Quid pro Quo! Kampfdrohnen, gezielte Tötungen und das Dilemma der Reziprozität

von Andreas Bock

Die Ethik der Drohnen

Teil VI unserer Artikelserie zur Ethik der Drohnen, Andreas Bock antwortet auf unsere bisherigen Beiträge
Bild: Drone, Green Light von Truthout.org unter CC BY-NC-SA 2.0

Wirft der Einsatz von bewaffneten Drohnen, die im Alltagsjargon gerne mal als „Killerdrohnen“ bezeichnet werden, neue ethische Probleme auf? Ich glaube, dass der Einsatz von Kampfdrohnen vor allem ein altes ethisches Problem in neuer Schärfe formuliert: Wie gehen wir mit Zivilisten als Nicht-Kombattanten in bewaffneten Konflikten um? Gezielte Tötungen, für die sich Kampfdrohnen, wie das Beispiel Pakistan zeigt, offenbar besonders gut eignen, hebeln das für eine gerechtfertigte Anwendung von kriegerischer Gewalt notwendige Diskriminierungsgebot aus – nehmen sie doch billigend den Tod von Nicht-Kombattanten in Kauf. Und dieses ethische Problem liegt noch vor der Frage der zunehmenden Autonomie von Kampfdrohnen.

Drohnenangriffe werden, wie Ben Emmerson, UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte und Terrorismusabwehr, erklärt, „routinely deployed against targets that are deeply embedded in civilian communities“, mit der Folge, „that there is an unacceptably high risk of civilian casualties“. Und damit steht der Drohneneinsatz unter enormem Rechtfertigungsdruck: Dürfen wir anderen Gesellschaften die Risiken und Kosten ziviler Opfer aufbürden? Oder werden Drohnenangriffe allein schon durch die Tatsache disqualifiziert, dass auch sie sog. Kollateralschäden nicht vermeiden können?

Natürlich, zivile Opfer sind kein Problem, das sich durch die Verwendung von Kampfdrohnen erstmals stellt. Allein in der Operation „Desert Storm“, einer von der UN autorisierten Form der kriegerischen Gewaltanwendung, die mit „chirurgischen Luftschlägen“ ausgeführt wurde, haben mindestens 2500 irakische Zivilisten ihr Leben verloren. Unabhängig von der Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit muss sich diese Operation daher auch die Frage nach ihrer ethisch-moralischen Zulässigkeit und Legitimität gefallen lassen. Der Tod von Zivilisten ist die fundamentale Herausforderung, auf die die Anwendung kriegerischer Gewalt eine Antwort geben muss, will sie nicht illegitim sein.

Und das gilt aus zwei Gründen in besonderem Maße für Drohnenangriffe. Zum einen ist deren Zahl enorm gestiegen. So haben allein die USA in Pakistan, im Jemen und in Somalia mehr als 400 Drohnenangriffe geflogen, denen nach Schätzung des „Bureau of Investigative Journalism“ zwischen 400 und mehr als 900 Zivilisten zum Opfer gefallen sind; eine Problematik, auf die schon Niklas Schörnig in seinem Blogbeitrag hingewiesen hat.  Zum anderen töten Drohnenpiloten nicht nur aus großer Entfernung – wie dies beispielsweise Scharfschützen oder Bomberpiloten tun –, sondern ohne selbst im Kampfgebiet zu sein (wie der Scharfschütze), oder es zumindest zu überfliegen (wie der Bomberpilot). Und damit machen sie die für „ethisch korrektes Töten“ – um einen Buchtitel von Uwe Steinhoff zu zitieren – notwendige Bedingung der Reziprozität unmöglich: Der Drohnenpilot ist selbst nicht Teil der Kampfhandlung; er kann zwar töten, nicht aber selbst im Rahmen dieser Kampfhandlung getötet werden. Was einen ethisch relevanten Unterschied darstellt – sowohl zu Scharfschützen, wie auch zu Bomberpiloten, ja selbst zu Raketen – wenn man denn unterstellt, dass der Gegner auch über ein solches Waffensystem verfügt. Das Konzept der „Mutual Assured Destruction“ (MAD), durch das sich beide Supermächte während des Kalten Krieges die gesicherte Zweitschlagskapazität zubilligten, ist die finale Formulierung des Gedankens der Reziprozität: Selbst ein erfolgreicher nuklearer Erstschlag könnte einen nuklearen Gegen-(Zweit-)Schlag nicht verhindern. Mit wechselseitig verheerenden Folgen.

Warum aber ist die Abwesenheit des Drohnenpiloten vom Schlachtfeld ethisch relevant? Die basale ethische Rechtfertigungsmatrix für eine Handlung ist, dass diejenigen, die von dieser Handlung betroffen sind, ihr auch zustimmen können müssen. Eine Überzeugung, die sich auch im Rechtsgrundsatz Volenti non fit iniuria spiegelt, dass einem kein Unrecht durch das geschehen kann, wozu man seine Zustimmung gegeben hat. Soldaten haben als Kombattanten wechselseitig zugestimmt, dass sie getötet werden dürfen. Und das ist die ethische Begründung, warum Soldaten als Kombattanten auch töten dürfen: Soldaten dürfen töten, weil auch sie getötet werden dürfen. Im Krieg wird der gesellschaftlich geächtet Akt des Tötens durch eine strenge Reziprozität legitimiert.

