Warum sich Rechtspopulismus und Dschihadismus so gut ergänzen – und welche Rolle die Medien dabei spielen
von Holger Marcks
Man stelle sich folgendes Szenario vor: Björn Höcke und Abū Bakr al-Baġdādī diskutieren bei Sandra Maischberger darüber, welche Konsequenzen Deutschland aus dem islamistischen Terrorismus ziehen sollte – und sie sind sich dabei einig.
Die Fiktion mag hanebüchen klingen. Nicht nur, weil der Möchtegern-Kalif des „Islamischen Staats“ (IS) unter keinen Umständen als Gast einer deutschen Talkshow in Erscheinung treten könnte – oder auch nur wollte. Sondern auch, weil der Möchtegern-Goebbels aus Thüringen sich stets als ritterlicher Gegner der Islamisten präsentiert, deren Denken und Handeln völlig unvereinbar sei mit dem Willen des hiesigen Volkes, den die Rechtspopulisten zu repräsentieren meinen. Gleicht man allerdings die (migrations-)politischen Willensbekundungen, die AFD und Co. als Antwort auf den islamistischen Terror bieten, ab mit den politischen Reaktionen, die sich der IS von Anschlägen in Europa erhofft, fällt es schwer, hier einen Widerspruch zu sehen. Vielmehr lässt ein solcher Abgleich die deutschen – und auch europäischen – Rechtspopulisten, für die Höcke hier stellvertretend steht, fast schon als heimliche Partner des IS erscheinen, deren Absichten sich bestens mit den Vorstellungen der IS-Strategen ergänzen.
Damit ist ein dialektisches Problem angesprochen, das dem Umgang mit dem Terrorismus stets inhärent ist. Immerhin gehört es zu den Binsenweisheiten der Konfliktforschung, dass terroristische Akteure Reaktionen provozieren wollen, die ihnen neue Handlungsmöglichkeiten eröffnen. Und dies wiederum verweist darauf, dass Politiker und Sicherheitsbehörden, aber auch die Medien dabei (ungewollt) zu Erfüllungsgehilfen werden können, wenn deren Reflexe dem terroristischen Kalkül entsprechen. Die Dynamik des Terrors speist sich eben nicht nur aus den Aktionen der Terroristen, sondern auch aus dem Verhalten ihrer Antagonisten und der Öffentlichkeit. Um jene Dynamik zu verstehen, reicht daher der Blick auf terroristische Strategien keineswegs aus. Vielmehr ist deren Effekt von den Reaktionen relationaler Akteure abhängig. Wer also dem Terrorismus das Wasser abgraben will, der muss – so paradox das klingt – auch Vorsicht gegenüber denen walten lassen, die Anstoß an ihm nehmen.
Diese Prämisse eröffnet eine kritische Perspektive auf Formen des Anti-Terrorismus. Denn demnach können Versuche, dem Terror die Stirn zu bieten, unbeabsichtigte (Neben-)Folgen mit sich bringen, welche die Dynamik des Terrors verstärken. Derartige backfire mechanisms sind es, die in diesem Beitrag problematisiert werden. Jedoch widmet er sich nicht der staatlichen Antiterrorpolitik, sondern erörtert, inwiefern das Zusammenspiel von Medien und Rechtspopulismus zur aktuellen Dynamik des islamistischen Terrorismus beiträgt. Diese Frage stellt sich vor dem Hintergrund, dass die jüngsten Anschläge in Europa eine virtuelle Form des Terrorismus darstellen, wo häufig Einzelpersonen im Namen des IS agieren, aber kaum bis gar nicht im Kontakt mit der Organisation standen. Es scheint daher die Vermutung nicht abwegig, dass co-konstitutive Faktoren – wie die Berichterstattung über den Terror und anti-muslimische Diskurse – eine nicht unbedeutende Rolle bei deren Radikalisierung und Aktivierung spielen.
