Sicherheitsarchitekturen in Afrika

von Julian Junk

Wie schnell man fälschlicherweise ein monolithisches Bild eines Kontinents entwirft und wie vielstimmig und ausdifferenziert dagegen die Realität ist, zeigt ein Blick auf gegenwärtige Debatten um die Afrikanische Friedens- und Sicherheitsarchitektur (APSA). Eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung widmete sich unter dem Titel „Überfordert und überschätzt? Aussichten der regionalen Sicherheitspolitik in Afrika und ihrer europäischen Unterstützung“ (09./10. Februar 2011 in Berlin) eben jener differenzierteren Blickweise. Sprachen zu Beginn der Konferenz vor allem europäische Teilnehmer noch von der afrikanischen Sicherheitsarchitektur, so wurde sehr schnell neben dem vielverwendeten Akronym APSA, das Wort „Frieden“ hinzugefügt, der Begriff der Sicherheit erweitert und vor allem auf regionale, sub-regionale und nationale Besonderheiten verwiesen. Der Plural, seien es Sicherheitsarchitekturen oder Sicherheitskulturen, wurde häufiger in den Redebeiträgen.

Regionale Vielfalt

Der Friedens- und Sicherheitsrat (PSC) der Afrikanischen Union (AU) bildet den Kern der sogenannten Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur. Geht es um die Sicherheitspolitik in Afrika, erfährt der PSC viel Aufmerksamkeit. Schon weniger bekannt sind die sicherheitspolitischen und militärischen Arme einzelner Regionalorganisationen und noch weniger die in Artikel 3 (l) des konstitutiven Akts der AU festgelegten Koordinierungs- und Harmonisierungsziele mit und zwischen diesen Regionalorganisationen. Die Vielfalt der verschiedenen Integrationsgeschwindigkeiten und Integrationstiefen ist enorm, die Debatte um ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ wirkt dagegen akademisch.

Über die gesamte Breite der Politikfelder ist die westafrikanische ECOWAS sicherlich am weitesten fortgeschritten. Grenzüberschreitende Mobilität war in dieser Region schon immer weit verbreitet, was diverse Integrationsschritte erleichtert hat. Messen lassen wird sich ECOWAS als Sicherheitsgemeinschaft an der Bewältigung der Krise in der Elfenbeinküste. SADC im südlichen Afrika besitzt zwar ein ähnlich breites Instrumentarium, aber nicht den politischen Willen zu einer vertieften Integration. EAC, die ostafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, ist hoch integriert, aber eben nur wirtschaftlich. IGAD hingegen ist am Horn von Afrika und in Ostafrika zunehmend von den Konflikten zwischen Äthiopien und Eritrea sowie in Somalia und von einer doppelten, wenig wohlmeinenden Hegemonie von Kenia und Äthiopien geschwächt. Als politisches Forum zu schwach und wirtschaftlich EAC hinterherhinkend, sieht die Rolle IGADs eher wenig einflussreich aus. Politisch bleibt Zentralafrika die Problemregion. ECCAS kommt hier kaum aus den Startlöchern. Die Integration der Maghreb-Staaten ist unter anderem durch divergierende Ansichten zu Westsahara geschwächt. Interessant wird hier die Dynamik der demokratischen Umstürze im Moment in der arabischen Welt sein.

Unter den regionalen Organisationen gilt es also ECOWAS, SADC und EAC im Auge zu behalten – gerade auch deren Zusammenspiel mit der AU. Von einer afrikanischen Sicherheitsarchitektur zu sprechen ist vermessen. Die Dynamik des Zusammenspiels von Sicherheitsarchitekturen hingegen wird ebenso spannend zu beobachten sein wie die Ansätze für ein Subsidiaritätsprinzip in multilateralen Sicherheitsfragen.

Erweiterte Sicherheit und Demokratisierung

Die afrikanischen Sicherheitsinstitutionen legen einen sehr weiten Sicherheitsbegriff zugrunde. Er zielt auf politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten. Hierfür lassen sich drei Ursachen finden: erstens, ähnlich wie in Europa gingen die meisten Integrationsbemühungen insbesondere auf regionaler Ebene von Wirtschaftsgemeinschaften aus. Eine Sensibilität für den Nexus zwischen Sicherheit und wirtschaftlicher Entwicklung war daher von vorneherein angelegt. Zweitens waren afrikanische Gesellschaften und Staaten immer stark mit aktuellen Strömungen in der entwicklungspolitischen Debatte verwoben. Die Diffusion von Konzepten wie „Human Security“, die gerade im entwicklungspolitischen Diskurs schnell en vogue waren, vollzog sich daher mit hoher Geschwindigkeit. Drittens erfolgte der Aufbau der multilateralen Sicherheitsinstitutionen innerhalb sehr kurzen Zeiträumen – jedenfalls an europäischen Standards und Erfahrungen gemessen – und sind noch jüngeren Datums: der kalte Krieg war längst vorbei, die Normen der 1990er Jahre waren bestimmender.

