Katharina Jost
LA LANTERNE MAGIQUE. Projektion und Performance. Méliès’ ›Trickfilm‹ als Zeugnis multimedialer Aufführungspraktiken um 1900
In dem Film LA LANTERNE MAGIQUE (F 1903, Georges Méliès) wird nicht nur das Medium der Laterna magica vorgestellt und reflektiert, sondern in der Abarbeitung an ihr wird der Film selbst vorgeführt mit seinen (Trick)-Möglichkeiten.[1] Ebenfalls handelt es sich hier auch im weiteren Sinne um einen Wettstreit der „Künste“, in welchem sich das neuere Medium (Film) über das ältere erhebt, sich dessen ermächtigt, um es schließlich zu absorbieren.
Film/Raum
Der Film, der in einer einzigen Einstellung gedreht wurde, zeigt einen Bühnen- und Filmraum. Gedreht wurde er in Méliès erstem (ab 1897), aber bereits erweitertem Studio „A“. Dieses orientierte sich in seinen Maßen an dem Theater Robert-Houdin, wo Méliès zuvor Direktor war.[2] Die Bühne hatte einen drei Meter tiefen Graben mit Hub-Podien.[3] Ein Modell zeigt die Anordnung der Kamera im Raum im Verhältnis zur Bühne. Die Organisation des Blicks (hier symbolisiert durch die Kamera) erinnert an den vorherigen des Publikums im Theater. Auf der Bühne des Modells befindet sich ein großer Aufbau. Zu sehen ist auch Bühnentechnik, mit welcher das Bühnenbild durch Schnüre bewegt werden kann. Die Einstellung in LA LANTERNE MAGIQUE bleibt dem Aufbau entsprechend statisch. Gleichzeitig werden in ihr im Laufe des Films Trick-Verfahren der Montage angewendet. Die Kulisse deutet ein Kinderzimmer an, was die verschiedenen Spielzeuge zeigt, wie eine Puppe und einen überlebensgroßen Hasen. Die meisten Gegenstände sind auf einer Leinwand in einer Trompe-l’oeil-Technik gemalt. „Ab 1899/1900 wurde der Prospekt von den zwei Brücken des Schnürbodens, die es halten, herab entrollt.“[4] Gemalt wurde in Grautönen, da sich damit nicht gewollte „Farb“-Effekte verhindern ließen.[5] Die Gegenstände werden ostentativ in ihrer ‚Kulissenhaftigkeit‘ ausgestellt. Ein Kinderzimmer ist ein Ort der Kreativität und Fantasie. Schon in dem Märchen „Der standhafte Zinnsoldat“[6] von Hans Christian Andersen (1838) werden die Spielzeuge lebendig und interagieren miteinander. In diesem Märchen sind der Protagonist und die Protagonistin ein Zinnsoldat und eine Tänzerin aus Papier, deren eines Bein sie so hochhält, dass es nicht zu sehen ist. Auch bei Méliès treten Soldaten und eine Tänzerin (Zizi Papillon) auf, deren besondere Begabung darin zu liegen scheint, ihr Bein möglichst hochzuwerfen.[7] Durch das Spiel mit den Größenverhältnissen scheinen auch die später auftretenden Akteure (Pierrot und Harlekin) klein zu sein und einer Phantasiewelt zuzugehören.
Die Laterne im Film
Der Film lässt sich in zwei Teile gliedern. Im ersten Part des Filmes erscheinen Pierrot und Harlekin, um dann aus Teilen die Laterna magica aufzubauen oder zu rekonstruieren. Man könnte es so lesen, dass sie bereits nicht mehr in Funktion war und erst erneut zum Leben erweckt werden musste: Erst der Sockel, dann die einzelnen Wände, darauf das Dach. Diese Reinszenierung könnte auf ihre Ablösung durch den Film hindeuten. Die Laterne selbst ist überlebensgroß. Zuletzt wird ein Öllicht in sie gestellt und mit einem übergroßen Streichholz angezündet. Die Zusammensetzung der Laterne scheint einer Vorführung ihres Aufbaus gleichzukommen. In dem Moment, in welchem die Verschlusskappe der Linse entfernt wird, erscheint das charakteristische kreisrunde Laternenbild an der Kinderzimmerwand bzw. auf einer Projektionsfläche. Was jedoch fehlt, ist das Glas-Bild, welches in die Laterne zum Zweck der Projektion eingeschoben werden muss. Hier scheint die Laterne aus sich heraus Bilder zu produzieren. Sie ist in einem doppelten Sinne magisch.
Der Film im Film
Bei den bewegten Bildern der Laterne handelt es sich um eine Projektion, dargestellt in der Projektion des Films. Für den/die Zuschauer*in ist es ein Film im Film, denn überraschenderweise zeigt die Laterne nicht einzelne auszutauschende Glasbilder, sondern einen fortlaufenden Film. Hierauf möchte ich gleich noch genauer eingehen.
Im von der Laterne projizierten Film sehen wir ein Liebespaar in Rokoko-Kostümen, welches dann karikiert wird (sie werden alt, ihr Aufzug wird lächerlich). Letztendlich tauchen Pierrot und Harlekin selbst in der Projektion auf. Während der Vorführung sehen wir sowohl den projizierten Film an der Wand, dem wir folgen, als auch weiterhin die Laterne als Quelle der Bilder sowie seine Zuschauer im Bild: Pierrot und Harlekin, die uns (den/die Betrachter*in) spiegeln. Gleichzeitig bleiben Pierrot und Harlekin auch Protagonisten für uns als Publikum und Darsteller in der Projektion der Laterne. Sie reagieren stark auf ihr eigenes Bild. Harlekin scheint sogar nach dem Ursprung seines ‚virtuellen‘ Bildes zu suchen, indem er in der Laterne nachsieht.
Bemerkenswert an dieser Projektion innerhalb der Projektion ist auch, dass sie im Gegensatz zur Kameraeinstellung des eigentlichen Films, die Figuren in Nahaufnahme zeigt. Hierdurch wirken die Bilder intimer. In dem Moment, wo Pierrot und Harlekin in ihr auftauchen, scheint es, als könnten wir ihre verwunderten Gesichter in einem Spiegel sehen, vor welchem sie stehen. Es handelt sich also nicht nur um zwei ineinander verschachtelte Filme, sondern der ‚innere‘ Film scheint eine andere Art von Bildern zu generieren. Einerseits scheinen es ‚innere‘ Bilder zu sein, auf der anderen Seite sind es Bilder vor einer Landschaftskulisse, die für ein Außen stehen soll.[8] Auch diese Kulisse versucht nicht zu verstecken, dass sie gemalt wurde. Man könnte die Gegenüberstellung der Figuren, die sich durch das auch ‚doppelte‘ Medium (Laterne/Film) treffen, als Doppelgänger-Motiv lesen. Mich interessiert an dieser Stelle aber eher die Selbstreflexion des Films, handelt es sich doch um eine Reflexion der Geschichte des eigenen Mediums, da die Laterna magica als Vorläuferin des Kinos gilt.
Magische Box
Nach der Vorführung der Laterna magica als Medium und Objekt, als Bilderwerferin ohne Glas-Bilder, nimmt der Film eine Wendung und zeigt sie als magische Box.
Als Pierrot und Harlekin sie öffnen, indem sie sie zu allen Seiten gleichzeitig herunterklappen, kommen Tänzerinnen zum Vorschein. Nun folgen verschiedene Tanznummern, deren Mittelpunkt die ihr Bein hochwerfende Zizi Papillon darstellt. Auch ein Damenpaar, eine von beiden in einer Hosenrolle, wird von der Zauberlaterne ausgespuckt, ebenso Ballerinen im Tutu. Die Box muss immer wieder geöffnet und geschlossen werden, um neue Figuren aus ihrem Innersten freizugeben, so wie sie zuvor ‚virtuelle‘ Bilder freigegeben hat.[9] Als Soldaten mit Säbeln auftauchen, verstecken sich Pierrot und Harlekin selbst in der Laterne. Nachdem die Soldaten sie hieraufhin öffnen, sind die beiden verschwunden und an ihre Stelle ist eine Figur getreten, die sich überlebensgroß zu machen versteht. Wenn die Soldaten in Folge abtreten, löst sich die Handlung in einem Reigen der Tänzerinnen um die Laterne auf.
