Hilfreiche Drohung

von Bruno Schoch

Fokus_Syrien_120

Teil VIII unserer aktuellen Artikelserie zum Syrienkonflikt

Die Debatte über Militärschläge hat die furchtbare Lage der Bevölkerung in Syrien in den Hintergrund gedrängt. Falsch ist die Analogie zum Irak-Krieg. Damals war Präsident Bush entschlossen, Saddam Hussein mit Gewalt zu stürzen, die Weltöffentlichkeit wurde mit angeblichen Massenvernichtungswaffen irregeführt. Dieses Mal ist es genau umgekehrt. Präsident Obama ist damit beschäftigt, zwei Kriege zu beenden, seine Aversionen gegen Militärinterventionen sind bekannt. Der Chemiewaffeneinsatz setzte ihn unter Zugzwang.

Dass in Syrien Chemiewaffen eingesetzt wurden, ist kaum mehr strittig. Nach allen Indizien wahrscheinlich vom Regime. Es ist üblich, Obama dafür zu kritisieren, dass er einst eine „rote Linie“ benannte, denn diese Drohung nötige ihn nun um den Preis seiner Glaubwürdigkeit zu militärischen Aktionen. Diese Argumentation ignoriert, dass ein internationales Abkommen wie die Chemiewaffen-Konvention nur funktioniert, wenn ein Verstoß auch geahndet wird. Bleibt er straflos, ermutigt dies andere zur Nachahmung und das Verbot erodiert. Schon Hobbes nannte Verträge ohne das Schwert bloße Worte.

Beschädigung der Norm

Zudem verkennt der Vorwurf, die „rote Linie“ sei eine selbst gebaute Falle, dass Drohungen keineswegs immer wirkungslos bleiben. Ja, es könnte sich nun durchaus noch herausstellen, dass erst die Entschlossenheit der USA, diesen zivilisatorischen Bruch militärisch abzustrafen, jetzt diplomatisch-politische Anstrengungen in Gang bringt, auf die wir so lange gewartet haben. Sofern Syrien seiner Bereitschaft, seine Chemiewaffen zügig internationaler Kontrolle zu unterstellen, Taten folgen lässt, ist tatsächlich denkbar, dass es nicht zu dem geplanten Militärschlag kommt.

Gegen einen solchen sprechen viele gute Argumente. Es gibt allerdings auch schlechte. Zu ihnen gehört der Einwand vom drohenden regionalen Flächenbrand – denn den gibt es längst. Zweitens ist der Einwand zwar richtig, unilaterale Schläge beschädigten das Völkerrecht. Doch bewegt sich der regelrechte Krieg, den das Assad-Regime gegen Opposition und Mehrheitsbevölkerung führt, weit jenseits der von den UN 2005 verabschiedeten „Responsibility to Protect“. Dass der UN-Sicherheitsrat sich nicht darauf verständigen kann, im Fall Syriens auf diese zu rekurrieren, beschädigt diese Norm.

Nichteingreifen ist nicht per se im Einklang mit dem Völkerrecht. Und es bleibt drittens auch nicht folgenlos: Die Revolte in Syrien begann als friedlicher Protest; dieser hat sich auch deshalb radikalisiert, weil gemäßigte Oppositionelle im Westen viel Sympathie ernteten, während die Dschihadisten aber Waffen aus den Golf-Monarchien bekamen.

Verlässliche Verbündete

Es gibt auch gute Argumente gegen einen Militärschlag. Das gewichtigste: Was soll sein politisches Ziel sein? Eine reine Strafaktion ersetzt keine Strategie. Wer in einen derart eskalierten Bürgerkrieg interveniert, braucht ein überzeugendes Konzept, wie die Eskalation der Gewalt durchbrochen und das Land wiederaufgebaut werden soll. Und er braucht verlässliche Verbündete im Land, um die Bürgerkriegsgesellschaft zu befrieden. Ohne politische Strategie steckt das, was als begrenzte militärische Strafaktion geplant ist, voller unabsehbarer Risiken.

Manches an der Diskussion hierzulande läuft falsch. Berlin hat sich darauf festgelegt, die USA rhetorisch ihrer Solidarität zu versichern, aber auf keinen Fall militärisch mitzutun. Ähnliches gilt für die EU, die einmal mehr unfähig ist zu einer gemeinsamen Politik. Sieht man von Frankreich ab, entscheiden die USA allein, ob sie die angedrohte Militäraktion durchführen.

Angesichts der enormen Risiken müssten die Europäer alles unternehmen, damit ein möglicher Militärschlag nicht zum größtmöglichen Fehlschlag wird. Man erinnere sich an die Kosovo-Intervention im Jahr 1999. Als die Bombardements nicht den gewünschten Erfolg brachten, schickten die EU und Russland zusammen zwei erfahrene Vermittler nach Belgrad, die Präsident Miloševic zum Rückzug veranlassten. Am Tag, an dem die Nato aufhörte zu bomben, autorisierte der UN-Sicherheitsrat den Wiederaufbau. Kurz darauf verabschiedeten internationale Organisationen den Stabilitätspakt für Südosteuropa, das erste politische Gesamtkonzept. Diese Lektion gilt es zu beherzigen.

Signale von Ruhani

Dagegen sollten diejenigen, die sich ohnehin nicht beteiligen, getrost die Diskussion darüber beenden, was militärische Interventionen alles nicht erreichen. Das ist hinlänglich bekannt und hat sich auch in Washington herumgesprochen; über die Warnungen von Generalstabschef Martin Dempsey wurde ausführlich berichtet. Vielmehr käme es jetzt auf vergleichbare politisch-diplomatische Initiativen an, um den Schaden zu begrenzen. So könnten und sollten die Europäer die Beziehungen der USA mit Russland und Iran verbessern helfen. Signale des neuen Präsidenten Hassan Ruhani dürfen nicht ungehört verhallen. Und wenn bei der Befriedung Iraks, Afghanistans und wahrscheinlich auch Syriens die Hilfe Irans unverzichtbar ist, sind diplomatische Beziehungen mit diesem Land unabdingbar.

Hier könnten – das ist nur ein Beispiel – Europäer und Deutschland auf praktischer Ebene vorantreiben helfen, was man gerne eine „politische Lösung“ in Syrien nennt. Initiativen in diese Richtung sind dringend nötig, ob es zu den von der US-Regierung angedrohten Vergeltungsschlägen gegen Damaskus kommt oder nicht. Dass die allein den Bürgerkrieg in Syrien nicht beenden können, ist eine Binsenweisheit.

Bruno SchochBruno Schoch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK/PRIF). Dieser Beitrag ist gestern ebenfalls in der Frankfurter Rundschau erschienen, wir danken für die Genehmigung zur Übernahme.

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