Verfassungsblog: Von der Experimentierwiese zum Forschungsgegenstand

Maximilian-Steinbeis_avatar-125x125

Wissenschaftliches Bloggen ist, gerade in Deutschland, nicht immer einfach. Mal fehlt es an "Grundoffenheit" gegenüber offenen Formaten, dann wiederum ist "populärwissenschaftliches Bloggen" nicht gut angesehen. Maximilian Steinbeis hingegen hat als Rechtswissenschaftler und Journalist ein Blog auf die Beine gestellt, das die wissenschaftliche Bloglandschaft Deutschlands bereichert und andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf das Format Blog aufmerksam macht. Sein Verfassungsblog, den Steinbeis in Kooperation mit dem Forschungsverbund zur Rechtskultur “Recht im Kontext” betreibt, wird nun sogar zum kommunikativen Versuchslabor des Forschungsprojekts „Verfassungsblog: Perspektiven der Wissenschaftskommunikation in der Rechtswissenschaft“. Grund genug, uns mit ihm über all diese Fragen zu unterhalten.

Beginnen würden wir gerne mit einer kurzen Geschichte des Verfassungsblogs. Wie kam es also zu der Idee, ein Blog zu beginnen, wie lief das anfangs und wann und warum kam es zu der Kooperation mit dem Forschungsverbund zur Rechtskultur “Recht im Kontext” des Wissenschaftskollegs?

Ich habe den Blog 2009 als Experimentierwiese begonnen. Ich war damals nach fast 10 Jahren als Mitarbeiter einer großen überregionalen Zeitung gerade in die Selbstständigkeit gestartet und habe allerhand ausprobiert. Das Blogformat hat sich schnell als ungeheuer attraktiv gerade für meine Art des Journalismus erwiesen: Man kann schnell und ohne viel redaktionelle Bürokratie auf aktuelle Ereignisse reagieren und bekommt so unmittelbar und teilweise brutal Resonanz darauf wie bei keinem anderen Medium. Die Idee, den Blog als Plattform für rechtswissenschaftliche Expertise auszubauen, hatte ich relativ früh, scheiterte dabei aber an den Bedenken der Wissenschaftler, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen. Das wurde erst 2011 leichter, als wir die Kooperation mit dem Wissenschaftskolleg begannen. Alexandra Kemmerer kam auf mich zu und fragte mich um Rat, weil sie und Christoph Möllers für den Forschungsverbund "Recht im Kontext" einen Blog als virtuelle Diskursplattform planten. Ich bot ihr an, doch einfach meinen Blog zu nutzen. Und das taten wir dann.

Diese Akzeptanzprobleme seitens der fachwissenschaftlichen community haben auch wir erlebt, gerade zu Beginn unseres Blogs. Wir waren allerdings von Anfang an erklärter Teil eines Forschungsprojekts, dafür fehlte uns die klare journalistische Vergangenheit. War die Anbindung an eine etablierte Organisation tatsächlich eine Art Wendepunkt für das Projekt, bezogen auf die Wahrnehmung durch die Rechtswissenschafts-Fakultäten, oder gab es noch weitere Gründe?

Ich hatte schon den Eindruck, dass die Kooperation mit dem Wissenschaftskolleg vielen Wissenschaftlern den Entschluss erleichtert hat, sich mal auf das unerprobte Medium Blog einzulassen. Aber in der Folgezeit hat sich der Blog schnell zu einem Projekt entwickelt, das seine Resonanz aus sich selbst heraus generiert. Wir haben Anfang 2012 ein Online-Symposium zu einem Vorstoß einer Forschungsgruppe vom Max-Planck-Institut für Völkerrecht in Heidelberg veranstaltet, das eine sehr innovative Idee zur Diskussion stellte, wie die EU mit Grundrechtsproblemen auf Ebene der Mitgliedsstaaten, z.B. in Ungarn, umgehen sollte. Das Maß an Aufmerksamkeit, das dieses Symposium auf sich gezogen hat, hat uns alle überrascht.

Allerdings baute diese Veranstaltung ja auch auf der kontinuierlichen Analyse, fast Berichterstattung der Vorgänge in Ungarn auf - ein Aspekt, den ich bis heute mit dem Verfassungsblog verbinde. Damit hattet ihr euch das Thema 'journalistisch' bereits erschlossen, um es dann darauf aufbauend aktiv in die 'wissenschaftliche' Fach-community hinein zu tragen, oder nicht? Oder kam der Anstoß zu diesem Symposium eher von außen?

Beides. Ich hatte mitbekommen, dass am Max-Planck-Institut in Heidelberg dieser extrem spannende Forschungsansatz existiert und daraufhin mit MPI-Direktor Armin von Bogdandy Kontakt aufgenommen. So kam es zu diesem Symposium. Aber klar, hätte ich mich nicht zuvor journalistisch so tief in das Ungarn-Thema hineingefuchst, wäre es vermutlich auch nicht dazu gekommen. Das hat eben genau gepasst: Als Journalist kann ich nach Ungarn fahren, mit den Leuten dort reden und ein Bild gewinnen und vermitteln von dem, was dort passiert und schief läuft und worüber man sich Sorgen machen will. Die Frage, was daraufhin geschehen soll und was die EU dagegen tun kann, ist wiederum keine, die ich mit journalistischen Mitteln beantworten kann - dafür brauche ich rechtswissenschaftliche Expertise. Und die kam in dem Fall vom MPI in Heidelberg und von den Teilnehmern an dem Online-Symposium.Verfassungsblog

Welche Resonanz kannst du also nach 4 Jahren Bloggen und "teilweise brutaler Resonanz" ziehen?