In diesem zweiten Teil des Filmes erinnert die Laterne an die Boxen der Magier in Bühnenshows wie denen von Robert-Houdin und Méliès. Das Werbeplakat des Théatre Robert-Houdin „La Malle des Indes“ von ca. 1875 zeigt nicht nur ein exotistisches Sujet, sondern auch eine Box auf der Bühne, hier in Form eines indischen Koffers, der auf den späteren Trick verweist. Méliès, der zunächst selbst als Magier tätig war, griff mit seinem ersten ‚magischen‘ Film Escamotage d‘ une dame chez Robert-Houdin (The Vanishing Lady), F 1896 kaum zufällig einen Zaubertrick von Robert-Houdin auf.[10] In dem von André Méliès hergestellten naiven Modell des Theaters, wie es bis 1923 existierte, wird dieses selbst zur Box, zum Guckkasten. Für Nepomuk Zettl stellt die Box bei Méliès jedoch nicht nur eine Tradition mit der Magie her, sondern sie wird für ihn zum Symbol für den Kamerakasten selbst.[11]. Wird doch der Trick nicht mehr in der gezeigten Box vollführt, sondern durch die Kamera und die Montage ihrer Bilder.[12]
Durch filmische Variation seiner Trick-Montage reflektieren die inszenierten Kästen die dispositive Struktur der kinematographischen Reproduktion. Dabei fungieren die frühen technischen Apparaturen als Schnittstelle zwischen photographischer Aufnahme und Projektion. Die Vorstellung von einer unsichtbaren Maschinerie, die derlei Kisten in einem Täuschungsmanöver zu verbergen scheinen, impliziert zudem eine dispositive Ordnung, die zuvor auf der Illusionsbühne des Theaters in einer konkreten räumlichen Aufteilung organisiert wurde.[13]
So gelesen steht die magische Box in LA LANTERNE MAGIQUE nicht nur für eine Bühnentradition, welche bereits im Spiel mit der Magie Wirklichkeit und Täuschung behandelte, sondern insbesondere als Laterna magica für die Kamera selbst und ihre Funktionsweise, die es vermag mittels der Montage Figuren erscheinen und verschwinden zu lassen. Ebenso steht sie als Projektor für das Kino, seine Apparate und sein Dispositiv. Das Kino selbst ist ein dunkler Kasten, in den Menschen hineingehen, was Grundlage wiederum für die sich darin entfaltende Magie ist. Für Zettl steht die „Magie“, welche in frühen Filmen zum Gegenstand gemacht wird, auch für eine Verunsicherung einem neuem Medium gegenüber sowie ebenso für eine Schaulust an unerwarteten Wendungen und Attraktionen.[14]
Tanz
Der Tanz nimmt in LA LANTERNE MAGIQUE eine wichtige Rolle ein. Man könnte den Trickfilm auch als Tanzfilm bezeichnen oder mit Kristina Köhler als „tänzerischen Film“.[15] Für Elisabeth Ezra sind die auftretenden Tänzerinnen eine Form eines „non-digetic-insert“.[16] Sie liest die Tanzeinlage als Unterbrechung oder als Pausieren der eigentlichen Szene, da sie das Narrativ nicht weiterentwickele.[17] So gelesen wird der Film im gewissen Sinne angehalten, wie im Theater, um eine Zwischennummer zu zeigen. Ich möchte hier aber anders argumentieren und später zeigen, dass der „Trickfilm“ die Nummern selbst zum Gegenstand hat und damit seinen eigenen Kontext dokumentiert und sich nicht einzig von Trick zu Trick, von Attraktion zu Attraktion hangelt. Köhler arbeitet in ihrer Dissertation eine Betonung des sinnlichen Kinoereignisses durch Tanz im Gegensatz zu einem semiotischen Ansatz heraus und stellt fest, die Bewegung im Film sei in der Filmtheorie zu Gunsten der Narration vernachlässigt worden (hier bezieht sie sich auf Gunning 2009).[18] Gerade der Mangel an Narration ist ein Vorwurf, der dem frühen Kino oft gemacht wurde auch unter Zuhilfenahme des Begriffs des „Cinema of Attractions“.[19] Köhler hält u.a. in der Auseinandersetzung mit Siegfried Kracauer fest, für ihn sei der Tanz etwas gewesen, was sie ein „reflexives Motiv“ nennt, da er die Charakteristika des Films, u.a. seine Bewegung, auf die Leinwand bringe und sichtbar mache. [20] So gelesen funktioniert der Tanz im Film von Méliès ähnlich wie die Auseinandersetzung mit der Laterne (hier Kamera/Projektor) als Reflexionsmöglichkeit der eigenen filmischen Möglichkeiten und als Übersetzung der filmischen Mittel (Bewegung, Rhythmus und „tanzende“ Bilder) auf die Oberfläche der Leinwand.
Verschiedene Formen der Gegenwärtigkeit
Was vermittelt uns der Film in Bezug auf die Laterna magica? Dass die magische Laterne auch ein ‚magischer‘ Raum ist, durch welchen sich Welt transformiert bzw. generiert? Tatsächlich kann die Laterne nur wiedergeben, was in ihren (auch photographischen) Bildern an Welt gespiegelt und adaptiert wird. Die Glas-Bilder kommen bei Méliès jedoch nicht vor. An ihre Stelle treten bewegte Filmbilder. Geht es also um einen Wettstreit der Künste (Paragone)? Zugleich zeigt die Laterne filmisch bewegte Bilder und muss daher auch als Filmprojektor gelesen werden. So entsteht ein Wettbewerb in dem Sinne, dass die projizierten, bewegten Bilder der Laterne (des Filmprojektors) im Gegensatz zu den „herkömmlichen“ Laternenbildern eine „Liveness“ versprechen, die so weit geht, dass Figuren selbst aus der Laterne auftreten können (was sie natürlich nur im Film von Méliès können). Damit scheint der Film an dieser Stelle den Wettstreit für sich zu entscheiden, da er das Versprechen der „magischen“ Laterne auf seine Art und Weise einzulösen versteht und sie damit übertrumpft.
Es handelt sich in LA LANTERNE MAGIQUE um ein Spiel mit verschiedenen Realitäten. Durch den Film im Film scheint Méliès hier mit innerfilmischer und außerfilmischer Wirklichkeit zu spielen. Jens Ruchatz sieht in dieser „Splittung“ der verschiedenen Formen von Präsenz die „Trennung des materiellen Projektionsbilds vom immateriellen projizierten Bild“.[21] Er spricht „von tatsächlicher und bildlich vermittelter Anwesenheit, so dass die Projektion als Maschinerie zur artifiziellen Herstellung von Präsenz auftritt.“[22] Tatsächlich ist es noch komplexer, da nicht nur die Figuren, welche aus der Laterne heraus erscheinen, filmisch sind. Eine dritte „Wirklichkeit“ offenbart sich in den Figuren von Pierrot und Harlekin, treten sie doch von links und rechts aus dem außerfilmischen-Raum in der Mise-en-scène auf, was man hier auch als einen Bruch der Diegese verstehen könnte.[23] Es werden also scheinbar drei Ebenen der Präsenz aufgefächert, die doch alle nur diejenige des Films haben können.
Laterna magica
Der Kunsthistoriker Jonathan Crary behandelt die Laterna magica in seinen Thesen zum Betrachter im 19. Jahrhundert als Umkehrung der Camera obscura.[24] Während die Camera obscura die Welt durch ein Loch einfange und wiedergebe, projiziere die Laterna magica etwas durch künstliches Licht in die Welt.[25] Jill Casid kritisiert diese Gegenüberstellung Crarys.[26] Die Camera obscura werde zum Bild des Sehens schlechthin und damit zum rationalen Gegenstand eines „scopic regime of rational vision“,[27] während die Laterna magica für die Fantasie stehe, sowie für das Magische im dunklen Raum eines „alien belief system“[28] und laut Crary nie die gleiche Wichtigkeit gehabt habe.[29] Dies ist für Casid nur teilweise zutreffend. Auch die Camera obscura gibt ein konstruiertes Bild einer Wirklichkeit wieder, während die Laterna magica Bilder in eine Wirklichkeit wirft, die Teil dieser werden. Auch so könnte man die nicht nur Bilder, sondern auch Figuren ausspuckende Laterne lesen. In dem Moment, in welchem sie den Apparat verlassen, werden die Bilder zu etwas, was Anteil an der realen Welt hat und auch auf diese zurückwirken kann. So bringt der gezeigte Film Pierrot und Harlekin zum Staunen. Indem Pierrot und Harlekin am Ende in der Laterne selbst verschwinden, bzw. sich in ihr erst in etwas anderes transformieren, zeigen sie ihre eigene „Virtualität“ und ihren Ursprung als Figuren, die auf einer Projektionsfläche erscheinen.[30]Ihre Transformation mag auch ein Verweis auf die so genannten Nebelbilder (Dissolving Views) der Laterne sein, in welchen sich ein Bild in einer Metamorphose langsam durch Überblendung in ein anderes verwandelt hat. Hier bewegen sich die Bilder aufeinander, sie scheinen zu kommen und zu gehen, sich gegenseitig zu berühren und ein drittes Bild zu zeigen, welches sich selbst im Wandel befindet.
Multimediale Aufführungspraktiken
Lange Zeit liefen Film- und Laterna magica-Projektionen in ein und derselben Veranstaltung. 1903 rahmten sich Film und Laternen-Projektionen noch gegenseitig im Programm. Auch in dem Film von Méliès scheint die Projektion der Laterne von einem Rahmen-Programm, hier vor allem von Tanz, begleitet zu sein. Ludwig Vogl-Bienek streicht für die Laterna magica die Live-Performance einer „Art of Projection“ im deutschen Wort „Projektionskunst“ heraus.[31] In dieser Bezeichnung soll die „Liveness“ mitgedacht werden.[32] Er stellt das Medium der Laterna magica als ein Performance-Medium heraus und betont: „The art of projection firmly established the screen as a cultural locale that integrates virtual realities into public performances.“[33] Diese Kombination von magisch-virtueller Performance und tatsächlicher Aufführung wird bei Méliès paradigmatisch vorgeführt.
Dazu passt, dass in eben jenem Theater (Théâtre Robert-Houdin), in welchem Méliès als Magier auftrat, er in seinen Programmen u.a. auch mit der Laterna magica experimentierte.[34] Er verwendete sowohl das Chromatrop (Glasbilder mit Kaleidoskop-Effekt) als auch andere Laternen-Bilder mit Mechanismen, um ein bewegtes Bild zu erzeugen (Effect Slides).[35] Die filmische Auseinandersetzung mit der Laterne in LA LANTERNE MAGIQUE ist also nicht nur ein Spiel eines Filmemachers mit ihr, sondern jemandes, der mit ihr jahrelang gearbeitet hat, der ihr bereits Bilder entlockt hatte und sie in seine Programme integriert hatte.[36] Das Nebeneinander von Laternen-Bildern im Theater und anderen Formen von Bühnen-Performances wie Tanz setzt sich in Méliès Kurzfilm fort.[37] Der Tanz im Film selbst hat eine intermediale Ebene. Ebenso dauert dieses Nebeneinander oder Miteinander auch mit Beginn der Präsentation von Film (ab 1896) in seiner Präsentation in Live-Programmen wie z.B. Tanznummern in Méliès Theater an.[38] Méliès produzierte noch 1905/1906 Kurzfilme, die gemacht wurden, um Teil einer Theaterproduktion zu sein, welche sich verschiedener Medienformen bediente.[39] Es ist stark davon auszugehen, dass auch LA LANTERNE MAGIQUE in einem Rahmenprogramm gezeigt wurde, was u.a. aus Tanz bestand, eventuell begleitet von einem Laternen-Programm. Frank Kessler stellt zu diesem Umstand des frühen Kinos fest: „Eingebettet in verschiedene Arten von Schaustellungen, übernahm das Kino immer wieder deren Formen, Funktionen und Inhalte.“[40] Dieses gilt für Méliès Film auf den ersten Blick auch, auf den zweiten scheint das Spiel mit den verschiedenen Präsenzen diese Adaption des eigenen Rahmens auch wieder zu abstrahieren und auszustellen und ein Verwirrspiel mit ihm zu treiben. Der Film LA LANTERNE MAGIQUE ist also nicht nur ein Beispiel eines Kinos der Attraktionen, welches nur vermeintlich weniger auf eine Narration als auf Filmtricks und Spektakel setzt, sondern vielmehr eine Übersetzung einer multi-medialen Programmpraxis in den Film, der doch auch selbst noch Teil dieses Zusammenspieles war. Schließlich reflektiert und absorbiert der Film hier Aspekte seiner (historischen) Aufführungspraktiken, um einmal mehr zu demonstrieren, dass er auch ohne zusätzliches Rahmenprogramm zum vollgültigen Unterhaltungsmedium taugt. In gewissem Sinne scheint der Film sich hier mit seinem eigenen, integrierten Rahmenprogramm selbst zu unterhalten.
