von Martin Schmetz
In den letzten zwei Tagen traf man sich in Brasilien, um auf der Net Mundial, dem Global Stakeholder Meeting on the Future of Internet Governance, über die Zukunft des Internets zu entscheiden. Auf der Konferenz trafen sich Vertreter von Staaten, Zivilgesellschaft, Unternehmen und solche, die sich primär um die technischen Seiten des Internetbetriebs kümmern. Der Fokus lag dabei, wie der Name schon sagt, auf Governance, also dem Verregeln und Steuern des Internets als technischer und politischer Raum – internationale Netzpolitik, also. Das Endergebnis von zwei Tagen Verhandlung ist ganze 11 Seiten lang und kann als größtenteils enttäuschend beschrieben werden. Das ist wenig überraschend, denn zwischen staatlichen Akteuren besteht eine Kluft, die kaum zu überwinden ist. Wie diese aussieht und wieso sie uns noch in Zukunft beschäftigen wird, soll im Folgenden gezeigt werden.
Bevor wir uns allerdings dieser Frage widmen können, ergibt es Sinn, den Hintergrund klarer zu machen und Begriffe zu erklären, die in dieser Diskussion immer wieder auftauchen, aber nicht jedem geläufig sein mögen. Dazu wird ein kurzer Überblick gegeben darüber, wie internationale Netzpolitik bisher organisiert war und es wird auf die Rolle des Staats in diesem Kontext eingegangen.
Internationale Netzpolitik zeichnet sich vor allem durch eine verwirrende Anzahl von Organisationen und Zuständigkeiten aus. Auf diese sei hier im Detail nicht eingegangen, die unten stehende Grafik (die übrigens unvollständig ist) gibt aber einen Eindruck, wie kompliziert das ganze ist. 1
Kurz erklärt gibt es seit dem ersten Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) im Jahre 2005 in Tunis eine Zweiteilung der Zuständigkeiten: Auf der einen Seite steht die technische Verwaltung. Am wichtigsten in diesem Feld ist ICANN. ICANN sitzt in den USA und ist eine nominell unabhängige Stiftung, die allerdings eine große Nähe zum amerikanischen Staat aufweist. Die andere Seite der technischen Verwaltung und Pflege, Softwarestandards und Protokolle, welche die Kommunikation zwischen Computern betreffen, wird über das Prinzip des groben Konsens primär von Forschern und Entwicklern beschlossen und somit außerhalb von festen Institutionen. Harte Sanktionsmaßnahmen gibt es nicht, bisher war das aber auch nicht nötig. Nach einem Beschluss wurden diese Standards meist vom großen Teil der Entwicklergemeinde akzeptiert.
Auf der anderen Seite steht die politische Regulierung des Internets, die vor allem im Bereich traditioneller internationaler und nationaler Foren verortet wird, etwa bei der UN und in den jeweiligen nationalen Gremien. Irgendwo dazwischen sitzt das ebenfalls auf dem WSIS 2005 beschlossene Internet Governance Forum, welche wie das WSIS dem Multistakeholderansatz 2 folgt, aber nur beratende Funktionen hat. Nichtsdestotrotz hat es in den letzten Jahren an Einfluss gewonnen. Der „Gegenspieler“ im internationalen Rahmen ist die ITU, die Internationale Telekommunikationsunion, die sich traditionell mit Post und Telefon befasst hat, nun aber versucht, ihren Einfluss auf die technische wie politische Regulierung des Internets auszuweiten. In ihr haben nur Staaten ein Stimmrecht.
Traditionell war die Verregelung im Internet , wie bereits oben angedeutet, nicht-staatlich und nicht formell institutionalisiert. Wichtige Ressourcen wie das Domain Name System oder die Zuordnung von Adressbereichen fanden im Rahmen von ICANN statt oder waren teilweise schlicht die Aufgabe einer Person, die die technische Expertise aufwies, vertrauenswürdig erschien und seit Beginn des Internets aktiv an dessen Gestaltung und Administration mitarbeitete. Staaten waren anfangs nicht in diese Prozesse eingebunden und der Gründungsmythos des Internets als transnationales Netz, dass die Souveränität der Staaten erodieren würde, tat sein übriges – der Staat war schlicht auch nicht gewollt. In der Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace von 1996 heißt es etwa:
Das Internet, für die Zukunft stehend, transzendierte den Staat, ein Relikt der Vergangenheit. Historisch waren die Rahmenbedingungen hierfür auch außerhalb des Internets gut: Der kalte Krieg war vorbei und die neuen Kriege und bewaffneten Auseinandersetzungen fanden nicht mehr primär zwischen Staaten statt. Globalisierung war das Schlagwort, das Modell einer staatendominierten Welt wurde zunehmend in Frage gestellt.
