Salafismus in Deutschland – Herausforderungen für Politik und Gesellschaft

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Dies ist der erste Artikel unseres Blogfokus "Salafismus in Deutschland". Weitere Informationen gibt es hier.

von Janusz Biene und Julian Junk

„Der Salafismus“ oder „die Salafisten“ sind seit wenigen Jahren in aller Munde. Obgleich oftmals nicht klar ist, was oder wer auf diese Weise bezeichnet wird, dient das Label zunehmend als Projektionsfläche für sicherheits- und gesellschaftspolitische Ängste vor „islamistischem Terrorismus“ und der Verbreitung von anti-demokratischem und anti-emanzipatorischen Gedankengut. Begrifflich löst „Salafismus“ im öffentlichen Diskurs den zuvor gebräuchlicheren (aber etwas anders gelagerten) Terminus des „Islamismus“ ab und rückt in die Nähe von Extremismus, Gewalt und Terrorismus. Obgleich die salafistische Ideologie und Bewegung in den genannten Hinsichten als problematisch angesehen werden können, ist diese Begriffsverwendung für die Analyse und den Umgang mit dem Phänomen umstritten: Sie kann sowohl das Verständnis des Phänomens als auch die Handlungsoptionen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Akteure verengen.

Die Beiträge des Blogforums „Salafismus in Deutschland – Herausforderungen für Politik und Gesellschaft“ leuchten in den kommenden Wochen verschiedene Aspekte der salafistischen Glaubenslehre, Ideologie und Bewegung und die von ihr gestellten Herausforderungen für Politik, Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft aus und stellen Möglichkeiten des Umgangs mit ebendiesen Herausforderungen zur Diskussion. Die Artikelserie basiert auf Erkenntnissen eines vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung koordinierten und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsverbunds.

Die Rede von Salafismus als einem prinzipiell extremistischen und militanten Phänomen ist vor allem aus zweierlei Gründen problematisch:

Problem 1 – Versicherheitlichung des Betrachtungsgegenstands

Erstens wird die Debatte zunehmend versicherheitlicht. Dies übersieht nicht nur, dass die salafistische Glaubenslehre mitunter auch in politische Ideologien übersetzt wird, die in der Regel ein gewaltloses und eben seltener ein gewaltsames Handeln anleiten. Die Sicherheitsbrille lässt auch wichtige gesellschaftspolitischen Fragen zu wenig Bedeutung zukommen. Diese Feststellung soll das sicherheitspolitische Problem nicht negieren, aber die Palette an Handlungsoptionen erweitern.

In der Tat gab es in Deutschland bislang eine islamistische Gewalttat mit Todesfolge: Am 2. März 2011 erschoss Arid Uka auf dem Frankfurter Flughafen zwei US-amerikanische Soldaten, zwei weitere verletzte er schwer. Aus Sicht der Akteure in Politik, Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft bleibt die Gefahrenlage jedoch akut. Dies legen nicht zuletzt auch die Anschläge von Paris am 13. November 2015 nahe. Der Blick richtet sich beispielsweise auf Dschihadisten aus Deutschland, die sich Al-Qaida-nahen Gruppen angeschlossen haben oder für die Organisation „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien und dem Irak kämpfen und zurückkehren. Radikalisiert hat sich das Gros dieser Personen im Umfeld der deutschen Szene politischer Salafisten. Daraus lässt sich zwar nicht ableiten, dass notwendigerweise Salafismus der Treiber ihrer Radikalisierung war. Dennoch ist eine sicherheitspolitische Perspektive auf Teile der Bewegung notwendig.

Die salafistische Herausforderung betrifft aber auch viel grundlegendere Fragen unserer plural-liberalen Gesellschaft. Das von Salafisten propagierte politische Gedankengut ist beispielsweise in weiten Teilen unvereinbar mit den Werten der Aufklärung – dies bezieht sich auf Aspekte wie die demokratische Verfasstheit des Staates oder die Gleichberechtigung von Frau und Mann. Dennoch findet es Anklang bei manch Jugendlichen und Erwachsenen. Derweil nutzen antimuslimische und rechtsextremistische Akteure den salafistischen Aktivismus als Beleg für ihre verquere Behauptung einer „Islamisierung“ der Gesellschaft. Diese komplementären Entwicklungen erhöhen den Druck auf Entscheidungsträger aller politischen, administrativen wie zivilgesellschaftlichen Ebenen, deren Ursachen und Folgen adäquat und damit sowohl sicherheits- als auch gesellschaftspolitisch zu begegnen.