Damit erklärt sich auch, warum Zivilisten (als Nicht-Kombattanten) nicht getötet werden dürfen – weil sie selbst auch nicht töten dürfen. Was umgekehrt aber auch heißt, dass der Zivilist getötet werden darf, der seinen Status als Nicht-Kombattant aufgibt und sich aktiv und direkt an Feindseligkeiten beteiligt. Ein Gedanke, der sich auch in Art. 13 Abs. 3 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen findet.

In dem Moment aber, wo der Soldat als Drohnenpilot nicht mehr Teil des Kampfgeschehens ist, verliert er auch einen Teil seines Status als Kombattant: Er kann zwar noch töten, kann aber selbst nicht mehr getötet werden. Damit ist das Gebot der Reziprozität aufgehoben. Die Antwort auf die Frage der Rechtfertigung von potenziell tödlicher Gewalt nimmt dann eine einseitige Gestalt/Form an, wie man sie von Rousseaus „contrat des riches“ kennt: Wir (die Drohnenpiloten) dürfen Euch (die weitentfernten potenziellen Ziele) angreifen, verletzen und auch töten, wir nehmen dabei auch mögliche Kollateralschäden billigend in Kauf. Ihr (die weitentfernten potenziellen Ziele) könnt uns (die Drohnenpiloten) aber nicht angreifen, nicht verletzen und auch nicht töten.

Das hat schwerwiegende Folgen für die Rechtfertigung von Gewalt. Darauf hat schon Herfried Münkler in seinem Beitrag hingewiesen, wird doch das terroristische Selbstmordattentat im Drohnenangriff „technologisch gekontert“. Anders formuliert: Wir ziehen mit den Terroristen gleich! Und damit verschwindet – in letzter Konsequenz – auch die entscheidende Differenz, die legitime Gewaltanwendung von Terrorismus unterscheidet: Dass Zivilisten als Nicht-Kombattanten eben nicht Opfer (para-)militärischer Gewalt werden. Denn genau dadurch ist Terrorismus gekennzeichnet – dass er unterschiedslos jeden tötet, jeden zum Opfer macht, der im Augenblick des Anschlags vor Ort ist.

Was droht ist die Münklersche „resymmetrierende Antwort“ – wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen. Andere Länder arbeiten bereits an eigenen Kampfdrohnenprogrammen, darunter China, Indien, die Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate, aber auch Nordkorea und Pakistan; also nicht nur enge Verbündete der USA und Europas. Zudem besteht die Gefahr, dass einsatzfähige Kampfdrohnen auch terroristischen Gruppierungen in die Hände fallen könnten; sicherlich ein realistischeres Szenario als die Gefahr eines nuklear bewaffneten Terrorismus.

In Zukunft könnten Kampfdrohnen mit der gleichen Logik, wie sie aktuell in Pakistan, im Jemen oder in Somalia zum Einsatz kommen, auch gegen Ziele in den USA oder Europa eingesetzt werden: als Instrumente gezielter Tötungen, die ohne eigenes Risiko billigend den Tod von Zivilisten in Kauf nehmen. Die Frage der Legitimität solcher Angriffe liegt wohl im Auge des Betrachters; zumindest aber genügen sie dem Anspruch strenger Reziprozität: Quid pro quo!

Am Ende lässt sich die ethische Herausforderung des Einsatzes von Kampfdrohnen in einer einfache Frage fassen: Sind wir bereit, diese Kosten der Reziprozität zu tragen?

3 Kommentare

  1. Endlich das Wesentliche herausgearbeitet. Irgendwann werden Drohnenpiloten nachts im ehelichen schlafzimmer Opfer gegnerischer Drohnen, samt legitimer Kollateralschäden an Ehefrauen und Kindern. Sofern die “Feinde” nur entsprechend aufrüsten oder sich technologisch weiterentwickeln. Dann haben wir echte Reziprozität.

  2. Wir ziehen mit den Terroristen nicht gleich, da Selbstmordattentate bei Drohnen nicht möglich sind. Doch selbst wenn wir mit den Terroristen in der Methode gleichziehen würden, wären wir noch lange keine Terroristen. Wir Demokraten haben das Recht, die Moral und die Freiheit auf unserer Seite, die Terroristen wolle unseren Tod! (ich hoffe, hier keinen Widerspruch zu vernehmen.)

    Zur Reziprozität: wir dürfen euch nicht nur töten, wir können es auch dank unserer besseren Waffensysteme. Wenn ihr sie nachahmt, werden wir gegen eure Waffen uns zu wehren wissen.

  3. Super geschriebener und informativer Artikel :-). In diesen Blog werde ich mich noch richtig einlesen

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