Den Gegner aus der Reserve locken: Terrorismus als Übertölpelung
Strategisches Denken bedeutet zu antizipieren. Es heißt, in einer gegebenen Situation so mit den verfügbaren Mitteln zu handeln, dass eine vorteilhafte Veränderung der Situation und somit neue Handlungsmöglichkeiten zu erwarten sind. Vor allem ist dabei einzukalkulieren, wie der politische Gegner und die Öffentlichkeit auf die eigenen Aktionen reagieren dürften. Das Kräfteverhältnis in dieser Dreieckskonstellation zu verändern, indem Teile der Öffentlichkeit für die eigenen Zwecke mobilisiert werden, ist der strategische Kern politischer Konfliktinteraktion. Das gilt auch für den Terrorismus, der selten als komplette Strategie gedacht ist, mit der ein politisches Ziel durchgesetzt werden soll, sondern meist als Mittel, mit dem schwache Akteure Ressourcen mobilisieren wollen, um ihren Kampf auf voraussetzungsreichere Ebene zu hieven. In einer Art „Gewaltwettbewerb“ versuchen dabei Terroristen, den politischen Gegner gegenüber einem „angeblich interessierten Dritten“ zu delegitimieren und diesen für die eigenen Ideen empfänglich zu machen.1
Die Bilanz solcher Mobilisierungsversuche fällt in der Geschichte des Terrorismus durchwachsen aus. Der anarchistische Terrorismus des späten 19., frühen 20. Jahrhunderts etwa ging davon aus, dass individuelle Gewalt gegen die Herrschenden ihre Verletzlichkeit aufzeigen und so die unzufriedene Arbeiterklasse zu einem allgemeinen Aufstand ermutigen würde. In der Realität jedoch bauten die Staaten in dieser Konfrontation ihre Sicherheitsapparate aus und nahm der Anarchismus einen erheblichen Imageschaden in der Arbeiterbewegung. Der spätere Linksterrorismus der 1970er/80er Jahre folgte einem etwas anderen Kalkül. So war es etwa das Konzept der deutschen RAF, den Staat zu repressiven Maßnahmen zu provozieren, die in der Bevölkerung „Widerstand und Klassenhass und Solidarität“ hervorrufen und somit einen revolutionären Umsturz auf Massenbasis befördern sollten.2 Die Repression trat tatsächlich vielerorts ein – die Tupamaros in Uruguay riefen sogar eine Militärdiktatur auf den Plan –, doch auch hier blieben die Aufstände aus.
Dagegen hat die Mobilisierung durch Gewalt in nationalen Befreiungskämpfen häufig ganz prima funktioniert. Etwa im Fall der algerischen FLN, die in den 1950ern ein Wechselspiel von Aktion und Reaktion in Gang setzte, in dem sich viele Algerier der Befreiungsbewegung anschlossen. Dieses Beispiel war es auch, das vielen Stadtguerillas als Vorbild diente. Dabei übersahen sie, dass die erfolgreiche Mobilisierung im kolonialen Kontext auf territorialen Identitätsstrukturen beruhte, die sich besser zur Aktivierung durch Gewalt eignen. Schließlich handelt es sich dabei um nationale oder ethnische Identitäten, die aufgrund ihrer oberflächlichen Gemeinsamkeiten wesentlich salienter sind als etwa die von Linken adressierte Klassenidentität. Denn diese setzt ein Bewusstsein über komplexe soziale Strukturen sowie eine reflexive Selbstverortung in diesen voraus. Und sie bleibt stets uneindeutig, weil der „Klassenfeind“ – bei aller sozialen Differenz – doch räumlich nahbar und erfahrbar bleibt, also weniger zur Entfremdung oder gar Dehumanisierung taugt.
Es sollte daher nicht verwundern, dass sich Gewalt gegen „Fremde“ bzw. „Fremdherrscher“ stets einfacher legitimieren ließ als Gewalt gegen heimische Autoritäten, insbesondere wenn sie demokratisch legitimiert waren. Entsprechend war terroristische Mobilisierung selten in sozialrevolutionären und eher in territorialen Kämpfen erfolgreich. Hier funktionierte genau das, was die Bewegungsforschung boundary activation nennt: nämlich dass durch die polarisierende Kraft des Konflikts Identitäten in Abgrenzung zu einem Feindbild aktiviert werden. In Algerien war dieser Mechanismus gar Teil eines Strategems. So setzte die zunächst schwache FLN Terror gegen die Franzosen ein, um eine allgemeine Repression gegen die heimische Bevölkerung zu provozieren, so dass diese sich über ihre Identität als unterdrückte Nation bewusst werden und mit der Befreiungsbewegung solidarisieren konnte.3 Erfolgreich konnte diese Strategie nur sein, weil die Kolonialmacht auch „mitspielte“ und mit ihren kurzsichtigen Reaktionen auf die List der FLN reinfiel.