Diese Sichtweise mutet aus heutiger Sicht optimistisch an – spätestens seit der Krimkrise sind zwischenstaatliche Konflikte auch in den Medien wieder ein Topthema. Es ist sogar die Rede von einem neuen kalten Krieg und revisionistischen Mächten.3 In anderen Regionen, insbesondere in Asien, gab es bereits seit 90ern verstärkt territoriale Konflikte, vor allem um Inseln. Hier war der Staat als zentraler Spieler in Konflikten auch im öffentlichen Diskurs nie wirklich verschwunden. Gleichzeitig begannen Ende der 90er Jahre die ersten Staaten, das Internet wenigstens gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern zurückzuerobern. Staaten wie China errichteten immer ausgeklügeltere Filtermechanismen. Das Internet, welches angeblich Grenzen ignorierte und freie Meinungsäußerung und demokratisches Gedankengut in alle Winkel der Welt tragen sollte, wurde erstaunlich schnell für einen Großteil der Bevölkerung in nicht-Demokratien gezähmt. Der Staat wurde wieder zu einem ernstzunehmenden Spieler – auch für die Netzgemeinde.
Und das ist problematisch für Internet Governance: ICANN, lange unter Kontrolle der USA, soll im nächsten Jahr in einem Multistakeholderprozess globalisiert werden – der Einfluss der USA soll zurückgenommen werden, andere Akteure, allen voran andere Staaten, aber auch zivilgesellschaftliche Akteure, sollen an Einfluss gewinnen. Das setzt natürlich voraus, dass die USA diese Kontrolle abgeben, was inzwischen wieder fragwürdiger erscheint. Aber selbst wenn, gewinnen damit vor allem nicht-Demokratien an Einfluss. Und diese haben in den letzten Jahren in der UN Generalversammlung, in der Shanghai Cooperation Initiative, vor allem aber in der ITU mehr staatlichen Einfluss über Technik und politische Kontrolle gefordert, allen voran Russland und China, die ihre nationale Souveränität auch auf das Internet ausgedehnt sehen möchten. Wurden die letzten Vorstöße noch vom Westen, primär England und den USA, zurückgedrängt, so sieht es seit den Snowden-Enthüllungen für die Glaubwürdigkeit des Westens deutlich schlechter aus: Wie glaubwürdig kann der Westen schon Meinungsfreiheit und Demokratie im Netz verteidigen, wenn er sich derart aggressiv verhält? Argumentativ gibt es den nicht-Demokratien Rückenwind, sorgt vor allem aber auch für Zwist unter den Demokratien selbst, die sich durch die Spionage der USA von Freunden betrogen fühlen.
Zentral ist aber zu verstehen, wieso nicht-Demokratien derart konzertiert und hartnäckig das Konzept der Internetsouveränität vorantreiben: Dort geht es um mehr als simple staatliche Kontrolle oder aber anders geartete Werte. Es geht um Sicherheit, es geht um das angebliche Überleben des Staats.
Untersucht man den Umgang mit dem Thema Netzpolitik und Cyber Security in Demokratien und nicht-Demokratien, z.B. mit dem theoretischen Ansatz der Versicherheitlichung, fällt einem eine wichtige Kluft zwischen den beiden Regimetypen auf: Sie sehen Gefahren durch das Netz in vollkommen unterschiedlichen Bereichen, versicherheitlichen also auch unterschiedliche Aspekte der Netzpolitik und entheben sie so dem normalen politischen Prozess. Denn wo existenzielle Bedrohungen für das Überleben des Staats bestehen, ist keine Zeit für Diskussion, Regeln oder Transparenz.
Die Kluft findet sich interessanterweise nicht im so gerne hochgehaltenen Bereich des Industriespionage, der letztlich trotz des Hypes in westlichen Medien primär ein Problem internationaler Wirtschaftspolitik und ziviler Sicherheit bleibt. Es ist auch nicht die Idee des Cyber Wars, obwohl Regierungen vollkommen unabhängig von ihrem Regime die Idee des Cyber Wars und die damit zusammenhängenden Bedrohungen kaufen. Dort besteht aber kein Unterschied zwischen Regimen – und bisher kam aus diesem Kontext auch noch keine substanzielle regulative Gefahr für die Zukunft des Internets aus Governancesicht.
Es ist der Bereich der Politik und Gesellschaft, der für die internationale Netzpolitik relevant wird, denn er erklärt wo die Konfliktlinie zwischen den Staaten verläuft und wieso: In diesem Sektor wird in nicht-Demokratien ein freies Internet nicht nur als problematisch empfunden, es wird erfolgreich als Bedrohung von Außen für den Staat versicherheitlicht. Wichtig sind bei dieser Feststellung zwei Aspekte: Erstens, dass man bewusst von nicht-Demokratien spricht, denn dies gilt ebenso für Hybrid-Regime 4 wie für Autokratien. Das ist problematisch für den Westen, denn auch westliche Verbündete wie die Türkei fallen in diese Kategorie und haben ein Interesse am Konzept der Internetsouveränität. Zweitens ist die Tatsache wichtig, dass von einer Bedrohung von Außen gesprochen wird: Selbst wenn die eigene Bevölkerung letztlich das Regime stürzen könnte, so wird die Quelle für die Ideen, die die Bevölkerung dazu treibt, immer außerhalb verortet: Fremde Ideen (meist aus dem Westen) korrumpieren die Bevölkerung und lassen sie so zur Gefahr werden.
