von Andrea Jonjic
Ein Nationalbankchef tätigt private Devisentransaktionen. Er, der die Geldmenge, den Wechselkurs, maßgeblich beeinflusst, scheint sich damit des Insiderhandels strafbar zu machen. Der IT-Mitarbeiter einer Bank, der diese Informationen geleakt hat und sich danach selbst anzeigte, wird nun angeklagt, gegen das Bankgeheimnis verstoßen zu haben. Dem Nationalbankchef hingegen droht kein Verfahren - weil er nicht an der Börse handelte. Logisch? Naja.
Der Schweizer Nationalbankchef Philipp Hildebrand spekulierte privat mit Millionenbeträgen, kaufte wenige Wochen vor Festsetzung der Euro-Untergrenze von CHF 1.20 eine halbe Millionen US-Dollar bei einem Kurs von 0,7929 und verkaufte diese nach Festsetzung des neuen Frankenkurses mit einem Gewinn von 75000 Franken. Ein Nationalbankpräsident, der private Devisentransaktionen tätigt, ist nicht vertrauenswürdig: Handelt er im Sinne seines Amtes und somit der Schweiz, oder trifft er seine Entscheidungen aufgrund persönlicher Interessen? Die Weltwoche forderte gestern seinen Rücktritt, bezeichnet Hildebrand als Sicherheitsrisiko. Doch wie kam die Affäre an die Öffentlichkeit?
Ein IT-Experte der Bank Sarasin & Cie hatte Bankdaten über die Devisengeschäfte des Nationalbankchefs und seiner Frau an eine externe Person weitergegeben, und sich angezeigt. Er wirft Hildebrand vor, den Insider-Tatbestand verletzt zu haben. Doch stattdessen wird er selbst nun angeklagt - wegen Verletzung des Bankengesetzes. Er sei kein Whistleblower, sagt Jean-Pierre Méan, Präsident von Transparency International Schweiz. Denn der Hinweisgeber hätte sich an eine zuständige Instanz wenden müssen, an die Compliance-Stelle seines Arbeitgebers oder die Revisionsstelle der Nationalbank. Er gab die geleakten Informationen jedoch an einen politisch engagierten Anwalt weiter, der sie einem Schweizer Rechtspopulisten zuspielte - und verlor laut Méan damit seinen Status als zu schützender Whistleblower. Weiterhin wurde der IT-Angestellte wenige Tage nach seiner Selbstanzeige fristlos entlassen. Hildebrand dementiert währenddessen, die Transaktionen selbst getätigt zu haben, es seien Devisengeschäfte seiner Frau, von denen er erst ihm Nachhinein erfahren habe. Über die Glaubwürdigkeit dieser Aussage und die moralische Verwerflichkeit seiner Tat oder der seiner Frau wird derzeit diskutiert in der Schweiz. Die Schuld des Hinweisgebers hingegen wird kaum angezweifelt.
Doch wenn sich die Vorwürfe gegen Hildebrand als richtig herausstellen, wie steht es dann um den Whistleblowerstatus? Auch wenn der private Devisenhandel des Nationalbankchefs nach Schweizer Recht nicht illegal ist, besteht öffentliches Interesse daran, dass dem nachgegangen wird. Der Vorwurf der Bank gegen ihren ehemaligen Mitarbeiter lautet, Bankdaten zu politischen Zwecken missbraucht zu haben. Es stellt sich die Frage, wie es Schweizer Bankangestellten dann überhaupt möglich ist, Missstände anzuprangern.
Der Umgang mit Whistleblowern ist unsicher, ungeklärt - ein Whistleblowerschutzgesetz gibt es bisher weder in der Schweiz noch, wie in einem früheren Post beschrieben, in Deutschland. Da es keine rechtliche Regelung gibt, sind Angestellte auf das offene Ohr ihres Arbeitgebers angewiesen. Andernfalls bleibt nur die Presse - oder der politische Gegner, wie im Falle Hildebrand. Ob der Hinweisgeber dann Held oder Krimineller ist, scheint von vielen Faktoren abzuhängen. Leider weder von rechtlichen noch einheitlichen.