Redaktion: Thomas Helbig
Zur Autorin
Katharina Jost wurde in Hamburg geboren. Sie hat an der Universität Wien und der Goethe-Universität Frankfurt am Main Theater-, Film- und Medienwissenschaften sowie Kunstgeschichte studiert. Ihre Masterarbeit „Europäische Projektionen auf Ägypten im Medium der Laterna magica. Die ‚Ägypten-Kisten‘ im Archiv Ruth Baumer & Günther Holzhey/ Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt am Main“ (Betreut von Prof’in. Dr. Mechthild Fend (Kunstgeschichtliches Institut) und Prof. Dr. Rembert Hüser (Institut für Medienwissenschaften)) widmete sich der Aufarbeitung von orientalistischen Motiven auf Laternen-Bildern in der Sammlung des DFF, im Hinblick ihrer kolonialistischer Perspektivierung. Die Ergebnisse ihrer Masterarbeiten wurden jüngst im Rahmen eines Podcasts behandelt [→Link]. Im DFF ist sie als freie pädagogische Mitarbeiterin in der Vermittlung seit 2013 tätig und hat auch Beiträge zu weiteren Objekten der Sammlung veröffentlicht [→Link], [→Link] , [→Link], [→Link]. Seit 2023 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Graduiertenkolleg der Filmwissenschaft „Konfigurationen des Films“ (Goethe-Universität Frankfurt am Main) [→Link] und promoviert zu dem Gegenstand „Homemovies in Koffern“. Ihre Forschungsthemen sind u. a.: Projektionskunst im 19. Jhd., Genderfragen, (Post-) Kolonialismus, Homemovies, Exotismus, (virtuelle) Reisen.
Anmerkungen
[1] Georges Méliès, La Lantern magique (The Magic Lantern), F 1903, nos 520-5; 100 m, vgl. Elisabeth Ezra, Georges Méliès. The birth of the auteur, Manchester 2000, S. 155.
[2] Vgl. Cinematheque française, Magazine, Maquette du Studio „A“ de Georges Méliés, 2015, in: https://www.cinematheque.fr/objet/404.html, abgerufen am 14.09.2023.
[3] Vgl. Jacques Malthête, Die Organisation des Raums bei Méliès, in: Frank Kessler, Sabine Lenk, Martin Loiperdinger (Hg.), Georges Méliès. Magier der Filmkunst, Basel 1993, S. 47–52, hier S. 47.
[4] Ebd., S. 48.
[5] Vgl. ebd.
[6] Hans Christian Andersen, Der standhafte Zinnsoldat, in: ders., Andersens Märchen, München 2003, S.22-27.
[7] Zizi Papillon wird nicht im Film selbst genannt, IMDb gibt sie jedoch an. Vgl.: Georges Méliès, La Lantern magique (The Magic Lantern), F 1903, in: IMDb, in: https://www.imdb.com/title/tt0223622/?ref_=tt_urv, zuletzt abgerufen am 13.07.2023.
[8] Die Laterna magica vermochte Bilder aus der ganzen Welt im Kinderzimmer lebendig werden zu lassen.
[9] Auch jetzt gibt sie Bilder frei, Filmbilder.
[10] Wenn auch im Film der ursprüngliche Kasten durch ein Tuch ersetzt wurde, vgl. Nepomuk Zettl, Eingeschlossene Räume. Das Motiv der Box im Film, Bielefeld, S. 44.
[11] Vgl. ebd., S. 42.
[12] Vgl. ebd.
[13] Ebd.
[14] Vgl. ebd., S. 41.
[15] Für Köhler ist der „tänzerische“ Film nicht ausschließlich „Tanzfilm“ im traditionellen Sinne, sondern Film, der auch durch Rhythmus und Bewegung tanzt. Kristina Köhler, Der tänzerische Film. Frühe Filmkultur und moderner Tanz, Marburg 2017, S. 16.
[16] Ezra 2000 (wie Anm. 1), S. 38.
[17] Vgl. ebd.
[18] Vgl. Tom Gunning, The Attraction of Motion. Modern Representation and the Image of Movement, in: Annemone Ligensa und Klaus Kreimeier, (Hg.), Film 1900. Technology, Perception, Culture, New Barnet 2009, S. 165-173, hier S. 165, zit. n. Köhler 2017 (wie Anm. 15), S. 20.
[19] Vgl. Richard Abel, The Ciné goes to Town. French Cinema 1896-1914, Berkeley 1998, S. 156ff., zit n. Ezra 2000 (wie Anm. 1), S. 4.
[20] Zit. n.: Köhler 2017 (wie Anm. 15), S. 17. Vgl. Siegfried Kracauer, Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit [engl. 1960], Frankfurt am Main, S. 73.
[21] Jens Ruchatz, Projektionen der Vorläufer. Laterna magica und Camera obscura im Film, in: Kay Kirchmann und ders. (Hg.), Medienreflexion im Film, Bielefeld 2014, S. 59-72, hier S. 59.
[22] Ebd.
[23] Für die Diegese ist eine kohärente Filmwelt bzw. filmische Erzählung vorauszusetzen, hier könnte man auch dagegen argumentieren, jedoch sorgen insbesondere die Film-Tricks für eine bestimmte filmische Narration. Diese Form des Bühnenauftritts gilt auch für Zizi Papillon und die Soldaten.
[24] Vgl. Jonathan Crary, Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert [engl. EA 1990], Köln/Basel 1996, S. 44.
[25] Ebd.
[26] Vgl. Jill H. Casid, Scenes of projecting. Recasting the Enlightenment Subject, Minneapolis/London 2015, S. 19.
[27] Ebd.
[28] Ebd.
[29] Vgl. ebd.
[30] Ebenfalls verweisen die beiden Figuren auf die Comédie dell’arte und damit auf eine Bühnentradition und Theatergeschichte.
[31] Vgl. Ludwig Vogl-Bienek, A Lantern Lecture. Slum Life and Living Conditions of the Poor in Fictional and Documentary Lantern Slide Sets, in: ders. und Richard Crangle: Screen Culture and the Social Question 1880-1914, New Barnet 2014, S. 34-63, hier S.35.
[32] Vgl. ebd.
[33] Vgl. ebd.
[34] Vgl. Ezra 2000 (wie Anm. 1), S. 10.
[35] Ebd.
[36] Es gibt noch einen weiteren Film von Méliès, der in seinem Titel mit der Laterna magica und den Phantasmagorien des 18 Jh. spielt: Georges Méliès, Illusions fantasmagoriques (The Famous Box Trick), F 1898, no. 155; 20 m.
[37] Frank Kessler bemerkt Ähnliches für die erste öffentliche Vorführung des Bioskops der Brüder Skladanowsky, die „nicht nur die Schlußnummer einer Soiree im Berliner Wintergarten darstellte, sondern […] ‚ein volles Varieté-Programm in 15 Minuten‘ (wie es in einer Anzeige hieß) darbot.“ Frank Kessler, Öffentliche Lustbarkeiten. Jahrmarkt, Varieté, Kino, in: ders., Sabine Lenk, Martin Loiperdinger (Hg.), Georges Méliès. Magier der Filmkunst, Basel 1993, S. 179–182, hier S. 179.
[38] Vgl. Ezra 2000, (wie Anm. 1), S. 12f.
[39] Vgl. ebd., S. 16.
[40] Kessler 1993 (wie Anm. 37), S. 179.
