Von Maéva Clément
Seit einigen Jahren ist Salafismus in Deutschland in aller Munde. Ganz anders im Nachbarland Frankreich, wo sich der Begriff selbst nach mehreren Attentaten mit „salafistischen Hintergrund“ nicht recht durchgesetzt hat. Um diesem Paradox auf den Grund zu gehen, habe ich den Diskurs über Salafismus in der französischen Presse dahingehend untersucht, wie das Thema über die letzten zehn Jahre immer wieder eingeführt und diskutiert wurde. Zu diesem Zweck habe ich eine systematische, kontextuelle Suche der Stichworte „Salafismus“, „Salafist“ und „salafistisch“ in den Archiven der fünf (zahlungspflichtigen) französischen Zeitungen mit nationaler Ausbreitung im Zeitraum von 2005 bis 2015 durchgeführt.1 Auf diese Weise kann ein etwaiger Wandel des Begriffs nachvollzogen werden.
Auffallend ist, dass über den Untersuchungszeitraum hinweg die Thematisierung von Salafismus in den Tageszeitungen zwischen Banalisierung und Dramatisierung changierte. Mal gewinnt man den Eindruck, der Begriff solle nicht genau erklärt werden, um das Phänomen nicht stark zu reden bzw. Unruhe zu fördern. Mal kommt er verstärkt auf, bleibt dabei aber unterbestimmt. Eine Annäherung findet lediglich über die Thematisierung von Aspekten der Ideologie oder die Nennung von Details wie dem Kleidungsstil statt. Im Folgenden werden die wichtigsten Trends der Analyse kurz zusammengefasst und darauf aufbauend Schlussfolgerungen für einen konstruktiveren öffentlichen Diskurs über Salafismus gezogen.
Salafismus als ereignisgebundenes Problem
Der erste Trend liegt in der Diskontinuität der Verwendung des Begriffs: Zwischen 2008 und 2011 wird in den genannten Zeitungen „Salafismus“ (und seine Derivate) kaum gebraucht. Ganz anders sieht es in den Zeiträumen 2005 bis 2006 und 2012 bis 2015 aus. Zwischen 2005 und 2006 erscheinen viele Beiträge über die algerische Groupe Salafiste pour la Prédication et le Combat (GSPC) anlässlich ihrer Annäherung an Al Qaida und zunehmender Drohungen gegenüber Frankreich. Das Thema kommt zu einem geringeren Grade im Jahr 2005 anlässlich der Anschläge von London und der Unruhen in den Banlieues wieder auf. Dieser Befund lässt sich in der Weise interpretieren, dass zu dieser Zeit Salafismus meist als auswärtiges Phänomen angesehen wird. Seit dem Jahr 2012 erfährt der Begriff in der begutachteten französischen Presse eine verstärkte Verwendung. Ereignisse bzw. Entwicklungen, die dabei im Fokus stehen, sind die Attentate von Mohammed Merah im März 2012, die Auflösung der radikalen Gruppe „Forsane Alizza” („die Ritter des Stolzes“) durch französische Sicherheitsbehörden im gleichen Monat, und der Aufstieg der Organisation „Islamischer Staat“. In dieser Zeit wird Salafismus weniger als ein externes, sondern zunehmend auch als ein (teilweise) französisches Phänomen wahrgenommen. Des Weiteren fällt auf, dass Salafismus nur anlässlich spezifischer Ereignisse zum Thema und somit als außergewöhnliches Phänomen repräsentiert wird.
Salafismus gleich Islamismus gleich radikaler Islam?
