von Behnam Said
Das Titelbild von „Inside Islam“ zeigt den Autor Constantin Schreiber präsent im Vordergrund stehend, im Hintergrund ragen zwei Minarette in den bedrohlich wirkenden, wolkenverhangenen Himmel. Das Bild stellt Schreiber – vielsagend in schwarz-weiß gekleidet - in den Mittelpunkt des Geschehens und erweckt Unbehagen und Misstrauen gegenüber Moscheen. Diese Grundstimmung fasst die Hauptbotschaft des Buches zusammen.
13 Moscheen – acht davon in Berlin - hat Schreiber nach eigener Aussage „willkürlich“ (S. 37) besucht und deren Freitagspredigten übersetzen lassen – ob die zugrundliegenden Aufnahmen, die immerhin in Vereinsräumen mitgeschnitten wurden, mit Einverständnis der Betroffenen erfolgt sind, bleibt Schreibers Geheimnis.
Vom Gesamttext des Buches, bestehend aus Einleitung, Hauptteil und Resümee, hat Schreiber selbst geschätzte 30-40% verfasst. Die verbliebenen 60-70% sind in Auftrag gegebene Übersetzungen der berücksichtigten Freitagspredigten sowie Auszüge aus den Kommentierungen von Experten.
In der Einleitung versucht Schreiber mit Hilfe des Freiburger Islamwissenschaftlers Abdel-Hakim Ourghi, der aufgrund tendenziöser Aussagen umstritten ist, Antworten auf grundlegende Fragen, wie „Was macht eine Moschee zur Moschee?“ zu finden - ein Versuch, der hätte lehrreich ausfallen können, letztlich aber über den Charakter eines Schulreferats nicht hinauskommt. So fehlen historische Hintergrundinformationen, religionswissenschaftliche Einordnung des sakralen Raums sowie Erklärung des Sozialraums Moschee, insbesondere für die Diaspora-Gemeinschaft. Dabei hätte mehr als ausreichende Literatur zu diesen Themen zur Verfügung gestanden, wodurch Schreiber sicher Antworten auf seine Fragen gefunden hätte, ohne auf einen Experten zurückgreifen zu müssen, der bereits in der Einleitung durch pauschalisierende und nicht belegbare Unterstellungen Stimmung macht (in arabischen Moscheen würden „häufig Sachen gesagt wie ‚Gott möge Israel vernichten’ oder ‚Gott möge uns im Kampf gegen Christen und Juden unterstützen’) (S. 21) und sich spätestens mit inhaltlich grundlegend falschen Analyse zu einem Märtyrer-Comic der DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.) jeglicher Glaubwürdigkeit entledigt (S. 157; weiter dazu s.u.).
Im Verlauf der Einleitung verliert Schreiber sich in dem Versuch, Antworten auf seine Frage „Wie viele Moscheen und Muslime gibt es in Deutschland?“ zu finden. Es folgt ein wenig durchdachtes Plädoyer für staatliche Register muslimischer Gebetsräume. Verfassungsrechtliche und ethische Probleme dieser Forderung sowie Fragen zu Kosten-Nutzen und Durchführbarkeit der Maßnahme klammert Schreiber aus. Stattdessen versucht der Autor den Verfassungsschutz als unprofessionell und naiv im Umgang mit „Moscheen“ wirken zu lassen. Hat der deutsche Inlandsnachrichtendienst eine Übersicht aller Moscheen in Deutschland, „um dann rasch erkennen zu können, dass dort verfassungsfeindliche Inhalte gepredigt werden?“, fragt Schreiber, um dann in durchsichtiger Dramaturgie vom Bundesamt zu erfahren, dass dies nicht der Fall sei (S. 33). Der Versuch der Skandalisierung der Arbeit des Verfassungsschutzes wirkt krampfhaft, berechnend und um jeden Preis herbeigeführt (S. 34).
Schreiber offenbart hier nicht nur fehlendes Wissen um nachrichtendienstliche Methodik und Aufgabenstellung sondern auch ein durchaus problematisches Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und dem Prinzip des Schutzes der Bürger vor dem Staat.