Die Auslöschung der Grauzone: Das Strategem der Dschihadisten
Auch der Erfolg des IS beruht auf provokativen Listen. Das lässt sich zumindest sagen, wenn man dem jordanischen Journalisten Fuʾād Ḥusain folgt, der schon 2005 die Strategie von Al-Qaida (AQ) eruiert hat.4 Er teilte diese in sieben Phasen ein, wobei in der fünften ein Kalifat verankert werden sollte.5 Nicht wenigen gilt der IS – einst irakischer Ableger von AQ – als Erfüller dieser Strategie. Immerhin deckt auch Abū Bakr Nāğīs Handbuch des Dschihadismus,6 das im IS zur Pflichtlektüre gehört, die von Ḥusain beschriebenen Phasen vier, fünf und sechs ab: Destabilisierung, Machtabsicherung und Eskalation. Es schließt damit nahtlos an die ersten von Ḥusain beschriebenen Phasen an, wonach Großanschläge im Westen diesen zu einer militärischen Intervention in der muslimischen Welt provozieren sollten, um die dortige Bevölkerung „aufzuwecken“ und gegen den fremden Eindringling in Stellung zu bringen. Über eine Destabilisierung der Region sollte schließlich ein Machtvakuum erzeugt werden, in dem ein islamischer Staat Raum greifen kann.
Diesen Plan scheinen zunächst AQ und dann der IS gut umgesetzt zu haben. Und auch hier war die boundary activation erfolgreich, weil der Gegner in die Abseitsfalle lief, so dass sich den Islamisten neue Mobilisierungsmöglichkeiten eröffneten. Entscheidend war dabei die territoriale Komponente, die es gestattete, den Kampf als einen gegen Fremdherrschaft zu framen. Mit der Errichtung eines Quasi-Staats und dem Aufbau einer „islamischen Armee“ war das Image als Befreiungsbewegung schließlich perfekt. Dabei verlieh die Ausrufung des Kalifats dem Dschihadismus gar ein welthistorisches Moment wie dem Antikolonialismus die Algerische Revolution, die einst internationale Sogwirkung entfaltete. Die Strahlkraft, die der IS auf junge Muslime weltweit hat, rührt vor allem von diesem Nimbus her. Und deren Mobilisierung eröffnete nochmals weitere Handlungsmöglichkeiten: Denn als Sammlungsort der transnationalen Dschihadistengemeinde – eine Art jihadi nation – lässt sich der Kampf gegen die internationale Ordnung effektiver führen als mit konspirativen Netzwerken.
Nun scheint es aber, dass der Übergang vom asymmetrischen zum symmetrischen Konflikt nicht so recht gelingen will, da die territoriale Basis bröckelt. Einige Beobachter werten daher die zunehmenden Anschläge außerhalb des Kalifats als eine Rückkehr zur Strategie von AQ. Dem darf widersprochen werden. Denn auch diese Strategie zielte stets auf die Etablierung eines Kalifats, wobei der Zweck der früheren Anschläge darin bestand, den Feind zu provozieren und das Feindbild des Westens zu aktivieren, damit voraussetzungsreichere Formen des Kampfes eine Mobilisierungsgrundlage haben. Dieser Zweck wurde aber erfüllt, der Feindkontakt ist bereits umfassend. Vielmehr entsprechen die jüngsten Anschläge dem, was Ḥusain als Phase sechs der Dschihadistenstrategie beschreibt: Diese sieht primär einen militärischen Konflikt mit der Weltordnung vor, soll aber auch eine „totale Konfrontation“ zwischen „Glauben und Unglauben“ auslösen. Die Kampfbereitschaft aller Muslime soll es letztlich sein, die den Bestand des Kalifats sichert.