Der zweite und über den gesamten Untersuchungszeitraum konstante Trend liegt in der unscharfen Abgrenzung des Begriffs „Salafismus“ von anderen Konzepten. „Islamismus“, „radikaler Islam“ und "Salafismus" werden meist synonym verwendet, auch wenn ExpertInnen aus Wissenschaft und Praxis wiederholt zur Erklärung und Abgrenzung der Phänomene interviewt werden. Anstatt zu unterscheiden werden sie häufig abwechselnd verwendet, um die gleichen Ereignisse und Phänomene zu beschreiben. Dabei bleibt „Islamismus“ der am meisten benutzte Begriff: Zwischen 2005 und 2015 werden die Begriffe „Islamismus-Islamist-Islamistisch“ im Durchschnitt fünfmal häufiger als „Salafismus-Salafist-salafistisch“ verwendet. Interessanterweise verwenden konservative und „mitte-rechts“ Zeitungen den Begriff „Salafismus“ tendenziell mehr – wenn auch nicht konsistenter – als andere Zeitungen.
Wechsel zwischen Dramatisierung und unvollständiger Differenzierung
Der dritte Trend hat mit der Stringenz in der Verwendung der Begriffe „Salafismus-Salafist-salafistisch“ zu tun. Mit Ausnahme von Interviews mit ExpertInnen zum Thema werden sie meist ohne jegliche Definition verwendet, die den Lesenden zur Orientierung dienen könnte. Oft könnte man den Eindruck gewinnen, es gäbe lediglich eine Art „Salafist“ zu sein. Die in Wissenschaft und Präventions- und Deradikalisierungsarbeit gebräuchliche Dreiteilung zwischen quietistischen, politischen und dschihadistischen Salafisten wird ab ungefähr 2012 in der Presse übernommen, wobei die meisten Artikel sich lediglich mit dem Unterschied zwischen Quietisten und Dschihadisten befassen. Während die gemeinsamen Merkmale der unterschiedlichen Salafismen mitunter unter den Tisch fallen, wird allein der fundamentalistische Charakter des Phänomens oftmals in dramatischen, pauschalisierenden Ausdrücken vermittelt, wie etwa in den Ausdrücken „salafistischer Totalitarismus“, „Ideologie des Hasses“ (Innenminister Manuel Valls) oder in der Rede von einer „salafistischen Welle in Frankreich“2. Eine solche verallgemeinernde Salafismus-Wahrnehmung trägt wiederum dazu bei, die Vorstellung zu reproduzieren, dass die Grundsätze der salafistischen Glaubenslehre in sich potentiell Gewalt tragen. Dass hingegen Konflikte und Rivalitäten zwischen den salafistischen Strömungen (auch über die Gewaltfrage) bestehen, wird wenig berichtet.
Kein Salafismus jenseits des sicherheitspolitischen Diskurses?
Der vierte Trend liegt in der steten Verknüpfung des Themas Salafismus mit breiteren sicherheitspolitischen Diskursen. Über den gesamten Untersuchungszeitraum ist das Wort „Salafismus“ kaum innerhalb anderer (beispielsweise sozialpolitischen oder integrationspolitischen) Diskurssphären zu finden. Wie bereits in der Beschreibung des ersten Trends angedeutet, wurde 2005 und 2006 sowie ab 2012 über Salafismus im Zusammenhang mit Gewalttaten und militanten Gruppen berichtet, das mediale Interesse fokussiert also Salafismus als sicherheitspolitisches Problem. Seit 2012 steht immer wieder die Frage im Vordergrund, ob Salafismus das „Vorzimmer der Radikalisierung“3 oder sogar „des“ Dschihadismus sei. Radikalisierung wird in diesen Zusammenhängen als notwendig zu Terrorismus führend verstanden. Diese Vorstellung wird besonders in konservativen Zeitungen verbreitet. Salafismus wird manchmal nicht nur als Teil eines Kontinuums (Salafismus-Radikalisierung-Terrorismus) angesehen, die Artikel fokussieren meist nur auf Gewaltbekämpfung und behandeln kaum die Frage von Formen der Prävention und Deradikalisierung, geschweige denn von Modalitäten des Zusammenlebens. Erst seit Anfang 2015 widmen sich Zeitungsartikel intensiver Fragen der Prävention und Deradikalisierung.
