von Andrea Jonjic
Diskreditierung, Mobbing, Kündigung: Whistleblower seien in Deutschland völlig unzureichend geschützt, so das Whistleblower Netzwerk. Und das, obwohl bereits im November 2008 beim G20-Gipfel in Seoul formuliert wurde, dass Deutschland bis Ende 2012 gesetzliche Regelungen zum Whistleblowerschutz einführen wird. Am 21. Juli 2011 folgte zusätzlich das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der im Fall der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch entschied, dass Whistleblowing durchaus von der Freiheit auf Meinungsäußerung gedeckt werden kann. Doch was ist seitdem passiert, wie steht es um den gesetzlichen Whistleblowerschutz in Deutschland?
Auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90 /Die Grünen zum gesetzlichen Whistleblowerschutz antwortete die Bundesregierung am 21. September, dass HinweisgeberInnen, "die den zuständigen Behörden echte oder vermeintliche Missstände in den Betrieben melden", durch das bestehende Arbeitsrecht bereits ausreichend geschützt seien. Der grünen Bundestagsfraktion reicht das nicht - sie haben als erste Fraktion einen Gesetzentwurf vorgelegt, um Whistleblowern arbeits- bzw. dienstrechtlichen Diskriminierungsschutz zu gewährleisten und zu regeln, unter welchen Voraussetzungen sie sich an eine außerbetriebliche Stelle oder direkt an die Öffentlichkeit wenden dürfen. Dabei setzt die Fraktion auch auf die Partizipation interessierter BürgerInnen: Auf www.gruener-gesetzentwurf.de soll Platz für Fragen, Kritik und Anregungen sein, Juristen sind eingeladen, den Gesetzentwurf in einem Forum "einer fundierten juristischen Prüfung zu unterziehen." Die grüne Initiative hat zwar das Potenzial, die Debatte um Whistleblowerschutz in Deutschland voranzutreiben, doch zeigt beispielsweise der Antrag der Länder Berlin und Hamburg bei der Sitzung des Bundesrates am 14. Oktober, dass ein gesetzlich verankerter InformantInnenschutz im BGB momentan als nicht notwendig erachtet wird - der Antrag wurde abgelehnt. Was heißt das für WhistleblowerInnen?
Bradley Manning, der wohl bekannteste Whistleblower derzeit, sitzt seit Mai 2010 in Haft. Ihn erwartet ab dem 16. Dezember eine erste, fünftägige Anhörung vor einem Militärgericht in Fort Meade. Manning, der die Videoaufnahmen zu Colleteral Murder, die Cablegate Depeschen und auch die im April 2011 veröffentlichten Informationen für den Guantanamo Leak an WikiLeaks weitergeben haben soll, droht in den USA bei Verurteilung im schlimmsten Fall lebenslange Haft oder, sollte er im Anklagepunkt "Kollaboration mit dem Feind" für schuldig befunden werden, theoretisch sogar die Todestrafe. In Deutschland hingegen wurde die "bislang anonyme Persönlichkeit", die das Videomaterial für Collateral Murder an WikiLeaks weitergegeben hat, im Juli 2011 von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler mit dem Whistleblower-Preis ausgezeichnet. In einer rechtsstaatlichen Demokratie liege es nicht im öffentlichen Interesse, schweres staatliches Unrecht, Straftaten oder gar Verbrechen von Amtsträgern zu vertuschen und vor der Öffentlichkeit und den Wahlbürgern geheim zu halten, heißt es in ihrer Begründung. Doch die politische Debatte scheint noch nicht reif zu sein. Auch Forderungen des Whistleblower-Netzerks nach einem umfassenden Schutzgesetz finden bisher kein Gehör. Die Initiative der grünen Bundestagsfraktion hat einen ersten Schritt in Richtung Whistleblowerschutz getan, doch es wird noch viele Debatten und Gesetzentwürfe brauchen, bis der von der Bundesregierung für 2012 angekündigte gesetzlich verankerte Schutz für HinweisgeberInnen realisiert wird. Bradley Manning jedenfalls hilft all das nicht - er wird sich vor Gericht in mehr als 30 Anklagepunkten verteidigen müssen. Als Verräter, nicht als Whistleblower.
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