Literatur
Richard Abel, The Ciné goes to Town. French Cinema 1896-1914, Berkley 1998
Hans Christian Andersen, Der standhafte Zinnsoldat, in: Andersens Märchen, München 2003, S.22-27
Jill H. Casid, Scenes of projecting. Recasting the Enlightenment Subject, Minneapolis/London 2015
Jonathan Crary, Techniken des Betrachters. Sehen und Moderne im 19. Jahrhundert [engl. EA 1990], Köln/Basel 1996
Elisabeth Ezra, Georges Méliès. The birth of the auteur, Manchester 2000
Tom Gunning, The Attraction of Motion. Modern Representation and the Image of Movement, in: Annemone Ligensa und Klaus Kreimeier, (Hg.), Film 1900. Technology, Perception, Culture, New Barnet 2009, S. 165–173
Frank Kessler, Öffentliche Lustbarkeiten. Jahrmarkt, Varieté, Kino, in: ders., Sabine Lenk, Martin Loiperdinger (Hg.),Georges Méliès. Magier der Filmkunst, Basel 1993, S. 179–182
Kristina Köhler, Der tänzerische Film. Frühe Filmkultur und moderner Tanz, Marburg/Schüren 2017
Siegfried Kracauer, Theorie des Films. Die Errettung der äußeren Wirklichkeit [engl. 1960], Frankfurt am Main 2005
Jacques Malthête, Die Organisation des Raums bei Méliès, in: Frank Kessler, Sabine Lenk, Martin Loiperdinger (Hg.), Georges Méliès. Magier der Filmkunst, Basel 1993, S. 47–52
Jens Ruchatz, Projektionen der Vorläufer. Laterna magica und Camera obscura im Film, in: Kay Kirchmann und ders. (Hg.), Medienreflexion im Film, Bielefeld 2014, S. 59-72
Ludwig Vogl-Bienek, A Lantern Lecture. Slum Life and Living Conditions of the Poor in Fictional and Documentary Lantern Slide Sets, in: ders. und Richard Crangle: Screen Culture and the Social Question 1880-1914, New Barnet 2014, S. 34-63
Nepomuk Zettl, Eingeschlossene Räume. Das Motiv der Box im Film, Bielefeld 2020
Onlinequellen
Cinematheque française, Magazine, Maquette du Studio „A“ de Georges Méliés, 2015, in: https://www.cinematheque.fr/objet/404.html, abgerufen am 14.09.2023
Georges Méliès, Escamotage d‘ une dame chez Robert-Houdin (The Vanishing Lady), F 1896, in:https://archive.org/details/GeorgesMeliesEscamotageDuneDameChezRobertHoudin1896, zuletzt abgerufen am 14.09.2023
Georges Méliès, La Lantern magique (The Magic Lantern), F 1903, in: https://www.youtube.com/watch?v=ebf_bXzga5o, zuletzt abgerufen am 27.07.2023
Georges Méliès, La Lantern magique (The Magic Lantern), F 1903, in: IMDb, in: https://www.imdb.com/title/tt0223622/?ref_=tt_urv, zuletzt abgerufen am 13.07.2023
Georges Méliès, La Lantern magique (The Magic Lantern), F 1903, in: IMDb, in: https://www.imdb.com/title/tt0223622/?ref_=tt_urv, zuletzt abgerufen am 13.07.2023
Georges Méliès, Illusions fantasmagoriques (The Famous Box Trick), F 1898, in: https://www.youtube.com/watch?v=_kBvHbbWiOk , zuletzt abgerufen am 14.09.2023
Filme
Georges Méliès, Escamotage d‘ une dame chez Robert-Houdin (The Vanishing Lady), F 1896, no. 70; 20 m.
Georges Méliès, La Lantern magique (The Magic Lantern), F 1903, nos 520-5; 100 m.
Georges Méliès, Illusions fantasmagoriques (The Famous Box Trick), F 1898, no. 155; 20 m.
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1, Vue du Studio „A“ de Georges Méliès, 1900 F, Photographie, schwarz/weiß, Cinémathèque française, in: https://www.cinematheque.fr/objet/405.html, abgerufen am 14.09.2023 (Blick ins Studio, gezeigt wird die Herstellung der Bühnenbilder und ihre Aufbewahrung in Rollen.)
Abb. 2, Maquette du Studio „A” de Georges Méliés, 1960 F, 105 x 110 x 218 cm, Holz und Plexiglas, Photographie Stéphane Dabrowski, Cinémathèque française, https://www.cinematheque.fr/objet/404.html, abgerufen am 14.09.23 (Zu sehen ist die Kamera in einem Anbau direkt gegenüber der Bühne. Auf dieser befindet sich ein großer Aufbau. Zu sehen ist auch Bühnentechnik, mit welcher das Bühnenbild durch Schnüre bewegt werden kann.)
Abb. 3, „La Malle des Indes “, Poster, Imp. Michelet, Paris ca. 1875, Farblithographie, 67 x 52 cm, in: https://www.sothebys.com/en/buy/auction/2021/the-ricky-jay-collection/robert-houdin-emile-pierre-edouard-brunnet-the, abgerufen am 14.09.2023
Abb. 4, Maquette du Théâtre Robert-Houdin, André Méliès, F, 25 x 43 x 37,5 cm, Cinémathèque française, https://www.cinematheque.fr/objet/405.html, abgerufen am 14.09.2023
Emma Tomberger
Die Naturvorstellungen Paul Hoffmanns: Zwischen Kolonialismus und wissenschaftlicher Aufklärung
Willst du eine Reise machen? Eine prächtige, weite Reise, wie du kaum eine schönere auf der Erde machen kannst? – So komm mit […].[1]
Karl Oppel, Das alte Wunderland der Pyramiden.
Ein fremdes Land zu bereisen, ohne auf dessen Boden zu stehen oder gar ein Transportmittel zu benutzen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sollte genau dies möglich gemacht werden. Laterna Magica-Vorstellungen befähigten das Publikum, mithilfe von faszinierenden Lichtbildern die ganze Welt zu erkunden [Link]. So konnte das Fernweh der Menschen gestillt werden und selbst die einfache Bevölkerung mit den projizierten Bildern fast greifbar eine Reise nachempfinden. Auch der Schausteller Paul Hoffmann zeigte diese „Wunder der Urwelt“, während er zugleich seinem Publikum naturwissenschaftliche Erkenntnisse und ein Stück Weltgeschichte erklärte.[2] Die ‚magische‘ Ausführungsform, der von Hoffmanns gezeigten „Wunderländer“ (Abb. 1), ließ Unterhaltung und Bildung überlappen. Sie vermittelte zugleich auch Aspekte der Romantik und Exotik, was ein bestimmtes Bild des Globalen Südens schuf. Wie inszenierte Hoffmann die Naturwunder und wann verschwammen dabei die Grenzen zwischen Bildungsauftrag, Faszination und kolonialistischem Gedankengut in den Darstellungen „ferner“ Länder?
„Wunder der Urwelt“
Im 19. Jahrhundert erfreuten sich Vorträge über Mensch und Natur großer Beliebtheit in der Bevölkerung. Wissenschaftliche Expeditionen brachten Bilder von „fernen“ und „unentdeckten“ Orten nach Europa, die das Publikum staunen ließen. Das Interesse an der natürlichen Welt und Lehrvorträgen machte Naturvorstellungen zu einer neuen Unterhaltungsform. Während am Anfang des 18. Jahrhunderts die Laterna Magica noch mit Zauberei und primitiver Unterhaltung verbunden wurde, etablierte sie sich mit der Aufklärung als Unterhaltungs- und Bildungsmedium. Akademische Vorträge wurden nicht nur technisch anspruchsvoll, ihre Präsentation per Lichtbildvortrag ermöglichte es, faszinierende Naturwunder mit Wissensinhalten zu verknüpfen. Eine Verbindung von Sensationslust und Rationalisierung konnte insbesondere bei der Visualisierung der natürlichen Welt stattfinden, die Raum für das Staunen über die Wunder der Natur ließ – die sogenannte Magia Naturalis oder natürliche Magie. [3]
In zahlreichen Lichtbildern von Landschaften nahm auch Paul Hoffmann sein Publikum mit auf Reisen in „ferne“ Länder und zog es in den Bann natürlicher Magie. Im Sommer 1858 fanden in Wien die ersten wissenschaftlichen Vorträge des Schaustellers mit der Laterna Magica statt. Hoffmanns Darbietungen ernteten sofort großen Erfolg, sodass er mit seiner Frau Mina durch ganz Europa reiste und auch Lehrvorträge an Schulen hielt. Denn der Bildungsauftrag war für ihn von großer Bedeutung.[4] So vergünstigte er den Eintritt für Studierende von 60 auf 40 Pfennige und lud Schulen und Akademien zu seinen Vorträgen ein.[5] Zudem ist festzuhalten, dass sich Hoffmanns Veranstaltungen nicht nur an akademische Kreise richteten, sondern auch der wissenschaftliche Laie seinen Weg in die Vorstellung finden konnte, ohne dass die inhaltliche Qualität darunter litt.[6] In Wien wurde Hoffmann zum Dauergast in Theatern und hielt in der Sommersaison wöchentlich gut besuchte Vorträge.[7] Die Wiener Theater-Zeitung berichtete von seinem wachsenden Erfolg und dokumentierte zugleich die große Begeisterung, welche damals die Darstellung unbekannter „Urwelten“ und „Wunderländer“ (Abb. 1) im Publikum weckte.[8]
In seinen Vorträgen umrundete Paul Hoffmann mit seinem Publikum den Globus. Die Bildträger umfassten Darstellungen von Naturlandschaften und Kulturkunde und trafen damit den Zeitgeist der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert. Das Fernweh des Publikums erwachte und der Traum von einer weiten Reise rückte etwas näher.[9]
Abb. 1 Plakat zu Paul Hoffmanns Vorstellung über „Aegypten und das Nilthal vor 4000 Jahren und jetzt“ um 1878, aus: Hoffmann/Junker 1982, S. 105, URL:https://kor.uni-frankfurt.de/#/entities/396701.