Im Hauptteil des Buches irritiert zunächst die Komposition: Jeder Freitagspredigt ist eine Auswahl politischer und sportlicher Ereignisse vorangestellt, die in der betreffenden Woche Nachrichtenwert hatten. Die Zusammensetzung wirkt dabei oft zusammenhanglos, etwa die Meldung über die erneute Kandidatur Uli Hoeneß als Präsident des FC Bayern (S. 119). Nach diesem Potpourri folgt dann die jeweilige Predigt im Wortlaut über mehrere Seiten, der sich eine kurz ausfallende „Diskussion“ anschließt, in der Schreiber seine subjektiven Wahrnehmungen und Gefühle sowie einige Auszüge aus Expertengesprächen darstellt, die oftmals ebenso wenig fundiert ausfallen, wie Schreibers eigene Beiträge. Passt Schreiber eine Meinung nicht, etwa von der Leipziger Orientalistin Verena Klemm, die als einzige Expertin wirklich um den Inhalt der Predigt bemüht scheint, so weist er ausdrücklich darauf hin. Zufrieden scheint Schreiber hingegen immer dann, wenn sein Gesprächspartner etwas besonders skandalös Radikales in den Ansprachen gefunden haben will, was häufig bei der Frankfurter Ethnologin Susanne Schröter und immer bei Abdel-Hakim Ourghi der Fall ist.
Genau hier liegt ein Problem des Buches: Schreiber will den Skandal um jeden Preis und schreibt ihn auch da herbei, wo er eigentlich nicht zu finden ist. Etwa wenn in einer Predigt über Almosensteuer im Islam nicht die vom Autor selbst erkannte „Unverfänglichkeit“ thematisiert wird, sondern der „fehlende Brückenschlag nach Deutschland“ sowie Fragen nach den Geldern für den Moscheebau, wobei der Autor es schafft, die Moschee als von Saudi-Arabien finanziert und potenziell verfassungsfeindlich wirken zu lassen, indem er – wiederum unter Zuhilfenahme Ourghis – sich von der eigentlich in Rede stehenden Moschee entfernt und generelle Mutmaßungen über die Geldgeber von Moscheen trifft (S. 55-59). Dass eine der bei Schreiber selbst aufgeführten Freitagspredigten, in welcher der Imam die mangelnde Spendenbereitschaft der Gemeinde und damit einhergehende finanzielle Engpässe beklagt (S. 171-72), diesen Überlegungen widerspricht, scheint dem Autor nicht aufgefallen zu sein und ist eine von vielen Stellen des Buches, die auf eine rasche und mitunter wenig durchdachte Vorgehensweise bei der Abfassung schließen lassen.
Eine Ansprache in einer türkischen Moschee über das Verbot von Selbstmord im Islam – ein Thema, das man entweder neutral oder aber auch als Gegenrede zu Selbstmordattentaten hätte auffassen können - wird mit Hilfe Ourghis in einen Zusammenhang mit dem so genannten „Islamischen Staat“ sowie der angeblichen Verherrlichung von „Selbstmordanschlägen“ in einem türkischen Schulbuch gebracht, wobei gerade diese Anspielung auf ein Comic der DITIB (Islamverband in Deutschland mit Verzahnung mit der türkischen Religionsbehörde) eine enorme Fehlleistung Ourghis ist, da es in der betreffenden Zeichnung mitnichten um Selbstmordattentate ging (S. 157). Dem Imam der Moschee wird anschließend noch ein mögliches „Täuschungsmanöver“ unterstellt. Dies ist der Tenor des Buches: Dort wo nichts zu finden war, wird vermutet, unterstellt und verdreht, bis das Erlebte in die Weltsicht des Autors oder in die seiner Zielgruppe passt.
