Houston, wir haben nach wie vor Probleme!

von Marco Fey

Am vergangenen Freitag näherte sich eine Langstreckenrakete der Westküste der USA. Vom Luftwaffenstützpunkt im kalifornischen Vandenberg stieg sogleich eine Abwehrrakete auf. Ihre Mission: die sich nähernde Bedrohung noch vor Wiedereintritt in die Atmosphäre abzufangen und durch die kinetische Energie des Aufpralls zu zerstören. Doch der Abfangversuch – seit 2010 der erste Test des bodengestützten US-Raketenabwehrsystems – missglückte. Das Programm ist teuer, gefährdet die strategische Stabilität – und funktioniert nicht. Stephen Schwartz (@SchwartzCNS), Herausgeber der Nonproliferation Review und Mitarbeiter am James Martin Center for Nonproliferation Studies (Monterey), brachte es Freitag in einem Tweet auf den Punkt:

In Deutschland blieb der missglückte Abfangversuch weitgehend ohne Medienecho. Dabei war der Test von erheblicher Bedeutung für eines der teuersten und umstrittensten Verteidigungsprojekte der USA. Nachdem sich die USA im Juni 2002 einseitig vom 1972 mit der Sowjetunion geschlossenen ABM-Vertrag zurückgezogen hatten, autorisierte Präsident George W. Bush die Stationierung der ersten Abwehrraketen (Ground-Based Interceptors, GBI) in Kalifornien und Alaska, ohne dass das System als zuverlässig einsatzfähig galt. Die Bush-Regierung plante, sehr zum Unmut von Russland, auch in Europa bodengestützte Abwehrraketen aufzustellen. Dazu wurden mit Polen (GBI) und der Tschechischen Republik (Radar) bilaterale Stationierungsübereinkommen geschlossen.

Präsident Obama erbte das Programm, verlagerte nach seiner Wahl aber zunächst den Fokus auf ein seegestütztes europäisches Raketenabwehrprogramm (European Phased Adaptive Approach, EPAA), das in vier Phasen bis 2022 einsatzbereit und in der Lage sein sollte, iranische Kurz- und Mittelstreckenraketen abzufangen. Im März 2013 kündigte Verteidigungsminister Hagel an, auf Phase IV, die Russland das größte Kopfzerbrechen zu bereiten schien, zu verzichten. Stattdessen würden den bereits 30 in Alaska und Kalifornien stationierten GBIs bis 2017 vierzehn weitere in Alaska hinzugefügt – Kosten: etwa eine Milliarde US-Dollar.

Vom geopolitischen Fallout eines effektiven nationalen Raketenabwehrschirms abgesehen (Russland und China sehen ihre nuklearen Zweitschlagkapazitäten gefährdet), weisen Kritiker des Systems auf die schier unüberwindbaren technischen Probleme hin, die ein System hat, das Interkontinentalraketen in der mittleren Flugphase (also im Weltall) abfangen will. Zu einfach sei ein solches System mit einfachsten Mitteln („decoys“) auszutricksen und zu teuer sei jede Abfangrakete. Entwicklung und Aufbau des bodengestützten Systems haben bis heute etwa 40 Milliarden US-Dollar verschlungen.

Bisher fand keiner der Tests unter realen Bedingungen statt und dennoch ist die Bilanz ernüchternd: seit 2002 konnten in neun Versuchen lediglich zwei erfolgreiche „kills“ verbucht werden. 2008 gelang der letzte erfolgreiche Abfangversuch; der Test am vergangenen Freitag markierte den dritten Fehlversuch in Folge. Die einflussreiche Missile Defense Advocacy Alliance (MDAA) hatte zuvor die Wichtigkeit des Tests wie folgt betont:

This test is the most significant demonstration of the Ground-Based Interceptors and its fire control system in the history of the program but more importantly for the future of GMD [Ground-based Midcourse Defense] system. Our nations Combatant Commanders of USNORTHCOM and USSTRATCOM that are responsible for the defense of the United States will base their confidence and reliability on the result of this test.

This test can provide validation for the majority of the current United States deployed interceptors and the United States forward deployed sensors in space, on land, and at sea to detect, track and defeat the North Korean long-range ballistic missile threat and a future Iranian long-range ballistic missile threat to the United States of America.

Im Umkehrschluss sollte der missglückte Test also das Vertrauen in die GBIs gravierend schrumpfen lassen. Eine Einstellung des Programms liegt zwar fernab jeglicher Handlungsoptionen, aber das Pentagon täte gut daran, sich zumindest der Empfehlung des 2012 erschienenen Berichts (Making Sense of Ballistic Missile Defense) der National Academy of Science zu erinnern und ein komplettes „redesign“ in Betracht zu ziehen. Stattdessen werden die USA aber wohl mit der teuren Stationierung der problembehafteten Abwehrraketen fortfahren.

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