Durch erhaltene Werbeplakate kann nicht nur der Aufbau der Laterna Magica-Vorstellungen nachvollzogen werden, sondern auch wie diese vermarktet wurden. Unterteilt in verschiedene Abschnitte, die zumeist einem Zeitstrahl folgten, erklärte Hoffmann die Weltgeschichte im Zusammenhang mit naturwissenschaftlichen Phänomenen. In seinen vermutlich ersten Vorstellungen im Sommer 1858 erläuterte er chronologisch die Entstehung von Weltall, Planeten und unserer Erdoberfläche. In den 1870er Jahren folgte die Geschichte von Pompeji und dem Alten Ägypten im Zusammenhang mit Theorien über Erdbeben und Vulkanausbrüche (Abb. 1). Spezifische Expeditionsberichte mit einem immer wieder auftauchenden Interesse an landwirtschaftlichen und architektonischen Merkmalen der Orte erweiterten das Programm. Eine Auswahl von Darstellungen „ferner“ Orte wie dem Nordpol, Sibirien und Zentral-Asien sowie dem „Inneren Afrikas“ wurden nicht spezifisch für Gelehrte, sondern für die wissbegierige Bevölkerung zusammengestellt.[10] Hoffmann verwendete Abbildungen aus Reiseberichten und Expeditionen, bereiste wie der Großteil seines Publikums die Orte aber nie selbst. Faszination, Romantik und Fernweh lassen sich deshalb immer wieder in der malerischen Darstellung der „fernen“ Länder und „Urwelten“ wiederfinden und wurden zum Erfolgsrezept des Schaustellers.[11]
Unterhaltung auf dem neuesten Stand
Die technische Qualität und Inszenierung der Bildträger war von großer Bedeutung, um die Wirkung der Lichtbilder zu verstärken. Paul Hoffmann passte seine Vorstellungen immer wieder an den wissenschaftlichen Fortschritt in der Projektionskunst an und bezeichnete sich selbst bald als Künstler und Physiker. Mit seiner handwerklichen Begabung baute er seine eigene Laterna Magica und zeigte immer wieder ein großes Interesse an neuen technischen Möglichkeiten. Er gestaltete alle Bauteile so, dass sie für häufige Reisen und bildreiche Vorstellungen geeignet waren. Mit leichten Materialien wie dem sogenannten Pappholz und einer dünnen Glasträgerplatte vereinfachte Hoffmann den Transport seines Equipments. Durch die nahezu einheitliche Größe der gläsernen Bildträger und hölzernen Rahmen konnten Motive einfach gewechselt und erneuert werden. Anhand der Beschriftungen ist zu erkennen, dass Hoffman seine Sammlung ständig aktualisierte und veränderte (Abb. 2). Auch der Wechsel von handbemalten Laternenbildern hin zur seriell-hergestellten fotografischen Glasträgern lässt sich beobachten. Es ist jedoch bis heute unklar, wer den weitaus größeren Bestand an handbemalten Bildträgern produzierte, da diese oftmals optischen Ateliers mit vielen Angestellten entstammten (Abb. 3).[12]
Abb. 2 Laternenbild mit verschiedenen Aufklebern und Aufschriften in den Schriftzügen Paul Hoffmanns, um 1872, aus: Hoffmann/Junker 1982, S. 59, URL: https://kor.uni-frankfurt.de/#/entities/396713
Abb. 3 Bildträger der Firma A. Krüss auf einem Mahagoniholzrahmen, Hamburg um 1860, aus: Hoffmann/Junker 1982, S. 59, URL: https://kor.uni-frankfurt.de/#/entities/396712
Die Apparate von Paul Hoffmann sind nicht mehr erhalten. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat er jedoch mit mindestens zwei Laterna Magicas oder einer Doppellaterne gearbeitet.[13] Diese befanden sich zur damaligen Zeit in den großen Theatersälen hinter halb-transparenten Leinwänden und wurden somit vor den Augen des Publikums verborgen. Äußerst fortschrittlich war zudem die anfangs kostspielige Verwendung von Gas als Lichtquelle. Nach jahrzehntelanger Verwendung von Öllampen wurde hiermit „die Grundlage […] für den Einsatz der Laterna magica in respektableren Bildungs- und Reformkontexten gelegt“ (Jakobs 2014, S. 325).[14] Auch zeitgenössische Zeitungen berichteten von der technischen Qualität der Vorstellungen Hoffmanns:
Über die Trefflichkeit und wissenschaftliche Genauigkeit der überraschend schönen, prächtigen Tableaux, sowie über die Schärfe und Kraft des Beleuchtungs-Apparates hat sich die ganze hiesige Presse bereits ausgesprochen.
(Wiener Theater-Zeitung 18.07.1858, S. 647)
Um den Effekt der Lichtbilder zur verstärken, wurden diese durch verschiedene Methoden manipuliert. Hoffmann verwendete Dissolving Views bzw. Nebelbild-Projektionen, bei denen zwischen zwei Laterna Magica Bildmotiven fließend gewechselt wurde. Dadurch konnte der Wechsel vom helllichten Tag zum Einbruch der Nacht wie im Zeitraffer beobachtet werden (Abb. 4 und 5). Die Unterhaltung des Publikums war für Hoffmann folglich neben den wissenschaftlichen Inhalten von großer Bedeutung. Seine Naturdarstellungen sollten nicht nur belehren, sondern auch zum Staunen bringen.[15]
Abb. 4 und 5 Zwei Nebelbilder von den „Empfangsfeierlichkeiten des Kaisers von Rußland am Alsterbassin in Hamburg“, ausgeführt in der Anzeige von Paul Hoffmanns Vorstellung im Wiener „Fremden Blatt“ vom 03.08.1858, aus: Hoffmann/Junker 1982, S. 68, URL: https://kor.uni-frankfurt.de/#/entities/396697 und https://kor.uni-frankfurt.de/#/entities/396698.
Kolonialismus und Natur
Dass Hoffmann Wissensübermittlung mit Unterhaltung verband, lässt sich auch an der Wahl der Bildmotive erkennen. Seine Vorträge über das Sonnensystem und die Entstehung der Erdoberfläche gestalteten sich sehr informativ. Die Bildserie über die Reisen des Kaisers diente jedoch fast ausschließlich der Unterhaltung (Abb. 4 und 5) und auch die eindrucksvollen Landschaften anderer Länder faszinierten und belehrten zugleich.[16] Hoffmann bewarb diese als „ferne“ und unerforschte Orte, um das Interesse des europäischen Publikums zu wecken. In den Vorstellungsreihen über den Afrikanischen Kontinent verwendete Hoffmann beispielsweise Holzstiche der Expeditionen Eduard Vogels. Der Botaniker und Astronom reiste in der englischen „Afrikanischen Gesellschaft“ 1849 offiziell zum Zweck der zoologischen Erforschung. Hoffmann nutze einen Bildband, der von dem Geographen Hermann Wagner zusammengestellt wurde. Hoffmann wählte 41 Bilder aus, um Vogels Reise zu begleiten. Dabei überging er jedoch bewusst Darstellungen, die sich auf detailreiche Aufnahmen von Pflanzen und Tieren reduzierten. Die Kunsthistoriker Detlef Hoffmann und Almut Junker verweisen auf die bewusste Entscheidung für eindrucksvolle und dramatische Szenen und heben die kolonialistischen politischen Hauptmotive hinter den Expeditionsreisen und der Erforschung „ferner Länder“ im 19. Jahrhundert hervor.[17] In Berichten der Wiener Theater-Zeitung hingegen wird Folgendes über den Schausteller geschrieben:
Die Vorstellungen selbst, streng wissenschaftlichen Forderungen entsprechend, sind von hohem Interesse. […] Schon ein flüchtiger Blick auf das Programm, auf die scientistische Einteilung und Anordnung weckt eine günstige Meinung […].
(Wiener Theater-Zeitung 18.07.1858, S.647)
Das Lob der sachlichen Wissensvermittlung Hoffmanns steht im Kontrast zu heutigen Analysen der Bildträger. Die visuelle Inszenierung der vermeintlich unentdeckten und exotischen Orte, die sich in den Bildträgern unmittelbar eingeschrieben hat, gilt es daher in den zeitgeschichtlichen Kontext des Kolonialismus einzuordnen.
Abb. 6 Antike Ruinen im Mondschein, Glasträger, in: Reise ins Innere Afrikas, Nr. 2, aus: Hoffmann/Junker 1982, URL: https://kor.uni-frankfurt.de/#/entities/396718.
Die Abbildung „Antike Ruinen im Mondschein“ wurde von Hoffmann selbst chronologisch falsch an den Anfang der 41 Glasträger aus der „Reise ins Innere Afrikas“ verortet, um die „Fremdartigkeit“ der Landschaft zu betonen (Abb. 6).[18] Stein und Sand bilden um eine Antike Ruine eine karge Landschaft mit großen Staubwolken und stehen im Kontrast zum ersten Bildträger, der die Stadt Karthago zu ihren Lebzeiten zeigt. Die Ruinen „einer einst glänzenden Vergangenheit“, wie Wagner es formulierte, zeigen sich in den Überreste eines Tempels aus dem Sudan, ein Verweis auf eine verlorene Hochkultur.[19] Drei Vögel fliegen malerisch am Himmel der rötlichen Wüstenlandschaft, während rennende Gazellen und Stiere vor der untergehenden Sonne eine eindrucksvolle Szenerie kreieren. Weitere Bilder der Reisen Vogels, die Hoffmann zahlreich in seine Vorträge einbrachte, dokumentieren Sklavenzüge und brechen mit der Romantik der Landschaften. Der sechste Glasträger der Bildreihe zeigt beispielsweise einen solchen Marsch durch die Wüste Sahara. Von den damaligen Herrschern versklavt, wurden die Menschen an die Häfen des Mittelmeers getrieben und verkauft. Die Bilder dieser Ereignisse landeten schließlich in wissenschaftlichen Vorträgen wie denen Paul Hoffmanns.[20]
Abb. 7 Afrikanischer Urwald, Glasträger, Reise ins Innere Afrikas, Nr. 13, aus: Hoffmann/Junker 1982, URL: https://kor.uni-frankfurt.de/#/entities/396722.
Zugleich zeigt Hoffmann mit anderen Bildträgern die tropischen Wälder des „Inneren Afrikas“, um die Vielfalt afrikanischer Natur darzustellen (Abb. 7). Nach den Kunsthistorikern Hoffmann und Junker soll er damit versucht haben, die unzureichende Nachahmung in Palmengärten zu offenbaren. Auf diesen Abbildungen wird die eindrucksvolle und stolze Naturwelt dargestellt. Der Glasträger „Afrikanischer Urwald“ soll dieser Artenreichtum gerecht werden.[21] Frei und wild wachsend umrahmen Bäume und Sträucher einen kleinen Teich im Vordergrund. Bewohnt von verschiedenen Tieren wird eine farbenfrohe Naturwelt dargestellt. Im Schatten der lichtbeschienenen Bäume ist fast zentral im Bild ein indigener Bewohner abgebildet. Viele weitere Glasträger zeigen eindrucksvolle Landschaften und die Einheit von Mensch und Natur. exotisch stereotypisiert. Trotzdem argumentiert Kerstin Hilsberg, dass es romantisierte und in Teilen positive Darstellungen der Natur gäbe.[22]
Noch vor den Bildern der „Reise ins Innere Afrikas“ fand eine Vortragsreihe über die Hochkultur des Alten Ägyptens statt. Die Kunsthistoriker Hoffmann und Junker merken an, dass auch hier nicht von einem rein kulturgeschichtlichen Anliegen Paul Hoffmanns gesprochen werden könne. So sei vielmehr die Vorstellung eines rückschrittlichen und primitiven Kontinents bedient worden, die sich an Darstellungen der afrikanischen Sklaven aus der „Reise ins Innere Afrikas“ anschloss. Es sollte untermauert werden, dass Europa ein ‚leidendes Land erlösen‘ würde. So wurden mehrfach Darstellungen der gegenwärtigen Einwohner vor den Bauten der ägyptischen Hochkultur gezeigt. Schon der Titel der Bildreihe „Ägypten und das Nilthal vor 4000 Jahren und jetzt“ zielt auf einen Vergleich der Kulturepochen hinaus.[23]
Abb. 8 Die Memnon-Säulen, Glasträger, in: Aegypten und das Nilthal vor 4000 Jahren und jetzt, Nr. 9, aus: Hoffmann/Junker 1982, URL: https://kor.uni-frankfurt.de/#/entities/396716.