Auf der Tagung hervorgehoben wurde insbesondere in einem innerafrikanischen Diskurs die Verbindung zwischen Sicherheit und Demokratisierung. Deutlich skeptische und selbstkritische Töne waren immer wieder vernehmbar, wenn es um die Tiefe und den Zeitpunkt von Demokratisierungsprozessen ging. Während die Notwendigkeit von demokratischen Strukturen für die endgültige Durchsetzung von Rechtsstaatlichkeit und legitimierten Sicherheitssektoren nicht bestritten wurde, fehlte der Hinweis auf die destabilisierende Wirkung von Wahlen insbesondere bei fragiler Staatlichkeit und fehlender gesellschaftlicher Kohäsion selten.

Ein afrikanischer Weg

Gibt es Besonderheiten in einem afrikanischen Sicherheitsbegriff? Diese Frage stellten sich die afrikanischen Konferenzteilnehmer immer wieder, beklagten sie doch die Grenzen dominant westlicher Konzeptionen für den afrikanischen Kontext. Institutionell ist sicherlich die enge Verzahnung von Frieden und Sicherheit interessant, welche sich schon in der Namensgebung von PSC und APSA widerspiegelt – P für Peace und S für Security. In der afrikanischen Eigenwahrnehmung lassen sich folgende weitere afrikanische Besonderheiten aufzählen: Solidarität und Partnerschaft als sehr grundlegend verankerte Organisationsprinzipien, die Bedeutung subregionaler Integration und Integrationsvielfalt, die Detailversessenheit bei der Ausführung grundlegender sicherheitspolitischer Dokumente oder sicherheitspolitischer „Roadmaps“ nach Konflikten wie zuletzt in Madagaskar und zuletzt die historische und ethnische Kontextspezifizierung sicherheitspolitischer Überlegungen. Dieser Vergleich zwischen nicht-westlichen und westlichen Sicherheitskonzeptionen wurde auf der Tagung nur angerissen und scheint auch generell noch nicht breit diskutiert worden zu sein. In jedem Fall eine lohnenswerte Debatte für die Zukunft.

2 Kommentare

  1. E pluribus unum?
    Die Vielfalt afrikanischer Regionalorganisationen ist in der Tat beeindruckend. Die Afrikanische Union erkennt acht Regionalorganisationen als „Regional Building Bocks“ offiziell an, doch insgesamt sind auf dem Kontinent über ein Dutzend Regionalorganisationen aktiv. Die meisten afrikanischen Staaten sind Mitglied in drei oder mehr Regionalorganisationen und die resultierenden Mandatsüberschneidungen und widersprüchlichen Regelungen sind vor allem für die wirtschaftliche Integration z.B. für Freihandelszonen, Zoll- und Währungsunionen eher hinderlich als nützlich. Andererseits sind mehrfache Mitgliedschaften für die einzelnen Staaten von Vorteil, wenn es darum geht, mit allen sicherheits- und wirtschaftspolitisch relevanten Partner- und Nachbarstaaten gemeinsame Foren zu unterhalten. Zudem unterstützen externe Akteure wie die EU oder das Auswärtige Amt nicht nur die von der AU anerkannten Regionalorganisationen sondern je nach Bedarf auch die anderen Zusammenschlüsse, so dass die Mitgliedschaft in verschiedenen Regionalorganisationen politische und finanzielle Anreize bietet.
    Aus dem Dickicht der Regionalorganisationen versucht die AU eine einheitliche Sicherheitsarchitektur zu schneidern. Das institutionelle Rüstzeug dafür, wie Koordinationsmechanismen und Verbindungsbüros, ist im Protokoll der AU zur Afrikanischen Friedens- und Sicherheitsarchitektur angelegt (Art. 16). Doch die Umsetzung dieser kontinentalen Sicherheitsarchitektur wird von institutionellen Überlagerungen erschwert. Beispielsweise sollte die „African Standby Force“ aus Brigaden von 5 Regionalorganisationen zusammengesetzt werden. Die IGAD sollte davon die östliche Brigade (EASBRIG) aufbauen. Nach dem Startschuss musste sie diese Verantwortung jedoch gleich wieder abgeben, da nicht alle Staaten, die Mitglied der EASBRIG werden wollten, auch Mitglied der IGAD waren oder sein wollten. Als Konsequenz ist nun die EASBRIG von der IGAD und damit auch von ihrem zugehörigen Frühwarnmechanismus CEWARN abgekoppelt.
    Es knirscht noch gewaltig im Betrieb der Sicherheitsarchitektur. Zwei zentrale Punkte verhindern bislang, dass die AU eine effektive Koordinationsrolle einnimmt. Einerseits hat sie aufgrund ihrer breiten Mitgliedschaft eine geringere politische Entscheidungsfähigkeit als einige der Regionalorganisationen, in denen weniger Vetospieler auftreten. So war z.B. die ECOWAS einigermaßen entschlossen, den unrechtmäßigen Machterhalt Gbagbos in der Elfenbeinküste nicht zu tolerieren, und drohte mit der Anwendung „legitimer Gewalt“. Doch politische Zurückhaltung in der AU bremste die ECOWAS aus. Andererseits verfügt die AU, die erst 2002 auf der Taufe gehoben wurde, gegenüber den älteren und z.T. operativ erfahreneren Regionalorganisationen nicht über die nötige Autorität um als kontinentale Spitze zu funktionieren. Die ECOWAS ist beispielsweise nicht auf ein Mandat der AU angewiesen, um ihre militärischen und zivilen Mittel in ihren Mitgliedstaaten einzusetzen. Wie ein hochrangiger Beamter der ECOWAS betonte, fielen Probleme in der Elfenbeinküste und in Guinea in das Ressort der ECOWAS; man mische sich schließlich auch nicht in die Angelegenheiten im südlichen Afrika ein.
    Momentan werden in der AU unterschiedliche Szenarien diskutiert, wie aus dem Flickenteppich eine einheitliche Architektur werden soll. Die erste Möglichkeit wäre eine Zusammenfassung der bestehenden Regionalorganisationen unter dem Dach der 5 afrikanischen Regionen, die der Vertrag von Abuja festlegt. Zweitens könnte die AU jene fünf Regionalorganisationen stärken, die bis dato am weitesten entwickelt sind, und dies mit der Auflage verbinden, dass jeder afrikanische Staat nur Mitglied einer dieser 5 Organisationen sein darf. Drittens bestünde eine weiche Methode der Koordinierung darin, bestehende Organisationen zu erhalten und lediglich zu versuchen ihre Ziele, und Projekte weiter zu harmonisieren.

