Forschung zu Islamismus verhindert keine Anschläge – Vier Gründe warum ich trotzdem weiter forsche

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Dies ist der zwölfte Artikel unseres Blogfokus "Salafismus in Deutschland". Weitere Informationen gibt es hier.

von Wolfgang Frindte

Islamistische Terroristen haben am 13. November 2015 in Paris mehrere Veranstaltungen und Vergnügungsorte angegriffen und weit mehr als einhundert Menschen getötet. Die Anschläge richteten sich, wie auch die anderer fanatischer Mörder, die Anhänger des „Islamischen Staat“ sind oder sich zu Al Qaida, Al Shabab oder Boko Haram bekennen, gegen die Wert- und Lebensvorstellungen demokratisch pluraler Gesellschaften. Auch ich fühle mich angegriffen – gerade auch in meinem Selbstverständnis als Forscher und mit dem Blick auf die Nützlichkeit meiner Forschung. Ich sehe aber vier Gründe, warum Forschung in diesem Themenfeld auch nach Paris weiterhin sinnvoll und richtig ist.

Als ich in der Nacht vom 13. zum 14. November 2015 von den Terroranschlägen in Paris erfuhr, war ich nicht nur traurig und voller Mitgefühl mit den Opfern und ihren Angehörigen; ich war eben auch deprimiert angesichts meiner offenkundigen Unfähigkeit, die aktuellen Geschehnisse wissenschaftlich erklären zu können. Manche Vertreter meiner wissenschaftlichen Zunft hatten offenbar weniger Hemmungen, der medialen Öffentlichkeit zu erläutern, was sich ereignet hatte  Die Fragen, die mich in den folgenden Tagen umtrieben, lauteten in etwa so: Welchen Nutzen bringt unsere Forschung zum Salafismus, Dschihadismus und Terrorismus? Lohnt es sich überhaupt, was wir tun?  Doch, es lohnt sich und dies zumindest aus vier Gründen:

1. Wissenschaft ist dem Pluralismus verpflichtet:

Der erste Grund des lohnenswerten wissenschaftlichen Arbeitens hängt mit meinem Wissenschaftsverständnis zusammen, das ich – noch ein Eingeständnis – auch in streitbarer Auseinandersetzung mit Paul Feyerabend, dem österreichischen Philosophen und Wissenschaftstheoretiker, und dem Franzosen Jean-Francois Lyotard erlernt habe: Ich bin ein Verfechter pluralistischer Denk-, Sprach- und Lebensformen und vielfältiger Bürgerinitiativen, die sich friedvoll darum streiten, welche Wege für Wissenschaft, Politik und Alltag gangbar sind. Und ich wehre mich entschieden gegen jegliche (gewaltlosen und gewalttätigen) Angriffe, die sich gegen diesen Pluralismus freier Bürgerinnen und Bürger richten.

2. Wissenschaft kann positive Zukunftsvisionen liefern:

Der zweite Grund hat mit meinem Gesellschaftsverständnis und meiner Weltanschauung zu tun. Die Terrorangriffe und der Dschihadismus sind Anzeichen dafür, dass wir uns wirklich fragen müssen, ob wir genügend Ideen für die Zukunft unserer Gesellschaft haben. Wer meint, eine Gesellschaft sei im Kern intakt, braucht keine Utopie. Aber ist diese deutsche Gesellschaft intakt und welche Utopien sind notwendig, wenn sie es nicht ist? Über jene Werte zu diskutieren, die bspw. in der Erklärung der Menschenrechte von 1789 proklamiert wurden (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) oder die in der UN-Menschenrechtscharta aus dem Jahre 1948 verankert sind, heißt auch, über Gesellschaftsutopien zu diskutieren. Die islamistischen, salafistischen und dschihadistischen Bewegungen sind an solchen Diskussionen ebenso wenig interessiert wie die Rechtsextremisten und Rechtspopulisten, von denen es in Deutschland auch nicht wenige gibt. Beide ziehen sich auf scheinbar gesicherte Fundamente zurück: auf die Religion, die zur umfassenden Ideologie erklärt wird oder auf den Nationalismus (im patriotischen Hemdchen). Die islamistischen Fundamentalisten sind ebenso fundamentalistisch und rückwärts gewandt wie die rechtsextremen und rechtspopulistischen Bewegungen in Deutschland (und anderswo). Als Wissenschaftler haben wir, und das ist meine feste Überzeugung, die Pflicht und das Instrumentarium, diese Angriffe auf Demokratie, Freiheit und Menschenwürde zu analysieren, aufzudecken und anzuprangern.