Auch Nāğī schreibt analog dazu, dass in der Phase der Eskalation die westlichen Gesellschaften durch unberechenbare Anschläge nicht nur zu Sicherheitsmaßnahmen gezwungen werden sollen, die ihre ökonomische Krise verschärfen, sondern insbesondere polarisiert werden müssten. Das IS-Magazin Dabiq spricht diesbezüglich von einer „Auslöschung der Grauzone“. Demnach müsse dafür gesorgt werden, dass die muslimische Bevölkerung im Westen dermaßen angefeindet werde, dass sich schließlich kein Muslim eine neutrale oder vermittelnde Position erlauben und der totalen Konfrontation entziehen kann.7 Weiterhin ließ der indessen getötete IS-Propagandachef Abū Muḥammad al-ʿAdnānī mehrfach durchblicken, dass gerade individuelle und simple Anschläge – sei es mit einem Stein, Messer oder Auto – gewünscht seien, weil sie als spontan erscheinende Taten besonders viel Verunsicherung schufen, so dass „jeder Nachbar seinen Nachbar fürchtet“ – den muslimischen insbesondere.8 Ultimative boundary activation sozusagen.
72 Minuten Ruhm: Die Medien als Loner-Plattform
Die Tatsache, dass die IS-Strategen so viel Wert darauf legen, welchen Eindruck die Anschläge im Westen machen, lässt zwangsläufig nach der Rolle der Medien fragen, die darauf einen beträchtlichen Einfluss haben. Das betrifft zunächst einmal die allgemeine Einordnung der Taten, die einerseits häufig mit „einsamen Wölfen“ assoziiert und andererseits recht bestimmt dem IS zugeordnet werden. Beides hat seine Berechtigung. Denn zum einen wurden die meisten Anschläge von Tätern begangen, die kaum bis gar nicht im Kontakt mit der Organisation standen und auf eigene Faust agierten. Zum anderen trifft eben auch zu, dass selbst die einsamsten Täter von der Ideologie des IS beeinflusst waren, sich zur Organisation bekannten und von dieser als „Soldaten des Kalifats“ anerkannt wurden. Es kann hier nicht diskutiert werden, wie viel operativen Einfluss der IS tatsächlich auf die Anschläge hat. Von Interesse ist hier lediglich, dass beide Aspekte dieses ambivalenten Bilds der Terrororganisation von Nutzen sind.
Wo der Aspekt des „Mitmach-Terrorismus“ betont wird, der darauf gründet, dass junge Muslime eine „Instant-Radikalisierung“ vollzogen haben, da trägt das dazu bei, dass muslimische Mitmenschen als unberechenbar wahrgenommen und Anfeindungen gegen sie verstärkt werden – eben das, wovon sich der IS eine Radikalisierung erhofft. Hierbei ist auch der Kontext der Flüchtlingskrise zu berücksichtigen. Denn gerade eine „Willkommenskultur“ droht dabei dem IS einen Strich durch die Rechnung zu machen, da sie kaum zur Verteufelung des Westens taugt. Es ergibt sich für ihn daher eine taktische Notwendigkeit, gegen sie zu intervenieren. Insofern kommen ihm vor allem zugereiste Täter äußerst gelegen, um die migrationspolitische Debatte zu polarisieren. Es sollte daher nicht verwundern, dass der IS nicht nur bemüht ist, das Bild von Einzeltätern zu pflegen, selbst wenn Kontaktmänner im Spiel waren, sondern auch mal (falsche) Hinweise auf die Herkunft des Täters hinterlassen werden, wie bei den Anschlägen auf den Berliner Weihnachtsmarkt oder Charlie Hebdo.9
Wo wiederum der Aspekt betont wird, dass der IS einen steuernden Einfluss auf die Täter habe, die als deren Ausführungsorgan agieren, da entsteht der Eindruck, er sei transnational handlungsfähig. Auch hier ist der Kontext der Flüchtlingskrise von Bedeutung. Denn auch wenn dieser operative Wirkungsradius zum Großteil nur virtuell simuliert ist – indem man beanspruchen kann, unabhängig handelnde Individuen zu ihren Taten ideologisch angeregt zu haben –, so reicht die Vorstellung, die Flüchtlingswelle bringe potentielle IS-Anhänger ins Land, doch aus, um eine weitere Polarisierung und Anfeindung von Muslimen zu bewirken. Zugleich vermag gerade der Eindruck der Handlungsfähigkeit auch einen direkten Mobilisierungseffekt zu erzeugen. Denn da, wo die Medien dem IS den „Ritterschlag“ verpassen, dem Westen jederzeit empfindlich schaden zu können, wird eine Stärke suggeriert, die Attraktivität auf bereits anradikalisierte Muslime ausstrahlt, denen die westlichen Gesellschaften verhasst sind – und sie zu eigenen Taten motivieren kann.10