Die Bewunderung für die antiken Bauten in Ägypten zeigt sich in der dramatischen Inszenierung der Memnon-Säulen auf dem neunten Glasträger der Sammlung (Abb. 8). Die Überbleibsel der Ruinen und Statuen spiegeln sich hier malerisch im See und werden vom Mond beschienen in Szene gesetzt. Die Memnon-Säulen werden im Schatten imposant dargestellt, eine Hommage an die antike Kultur, die sich im Buch des deutschen Schriftstellers Karl Oppel wiederfindet. Hoffmann orientiert sich an dem Buch Oppels, welches dass „echte“ Ägypten darstellen sollte.[24] Neben einem wissenschaftlichen Anliegen der Berichterstattung über den Zerfall der Bauten bis hin zur Idealisierung des „Fremden“ werden jedoch immer wieder negative Darstellungen der gegenwärtigen Bevölkerung einbezogen. Oppel empört sich über den Umgang mit den antiken Ruinen und schreibt von „zerstörungssüchtigen Arabern“, ein Ausdruck des damaligen kolonialen Rassismus in Europa.[25]
Abb.9 Die Trümmerstätte von Memphis, Glasträger, in: Aegypten und das Nilthal vor 4000 Jahren und jetzt, Nr. 3, aus: Hoffmann/Junker 1982, URL: https://kor.uni-frankfurt.de/#/entities/396709
Der dritte Bildträger im Vortrag soll noch eindeutiger die „Rückschrittlichkeit“ der indigenen Völker zeigen (Abb. 9). Einwohner werden um ein Zelt und ein Lagerfeuer verteilt zwischen hochragenden Palmen abgebildet. Die Flussmündung, neben der sie sich niedergelassen haben, erstreckt sich weit ins Bild. In der Ferne sind die Pyramiden von Memphis zu erkennen. Schon der Titel „Die Trümmerstätte von Memphis“ soll auf Verfall verweisen. Karl Oppel schrieb darüber:
Frühere Pracht und Herrlichkeit ist verschwunden. Überall Verwüstung und Zerstörung! Auf dem weiten, stundenlangen Felde, bedeckt mit zerbröckelten Steinen, steht jetzt nur ein schlechtes Araberdorf […] Nichts mehr von all‘ der Herrlichkeit vergangener Zeiten […] [der] ewigen Pyramiden.
(Oppel: Leipzig 1863, S. 30f.)
Durch dieses Zitat wird ein Einblick in die damalige Sichtweise Europas auf den afrikanischen Kontinent geboten. Insbesondere bei der Darstellungsweise der Landschaft und Kultur Ägyptens und Zentralafrikas wird der Blick Europas auf den Globalen Süden deutlicher Bestandteil der Bilder.[26] Die Kunsthistoriker Hoffmann und Junker verweisen darüber hinaus auf die kolonialpolitische Bedeutung von Darstellungen des afrikanischen Kontinents innerhalb von Vorträgen und Expeditionsberichten:
„Sie gehören in den Zusammenhang des ‚struggle of Africa‘, des Wettlaufs der europäischen Kolonialmächte um ein Stück des afrikanischen Kuchens.“[27]
(Hoffmann und Junker: Berlin 1982, S. 109)
Fazit
Paul Hoffmann zählt zu den bekanntesten Schaustellern wissenschaftlicher Naturvorstellungen des 19. Jahrhunderts mit den Mitteln der Laterna Magica. Als Vermittler der Allgemeinbildung schaffte er es, Lehrvorträge mithilfe seiner technischen Fähigkeiten in Szene zu setzen. Hoffmann verband in seinen Vorstellungen Wissensvermittlung mit einfacher Unterhaltung und erreichte eine didaktische Leistung, die ihm großen Erfolg verschaffte.[28] Journale berichteten von seinem Dienst am Volksunterricht und der Beliebtheit seiner Lichtbilder. Neben der technischen und wissenschaftlichen Qualität der Vorstellungen nutzte Hoffmann die natürliche Magie und Unbekanntheit „ferner“ Länder. Er faszinierte das Publikum mit „exotischen“ Landschaften und ließ es eine weite Reise nachempfinden.
Zugleich gilt es, die Darstellungsweise von Leben und Kultur im Globalen Süden in Teilen seiner Vortragsreihen zu kontextualisieren. Denn Paul Hoffmann bediente sich genauso technischer Methoden, um seine Vorstellungen unterhaltsam zu gestalten, wie kolonial-rassistischer Narrative, um den Globalen Süden als exotisch und primitiv darzustellen. Somit wurden nicht allein Sehnsüchte und Fernweh der europäischen Bevölkerung gestillt. Die Grenzen zwischen Romantik, Wissensvermittlung und Kolonialismus verschwimmen in den Bildern, wie es auch Hoffmann und Junker im Folgenden formulieren:
Und mitten in der heutigen Welt läßt Hoffmann seinen Zauberspuk erscheinen, er zeigt alles greifbar nah, er zeigt dem Bürgertum seine Möglichkeiten, er unternimmt mit den Lichtbild-Reisen ein Stück Weltaneignung im malerisch-wissenschaftlichen wie im kolonialistischen Sinn.
(Hoffmann und Junker: Berlin 1982, S. 107).
In seinen Vorträgen berichtete Paul Hoffmann aus der europäischen Perspektive über die Welt des 19. Jahrhunderts und zeigte die eurozentrische Vorstellung vom Globalen Süden. Aus heutiger Sicht ist es entscheidend, die Laterna Magica-Vorstellungen Hoffmanns in ihren kulturgeschichtlichen Kontext einzuordnen. Die Lichtbilder nehmen mit auf eine Reise um den Globus, die ein komplexes Bild aus Sehnsucht, Wissbegierde und kolonialer Geschichte malt.
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Oppel: Leipzig 1863, S. 1.
[2] Hoffmann und Junker: Berlin 1982, S. 107.
[3] Ruchatz: München 2003, S. 127, 131f.
[4] Hrabalek: München 1985, S. 67.
[5] Junker: Berlin 1982, S. 15 und 18.
[6] Hoffmann und Junker: Berlin 1982, S. 68.
[7] Ebd.: S. 56.
[8] Wiener Theater-Zeitung 18.07.1858, S. 647.
[9] Ebd.: S. 107.
[10] Ebd.: S. 96 und 106.
[11] Ebd.: S. 65.
[12] Junker: Berlin 1982, S. 7-10, insbes. S. 8 und 10.
[13] Ebd., S. 17.
[14] Jakobs: 2014, S. 325f.
[15] Hoffmann und Junker: Berlin 1982, S. 69.
[16] Ebd.: S. 68.
[17] Ebd.: S. 108f.
[18] Hoffmann und Junker: Berlin 1982, Bildserien aus dem Nachlass des Projektionskünstlers Paul Hoffmann. VI Reise ins Innere Afrikas. 2. Antike Ruinen im Mondschein.
[19] Ebd.
[20] Hoffmann und Junker: Berlin 1982, Bildserien aus dem Nachlass des Projektionskünstlers Paul Hoffmann. VI Reise ins Innere Afrikas. 8. Sklavenzug in der Wüste.
[21] Hoffmann und Junker: Berlin 1982, Bildserien aus dem Nachlas des Projektionskünstlers Paul Hoffmann. VI Reise ins Innere Afrikas.13. Afrikanischer Urwald.
[22] Hilsberg: Die Magie der Ferne. Paul Hoffmann und die Laterna magica, [online].
[23] Hoffmann und Junker: Berlin 1982, S. 109.
[24] Ebd., S. 96 und 106.
[25] Oppel: Leipzig 1863, S. 70.
[26] Ebd., S. 108f.
[27] Ebd., S. 109.
[28] Hrabalek: München 1985, S. 67.
Literatur
Bäuerle, Adolf (Hrsg.): Wiener Theater-Zeitung. Conversationsblatt alles Neuen, Interessanten und Wissenswerthen, Nr. 140 (22. Juni 1858), S.557-560, URL: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=thz&datum=18580622&seite=3&zoom=33 (14.02.2023)
Bäuerle, Adolf (Hrsg.): Wiener Theater-Zeitung. Conversationsblatt alles Neuen, Interessanten und Wissenswerthen, Nr. 162 (18. Juli 1858), S.645-649, URL: https://anno.onb.ac.at/cgi-content/anno?aid=thz&datum=18580718&seite=2&zoom=33 (14.02.2023)
Hilsberg, Kerstin: Die Magie der Ferne. Paul Hoffmann und die Laterna magica, URL: https://www.zeitversetzt.at/post/die-magie-der-ferne-paul-hoffmann-und-die-laterna-magica (14.02.2023).
Hoffmann, Detlef; Junker, Almut (Hg.): Laterna magica. Lichtbilder aus Menschenwelt und Götterwelt, Berlin 1982.
Hrabalek, Ernst: Laterna magica. Zauberwelt und Faszination des optischen Spielzeugs, München 1985.
Jakobs, Lydia: Rekonstruktion(en) eines historischen Massenmediums: Ansätze zur Erforschung der Laterna magica. In: Thomas Nachreiner, Peter Podrez (Hg.): Fest-Stellungen. Marburg 2014, Bd. 25, S. 323–331. URL: https://doi.org/10.25969/mediarep/14652 (08.01.2023).