3. Unsere Forschungen hilft, Terror- und Gewaltrisiken abzuschätzen und zu minimieren:

Und der dritte Grund, warum sich unsere Forschung zum Salafismus, Dschihadismus und Terrorismus lohnt: Zwar lassen sich Terroranschläge wie die am 13. November 2015 in Paris, durch wissenschaftliche Bemühungen kaum vorhersagen oder verhindern. Zu groß sind die individuellen, situativen und sozialen Zufälligkeiten. Wissenschaft ist allgemeine Arbeit und Wissenschaftler sind – in der Regel – keine kriminalistisch arbeitenden Profiler. Wir sind bestrebt, Theorien (sprich: allgemein verwertbare Erkenntnisse) zu produzieren, die empirisch fundiert und prüfbar sind. Dennoch können mittels der wissenschaftlichen Erkenntnisse die besagten Zufälligkeiten und Unwägbarkeiten gewalttätiger, menschenverachtender Radikalisierungen besser abgeschätzt und in einigen Fällen einschränkt werden. Das ist auch ein wichtiger Grund für meinen Optimismus, aus dem sich der Sinn unserer und meiner Forschungen zum Dschihadismus und Terrorismus speist.

4. Prävention ist möglich und nötig:

Der vierte Grund, aber sicher nicht letzte,  ist im Besonderen mit den wissenschaftlichen Einsichten zum Dschihadismus und zum Terrorismus verknüpft. Wir wissen, dass die unterschiedlichen extremistischen Radikalisierungsprozesse (ob nun im Dschihadismus oder im Rechtsextremismus) hinsichtlich ihrer psychosozialen Dynamik Gemeinsamkeiten aufweisen. Derartige Radikalisierungsprozesse hängen u.a. zusammen mit Schwierigkeiten beim Erwerb eines Schul- und/oder Berufsabschlusses, mit Schwierigkeiten beim Aufbau tragfähiger sozialer Beziehungen zu Gleichaltrigen außerhalb der Herkunftsfamilie, mit dysfunktionalen Familiensystemen und mit Erfahrungen im kleinkriminellen Milieu. Wir wissen auch, dass der Einstieg in extremistische Milieus offenbar weniger wegen der ideologischen (religiös verbrämten) Deutungsangebote geschieht. Vielmehr bieten radikale dschihadistische Szenen, zumindest vorübergehend, soziale Unterstützung und konkrete Lebensorientierung an: Zugehörigkeit zu einer (überwiegend jugendlichen) Subkultur, ein Gefühl von Akzeptanz sowie emotionaler Rückhalt in der Gruppe stellen wichtige Antriebsfedern für das Eintauchen in die extremistischen Umfelder und gruppenkonformes Verhalten dar. Erst im Laufe der Gruppenzugehörigkeit wächst die Identifikation mit der salafistisch-dschihadistischen Ideologie. Und in Bezug auf Argumentationsweisen und die Instrumentalisierung religiöser Texte seitens der Salafisten sowie auf die Anfälligkeit bestimmter Personen für propagandistische Inhalte wissen wir noch vieles mehr. Deshalb lohnt es sich, dass unsere Forschungen zu intensivieren und die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, um praktikable und evaluierbare Präventionsprogramme entwickeln zu können.

Ich habe in meinem wissenschaftlichen Leben manche Verunsicherungen erlebt. Die Terroranschläge in Paris gehören dazu. Aber was tut man dagegen? Weiter nach der Wahrheit suchen? Paul Feyerabend, den ich schon erwähnt habe, meinte: „Diese Idee ist sehr fragwürdig, vor allem, da es ja nicht sicher ist, was unter Wahrheit verstanden wird. Wissenschaftler meinen unter ‘Wahrheit’ gewöhnlich das, was sie und ihre Kollegen gefunden haben - eine etwas enge Auffassung. Einsichtige Menschen, viele Wissenschaftler unter ihnen, haben gesehen, dass das Kriterium der Wissenschaftlichkeit nicht genügt und dass es durch ein ethisches oder soziales Kriterium ergänzt werden muss“ (Feyerabend, „Wider den Methodenzwang“. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1986, S. 211f.). Deshalb analysiere ich die Angriffe auf Demokratie, Freiheit und Menschenwürde, helfe mit, ihre Ursachen und Folgen aufzudecken und öffentlich zu machen.

FrindteProf. Dr. Wolfgang Frindte ist Leiter der Abteilung Kommunikationspsychologie am Institut für Kommunikationswissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena und leitet den Masterstudiengang „Human Communication – Kommunikationspsychologie und Management“ an der Dresden International University. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Terrorismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rechtsextremismus, Digitale Medien und Gewalt und interkulturelle Kommunikation. Er ist Autor des Buches „Der Islam und der Westen – Sozialpsychologische Aspekte einer Inszenierung“ (2013),Mitherausgeber von „Inszenierter Terrorismus – Mediale Konstruktionen und individuelle Interpretationen“ (2010) und „Rechtsextremismus und ‚Nationalsozialistischer Untergrund‘“ (2015), alle erschienen im Verlag Springer VS.
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