Dies verweist auf die Scharnierfunktion, die Medien im Verhältnis zwischen Kalifat und Tätern einnehmen, das häufig indirekt vermittelt ist. Denn die Dynamik der Anschläge basiert auch darauf, dass sich Muslime mit derlei Taten identifizieren und ihnen nacheifern. Dabei wird die Botschaft des IS in der Berichterstattung über diese implizit mittransportiert, tragen sie dessen Symbolik doch stets in sich. Menschen, die das in einer Tat ablesbare Feindbild bereits teilen, werden mit ihr sympathisieren, auch wenn sie allseits verurteilt wird. Und umso extensiver und dramatischer das Medienecho ausfällt, desto mehr dürften sie zur Nachahmung ermuntern. Denn gerade für geltungsbedürftige Einzelgänger bildet dieses die virtuelle Plattform, über die sie Märtyrerstatus erhalten und Teil der Bewegung werden können. Diese Aussicht auf „Ruhm“ mag manchem Täter womöglich gar wichtiger sein als die Jungfrauen im Paradies. Nicht umsonst wird mittlerweile öfter diskutiert, wie die mediale Beachtung des Terrorismus eben diesem in die Hände spielt.11
Rechtspopulisten und Dschihadisten: Eine heimliche Liaison
Während die Medien den Kanal darstellen, über die der IS sein Signal zur boundary activation verstärken kann, findet dieses im Rechtspopulismus den Rezeptor, über den sie im Zellinnern der Gesellschaft ausgelöst werden kann. Wenn nämlich, wie es Nāğī fordert, westliche Gesellschaften gezwungen werden sollen, Muslime pauschal als bösartige Fremdkörper zu attackieren, um jede Uneindeutigkeit zwischen Freund und Feind aufzulösen, dann zielen die Angriffe vor allem auf Reaktionen in jener Teilöffentlichkeit ab, die eine Normalisierung solch extremer Wahrnehmungen in der Gesamtöffentlichkeit vorantreiben kann. Insofern ist es das rechte politische Lager, das der IS mit seinen Terroraktionen primär adressiert und antreiben möchte. Und dabei sind die Rechtspopulisten bisher verlässlich über jedes Stöckchen gesprungen, das ihnen die Islamisten hingehalten haben. Eine Karrikatur der Frankfurter Rundschau bringt dieses Verhältnis auf den Punkt: „Petry und Seehofer auf jeden Fall funktionieren“, weiß darin ein Dschihadist in der IS-Zentrale zu berichten.
In funktionaler Hinsicht lassen sich daher die Rechtspopulisten, die als Reaktion auf den Terror die antimuslimische Stimmung anheizen, als strategischer Partner des IS bezeichnen. Für sie ist jedes von Muslimen begangene Verbrechen eine Bestätigung ihres Vorurteils, dass diese Bevölkerungsgruppe eine existentielle Gefahr für das „Abendland“ darstelle – und Anlass dazu, all diejenigen für den Terror mitverantwortlich zu machen, die für eine heterogene Gesellschaft einstehen. Damit appellieren sie nicht nur vice versa an dieselben dichotomen Identitätsstrukturen, die der IS aktivieren will, sondern zielen auch auf eine Homogenisierung der „eigenen“ Reihen ab. Dieser Prozess von Ausschluss und Einschluss hin zu einem völkischen Block in Frontstellung zum Islam entspricht ganz dem dschihadistischen Strategem, das auf „two camps and no third in between“ hinarbeitet.12 Die hiesigen Rechtspopulisten spielen damit genau jene co-konstitutive Rolle, die ihnen die Dschihadisten bei der radikalen Mobilisierung von Muslimen zugedacht haben.
