von Martin Schmetz
Die Krimkrise lässt nicht nach und jeder Staat scheint eine eigene Agenda zu verfolgen. Wer aber verfolgt seine Agenda so, dass sie am Ende auch erfolgreich ist? Die Krise ist noch nicht ausgestanden, doch eine erste Bestandsaufnahme lässt bereits interessante Schlüsse zu. Russland scheint sich momentan nicht schlecht zu schlagen, in Angesicht eines Westens, der immer noch damit ringt, eine klare Linie zu fahren. Doch der wahre Gewinner der gesamten Auseinandersetzung könnte ein Staat sein, der sich bis jetzt sehr ruhig verhalten hat: China.
Wieso ist das so? Immerhin erscheint Russland ja auf den ersten Blick der große Gewinner zu sein, jedenfalls bis jetzt. Und in der Tat konnte Russland bisher seine Politik recht erfolgreich durchziehen – jedenfalls ohne groß vom Westen sanktioniert zu werden. Ob die Krim nun direkt an Russland angeschlossen wird oder nur, wie etwa mit Abchasien oder Südossetien praktiziert, eine enge Kooperation und die Anerkennung als eigener Staat das letztliche Resultat sind: Beide Optionen dürften Russland recht sein. Russland zeigt sich auf der Krim erstaunlich durchsetzungsstark und markiert vor allem seinen Einflussbereich: Dies ist Russlands Hinterhof, hier ist der Einfluss des Westens merklich eingeschränkt. Und war das russische Militär nach dem Fall der Sowjetunion oftmals Zielscheibe des Spotts gewesen, so zeigt die umfangreiche und schnelle Mobilisierung hier die Früchte von Putins Aufrüstungspolitik der letzten Jahre.
Nun wird in Anbetracht dieser Tatsache gerne das Argument vorgebracht, dass Russland sich trotz allem letztlich selbst schade: Nach dem Vorgehen in Georgien und nun auf der Krim ist klar, dass es sich nimmt, was es möchte und dass Staaten, die sich mit Russland alliieren deshalb nicht zwingend sicherer sind. Kurz: Russland verspielt das Vertrauen seiner Nachbarn. Dieses Argument halte ich allerdings für stark verkürzt: Die Krim hatte in Russland traditionell einen wichtigen Status, historisch, kulturell und auch strategisch. Und dass sie letztlich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Ukraine zugesprochen wurde, rief in Russland schon in den 90er Jahren erheblich Widerspruch hervor. Es dauerte einige Jahre, bis Russland die Krim als Teil der Ukraine akzeptierte. Vergleichbar ist dies auch mit den Regionen Südossetien und Abchasien, die seit den 90er Jahren instabil sind und sich eher Russland als Georgien zugehörig fühlen. In allen Fällen gibt es eine lange Vorgeschichte.
Die meisten Nachbarn Russlands haben derartige Grenzstreitigkeiten hingegen nicht – relevant sind eigentlich nur zwei Fälle, von denen höchstens einer akut werden könnte. Estland hatte nach dem Fall der Sowjetunion Grenzstreitigkeiten mit Russland. Allerdings ist Estland als NATO-Mitglied inzwischen derart in den Westen integriert, dass Russland hier militärisch nicht eingreifen wird. Die NATO müsste, im Gegensatz zur Ukraine, den Verteidigungsfall ausrufen, was unkalkulierbare Konsequenzen nach sich zöge. Der andere Fall – und dieser könnte meiner Meinung nach akut werden – ist Transnistrien, eine ebenfalls seit den 90er Jahren abtrünnige Region, in Moldawien. Diese ist traditionell stark mit Russland assoziiert und Moldawien hat de facto keine Kontrolle über Transnistrien. Moldawien wird also berechtigt die Entwicklung in der Ukraine mit einiger Sorge verfolgen. Die Existenz von russischen Minderheiten allein reicht also nicht als Argument für ein militärisches Eingreifen aus, auch wenn Russland den Schutz der russischen Minderheit immer wieder betont – in den bisherigen Fällen russischer Intervention gab es immer einen tieferen historischen Hintergrund, vor dem dies geschah.
Der Westen zeigt sich bis jetzt vor allem uneins und etwas hilflos. Bisherige Versuche, Russland diplomatisch zu isolieren, waren zögerlich und wurden auch in westlichen Kreisen als kontraproduktiv kritisiert: Eine militärische Eskalation der Krise kann im Westen nicht gewünscht sein, diplomatische Kanäle müssen also offen gehalten werden, möchte der Westen überhaupt Einfluss auf die Vorfälle nehmen können.
