Bericht zur Podiumsdiskussion am 9. November
von Andrea Jonjic
„In doubt we publish: Wikileaks as a threat to diplomacy and democracy?“ - unter diesem Titel diskutierten am vergangenen Mittwoch im Anschluss an den WikiLeaks Workshop Wolfram v. Heynitz vom Planungsstab des Auswärtigen Amtes, Prof. Dr. Christoph Bieber von der Universität Duisburg-Essen und Guido Strack vom Whistleblower Netzwerk e.V. Unter der Moderation von Prof. Dr. Nicole Deitelhoff und Prof. Dr. Christopher Daase sollten einerseits generelle Fragen des Leakens thematisiert werden, aber auch Fragen nach dem Einfluss auf die internationale Diplomatie, dem Recht auf Geheimnis und den Möglichkeiten zur Regulierung von Leaking.
Deutschland sei, verglichen mit Schweden, eher Nachzügler in Fragen der Informationsfreiheit. Dennoch agiere auch die deutsche Diplomatie heutzutage größtenteils öffentlich, beschrieb Wolfram von Heynitz. Durch die starke Integration von Diplomaten in internationale Informationsnetzwerke sei es besonders wichtig, dass das Miteinander auf einem Vertrauensverhältnis basiert, dass Geheimnisse möglich und geschützt sind. WikiLeaks sei nicht gutzuheißen, weil es eben dieses Verhältnis stark beschädige. Die Folgen seien, dass mögliche Informanten zögern werden, sich Diplomaten anzuvertrauen, aus Angst, dass die Information und damit die eigene Identität geleakt wird. Auch Diplomaten werden vorsichtiger dabei sein, unsichere Thesen zu bilden, wenn diese veröffentlicht werden könnten. Brisante Mitteilungen werden also zunehmend mündlich weitergegeben, und somit wichtige Entscheidungen auf unsicherer Informationsgrundlage gefällt – Das Prinzip Leaking schaffe real nicht Offenheit, sondern Zurückhaltung.
Wolfram von Heynitz, der in WikiLeaks dennoch nur ein kurzzeitiges Phänomen sieht, hält größtmögliche Offenheit für erstrebenswert: doch es gebe Unterschiede zwischen dem Vorgehen von WikiLeaks und dem von Whistleblowern. Letztere haben das Ziel, Missstände aufzudecken, Verstöße gegen Gesetze oder ethische Grundsätze. WikiLeaks habe demgegenüber unterschiedslos und ohne konkreten Grund veröffentlicht.
Guido Strack hielt dem gegenüber, dass Leaking nicht etwa ein neues, durch WikiLeaks geschaffenes Phänomen sei. Geleakt wurden auch die Pentagon Papers von Daniel Ellsberg, und die Bibel von Martin Luther – neu sei an WikiLeaks lediglich die Digitalisierung. Doch der neu entflammte Diskurs sei wichtig, und WikiLeaks wirke darin als Katalysator, stelle die richtigen Fragen und schaffe ein neues Bewusstsein. Guido Strack fordert besondere Rechtfertigung für Anspruch auf Geheimhaltung im öffentlichen Raum und besondere Rechtfertigung für die Forderung nach Transparenz im privaten Raum. Informationsfreiheitsgesetze seien wichtig, aber es brauche auch einen effektiven Rechtsschutz für Whistleblower. Wie lange und vor wem ist etwas geheim? Eine Frage, die immer wieder neu gestellt werden müsse - Strack schlägt vor, Geheimnisse der Regierung nach 3 Jahren offenzulegen, somit besteht die Möglichkeit, die Entscheidungen der Regierenden noch innerhalb einer Legislaturperiode einzusehen. Weiterhin solle Leaking nicht als Medienprivileg gelten, jede Person, jeder Blogger solle brisante Informationen enthüllen dürfen.
Prof. Dr. Christoph Bieber unterscheidet zwei Arten von Leaks, policy leaks und politics leaks: erstere, beispielsweise das Colleteral Murder Video oder die War Logs aus dem Irak, erregten nur für kurze Zeit die öffentliche Aufmerksamkeit. Der große Knall hingegen erfolgte erst bei der Veröffentlichung der amerikanischen Botschaftsdepeschen, „Cablegate“. WikiLeaks habe den Meinungsbildungsprozess verändert und neue Konstellationen geschaffen, um Öffentlichkeit herzustellen. Dieser Einfluss werde auch nach WikiLeaks fortwirken, Leaking könne sich zu einer neuen Form des Journalismus entwickeln, einer neuen vernetzten, vierten Gewalt.
Prof. Dr. Bieber erinnerte daran, dass auch WikiLeaks aus einem bestimmten normativen Milieu stammt und dass abstrahiert werden muss zwischen der Plattform, auf der Leaks veröffentlicht werden und der Botschaft, die sie beinhalten. Auch wenn Julian Assange fähig sei, WikiLeaks lahmzulegen, sei die Idee, die mit dieser Plattform öffentlich wurde, nicht mehr zu stoppen.
Guido Strack führte daraufhin, wie auch Wolfram von Heynitz zuvor, eine Unterscheidung zwischen Leakern und Whistleblowern ein – letztere handeln zielorientiert, wollen Veränderungen bewirken. Leaking hingegen sei dokumentenbasiert und müsse nicht immer zielgerichtet sein. Auf Nachfrage aus dem Plenum betonte er die Überflutung von Dokumenten, die mit der Digitalisierung des Leaking möglich sei, und dass die Bürger weder Zeit noch Ressourcen haben, um mit dieser Datenfülle umzugehen.
Prof. Dr. Bieber sieht beispielsweise die Botschaftsdepeschen aber auch als neue wissenschaftliche Quellen. Interessant wäre doch etwa, was im Vorhinein über die Finanzkrise gesagt und verhandelt worden ist. Seiner Meinung nach besteht dennoch Konsens darüber, dass Geheimnisse im politischen Raum notwendig sind, und daran wolle auch WikiLeaks auch nicht rütteln. Dennoch gäbe es eine wachsende Datenorientierung, WikiLeaks überrumpele politische Prozesse. Politiker wissen zudem zu wenig über Leaking und die Wirkungen des wachsenden Datenflusses.
Auf einen Kommentar aus dem Plenum, dass WikiLeaks zum Schutz der Bevölkerung vor der Manipulation durch die Politik fungiere, antwortete Wolfram von Heynitz, dass es klare Regelungen gebe, die in solchen Fällen wirken. Auch Guido Strack betonte, dass WikiLeaks vor allem wegen des Versagens der Medien zu einem alternativen Informationskanal aufsteigen konnte. Prof. Dr. Christoph Bieber führte hierzu das Beispiel des Colleteral Murder Videos an, für dessen Entschlüsselung und Bearbeitung reguläre Medien nicht genügend Ressourcen hätten bereitstellen können. Dieses Problem zeige sich ebenfalls beim aktuellen Fall des Staatstrojaners.
Auch die Rolle von Julian Assange wurde diskutiert: Ist er endgültig gescheitert oder gilt er gar als Bewegungsintelektueller für Anonymous, die Piraten und die Occupy-Bewegung?
Zuletzt kam die Frage nach einer Regulierung des Leakens auf: Kann es überhaupt eine Regulierung, vor allem im transnationalen Prozess, geben? Wolfram von Heynitz hält das nicht für nötig: Es sei die Aufgabe von Politikern, Leaking durch Öffentlichkeit zu verhindern – schließlich seien sie, sofern aus westlichen rationalen Demokratien „keine emotionalen Tierchen“, sondern handelten rational. Eine Regulierung sei auch aufgrund der technisch komplexen Prozesse, die mit Leaking einhergehen, nicht möglich. Guido Strack warf jedoch ein, dass mit der Sperrung der WikiLeaks-Konten durch PayPal eine multinationale Regulierung stattgefunden hat. Auch Prof. Dr. Christoph Bieber sprach von einem neuen „Unterwachen der politischen Akteure“ - denn den Instanzen, welche regulativ wirken könnten, fehle das Know How. Die hingegen, die dieses besitzen, nutzen es zur Deregulierung.
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