In intentionaler Hinsicht könnte man nun verleitet sein, die Rechtspopulisten als „nützliche Idioten“ zu bezeichnen: als Akteure, die sich von kurzsichtigen Empfindungen leiten lassen und blind gegenüber komplexen Zusammenhängen und Dynamiken sind, sich so von den Islamisten übertölpen lassen. Demnach wären sie von der Absicht getrieben, ihre peer group vor Terror zu beschützen, erweisen ihr tatsächlich aber einen Lichasdienst. Es lässt sich allerdings bezweifeln, ob die Nebenfolgen ihrer Politik tatsächlich so unintendiert sind. Denn die Indizien sind zahlreich, dass der Rechtspopulismus weniger Sorge vor dem Terror hat, als dass auch er sich einen Vorteil aus den Anschlägen erhofft: die Verve, mit der seine Vertreter sie schamlos ausschlachten, um für eine nationale Neuordnung zu trommeln; deren unverhohlene Schadenfreude über den Druck, unter den demokratische Repräsentanten durch sie geraten; und die makabre Sehnsucht ihrer Anhänger nach weiteren Angriffen, die ihre Position bekräftigen – vorzugsweise den „Gutmenschen“ an den Hals gewünscht.13
Es dürfte daher treffender sein, dass Rechtspopulisten und Dschihadisten ähnliche Intentionen hegen. Zwar stehen ihre imaginierten Gemeinschaften in einem polaren Gegensatz zueinander, doch besteht in dieser Polarität zugleich ein Einklang. Beide Seiten intendieren homogene Gesellschaften, die kulturell rein und räumlich separiert sind; beide definieren das politisch Legitime über das Interesse eines abstrakten Kollektivs, das keinen Raum für Pluralismus und Diversität lässt; und beiden gelten Abweichungen von ihrer definierten Norm als Verrat an jenem Kollektiv – sei es das „Volk“, sei es die „Umma“. Was also im Besonderen als Antagonismus erscheint, verhält sich im Allgemeinen komplementär zueinander. Sie sind, wie Yin und Yang, entgegengesetzte und doch aufeinander bezogene Kräfte; sie spielen gegen- und doch miteinander wie der BVB und Schalke; sie sind in den Farben getrennt, in der Sache vereint. Gemeinsam inszenieren sie den „Kampf der Kulturen“, indem sie von zwei Seiten an der ultimativen boundary activation arbeiten.
Alternativen zum intuitiven Anti-Terrorismus: Heiteres Gedankenspiel
Folgt man dieser analytischen Perspektive, wonach Dschihadismus und Rechtspopulismus sich gegenseitig in die Karten spielen und die liberale Gesellschaft arbeitsteilig in die Mangel nehmen, dann wirft dies ein kritisches Licht auf den vorherrschenden Umgang mit dem islamistischen Terrorismus. Denn der „deutsche Michel“ tendiert ja dazu, ihm mit rechten Maßnahmen – autoritäre Versicherheitlichung, Verschärfung des Ausländerrechts, Restriktion der Migrationspolitik usw. – entgegenwirken zu wollen.14 Dabei werden Konzessionen an den Rechtspopulismus häufig als abträglich für die liberale Gesellschaft gewertet, aber doch als soweit vertretbar eingestuft, als dass sie immerhin für Sicherheit sorgen. Was aber, wenn diese intuitive Rechnung nicht stimmt? In diesem Beitrag zumindest wurde argumentiert, dass derlei Reaktionen ganz dem Eskalationskalkül der Dschihadisten entsprechen. Ein alternativer, kontraintuitiver Ansatz würde dementsprechend sein, das Wirken gegen den Terrorismus integral auch als eines gegen den Rechtspopulismus zu begreifen.
In Bezug auf die diskursive Rolle der Medien hätte das einige Konsequenzen. Wie dargelegt basiert die Dynamik des Terrors auf einer psychologischen Reziprozität: Zeigt sich eine Seite verängstigt, ist das ermutigend für die andere. Eine verantwortungsvolle Medienpolitik würde deshalb genau hier einhaken und zur maximalst möglichen Gelassenheit beitragen, indem sie andere Lesarten des Terrors bietet. So wäre dieser nicht als Werk einer potenten Bedrohung aufzuwerten, sondern als das darzustellen, was er auch ist: der armselige Versuch schwacher Fanatiker, mit spärlichen Mitteln den Hass gegen Muslime anzuheizen. Es wäre entsprechend zu betonen, dass ein solcher billiger Trick nur dann aufgehen kann, wenn sich die Öffentlichkeit den rechtspopulistischen Reflexen hingibt, mit denen die Dschihadisten implizit kalkulieren, um diesen Hass zu generieren. Und es wäre ein ernsthafter (und sicherlich spannender) Diskurs darüber zu führen, was das eigentlich über die Rechtspopulisten aussagt, wenn der IS in ihnen den notwendigen Handlanger für ihre List sehen, um den Westen zu übertölpeln.
