von Martin Schmetz
Die Krimkrise dominiert seit Wochen die Medien (und auch dieses Blog). Und sie wird überall anders aufgenommen: In konservativen Kreisen der USA kann man fast schon Freude ob der Möglichkeit eines neuen kalten Kriegs erkennen, während Europa mit sich selbst und seiner Angst vor den möglichen Effekten von Sanktionen hadert. Die Echokammer der Außen- und Sicherheitspolitikgemeinde diskutiert all das seit Beginn der Krise. Dabei verliert man aber schnell außer Augen, welch teils skurrile Blüten die Krimkrise tragen kann. Gott sei Dank gibt es das Internet und in ihm die kleine Insel der japanischen Netzgemeinde, die erkannt hat was wirklich wichtig ist: Die Staatsanwältin der Krim sieht gut aus.
Natalja Poklonskaja wurde am 11. März zur Staatsanwältin der Republik Krim ernannt. An diesem Tag gab sie eine Pressekonferenz – an sich kein ungewöhnlicher Vorgang. Aber ein Youtube-Video von Poklonskaja, wie sie Fragen beantwortet und nervös blinzelt, wurde unerwartet in der japanischen Netzgemeinde (spezifisch auf 2channel) zum Hit: Ein entsprechendes Video hat inzwischen fast 700.000 Views. Und nicht etwa wegen der politische Brisanz in der Region – nein, schlicht, weil sie eine attraktive Frau ist, die über Autorität verfügt. Und nur um sicher zu gehen, dass niemand die Fetischkonnotation missversteht, sei hier auf die Übersetzung einiger Kommentare verwiesen. Für diesen Blog sollen zwei ausreichen: „Bitte nimm mich hart ins Kreuzverhör.“ sowie „Bitte trete auf mich.“ Das Internet ist, weshalb wir keine schönen Dinge haben können.
Die Bewunderung äußerte sich schnell auch auf eine andere Art: Fan Art, also von Fans gezeichnete Bilder von fiktiven oder echten Charakteren, im Stil von Manga und Anime. Das ganze zog schnell größere Kreise, verließ die Grenzen von 2channel, Pixiv (einer japanischen Webseite, wo Nutzer selbstgeschaffene Kunst jeder Art austauschen können) und Twitter und infizierte nun das englischsprachige Netz, allen voran 4Chan und Reddit, sowie russischsprachige Communities etwa auf Livejournal. Dort nahm das Phänomen weiter an Fahrt und schwappte so in die etwas ungläubigen Mainstreammedien über (und schließlich in dieses Blog).
Nun ist dies alles einigermaßen bizarr und vor allem ziemlich unterhaltsam. Allerdings gewinnt das Phänomen Natalja Poklonskaja inzwischen eine Eigendynamik, die über Fan Art und Fetischisierung hinausgeht. Natalja Poklonskaja und Fan Art von ihr ist politisch und dient als Propaganda im Netz. Poster in einschlägigen Foren, die auf Seite der Ukraine stehen (oder dies jedenfalls vorgeben) ergehen sich in wüsten Trollposts, deren Beleidigungen ebenfalls (wenig überraschend, vermutlich) stark sexualisiert sind. Im russischsprachigen Netz hingegen ist sie eine Heldin, bei Reddit sogar "Our Majesty, Immortal Empress, St. Natalia Poklonskaya". Offline, in der Ukraine selbst, wird sie inzwischen des Landesverrats angeklagt. Währenddessen verbreitet die ukrainische Presse als "frivol" titulierte private Fotos von ihr, offensichtlich mit dem Ziel sie zu diskreditieren - wiederum mit Verweis auf ihre Attraktivität und die immense Medienaufmerksamkeit. Die Fetischisierung in der Fan Art gewinnt in diesem Kontext einen ganz anderen Geschmack. Natalja Poklonskaja wird in der Krimkrise zum Symbol für die Annexion der Krim und gleichzeitig zur Projektionsfläche von Fetischen, Nationalismus auf beiden Seiten und einer gehörigen Portion Sexismus.
Selbst ein eher unerwartetes popkulturelles Phänomen bekommt so in der Krimkrise auf einmal ein eigenes Gewicht und fügt der Geschichte des Konflikts eine vor allem für die Außen- und Sicherheitspolitikgemeinde unerwartete Facette hinzu. Denn welcher Experte hätte schon damit gerechnet, dass ein Effekt der Krimkrise eine große Menge an Anime Fan Art ist? Danke dafür, Internet.