2. ↩
- Vgl. la Rue, Frank., 2012: Report of the Special Rapporteur on the Promotion and Protection of the Right to Freedom of Opinion and Expression, Human Rights Council, A/HRC/23/40. ↩
Vielen Dank für den Artikel. Trifft voll zu und ist erstens sehr ausführlich und zweitens sehr gut.
Ich finde Security generell sehr wichtig. Nicht nur am PC und im Netz, sondern auch sonst, im öffentlichen Leben. Und dass ich mit der Meinung Recht habe, zeigt der letzt Anschlag in Manchester.