Magazine und Talkshows würden womöglich nicht über Angst und Verunsicherung diskutieren, sondern aufklärerischen Journalismus betreiben, der das strategische Kalkül des IS beleuchtet. Die Frage, was die angemessenen Reaktionen auf den Terror sind, würde sich dann ganz anders stellen: Man würde erwägen, genau das Gegenteil dessen zu tun, was die Terroristen provozieren wollen: eine weitere Öffnung der Gesellschaft. Plädoyers würden laut werden, dass Angriffen auf Schwulenclubs mit LGBT-Rechten, denen auf feiernde Jugendliche mit einer liberalen Drogenpolitik zu begegnen sei. Und der durchschaubare Versuch, Flüchtlingen den Weg in den Westen dicht zu machen, um sie in die Arme des IS zu treiben, würde immer öfter mit „Jetzt erst recht!“-Rufen quittiert werden. Plötzlich würde deutlich werden, was Rechtspopulisten und Dschihadisten gemeinsam haben. Weil alles, was den Letzteren nicht schmeckt, auch Ersteren zuwider ist. Es würde wieder die Erkenntnis gestärkt werden, dass man Feuer nicht mit Feuer, sondern mit Wasser bekämpft.
Wenn dann die Maischberger mal wieder den Höcke, die Petry oder auch den Seehofer zu Gast hat, würde sie ihnen womöglich mal ein Dabiq-Magazin vor die Nase halten. Und es würde ihr die Frage entweichen, warum sie eigentlich genau das tun, was der IS sich darin wünscht. Womöglich hätte dann auch der Begriff des „Volksverräters“ einen neuen Klang.
- Zum Begriff des „Gewaltwettbewerbs“ siehe Teresa Koloma Beck & Tobias Werron, „Gewaltwettbewerbe: ‚Gewalt‘ in globalen Konkurrenzen um Aufmerksamkeit und Legitimität“, in: Stephan Stetter (Hg.), Ordnung und Wandel in der Weltpolitik: Konturen einer Soziologie der Internationalen Beziehungen, Baden-Baden 2013, S. 239–67. Zum „angeblich interessierten Dritten“, also jenen Subjekten, die ein Akteur als seine peer group und potentielle Anhängerschaft ansieht, siehe Herfried Münkler, Gewalt und Ordnung. Das Bild des Krieges im politischen Denken, Frankfurt am Main 1992, S. 167ff. ↩
- Siehe dazu grundsätzlich Rote Armee Fraktion, „Das Konzept Stadtguerilla“ (1971), in: Martin Hoffmann (Hg.), Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF, Berlin 1991, S. 27–48. ↩
- Für eine plastische Darstellung dieses Prozesses stets empfehlenswert der Film von Gillo Pontecorvo, Schlacht um Algier (Italien, Algerien 1966). Dieser war es auch, der schweren Eindruck auf einige RAF-Gründungsmitglieder gemacht hatte. ↩
- Fuʾād Ḥusain, Az-Zarqāwī: Aǧ-ǧīl aṯ-ṯānī li-l-qāʿida, Beirut 2005. Das Buch basiert auf Interviews mit Kadern der „zweiten Generation“ von Al-Qaida, darunter Abū Muṣʿab az-Zarqāwī, der bis zu seinem Tod 2006 den irakischen Ableger von Al-Qaida anführte: die Vorläuferorganisation des IS. ↩
- Für eine Zusammenfassung der Strategie, deren letzte, siebte Phase „der endgültige Sieg“ sein soll, siehe den Artikel von Yassin Musharbash bei Spiegel Online (2005). ↩
- Das Handbuch wurde unter dem Titel Idārat at-tawaḥḥuš: Akhṭar marḥala satamurru bi-hā l-umma ab 2004 im Internet verbreitet und ist auch unter dem englischen Titel The Management of Savagery: The Most Critical Stage Through Which the Umma Will Pass bekannt. Eine Übersetzung aus dem Jahr 2006 findet sich hier. ↩
- Siehe „The Extinction of the Grayzone“, in: Dabiq, Nr. 7 (Rabiʿ II. 1436 (Jan./Feb. 2015)), S. 54–66. Der Artikel ist das Feature-Thema einer Ausgabe mit dem Titel „From Hypocrisy to Apostasy“, die auf dem Cover gläubige Muslime zeigt, die sich mit den Opfern des Anschlags auf die Redaktion von Charlie Hebdo solidarisieren. ↩