Problem 2 – Außer acht lassen von Heterogenität

Zweitens wird eine heterogene salafistische Bewegung in Deutschland häufig als Monolith beschrieben. Nicht nur, dass die für Salafisten aller Couleur geltenden Prinzipien der Glaubens- und Rechtslehre unterschiedlich ausgelegt werden und die Bewegung und ihre Organisationsformen sich durch Informalität und Wandelbarkeit auszeichnen. Auch eine Bereitschaft zur Legitimierung und Anwendung von politischer Gewalt zur Durchsetzung der Glaubenslehre ist nicht in allen Gruppierungen und Strömungen ausgeprägt. Als dschihadistischer Salafismus – kurz: Dschihadismus – wird beispielsweise nur eine kleine, aber sehr öffentlichkeitswirksame Minderheit der salafistischen Bewegung bezeichnet. Dabei handelt es sich um Personen, die zur Durchsetzung ihrer Ideologie Gewalt anwenden und diese als theologisch legitimiert und politisch wirksam ansehen. Das Gros der Salafisten in Deutschland lehnt ihre Militanz ab. Kurz gesagt: Salafismus und Dschihadismus sind begrifflich nicht gleichzusetzen.

Ein Grund für diese Unschärfe in der Begriffsverwendung liegt in dem Wesen der so bezeichneten Phänomene: Da die salafistische Szene in Deutschland informell und grenzüberschreitend vernetzt und weder uniform noch geschlossen ist, sind Aussagen über ideelle oder organisationale Zugehörigkeiten nur schwer zu treffen. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob Salafismus eine grenzüberschreitende religiöse Strömung im sunnitischen Islam, eine politische Ideologie oder aber eine aus Individuen, Netzwerken und Gruppen bestehende Bewegung beschreibt. Je nach wissenschaftlicher Perspektive– bspw. theologisch, politologisch oder soziologisch – werden so unterschiedlich spezifische Zugriffe auf denselben Gegenstand gewählt.

Oftmals wird unter diesen analytischen Bedingungen zu wenig betont, wie heterogen die salafistischen Organisations- und Rekrutierungsformen sind. Die Ursache hierfür ist in der Genese der Bewegung zu finden: Die salafistische Bewegung bestand in den 1990er Jahren aus kleinen, informellen und untereinander wenig koordinierten Gruppen, die sich um wenige transnational vernetzte Verkünder formierten. Je mehr Zulauf die Bewegung bekam, desto größer wurde der Koordinierungsbedarf und es entstanden lose Netzwerke mit unterschiedlich hierarchisch organisierten Knotenpunkten. Die Vielfalt an Organisationstypen zieht auch eine Vielzahl an Rekrutierungsformen nach sich: Diese beinhalten beispielsweise Missionsarbeit in der Moschee und auf der Straße und jugendtypische Ansprache im Internet.

Diese Heterogenität hat wiederum zur Folge, dass auch die staatlichen und gesellschaftlichen Antworten auf diese Herausforderungen – sei es in der Präventions- oder in der Deradikalisierungsarbeit sowie in der Arbeit der Sicherheitsbehörden – breit ansetzen müssen. Des Weiteren bedarf es der langfristig angelegten, empirischen Forschung (und der finanziellen Förderung derselben) um Salafismus als religiöse Strömung, als politische Ideologie und als aktivistische Bewegung sowie die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Übergänge zwischen Salafismus und Dschihadismus besser verstehen und mit den Herausforderungen umgehen zu können. Dies gilt ebenso für das Studium der komplementären Frage, warum sich Menschen unterschiedlichen (aber meist jugendlichen) Alters und sozio-ökonomischen Hintergrunds für salafistische Angebote interessieren und mitunter der nicht-salafistischen Gesellschaft und ihren Normen und Werten den Rücken zukehren und was die nicht-salafistische Gesellschaft mit derlei Prozessen zu tun hat.

Übersicht über die Themen der Blogserie

Die Beiträge, die in dieser Blogserie im Dezember 2015 und Januar 2016 erscheinen, beleuchten pointiert diese verschiedenen Aspekte und tragen so zum Verständnis der Breite des Phänomens „Salafismus in Deutschland“ bei. Mehr als 20 Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Sicherheitsbehörden und Medien befassen sich darin…

  • mit den ideologischen Grundlagen der Bewegung,
  • mit salafistischen Narrativen und anti-salafistischen Gegennarrativen,
  • mit dem Mangel an gesichertem, quantifizierbaren Wissen über die Größe der salafistischen Bewegung und der tatsächlichen Gefahren, die von ihr ausgehen,
  • mit den Organisations- und Rekrutierungsformen
  • mit Ursachen für Radikalisierung von Individuen und Gruppen sowie den Bedingungen erfolgreicher Präventions- und Deradikalisierungsarbeit,
  • mit den transnationalen Aspekten der Bewegung,
  • und nicht zuletzt mit den Herausforderungen für unter anderem Sicherheitsbehörden, Verwaltung, Zivilgesellschaft, Medien, Wissenschaft und Politik.

Weitere Informationen zu dem BMBF-geförderten Forschungsprojekt „Salafismus in Deutschland“, dem Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und allen Projektpartnern, finden Sie unter salafismus.hsfk.de.

Logo des Blogfokus basierend auf diesem Bild (gemeinfrei), abgeändert.

 

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