Wirtschaftliche Sanktionen scheitern letztlich daran, dass die USA zwar zu diesem Schritt bereit wären, aber Russland auf Grund der weniger ausgeprägten bilateralen Handelsbeziehungen nicht besonders viel Schaden zufügen könnten. Europa, allen voran Deutschland, könnte dies hingegen – und ziert sich genau aus diesem Grund davor. Denn nicht nur Russland würde davon negativ getroffen, ebenso negativ wären die Effekte in Europa selbst. Insbesondere in Zeiten der wirtschaftlichen Krise in Europa erscheint dies vielen Politikern und Stimmen aus der Wirtschaft wenig ratsam. Hinzu kommt die europäische Abhängigkeit von russischen Energieexporten – Putin hat bereits angedroht, dass wirtschaftliche Sanktionen mit Antworten zu rechnen hätten. Gemeint haben wird er damit wohl den Öl- und Gaspreis. Auch ein mögliches Ende der gegenseitigen Atomwaffenkontrollen steht im Raum.
Es bleiben gezielte Sanktionen gegen russische und ukrainische Politiker und Geschäftsmänner. Diese sind beschlossen, aber auf Grund ihrer begrenzten Natur natürlich auch nur von begrenzter Wirkung. Und mit deutlich mehr müsste Russland auch nicht rechnen: Umfangreicheren Kapitalmarktsanktionen verwehrt sich etwa Großbritannien, da der Handelsplatz London stark von russischen Anlegern profitiert.
Neben der Option, Putin mit Hitler zu vergleichen bleibt so nur die Unterstützung der ukrainischen Opposition – finanziell, politisch und organisatorisch Dieser Weg wird nun vom Westen auch gegangen, allerdings ebenfalls alles andere als entschlossen. Dies liegt zum einen an den langwierigen Koordinationsprozessen in Europa, vor allem aber auch daran, dass Teile der ukrainischen Opposition dem Westen selbst nicht so ganz geheuer sind. Zu starke Unterstützung könnte auch direkt den ultranationalistischen Kräften in der Ukraine zu Gute kommen, und damit im Westen politischen Fallout hervorrufen und Russland in die Karten spielen, die genau vor diesen Kräften warnen.
So wie es aussieht, kann man in all diesem Chaos zumindest einen klaren Verlierer ausmachen: Die Ukraine. Die neue Regierung ist dem Westen suspekt, extrem heterogen und kann auch außerhalb der Krim nicht alle Gebiete zuverlässig kontrollieren. Selbst die gemäßigten Politiker können nur mit Bauchschmerzen unterstützt werden: Timoschenko zum Beispiel ist beim IWF nicht beliebt, da sie in der Vergangenheit gegen dessen Auflagen mehrfach verstoßen hat. So ziemlich allen Spitzenpolitikern der neuen Regierung hängt zudem der Ruf der Korruption ebenso an. Militärisch kann die Ukraine gegen Russland sowieso nichts machen. Insgesamt zeigt sie sich vor allem als Spielball.
Und so bleibt ein Gewinner, und zwar der, der gar nicht richtig mitspielt: China. In Peking wird man die Ereignisse auf der Krim mit Argusaugen beobachten. Denn traditionell haben sich Russland und China in den letzten Jahren als Verfechter der Souveränität präsentiert, wenn der Westen in einem Land eingreifen wollte oder dies tat. Außer einem Aufruf zur Mäßigung und einer Bestätigung der Freundschaft mit Russland hat sich China bis jetzt bedeckt gehalten.
Chinas zunehmender Einfluss in seiner Nachbarschaft geht einher nicht nur mit dem wirtschaftlichen Aufschwung sondern auch einer immensen Aufrüstung und Modernisierung seiner Streitkräfte. Und kein anderes Land einer derartigen Statur hat so viele Gebietsstreitigkeiten wie China: Sollte sich Russland die Krim ohne langfristige, extrem kostspielige Folgen einverleiben, wird man dies in China sicher zur Kenntnis nehmen und sich in der eigenen Außenpolitik in Zukunft ebenfalls selbstbewusster zeigen. Denn, was die USA und Russland können und dürfen, dass darf China dann ebenfalls. Und im Gegensatz zu den oben genannten Staaten wird China aus der Krimkrise wohl in jedem Fall unbeschädigt hervortreten.
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