Junker, Almut (Hg.): Laterna Magica. Vergnügen, Belehrung, Unterhaltung. Der Projektionskünstler Paul Hoffmann (1829 – 1888). Eine Ausstellung des Historischen Museums Frankfurt, Frankfurt am Main 1981.
Oppel, Karl: Das alte Wunderland der Pyramiden. Bilder aus Ägyptens Vorzeit. Aus der Periode seiner Blüte und seines Verfalls. Illustrierte Jungend- und Haus-Bibliothek. Erzählungen aus dem Altertum oder vor tausenden und abertausenden Jahren, Serie 3, Bd. 6, Leipzig 1863.
Ruchatz, Jens: Licht und Wahrheit. Eine Mediumgeschichte der fotografischen Projektion, München 2003.
Kobe Linder
Die Welt im (Guck-)Kasten
Mit dem Abklingen seiner Popularität genoss der Guckkasten [Link] weder in der Forschung, noch in der Allgemeinheit eine sonderliche Aufmerksamkeit. Vielmehr wurde dieser im breiten Gedächtnis als kuriose Übergangsform betrachtet.[1] Abseits des Betrachtungsmediums bewährte sich der Guckkasten jedoch weiterhin als Begriff bis in die Sprache der Gegenwart. Als populäres Motiv wurde der Guckkasten als Vergleich oder Metapher in der Literatur und insbesondere in Gedichten aufgegriffen. Ebenso wurde der Begriff als Titel für Zeitungen verwendet, wie beispielweise für die satirischen Wochenzeitung Münchener Guckkasten, die vom 10.03.1888 bis zum 09.12.1980 erschien oder die Berliner Zeitschrift Der Guckkasten: illustrierte Zeitschrift für Humor und Kunst.[2] Der Guckkasten erhielt im Sprachgebrauch eine Beständigkeit, die noch in der Gegenwart, meist im Zusammenhang mit einem nostalgischen oder ironisch anmutenden Unterton, als Synonym für den modernen Fernseher zum Ausdruck kommt. Seine einstige Bedeutung als zentrales Medium der Vor- und Frühgeschichte des Filmes wurde jedoch eher unterschwellig wahrgenommen oder gar vernachlässigt. Als möglichen Grund lässt sich die rasche Durchsetzung verwandter Medien wie dem Diorama nennen, das die ursprüngliche Funktionsweise des Guckkastens aufgreift, jedoch ähnlich zum modernen Kino die Bilder auf eine große Fläche projiziert. In der Anfangszeit hatte der Guckkasten seinen Platz weitestgehend auf dem Jahrmarkt, wo dieser meist durch theatralische Begleitung mit Gesang und Kommentaren als optisches Betrachtungsmedium populär wurde. Doch mit dem gesellschaftlichen Wandel im Zuge der Aufklärung und dem damit einhergehendem Bildungsbedürfnis, entfachte sich gleichsam ein wachsendes Publikumsinteresse, welches über das Jahrmarktmilieu hinausging und sich bis zu in den Haushalten gutsituierter Familien ausweitete.[3] Zusätzlich zum Interesse, aktuelle Ereignisse bildlich wahrnehmen zu wollen, existierte gleichsam das Bedürfnis einer enzyklopädischen Bildung, im Sinne der Aufklärung.[4]
Während dem Bild im Mittelalter zunächst der Status eines sakralen und mythologischen Mediums zugeschrieben wurde, erfuhr dieses im Übergang zur Neuzeit eine Transformation. Mit der Einführung der wissenschaftlichen Optik etablierte sich ein neues Bildverständnis, dass sich in einem veränderten Verhältnis zur Repräsentation der Wirklichkeit ausdrückte. Das Bild beanspruchte einen neuen Geltungsanspruch, wobei dieser den Voraussetzungen der Entwicklung und Etablierung grundlegender Erkenntnisse unterlag. Neue optische Verfahren erlaubten die Entfaltung und Etablierung neuer Perspektivkonzepte.[5] Das zentrale Beispiel im Zusammenhang mit der Entwicklungsgeschichte des Guckkastens ist die Verwendung der Zentralperspektive, sowie die Definition eines festen Betrachterstandpunktes. Der Guckkasten bot, durch die Projektion des Bildes, die Funktion der Vermittlung eines tiefenräumlichen Eindrucks, wodurch die Illusion entstehen konnte, dass sich die Betrachter selbst unmittelbar in der betrachtenden Szenerie befinden könnten.[6]
Diese Wirkung des Guckkastens auf die Menschen blieb nicht unbemerkt, sondern wurde neben ihrer Schilderung in der Literatur, ebenso auch in der Malerei aufgegriffen.[7] Um der Bedeutung, sowie der Rezeption des Guckkastens innerhalb der Malerei einer näheren Betrachtung zu unterziehen, lohnt es sich den Blick auf ein entsprechendes Beispiel zu lenken. Die historisch zahlreich überlieferten Guckkastendarstellungen bilden ein ganz eigenes Bildrepertoire.[8]
Der Großteil der Darstellungen zeugt von einer lebendigen Jahrmarktszenerie, in welchem der Guckkasten als Betrachtungsmedium inmitten des Jahrmarktes eingebunden ist. Ebenso gehören die Guckkastenmänner (Savoyarden) sowie das interessierte Publikum als charakteristisches Wesensmerkmal solcher Genredarstellungen dazu. Die Beständigkeit der Guckkästner, innerhalb dieser Darstellungen, lässt eine soziokulturell wesentliche Bedeutung dieses Berufsstandes vermuten. Das Schaustellermilieu war geprägt durch das Wandern, wodurch die Verbreitung des Guckkastens quer durch Europa verlief. Gleichzeitig bot der Guckkästner durch den Einsatz von Musik und Kommentaren eine audiovisuelle Darbietung, die in den Abbildungen, wie auch den Erwähnungen in der Literatur oft als eine besondere Attraktion dargestellt wird.[9] In solchen Guckkastenszenen lassen sich auch Informationen über die soziale Rolle der Schausteller rauslesen. In einer Vielzahl der Darstellungen sind Kriegsinvaliden abgebildet, was auf die gesellschaftliche Verortung der Schausteller als soziale Randgruppe hinweist. Darstellungen eines belustigten und interessiertem Publikums, welches sich in zahlreichen Werkbeispielen um den Guckkästen schart, zeugen von der Popularität der Apparatur. Abseits solcher Jahrmarktdarstellungen existieren jedoch auch Darstellungen, die den Guckkasten als modisches Dekoraktionsmöbel präsentieren oder ihn als erzieherisches Bildungsspielzeug der hören sozialen Schichten zeigen.
Das Aquarell Kinder mit Guckkasten, das um 1850 entstanden ist, bietet sich für eine genauere Betrachtung an.[10] Dem Betrachter wird weder die Darstellung einer Jahrmarktszenerie geboten, noch wird der, ansonsten typisch für die Bildgattung vorhandene, Savoyarde gezeigt. Die Szene zeigt einen Raum, dessen Ausstattung ein Gästezimmer einer Herberge vermuten lässt. Das Zimmer ist sporadisch eingerichtet, wodurch eine karge Wirkung des Raumes entsteht. Im Vordergrund des rechten Bildrandes befindet sich ein Tisch, der für eine Einzelperson gedeckt ist. Weggerückt vom Tisch steht der dazugehörige Stuhl, der als Ablagehilfe für den Guckkasten dient. Der Guckkasten selbst ist in quadratischer Form gefertigt und besitzt, charakteristisch für die Anfänge der Entwicklungsgeschichte des Kastens, keine Linse. Es lässt mutmaßen, dass der Kasten nach oben hin geöffnet ist, da dort ein weißes Tuch gespannt ist, welches, vermutlich zur Lichtsteuerung, übergehangen wurde.
Links im Vordergrund befindet sich ein hölzerner Schrank, dessen rechte obere Tür leicht geöffnet ist. Davor steht ein geflochtener Korb, der als Ablage für eine Flasche, einem Stock sowie dem dazugehörigen Hut dient. Über den Raum hinweg sind verschiedene Gegenstände verteilt, wie etwa ein Wanderstock, ein Hut oder ein von der Decke runterhängendes Handtuch sowie ein Beutel an der rechten Wand. In dem Zimmer befindet sich zudem eine Gruppe von sechs Kindern, deren Körperhaltung und Blicke allesamt auf den Guckkasten gerichtet sind. Vier der Kinder stehen in unmittelbarer Nähe um den Kasten herum, wobei eines unter dem Tisch hervorblickt. Direkt vor dem Guckkasten befindet sich, in kniender Pose, eins der Kinder, welches in das Guckloch des Kastens blickt. Zwei weitere, in einer dynamischer Pose gezeigte Kinder, sind in der Bildmitte zu sehen, wobei das eine Kind versucht, das andere Kind daran zu hindern zum Guckkasten zu gelangen. Ihr Gesichtsausdruck zeugt von Neugier aber auch Angst und Unsicherheit. Im Gegensatz zur Dynamik des Gerangels lassen sich die Kinder eher durch ein vorsichtiges Auftreten charakterisieren, das von einer (un-)gebändigten Neugier begleitet wird.
Im Zentrum des Zimmers befindet sich ein nach außen hin geöffnetes Fenster. Der Blick hindurch lässt eine Landschaft erahnen. Indiz hierfür ist der Ausschnitt eines Gebirges im Horizont sowie die Blätter eines nahegelegenen Baumes. Durch das geöffnete Fenster fällt ein Lichtstrahl, der den Raum erhellt und just auf jenes Kind zielt, das gerade seine Augen durch die runde Öffnung des Kastens richtet.