  2. Ein engagierter Hegemon

    Neben dem Blick aus den Regionalorganisationen nach außen zur AU, ist auch der Blick nach innen, auf die Mitgliedstaaten, aufschlussreich. Die Organisationen Süd- und West- Afrikas, SADC und ECOWAS, sind die am weitesten entwickelten Regionalorganisationen. Beide zählen zum Kreise ihrer Mitgliedstaaten einen Staat, der die Organisation mehr oder weniger anführt, nämlich Südafrika in der SADC und Nigeria in der ECOWAS. Am Beispiel Nigerias lässt sich die Rolle dieser regionalen Hegemone verdeutlichen. Nigerias BIP stellt 65% des BIP aller ECOWAS Staaten dar, sowie 47% ihrer Militärausgaben und 52% ihrer Bevölkerung. Für die ECOWAS hat Nigeria eine befähigende Funktion. In den 90er Jahren initiierte Nigeria die Beobachtermissionen ECOMOG I (Liberia) und II (Sierra Leone), die finanziell und militärisch fast ausschließlich von Nigeria gestemmt wurden. Auch die Interventionen der ECOWAS in Guinea-Bissau und der Elfenbeinküste illustrieren die kritische Abhängigkeit von Nigeria für die Ausrüstung der Missionen. Diese wirtschaftliche und militärische Ausstattung ermöglicht jedoch nicht nur die Arbeit der ECOWAS, sondern erlaubt Nigeria die die Themen, mit denen sich die ECOWAS beschäftigt, zu kontrollieren. Probleme, die in Nigeria auftreten, wie etwa gewalttätige Konflikte zwischen Moslems und Christen, denen immer wieder hunderte Menschen zum Opfer fallen, werden tabuisiert. Damit wird Nigeria selbst zum blinden Fleck der ECOWAS. Die Sonderstellung Nigerias provoziert zudem Widerstand in der ECOWAS. So versuchen die französischsprachigen Mitgliedstaaten, mit Unterstützung Frankreichs, durch enge Absprachen und Kooperation die Vormachtstellung Nigerias auszugleichen und ein Gegengewicht zu bilden. Schließlich sind diese ehemaligen französischen Kolonien wirtschaftlich untereinander sehr viel tiefergehend integriert als die restlichen Staaten der ECOWAS und durch eine gemeinsame Währung miteinander verbunden. Diese Dynamik gepaart mit den innerstaatlichen Konflikten in Nigeria könnten für die wirtschaftliche und sicherheitspolitische Integration der ECOWAS, das Vorzeigemodell der Regionalorganisationen, auf Dauer problematisch werden.

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