von Georgios Kolliarakis
Seit langem existiert der Wunsch, Stakeholder, Endnutzer und Bürger am Forschungsprozess über sicherheitsrelevante Themen zu beteiligen. Dies beinhaltet auch die potenziellen Auswirkungen der Forschungsprozeduren und -ergebnisse auf diese Statusgruppen. Bereits im vergangenen Sommer wurden diese Themen in zwei Workshops auf europäischer Ebene behandelt, geladen hatten die Generaldirektion (GD) Forschung und Innovation [link] bzw. die Research Executive Agency der Europäischen Kommission [link]. Unter dem Titel "Challenge of Inclusive, Innovative, and Secure Societies" wurden Synergien, aber auch Konflikte zwischen den strategischen Zielen von gesellschaftlicher Integration, Sicherheit und wirtschaftlichen Innovationen im Rahmen der EU-weiten Sicherheitsforschung analysiert. Die Themenbereiche von gesellschaftlicher Resilienz und von Vertrauen der Bürgern, die bis jetzt eher am Rande der Projektausschreibungen erschienen sind, wurden programmatisch als prioritär eingestuft.
Einen weniger deklaratorischen Charakter hatte der Workshop "Ethical Issues in Security Research – A Practical Approach", der am 29. September 2011 in Brüssel stattfand. Schwerpunkt des Workshops war die Frage, wie Forschungsprojekte des laufenden 7. EU-Framework Programms zur Sicherheitsforschung ethische Regeln operationalisieren und implementieren. Diese Regeln sind im "Ethics Review" (Quelle) kodifiziert und zielen darauf, eine Koordination zwischen den Projektträgern aus unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten in Sachen Datenschutz, gute Forschungspraktiken, Verhinderung von Forschungsmissbrauch und Diskriminierung von sozial schwachen und marginalisierten Gruppen zu bewirken. Im Workshop wurden die ersten Erfahrungen damit dargestellt und diskutiert. Ausgehend von Experten-Inputs, die das besonders breite Feld der ethischen Implikationen der Sicherheitsforschung skizziert haben, hatten viele Entscheidungsträger aus den EU-Institutionen sowie von den nationalen Kontaktstellen die Möglichkeit, Abläufe und Probleme anzusprechen. Die unterschiedlichen Perspektiven der Referentinnen und Referenten haben verdeutlicht, dass Ziele wie Innovationsförderung, Entwicklung von sicherheitsrelevanten Technologien, Konformität mit existierenden Richtlinien und die Etablierung eines vorrausschauenden Rahmens für gesellschaftlich gerechte Sicherheitsforschung nicht immer Hand in Hand gehen müssen. Oft muss eine ethisch-konforme "best practice" auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner definiert werden, so dass sie überhaupt durchsetzbar bleibt. Das etwas dünne Fazit des Workshops mündete in der Gleichsetzung von Ethik in der Sicherheitsforschung mit Achtung der nationalen Datenschutzgesetzen.
Trotz des partizipativen Charakters des Workshops blieben der Meinung des Autors nach einige Grundsatzfragen unbeantwortet oder sogar gänzlich nicht adressiert:
(1) Obwohl der ethische Kontext der Sicherheitsforschung von den Experten als äußerst vielfältig und umfassend dargestellt wurde, haben sich die Vertreter der EU-Institutionen ausschließlich auf die konsequente rechtliche Implementierung der existierenden nationalen Datenschutzrichtlinien bei der Durchführung der Forschungsprojekte konzentriert.
(2) Neben der wenig nachvollziehbaren Reduktion von Ethik auf Richtlinienkonformität stellt sich die Frage, ob einerseits existierende Richtlinien überhaupt den ständig durch Forschung entstehenden Bedarf nach gesellschaftlicher Einbettung und Regulierung decken und andererseits, falls ja, ob sie dann einen guten Job leisten. Dies ist keinesfalls selbstverständlich.
(3) Zwischen den ethischen Implikationen von Projektauswahl, Projektausführungsmodalitäten, Forschungsergebnissen und –auswirkungen wurde keine Differenzierung gemacht. Dies macht blind gegenüber dem Risiko einer bias bezüglich Forschungsthemen, beteiligten Akteuren sowie Endnutzern.
Eine kritische Überprüfung der einzelnen Projekte innerhalb des FP7 (Quelle) anhand dieser Fragen würde möglicherweise das eklatante Ungleichgewicht zugunsten von high-tech-Forschung und Entwicklung sowie die Verschiebung der administrativen Kompetenz von dem GD Forschung & Innovation auf das GD Unternehmen & Industrie nachvollziehbar machen. Zur Priorität sind die Fragen von gesellschaftlicher Resilienz und Bürgervertrauen damit allerdings (noch) nicht geworden.