- Siehe dazu Oliver M. Piecha, „Jihad zum Selbermachen“, in: Jungle World, Nr. 33 (18. Aug. 2016). ↩
- Dazu passt auch, dass der IS bei Anschlägen in der Türkei anscheinend gezielt Täter aus Zentralasien einsetzt, um damit Risse im Bild von der Gemeinschaft der Turkvölker zu erzeugen, wie Christoph Sydow bei Spiegel Online darlegt. ↩
- Es sei darauf verwiesen, dass die Erfolgsgeschichte des IS damit begann, dass US-Außenminister Colin Powell Anfang 2003 die Gruppe um az-Zarqāwī, die sich später AQ anschließen sollte, vor dem Weltsicherheitsrat zu einer ernsten Bedrohung erklärte. Diese Erklärung machte die relativ unbedeutende Gruppe international bekannt und wertete sie in einer Weise auf, die ihre eine enorme Attraktivität in der Dschihadistenszene bescherte. ↩
- Siehe dazu insbesondere den Vorstoß der französischen Tageszeitung Le Monde, deren Chefredakteur Jérôme Fenoglio nach dem Anschlag von Nizza in einem Leitartikel begründete, dass man die Berichterstattung über den Terror verändern (z.B. keine Bilder der Täter mehr zeigen) werde, um eine „posthume Glorifikation“ der Täter zu verhindern. ↩
- „The Extinction of the Grayzone“, S. 66. ↩
- In eine ähnliche Kerbe hauen auch die zahlreichen Fake-News über Gewalttaten von Flüchtlingen, die von Anhängern der Rechtspopulisten gestreut werden. Hier wird deutlich, dass es nicht nur darum geht, von einer allgemeinen Angst politisch zu profitieren, sondern diese auch mitzuerzeugen. ↩
- Philipp Wittrock hat dies in einem Kommentar bei Spiegel Online treffend beschrieben und darauf hingewiesen, dass man derzeit mit solchen Maßnahmen schnell bei der Hand ist, obwohl die bestehenden Gesetze und Möglichkeiten nicht einmal konsequent angewendet werden. Dies wie auch die Tatsache, dass laut Umfragen gar keine gesteigerte Terrorangst in Deutschland vorliegt, stärkt den Eindruck, dass hier vorauseilender Gehorsam gegenüber den Rechtspopulisten geleistet wird, diese ihrer Funktion als Schrittmacher der islamistischen Hasskampagne also gerecht werden. ↩
Interessante Argumentation. Sie ließe sich noch dadurch stützen, dass ISIS die Wahl Trumps als nützlich für die eigenen Interessen eingestuft hat, wenn ich das richtig in Erinnerung habe. Außerdem ist es in Sachen Gemeinsamkeiten auch aussagekräftig, dass die Rechten in Deutschland ein ähnliches Gewalt- und Terrorniveau wie die Islamisten an den Tag legen (NSU, Anschläge auf Wohnheime, Aushebung von Gruppen mit Sprengstoff usw.)
100% ACK. Klasse Aufsatz. Ich erinnere mich daran, dass schon in den 70er/80er Jahren besonnene Zeitgenossen als Reaktion auf den Terror der RAF empfahlen, deren Aktionen mit größtmöglicher medialer Ignoranz zu begegnen.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang übrigens, dass das im Fall des Anschlags von Berlin fast so funktioniert hat. Die Coolness der Berliner und eigentlich der Deutschen insgesamt in den Reaktionen auf das Attentat war bemerkenswert. Scheinbar haben das auch die zuständigen Politiker wahrgenommen und sich vergleichsweise zurückgehalten, was populistischen Aktivismus anbelangt (wobei ich mir nicht sicher bin, ob das nicht auch auf die drastischen Pannen bei der Überwachung des Attentäters zurückzuführen ist – vielleicht wollte man da jetzt nicht so viel Staub aufwirbeln).