Neben der tendenziösen und voreingenommenen Vorgehensweise des Autors gibt es, wie bereits erwähnt, auch eine ganze Reihe inhaltlicher Fehler. Teilweise betreffen diese die „Interpretationen“ Schreibers oder seiner Experten, teilweise scheinen aber auch einige Übersetzungen im Buch nicht exakt zu sein. In einigen Berichterstattungen über das Buch wurde bereits ausführlich auf die vermutlich falsche und folgenschwere Übersetzung von „Yezid“ als Jeside anstatt als Yazid, der frühe Umayyaden-Kalif, hingewiesen,1 wodurch Schreiber eine Verurteilung der jesidischen Volksgruppe durch einen Imam vermutete. Aber auch in der Predigt der Yunus-Emre-Moschee in Berlin (S. 104-115) nimmt ein Übersetzungsfehler eine prominente Stellung ein: Das zentrale Thema der Predigt sind die Eigenschaften der so genannten „Heuchler“ (munafiq pl. munafiqun), die sich nach außen als Muslime präsentierten, innerlich aber ihrem alten Glauben anhingen, und die im Koran und den islamischen Primärquellen eine zentrale Rolle einnehmen. In der bei Schreiber zu lesenden Übersetzung wird jedoch konsequent von „Hetzern“ statt von „Heuchlern“ gesprochen, was jedem Leser mit nur etwas Kenntnis des Islam sofort auffallen muss und die Frage aufwirft, wie so ein offensichtlicher und grober Fehler, der sich über mehrere Seiten fortsetzt, das inhaltliche Lektorat hat überstehen können.
Fazit
Schreiber offenbart in seinem Buch antiquierte Vorstellungen von Rollenbildern und ethnischer Zusammensetzung Deutschlands, die sich vor allem aus Klischees speisen. Frauen trinken „in einer Shoppingpause bei Starbucks Kaffee“ (S. 175), „Schwarzafrikaner“ - ein Wort, das Schreiber gerne benutzt, um schwarze Menschen zu beschreiben, und das unweigerlich an Polizeiberichte denken lässt - wirken auf ihn „arm“ und können aus Schreibers Sicht am ehesten Flüchtlinge sein (S 120). „Deutsch“ hingegen sind in der Vorstellungswelt Constantin Schreibers lediglich Menschen mit einem hellhäutigen und blonden Erscheinungsbild (S. 121 und S. 144).
Der wichtigste Ausgangspunkt für viele Urteile Schreibers scheint dessen individuelles, ästhetisches Empfinden zu sein. Natürlich erwartet man von einem Autor, dass er Stellung bezieht und uns an seiner Gedankenwelt teilhaben lässt. Aber spielt es wirklich eine Rolle, ob das Innere einer Moschee auf Schreiber „überladen“ oder „altmodisch-orientalisch“ wirkt (S. 95), ob sein Gesprächspartner „dick“ (S. 120), „untersetzt“ (S. 140) oder „massig“ (S. 141) ist? Ebenso wenig geistreich ist Schreibers Beitrag zur Namensgebung einer Moschee, die sich „Hagia Sophia“ nennt, was auf den Autor „wie ein politisches Statement [wirkt])“ (S. 181). Diese scheinbar willkürlich gestreuten Banalitäten ziehen sich durch das Buch, was zu der Schlussfolgerung führt, dass Schreiber seine Distanz zu den von ihm besuchten Moscheen ausdrücken und diese bewusst fremd erscheinen lassen möchte.
Eine regelrechte Obsession entwickelt Schreiber hinsichtlich der Deutschkenntnisse seiner Gesprächspartner, bei denen er bei jeder sich bietenden Gelegenheit mangelnde Deutschkenntnisse attestiert. Die Szenarien rund um die Moscheen werden bewusst düster und mit der Sprache, die man sonst in Kriminalromanen findet, beschrieben: Lichter „flackern“ im „klapprigen Fahrstuhl“ (S. 61), Obdachlose liegen „blutüberströmt“ im Regen auf dem Gehweg (S. 144), rote Ferraris werden von der Polizei ausgebremst und Polizisten zielen mit der Dienstwaffe auf den Fahrer (S. 151).
Bringt das Buch nun Erkenntnisse oder gar Zugang zu besonders brisanten Informationen? Dies ist leider nicht der Fall. Der Zugang zu Moscheen ist unproblematisch, wofür Schreiber selbst den Beweis führt. Freitagspredigten werden von vielen Gemeinden mittlerweile als Text oder Video ins Netz gestellt. Auch aus diesem Grund ist der Titel „Inside Islam“ irreführend. An dem Titel ließe sich zudem hinterfragen, weshalb sich Schreiber ausgerechnet für diesen entschied, weckt er doch unweigerlich Assoziationen mit dem Erfolgsbuch „Inside IS“ von Jürgen Todenhöfer, der – bei aller Kritik – tatsächlich ein Risiko auf sich nahm und Informationen – deren Gehalt man kontrovers diskutieren darf – aus einem unzugänglichen Gebiet recherchierte. Vor allem merkt der sachkundige Leser recht schnell, dass „Inside Islam“ keine wirklichen Einsichten in das komplexe muslimische Leben in Deutschland gibt und der Autor auch nicht in der Lage zu sein scheint, Islam in Deutschland zu verstehen und zu kontextualisieren.