Zusammenhängend mit dem Wissen um das Wandergewerbe der Guckkastenmänner und der vorherigen Beschreibung der Darstellung Kinder mit Guckkasten, ließe sich die Vermutung aufstellen, dass sich die Szenerie in einer Herbergsstätte in einer ländlichen Region abspielt. Guckkästner waren als wandernde Schausteller sicher häufiger in Herbergsstätten zu Gast. Die Abwesenheit des Guckkästners, auf den die zurückgelassenen Dinge deuten, machen sich nun die Kinder zunutze, indem sie sich Zutritt zum Raum verschafft haben, um sich ungestört der Betrachtung des Guckkastens hinzugeben. Die im Raum verteilten Gegenstände, wie beispielsweise der Wanderstock, Hut oder Beutel lassen sich als Attribute eines Guckkastenmannes identifizieren. Die umgekippte Flasche, welche im linken Bildrand neben dem Stock und dem Hut auf dem geflochtenen Korb zu sehen ist, kann als mögliches Motiv für die Darstellung einer im Schaustellergewerbe tätigen Person gelten. Aus den Überlieferungen heraus, beispielsweise in der Literatur, aber auch in der Kunst werden diese oftmals in Verbindung mit Alkoholismus portraitiert, nicht zuletzt um darüber die soziale Position als Angehörige der unteren Schicht zu markieren.[11] Die vorsichtige Haltung der Kinder, insbesondere dessen welches armeringend versucht das andere Kind zurückzuhalten, lässt sich als mögliches Indiz der aufgestellten Vermutung eines unerlaubten Besuches des Gästezimmers heranziehen.
Das offene Fenster, das zentral im Bild platziert ist und durch das ein Lichtstrahl gezielt auf das Kind deutet, welches gerade durch den Guckkasten schaut, gibt Hinweise für eine weiterführende Deutung. Zum einen bildet der Vergleich zu religiösen Darstellungen des Lichts hier einen möglichen Referenzpunkt. Dort wird das Licht zumeist mit dem Motiv der Erleuchtung, der Erlösung oder der Erkenntnis verwendet.[12] Die Kinder scheinen sich in ihren Haltungen und Blicken, die sich allesamt auf den Kasten richten, vom Guckkasten derart angezogen zu fühlen, dass dem Kasten gar eine magische Ausstrahlung zugwiesen werden könnte. Als Indiz hierfür lässt sich das auf dem Boden liegende Kinderspielzeug nennen, welches im Anblick der Attraktion des Kastens offenbar achtlos fallengelassen wurde. Die These bestünde darin, dass der Kasten im Zusammenhang mit dem Motiv der Erleuchtung als ein Apparat in Szene gesetzt wird, der eine Anziehungskraft besitzt, die etwas wahrhaft Neues und Unbekanntes anzeigt, was sich auch in der Gesamtdynamik des Bildes widerspiegelt. Im Zusammenhang damit ließe sich die Deutung entwickeln, dass der Guckkasten einen Wandel markiert, der in Verbindung mit dem offenen Fenster und dem hindurchscheinenden Licht als eine Art Offenbarung aufzufassen wäre, die eine (mediale) Wende zu einer neuen Qualität der Wahrnehmung und Sinneserfahrung markiert. Dies könnte als Metapher für jenen Wandel gesehen werden, wie er mit dem Zeitalter der Aufklärung eingeläutet werden sollte. Die dynamischen Posen der Kinder würden somit auf den Wissensdurst deuten, der mit der Aufklärung verbunden werden kann. Außerdem verweist die Darstellung auf ein verändertes Verhältnis vom Betrachter zum Bild. Die einstige von Bildern ausgehende sakrale Macht, die durch mythologische und biblische Motive ausgeübt wurde, wird durch das allgemeine Bedürfnis nach naturgetreuen und wahrheitsgemäßen Darstellungen ersetzt.
Der Guckkasten bot mit seiner Vielzahl unterschiedlicher Guckkastenblätter und -motive die Möglichkeit ferne Orte zu betrachten oder geschichtsträchtige Ereignisse Revue passieren zu lassen. Darin findet sich die Sehnsucht und der Wissensdurst eines neuen Zeitalters thematisiert, das im Abseits lediglich religiös-sakraler Welterklärungen zu verorten ist.[13] Die intendierte Wirkung des Guckkastens als Repräsentant eines allgemeinen Wandels der menschlichen Bedürfnisse, im Sinne der Abkehr der Religion, hinzu einem aufklärerischen Denken, wird durch das Fenster als symbolische Unterstützung der Wirkungsmacht des Guckkastens als Fenster zur Welt (später beerbt vom Fernseh-Apparat) untermauert.[14] Die Darstellung lässt uns als Betrachter*innen einen ähnlichen Reiz, wie dem der Kinder verspüren. Wir wollen gleichsam wissen, was im Guckkasten zu sehen ist, wodurch die eigene Imaginationskraft befeuert wird.
Motivisch lässt sich die Darstellung jedoch auch der Gattung von Genredarstellungen zuordnen, wie sie bereits in der holländischen Malerei des Goldenen Zeitalters im 17. und 18. Jahrhundert geprägt wurde. Wie diese versucht auch das vorliegende Beispiel erzieherische und moralische Werte zu vermitteln.[15] Charakteristisch für die (alt-)niederländische Malerei ist zudem die Integration gemalter Bilder (als Bild im Bild), um darüber räumlich und zeitlich divergierende Narrationsebenen einzubeziehen.[16] Die beschriebene Darstellung beinhaltet ein Bild im Bild, jedoch ohne dass wir das gemalte Bild vor Augen geführt bekommen. Die Ansicht im Inneren des Guckkastens, welche der zentrale Beweggrund der Kinder darstellt, bleibt uns als Betrachter*innen verwehrt. Stattdessen bleiben wir einer andauernde Seh(n)sucht ausgesetzt. Wie die Kinder dem Bedürfnis der Befriedigung ihrer Neugier und ihres Wissensdurstes nachgehen, so liegt es bei den Betrachter*innen Mittel und Wege zu finden, der „neuen Welt“ entgegenzublicken, indem die ihre Blicke neu justieren und/oder ihre Augen mit neuen Apparaten bewaffnen.
Redaktion: Thomas Helbig
Anmerkungen
[1] Bodo von Dewitz, Eine mobile Bilderwelt. Der Guckkasten als Bildmedium der Aufklärung im 18. Jahrhundert, in: ders. und Werner Nekes (Hg.), Ich sehe was, was du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten. Die Sammlung Werner Nekes (Aust.-Kat., Museum Ludwig, Köln), Göttingen 2002, S. 78-85.
[2] Universität Heidelberg: Heidelberger historische Bestände – digital: Der Guckkasten: illustrierte Zeitschrift für Humor und Kunst, München 1909-1910, https://doi.org/10.11588/diglit.20572
[3] Georg Füsslin, Der Guckkasten: Einblick, Durchblick, Ausblick, Stuttgart 1995, S. 20.
[4] Dewitz 2002 (wie Anm. 1), 2002, S. 79-80.
[5] Frank Büttner, Die Macht des Bildes über den Betrachter. Thesen zur Bildwahrnehmung, Optik und Perspektive im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, in: Osterreicher, Wulf; Regn, Gerhard et.al. (Hg.), Autorität der Form – Autorisierungen – institutionelle Autoritäten. (Pluralisierung und Autorität, Band 1), Münster 2015, S. 17-36, hier S. 17.
[6] Dewitz 2002 (wie Anm. 1), S. 82.
[7] Ulrike Hick, Geschichte der optischen Medien. München 1999, S. 216-235.
[8] Dewitz 2002 (wie Anm. 1), S. 82-83.
[9] Füsslin 1995 (wie Anm. 3), S. 18.
[10] von Dewitz, Bodo und Werner Nekes (Hg.), Ich sehe was, was du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten. Die Sammlung Werner Nekes (Aust.-Kat., Museum Ludwig, Köln), Göttingen 2002.
[11] Geimer-Stangier, Mia und Eva Maria Mombour, Guckkasten. Bewegte Bilder und Bildermaschinen. (Ausstellungskatalog), Siegen 1982, S. 13.
[12] Büttner 2015 (wie Anm. 5), S. 17.
[13] Geimer-Stangier 1982 (wie Anm. 11), S. 13.
[14] Füsslin 1995 (wie Anm. 3), S. 13.
[15] Pablo Schneider, Die Moral betritt den Denkraum. Pieter de Hoochs Gemälde „Eine Dame empfängt einen Brief“, in: Beyer, Andreas; Bredekamp, Horst et.al. (Hg.), Bilderfahrzeuge. Aby Warburgs Vermächtnis und die Zukunft der Ikonologie, Berlin 2018, S. 165-178, hier S. 172.
[16] Ebd., S. 171
Literatur
Büttner, Frank, Die Macht des Bildes über den Betrachter. Thesen zur Bildwahrnehmung, Optik und Perspektive im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit, in: Osterreicher, Wulf; Regn, Gerhard et.al. (Hg.), Autorität der Form – Autorisierungen – institutionelle Autoritäten. (Pluralisierung und Autorität, Band 1), Münster 2015, S. 17-36.
Füsslin, Georg, Der Guckkasten: Einblick, Durchblick, Ausblick, Stuttgart 1995.
Geimer-Stangier, Mia und Eva Maria Mombour, Guckkasten. Bewegte Bilder und Bildermaschinen. (Ausstellungskatalog), Siegen 1982.
Hick, Ulrike, Geschichte der optischen Medien, München 1999.
Schneider, Pablo, Die Moral betritt den Denkraum. Pieter de Hoochs Gemälde „Eine Dame empfängt einen Brief“, in: Beyer, Andreas; Bredekamp, Horst et.al. (Hg.), Bilderfahrzeuge. Aby Warburgs Vermächtnis und die Zukunft der Ikonologie, Berlin 2018, S. 165-178.
Universität Heidelberg: Heidelberger historische Bestände – digital: Der Guckkasten: illustrierte Zeitschrift für Humor und Kunst, München 1909-1910, https://doi.org/10.11588/diglit.20572.
von Dewitz, Bodo, Eine mobile Bilderwelt. Der Guckkasten als Bildmedium der Aufklärung im 18. Jahrhundert, in: ders. und Werner Nekes (Hg.), Ich sehe was, was du nicht siehst! Sehmaschinen und Bilderwelten. Die Sammlung Werner Nekes (Aust.-Kat., Museum Ludwig, Köln), Göttingen 2002, S. 78-85.