Mit "brutal" meine ich die Unmittelbarkeit und teilweise auch die Aggressivität der Reaktion. Man bekommt in den Kommentaren sehr ungeschminkt und in your face gesagt, was die Leser von dem Text halten. Verglichen mit dem Stil, in dem etwa auf Konferenzen diskutiert wird, ist das sicher für viele gewöhnungsbedürftig. Ich empfinde das aber überwiegend als erfrischend (von den unvermeidlichen, durch die Anonymität ermutigten Trollereien abgesehen, ein eigenes Thema). Dazu kommt aber auch, dass man sehr schnell sehen kann, ob man überhaupt Resonanz erzeugt - durch Kommentare, durch Facebook-Likes, durch Twitter-Retweets und schließlich ganz direkt durch Klicks. Man sieht sehr klar und sehr schnell, ob das, was man da geschrieben hat, die Leute interessiert.

Was hat sich geändert, wie wurde und wird Ihr Blog von anderen RechtswissenschaftlerInnen aufgefasst?

Mir wird gesagt, dass inzwischen eigentlich die allermeisten, die mit Verfassungsthemen zu tun haben, den Blog zumindest kennen und ganz überwiegend auch verfolgen. Das ist ein Riesenerfolg, den ich mir so nie hätte träumen lassen, als ich 2009 damit anfing. Mir scheint auch, dass sich die Hemmschwelle, sich aufs Bloggen einzulassen, allmählich abschleift. Wenn etablierte Kollegen ganz normal bloggen und damit auch noch greifbar erfolgreich sind, ist natürlich ein Anreiz für viele, es auch einmal zu versuchen. Zumal die allermeisten ja doch gute Verbindungen in die USA haben, wo das wissenschaftliche Bloggen schon längst zur akademischen Normalität gehört.

Gab es Zeiten, in denen du alles hinschmeissen wolltest?

Nein. Es hat immer einen Riesenspaß gemacht.

Welche Möglichkeiten ergeben sich für Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler aus dem Bloggen?

Es gibt in der Öffentlichkeit eine große Nachfrage nach der Expertise der Rechtswissenschaften. Man braucht sie sehr häufig, um zu verstehen und sich eine Meinung bilden zu können über das, was in der Politik und in der Wirtschaft passiert. Blogs sind für die Rechtswissenschaften daher nicht nur als internes Diskursmedium interessant, sondern auch - und ich würde sogar sagen, vor allem - als Schnittstelle zur politischen Öffentlichkeit: Sie ermöglichen es der Öffentlichkeit, Zugang zu finden zu den Expertendiskursen der Wissenschaft, und umgekehrt ermöglichen sie es der Wissenschaft, viel effizienter politisch wirksam zu werden mit ihrer Expertise, als sie es mit den etablierten Instrumenten der Wissenschaftskommunikation könnten. Ein guter und politisch relevanter Blogbeitrag wird viel schneller und breiter wahrgenommen als jeder noch so tolle Zeitschriftenaufsatz.

Genau diese Schnittstelle, die das Verfassungsblog besetzt, soll nun auch Gegenstand eines Forschungsprojekts werden. Kannst du schon, ohne der Auftaktveranstaltung nächste Woche allzu sehr vorzugreifen, etwas über dieses Projekt sagen? Ist das Blog etwa 'lediglich' Forschungsobjekt, oder seid ihr da anderweitig eingebunden?

Ich kann da noch nicht ins Detail gehen. Aber der Blog wird nicht nur Forschungsgegenstand sein. Zwei Wissenschaftlerinnen werden das Projekt vorantreiben: Hannah Birkenkötter als Rechtswissenschaftlerin wird das Bloggen als Instrument der Wissenschaftskommunikation praktisch erproben, die Ethnologin Mirjam Staub wird die Auswirkungen des Bloggens auf die Diskurspraktiken der Rechtswissenschaft erforschen. Informationen dazu haben wir provisorisch (wir arbeiten an einem grundlegenderen Workover für den Blog) schon mal hier zusammengestellt.

Klingt gut, wir sind gespannt (und ein wenig neidisch auf die "kleine Geschäftsstelle" :) ). Vielen Dank für das Gespräch, und alles Gute mit dem Forschungsprojekt!

Podiumsdiskussion des Verfassungsblogs am 28.10.2013: Wie wirkt sich der Medienwandel auf die öffentliche Resonanz der Rechtswissenschaften aus? Wie verändert sich umgekehrt der Zugang der politischen Öffentlichkeit zu rechtswissenschaftlicher Expertise?

Montag, 28. Oktober 2013, 18 – 20 Uhr, im Auditorium des Jakob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums (Ostflügel), Geschwister-Scholl-Str. 1/3, 10117 Berlin
[weitere Informationen]

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert