Koordination in der europäischen Netzpolitik, die zweite: Vorratsdatenspeicherung

von Martin Schmetz & Andrea Jonjic

Im Februar hatte Martin einen Rantpost über Koordination in der europäischen Netzpolitik geschrieben und die Tatsache beklagt, dass jeder auf nationaler und europäischer Ebene scheinbar ein anderes Konzept verfolgt. Mit dem Urteil des EuGH von Dienstag, dass erst mal ein Ende der Vorratsdatenspeicherung bedeutet, hat ein signifikantes Element der europäischen Netzpolitik eine neue Richtung bekommen. Doch kann dies genutzt werden um zwischen nationaler und europäischer Ebene erste Elemente einer zusammenhängenden europäischen Netzpolitik zu schaffen?

Auf den ersten Blick müsste man, sofern man die Thematik nicht schon länger verfolgt, meinen, dass sich wenigstens hier deutsche und europäische Netzpolitik treffen: Die so lange kritisierte Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene, die Deutschland nur kurz von 2007 bis 2010 umgesetzt hatte, ist nun nicht länger ein Problem - Deutschland läuft nicht mehr Gefahr, Strafgebühren zahlen zu müssen, weil die EU-Richtlinie nicht umgesetzt wird. Effektiv nähern sich die deutsche und europäische Position an. Auch der Koalitionsvertrag, der die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland versprach, scheint vor allem die Strafzahlungen zu fürchten:

Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten um- setzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH. (Koalitionsvertrag, S. 102)

Da der EuGH die Richtlinie für ungültig erklärt hat, besteht aus dieser Hinsicht nun kein Handlungsbedarf. Aus gutem Grund hatte die Koalition ja mit der Verabschiedung eines derartigen Gesetzes bis zum Urteil des Gerichtshofs gewartet. Bundesjustizminister Heiko Maas sieht jedenfalls keinen Grund, einen neuen Gesetzesentwurf vorzulegen, um die Richtlinie auf Bundesebene umzusetzen. Also: Ende gut, alles gut?

 

Leider sind wir weit davon entfernt. Denn das Urteil des EuGH hat zwar die bisherige EU-Richtlinie für ungültig erklärt, nicht aber die grundsätzliche Idee der Vorratsdatenspeicherung. Diese könnte in einer neuen Richtlinie wieder eingeführt werden, solange auf die striktereren Vorgaben im Urteil Rücksicht genommen wird. Insbesondere wird im Urteil auch klar gemacht, dass die Vorratsdatenspeicherung als grundsätzliches Instrument zur Verbrechensaufklärung geeignet ist.

Auf EU-Ebene zeigt der traditionelle Verfechter der Vorratsdatenspeicherung, die Kommission, erst einmal keine Reaktion: Erst wartete man offiziell ab, bis man das Urteil umfassend studiert hatte. Nun lässt Cecilia Malmström immerhin verlauten, dass sie eine neue Richtlinie erst einmal für unwahrscheinlich hält. Es steht aber zu vermuten, dass das Thema auch dort nicht vom Tisch ist: Bisher hatte die Kommission die Vorratsdatenspeicherung immer verteidigt, und andere, klandestinere Akteure hatten überhaupt erst für die Einführung gesorgt, allen voran die Geheimdienste, deren Interessen sich sicher nicht geändert haben. Die momentane Stimmung, vor allem im EU-Parlament, lässt zwar vermuten, dass dies einige Zeit dauern wird, aber erfahrungsgemäß hat Europa in diesen Bereichen einen langen Atem.

Vor allem aber auf deutscher Ebene ist das Thema nun definitiv wieder aktuell. Und während das SPD-geführte Bundesjustizministerium keine großen Anstalten für eine neuerliche Intitiative zeigt, sieht die Situation in der CDU und ihr nahestandenden Sicherheitsexperten ganz anders aus: Innenminister Thomas de Maizière und nicht weniger als "alle Fachleute" sehen weiterhin Bedarf für die Vorratsdatenspeicherung und de Maizière könnte sich auch einen nationalen Alleingang vorstellen - eventuell auch einfach einen Vorgriff auf eine neue EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Denn die Verabschiedung auf EU-Ebene wird auf jeden Fall Jahre dauern, Zustimmung von Rat und EU-Parlament müssen eingeholt werden. Aber die Agenda könnte Deutschland mit einer nationalen Regelung, die dem EuGH-Urteil genügt, setzen und so der Wiedereinführung Vorschub leisten.

 

Bis dahin hätten wir aber ironischerweise die Umkehrung der bisherigen Situation: Deutschland speichert Verbindungsdaten, obwohl dies europarechtlich nun nicht gefordert wird. Da die Argumentation "Strafzahlungen!!1!" nicht mehr funktioniert, kehrt Bundesinnenminister de Maizière zurück zu "Terrorismus, schwere Straftaten, Kinderpornografie" - auch wenn die Notwendigkeit der Datenspeicherung nicht durch kriminologische Statistiken begründet werden kann. Aber wen hält das schon ab. Dass sich die meisten kinderpornografischen Inhalte nicht auf Servern in Indien oder Kasachstan, sondern in Russland und Deutschland befinden, hat der Debatte um Netzsperren ("Zensursula") auch nie geschadet. Rhetorik hin, Rhetorik her.

Und so scheinen sich nationale und europäische Netzpolitik wieder auseinanderzubewegen, obwohl eine kohärente europäische Netzpolitik gerade auch mit Hinblick auf internationale Fragen der Internet Governance dringend notwendig wäre (siehe mein Blogbeitrag). So aber sprechen, scheinbar auf absehbare Zeit, Regierung und EU im Netz eine unterschiedliche Sprache, und je mehr sich das EU-Parlament als netzfreundlich zeigt - so wie im vor kurzem verabschiedeten Schutz der Netzneutralität - desto mehr könnte sich die Kluft zwischen den beiden Ebenen öffnen.

Damit ist aber nicht nur den Staaten und der EU nicht gedient, die vor einem totalen Wirrwarr an Regelungen im Inneren und einer schwachen, weil inkonsistenten Position auf internationaler Ebene stehen. Auch für die NutzerInnen und für Unternehmen im Netz bleibt die Situation kompliziert. Denn solange sich Positionen zu wichtigen netzpolitischen Fragen auf den verschiedenen Ebenen widersprechen und sich zudem auch noch häufig ändern, ist es mit der erwartbaren Rechts- und Regelungssicherheit nicht weit her. Und auch die Kontrolle der Geheimdienste, die weiterhin ihr Unwesen in Netz und Netzpolitik treiben, wird unnötig erschwert, solange die Politik auf den verschiebenen Ebenen mehr mit sich selbst beschäftigt ist.

Und letztlich bleibt so, trotz dem Urteil, scheinbar alles wie es ist: Europäische und deutsche Netzpolitik bleiben uneinheitlich und niemand weiß so recht, was uns in der Zukunft diesbezüglich erwarten wird. Wer gehofft hat, dass das EuGH-Urteil die Kopfschmerzen, die die bisherige Netzpolitik hervorriefen, vertreiben könnte, kann nur enttäuscht werden.

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