Die SZ lobte Schreiber bereits als „Integrationsminister“ der deutschen Journalisten, doch war dies wohl zu viel des Lobes. Schreiber ist nicht der „kritische Brückenbauer“, als der er sich selbst präsentiert. Stattdessen werden bestehende Gräben vertieft, nicht nur durch das Klima des Misstrauens, das in dem Buch vorherrscht, sondern auch durch eine konsequent durchgehaltene trennende Sprache im Bezug auf Deutsche (Wir) und Muslime (die Anderen). Von muslimischen Deutschen scheint Schreiber noch nichts gehört zu haben.
„Inside Islam“ schließt insofern an das erste Buch von Schreiber („Ausverkauf Deutschland“, 2010) an, als beide Bücher mittels zur Schau gestellter Pseudo-Sachlichkeit Ängste, die in Teilen der Bevölkerung vorhanden sind, ansprechen und mit diesen spielen. Es fällt daher schwer, Schreiber die Rolle des unvoreingenommenen, lediglich der Neutralität verpflichteten Journalisten, der ergebnisoffen an die Recherche geht, abzunehmen. Zu tendenziös, zu einseitig, zu kalkuliert hinsichtlich der Effekte wirkt das Buch dafür. Mehr als über den Islam erfährt der Leser oft über Schreibers Gedankenwelt, die angesichts der Realitäten der Migrationsgesellschaft wie aus einem anderen Jahrzehnt gefallen scheinen. Schreiber exotisiert durch seinen Sprachgebrauch migrantisches Leben, wo es nicht nötig scheint: etwa, wenn er von muslimischen Frauen spricht, die in Gängen „verschwinden“ (S. 120), anstatt dass sie in diese hineingehen und damit Unterdrückungs- und Haremsassoziationen hervorruft oder wenn er von „orientalischen Verzierungen“ (S. 119) spricht, wobei dem Leser überlassen wird, was darunter exakt zu verstehen ist.
Dem Buch liegt ein erheblicher Übersetzungsaufwand zu Grunde. Jeder, der schon einmal eine muslimische Predigt übersetzt hat, weiß um diese Mühe. Es ist schade, dass Schreiber nicht in der Lage war, diese Arbeit der Übersetzer zur Grundlage eines analytisch klaren Buches mit einem roten Faden zu übertragen. Gerade weil es die hinlänglich bekannten und bereits oft beschriebenen Probleme in Moscheegemeinden, wie etwa die an der Lebensrealität vorbeigehenden Predigten, gibt, hätte das Buch hier einen wichtigen Impuls liefern können, wäre es nicht so offensichtlich an Skandalisierung und Sensation interessiert. Es bleibt der Eindruck, dass Schreiber sich weniger Mühe machen wollte, einen ernsthaften Debattenbeitrag zu liefern, als vielmehr sich selbst und sein Buch vermarkten zu wollen, was erfolgreich geschehen ist. Dies ist freilich sein Recht und er ist dabei auch kein Einzelfall. Eine Ausnahme ist allerdings, dass die ARD, die zugleich Arbeitgeber Schreibers ist, eine derart prominente und unkritische Rolle in der Bewerbung des Buches gespielt hat. Das Buch ist aufgrund einer geschickten Marketingstrategie und unter Zuhilfenahme der Position als Nachrichtensprecher beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen innerhalb weniger Tage auf die Bestsellerliste geschossen. Es ist bedauerlich, dass anderen, wesentlich gehaltvolleren Büchern zur gleichen Thematik, wie etwa Mathias Rohe „Der Islam in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme“, dieser Erfolg nicht beschieden war.
256 S. Softcover
Econ ISBN 978-3-430-20218-3
18 Euro
Eine gekürzte Version dieser Rezension erscheint in der Ausgabe 3-2017 des SIAK-Journals
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- Vgl. hierzu etwa die ausführliche Besprechung von Fabian Köhler: http://www.schantall-und-scharia.de/moscheereport-was-nicht-fremd-ist-wir-fremd-gemacht/ ↩
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