von Eva Herschinger
Punk-Band Frontfrau, Ex-Katholikin, Kosmetikverkäuferin – für die meisten klingt das nicht nach der Biographie einer der aktivsten Anhängerinnen des sogenannten Islamischen Staates (IS). Und doch: Bis Sally Jones jüngst bei einem US-Drohnenangriff ums Leben gekommen ist, war die Britin für mehr als vier Jahre das weibliche Gesicht des IS. Die Geschichte von Jones wirft eine grundlegende Frage auf: Wieso werden Frauen Terroristinnen? Ein Blick auf das breite Spektrum und die Geschichte des weiblichen Terrorismus zeigt, dass Terroristinnen weder neu noch selten, weder vor allem Opfer noch rein persönlich motiviert sind. Wenn an solchen Stereotypen festgehalten wird, steht dies nicht nur einer umfassenden Analyse der Gründe, sondern auch der Prävention von weiblichem Terrorismus im Wege.
Sally Jones Tod im Juni wurde erst vor Kurzem bekannt, und eine letztgültige Bestätigung steht noch aus – genauso wie die Antwort auf die Frage, ob der Drohnenangriff legal war, da angeblich auch ihr 12-jähriger Sohn getötet wurde. So wie Sally Jones möglicherweise posthum als erstes explizit weibliches Ziel eines solchen Angriffs Prominenz erlangen könnte, gibt ihre Person der regelmäßig wiederkehrenden öffentlichen wie wissenschaftlichen Diskussion über die Gründe für weiblichen Terrorismus neue Nahrung. In dieser Debatte sind Antworten auf die Frage, ob Frauen „auch“ Terroristinnen sein können, inzwischen zu einem Dickicht aus Stereotypen und Fantasien mutiert. Wird Religion – vulgo Islam – dieser Mischung hinzugefügt, begibt sich die Diskussion oft vollends auf Abwege. Von den vielen Argumenten, die dabei angeführt werden, halten sich drei mit besonderer Vehemenz: Weiblicher Terrorismus sei erstens ein neues und seltenes Phänomen; Frauen seien zweitens in der Regel Opfer; und drittens hätten Terroristinnen – im Gegensatz zu ihren männlichen Counterparts – in der Regel persönliche Motive. Die beiden ersten Argumente sind schlicht falsch und das dritte greift entschieden zu kurz. Es lohnt also, ein paar Breschen in das Dickicht zu schlagen.
Weiblicher Terrorismus: Weder neu noch selten
Erstens, ganz gleich, was manche Medienberichte besagen: Frauen sind in terroristischen Gruppierungen weder rar noch neu. Hier nur eine kurze Liste (ohne Anspruch auf Vollständigkeit), in die sich Sally Jones einreiht und die auf die Beteiligung von Frauen mit unterschiedlicher Motivlage, aller Glaubensrichtungen, vieler Kulturen und Regionen dieser Welt verweist:
- Reem Riyashi verübte im Namen der Hamas und der Al-Aqsa Märtyrer Brigade in 2004 ein Selbstmordattentat,
- Samantha Lewthwaite, die „weiße Witwe” (in Reminiszenz der schwarzen Witwen aus Tschetschenien), ist angeblich Mitglied der Al-Shabaab Miliz in Somalia, sie ist wie Jones britische Staatsbürgerin,
- Ulrike Meinhof und Gudrun Ensslin waren Teil der Führungsriege der Rote Armee Fraktion,
- Shigenobu Fusako war Mitbegründerin und gehörte zur Führung der Japanischen Rote Armee Fraktion,
- Nathalie Ménigon war Teil der Führungsriege der französischen Gruppe Action Directe.
Jenseits der Opferrolle von Terroristinnen
Zweitens wird gerne vermutet, dass Frauen nicht auf ihre eigene Initiative hin aktiv werden. Gerade im Fall des IS wird davon ausgegangen, dass sie entweder durch die Aussicht auf Heirat und als Mutter der nächsten Generation von Kämpfern gelockt werden oder sich schlicht auf etwas einlassen, das „eine Nummer zu groß“ für sie ist. Die Forschung (vor allem zu Linksterroristinnen der 1970er Jahre) hat jedoch gezeigt, dass die stereotypische Annahme, Frauen seien nur Opfer oder Beute der „echten“ Terroristen – und so auch nicht vollständig verantwortlich für ihre Taten – in dieser Simplizität nicht zutrifft. Vielmehr zeigt sich, dass Frauen ebenso eigenständig motiviert sind, sich terroristischen Gruppen anzuschließen, nicht anders als Männer. Und die kurze Übersicht von oben zeigt, dass Frauen in terroristischen Organisationen weder nur als Wasserträgerinnen dienen, sondern aktive Führungsrollen übernommen haben.