Nach den Anschlägen von Paris im November 2015 haben sich diese Trends nicht wesentlich geändert. Zwar werden seitdem in den meisten untersuchten Zeitungsbeiträgen harte sicherheitspolitische Formen der Bekämpfung dschihadistisch-salafistischer Bewegungen stark kritisiert, z.B. die vor kurzem von der Regierung angekündigte Schließung salafistisch-naher Kultstätten (Stand: Januar 2016). Jedoch fehlt es an einer Thematisierung nicht-repressiver Lösungen zu Maßnahmen der Prävention und Deradikalisierung. Vor allem mangelt es an einem konsistenten Aufruf zu einer festen, differenzierten Verankerung des Themas in Diskursfeldern abseits der Sicherheitspolitik.
Die abwechselnde Dramatisierung und Banalisierung des Themas in dem Untersuchungszeitraum zwischen 2005 und 2015 zeigt sich zum einen dadurch, dass die Begrifflichkeit unterbestimmt ist und das Thema nur aufgegriffen wird, wenn es zu (vor allem: internationalen) Ereignissen gekommen ist. Zum anderen ist die öffentliche Debatte kaum über die Fragen des sicherheitspolitischen Umgangs hinausgekommen, auch da das Phänomen noch weitgehend als vom Ausland importiert angesehen wird. Die Folge ist, dass der Fokus fast ausschließlich auf dem Thema Dschihadismus verbleibt. Dies ist zwar zweifellos schockierend-faszinierend, verhindert aber das Phänomen Salafismus differenziert zu betrachten, sich mit den anderen Erscheinungsformen auseinanderzusetzen und Salafismus auch aus anderen Warten (sozialpolitisch, integrationspolitisch, wertdemokratisch, etc.) zu betrachten.
Um dieses Manko zu beheben, lassen sich auf Grundlage der Analyse mindestens drei Wege identifizieren, den medialen Diskurs über Salafismus konstruktiver zu gestalten. Diese lassen sich freilich auch auf Politik und Wissenschaft anwenden. Des Weiteren dürften diese Schlussfolgerungen für den Diskurs über Salafismus in Deutschland vom Nutzen sein. Erstens bedarf es der „Entzauberung“ von Salafismus, indem wir das Phänomen nüchtern betrachten und mit anderen fundamentalistischen oder extremistischen Phänomenen systematisch vergleichen. Zweitens sollte Salafismus weniger als Import von außen begriffen und mehr auf seine lokale Verankerung in Frankreich fokussiert werden, dabei immer mit Blick auf größeren sozial-politischen Dynamiken. Drittens sollten über die Ideologie hinaus, andere Faktoren stärker in den Blick genommen werden, wie Mobilisierung über die Ansprache kollektiver Emotionen, Rekrutierungsformen oder die Einflüsse internationaler Ereignisse auf salafistische Narrative auf lokaler Ebene. So könnte eine differenzierte Wahrnehmung von und eine konstruktivere Debatte über das Phänomen „Salafismus“ vermittelt werden.
- Als Quellen dienten Le Figaro, Le Parisien-Aujourd’hui en France, L’Équipe, Le Monde und Libération. Die Reihung folgt der Einschätzung ihrer politischen Orientierung von « konservativ » bis « links ». Die Suche nach den Begriffen „Salafismus“ und „Salafist(isch)“ wurde für den Zeitraum 01. Januar 2005 – 31. Dezember 2015 in den Datenbanken „Factiva“ und „Europress.com“ durchgeführt. Weitere Kriterien waren: „Beiträge nur auf Französisch“, „Region: Frankreich“ und „Art der Beiträge: Titel-Seite und Politik-Teil“. ↩
- Print-Ausgabe Le Figaro, 18. September 2012. ↩
- Print-Ausgabe Le Monde, 22 Februar 2005 und Le Monde, 21 Novembre 2015. ↩