Mehr als persönliche Gründe
Das führt zum dritten Argument, dem zu den Gründen für weibliche Beteiligung. Und hier wird die Sache kompliziert. In zeitgenössischen Medienberichten, aber auch in Teilen der Forschung zu religiösem Terrorismus, wird von einem historisch und anthropologisch begründeten Unterschied zwischen Männern und Frauen ausgegangen. Irgendwie gebe es demnach spezifisch weibliche Bedingungen, die erklären, warum Frauen gewaltsam werden. Diese Bedingungen, so die häufige Annahme, seien in persönlichen Gründen zu suchen. Eine solche Erklärung hat vor allem im Fall von Musliminnen große Aufmerksamkeit erfahren. Unhinterfragt wird angenommen, dass angesichts ihrer durch den Islam begründeten Rolle andere denn persönliche Gründe auch gar nicht relevant seien könnten. Eine Frau wie Wafa Idris, die sich als eine der ersten Palästinenserinnen in die Luft sprengte, tat dies nach dieser Logik, weil sie von ihrem Mann aufgrund ihrer Unfruchtbarkeit geschieden worden war. Und Sally Jones ging demnach ebenfalls nicht aus eigenem Antrieb nach Syrien, sondern nur, weil sie ihrem zweiten Mann dorthin folgte.
Wer so denkt, macht es sich jedoch zu einfach. Die Frage nach den Gründen ist entschieden komplexer. Initial mögen Frauen aus persönlichen Gründen motiviert sein, sich Terrorgruppen anzuschließen; aber darin ihre einzige Motivation zu sehen, greift entschieden zu kurz (nicht zuletzt, weil eine Beteiligung aus persönlichen Gründen gleichermaßen für Männer gilt). Im Falle der Frauen ist das gleiche Bündel aus politischen, ökonomischen, persönlichen, gesellschaftlichen, ideologischen/religiösen usw. Gründen anzulegen, das zur Erklärung von männlicher Beteiligung und Gewaltbereitschaft wie -ausübung herangezogen werden kann. Hier sollte kein Unterschied des Geschlechts wegen gemacht werden. Studien zu linksextremistischen Terroristinnen der 1970er Jahre wie auch die von Margaret Gonzalez-Perez haben bspw. gezeigt, dass Frauen durch ideologische Gründe oder extreme Menschenrechtsverletzungen, die ihrer Gemeinschaft, Ethnie oder Gruppe zugefügt wurden (also nicht zwingend ihnen persönlich!), zu politischer Gewalt griffen. Oder um patriarchale Herrschaftsstrukturen zu verändern und die Gleichberechtigung der Geschlechter zu erzwingen. Oder für bessere Lebensbedingungen oder schlicht aus Idealismus. Und mit Blick auf die Frage der Gewalt von Musliminnen verweist ein Statement wie das von Umayma Hassan Ahmed Muhammad Hassan, Frau von Al-Qaida Chef Ayman al-Zawahiri, auf die Komplexität der Motivationslage von Terroristinnen. In einem Brief an „ihre muslimischen Schwestern“ schrieb sie:
Jihad is an individual obligation on every Muslim man and woman, but the path of combat is not easy for a woman. … However, we must support our religion in many ways … even with martyrdom-seeking acts.
Ohne allzu viel hineinzuinterpretieren, lässt sich festhalten, dass sie Frauen im Allgemeinen von einer aktiven Rolle im Dschihad à la Al-Qaida abrät. Aber sie sagt auch, dass es Situationen geben kann, in denen Frauen zu Märtyrerinnen werden, also zu Gewalt greifen müssen, um der Sache zu dienen.
Warum eine stereotype Diskussion in eine Sackgasse führt
Es ist natürlich richtig, dass es geschlechtsspezifische Gründe für terroristische Organisationen gibt, Frauen zu rekrutieren – strategische Überlegungen wie das Überraschungsmoment sind nur ein Vorteil unter mehreren. Auch, dass mit der zunehmenden Zahl von Frauen in den eigenen Reihen die Attraktivität für neue weibliche Mitglieder steigt. Davon zeugt die enorme Präsenz von Sally Jones auf Twitter, wo sie unter ständig wechselnden Accounts und mit unterschiedlichen Namen Propaganda für den IS betrieb. Interessant ist hier, wie Frauen rekrutiert werden – und wer sich Tweets von Sally Jones durchliest, den beschleicht das Gefühl, dass es hier eben gerade nicht ausschließlich darum ging, nur die persönliche Motivation neuer Rekrutinnen zu stimulieren. Nein, neben persönlichen Äußerungen über die Liebe zu ihrem Mann, den IS-Kämpfer und späteren Märtyrer, finden sich darüber hinaus sowohl gewaltverherrlichende Statements als auch ideologische Positionen der britischen Konvertitin.
Es ist wichtig, sich diese Komplexität der Motivationslage und die Tatsache, dass Frauen in terroristischen Organisationen weder selten noch neu oder reine Opfer sind, immer wieder vor Augen zu führen, um nicht in eine stereotype Argumentation zu verfallen. So würden der Diskussion wichtige Punkte entgehen. Um abschließend einige anzudeuten: Wer ergebnisoffen analysiert, welche Motive Frauen zu politischer Gewalt greifen lässt, kann den Blick weiten und fragen, wie die Frauen die geschlechtsspezifischen Hierarchien in terroristischen Gruppen verändern (können). Oder wie Gruppen die Beteiligung von Frauen – vor allem als Selbstmordattentäterinnen – ideologisch rechtfertigen. Oder inwieweit eine stereotype Diskussion Radikalisierungspotenzial produzieren kann. Oder welche Konsequenzen für die Vorbeugung und Bekämpfung des Terrorismus daraus folgen. Stereotype Repräsentationen vermeintlich typisch weiblicher Motive und Rollen in terroristischen Organisationen behindern das Verständnis und vor allem die Prävention. Schlimmer noch, sie überlassen Frauen wie Sally Jones die Diskursmacht. Das kann nicht unser Ziel sein.
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