Das ist langfristig problematisch für die internationale Netzpolitik, denn diesem Bedrohungsnarrativ ist mit Multistakeholderansätzen oder diplomatischen Initiativen nicht zu begegnen: Hier verlaufen die Konflikte klar zwischen zwei gänzlich unterschiedlichen Konzeptionen des Netzes in unterschiedlichen Regimetypen. Ein Kompromiss erscheint auf Grund der geglückten Versicherheitlichung unwahrscheinlich: Zu sehr ist diese Narrative inzwischen in nicht-Demokratien akzeptiert und Teil der nationalen Institutionen geworden. Je mehr Bürgerinnen und Bürger in nicht-Demokratien online gehen und so das Interesse der jeweiligen Regierungen an einer Regulierung des Netzes steigt, desto größer wird die Gefahr, dass diese Stimmen lauter werden und auf die internationale Netzpolitik Einfluss nehmen.
Ein Multistakeholderansatz in den bestehenden Institutionen ist hier zwar hilfreich aus Sicht demokratischer Netzaktivisten, muss aber ebenfalls mit Kritik leben: Zivilgesellschaftliche Akteure sind vor allem aus westlichen Ländern vertreten und verstärken so noch die Kritik der nicht-Demokratien an der momentanen institutionellen Ausgestaltung, die vom Westen dominiert wird. Selbst wenn in nicht-Demokratien zivilgesellschaftliche Akteure zugelassen sind, so weisen diese oftmals weder die Expertise, die Manpower noch die Mittel auf, um auf die vielen unterschiedlichen Konferenzen weltweit zu fahren. Aus diesen Staaten werden bestenfalls staatliche Vertreter anreisen. Auch auf die Dienstanbieter, also Vertreter der Wirtschaft, sollte nicht zu stark gesetzt werden: Ihnen geht es nicht um den Schutz demokratischer Werte, sondern um den Zugang zu Information und Märkten. Unternehmen wie Microsoft oder Yahoo unterwerfen sich etwa in China bereits bereitwillig den Zensurmaßnahmen, um im Gegenzug am Markt teilnehmen zu können. Es mag bei einigen Fragen, wie etwa der Netzneutralität, zu einer Koalition zwischen Vertretern der Zivilgesellschaft und Teilen der Industrie kommen, aber diese hat ad-hoc Charakter.
Im Abschlussdokument der Net Mundial kann man diese unterschiedlichen Sichtweisen wieder sehen. Es ist diese Kluft, die dafür gesorgt hat, dass das Dokument letztlich vor allem mit Sicht auf die Frage der Menschenrechte und Freiheiten im Internet so schwach ausgefallen ist: Im Dokument wird zwar lange darauf eingegangen, man betont wie wichtig Menschenrechte und Freiheiten im Netz sind. Aber das ganze steht unter der Überschrift von Menschenrechten als Werten, nicht als Normen. Und so können sich Staaten wie China mit Verweis auf andere Werte genau diesem Teil des Beschlusses entziehen. Normen wären bindender. Es muss bereits als Sieg gewertet werden, dass der Multistakeholderansatz auf der Konferenz so gut funktioniert hat und auch im Abschlussdokument als Erfolg gewertet wird – trotz des erheblichen Widerstands von Russland, China, Iran und anderen.
Letztlich bleibt für Vertreter eines freien Internets nur, weiterhin zivilgesellschaftlich aktiv zu bleiben, aber vor allem anzunehmen, dass staatliche Akteure in der internationalen Netzpolitik immer wichtiger werden – und entsprechend Einfluss auf die demokratisch gewählten Vertreter in diesen Verhandlungen zu nehmen. Netzpolitik muss auf nationaler Ebene raus aus der Nische. Ein freies Internet muss zum Selbstverständnis für Demokratien werden, nur dann kann es weiter auf internationaler Ebene geschützt werden. Dabei muss klar sein, dass die Vertreter der Idee eines freien Internets zahlenmäßig in zunehmenden Maße unterlegen sein werden. Es geht um die Mobilisierung von Akteuren außerhalb der staatlichen Zirkel, die wiederum auf nationale Regierung in Demokratien einwirken und mit diesen zusammen auf globaler Ebene arbeiten, um dies auszugleichen. Denn die Spaltung zwischen Demokratien und Nicht-Demokratien existiert bereits und wird sich in Zukunft nicht verkleinern. Nun geht es darum, eine zukünftige internationale Netzpolitik zu verhindern, die nur von Staaten geprägt wird. Das bedeutet, den Fokus von der Sicherheit auf die Demokratie zu legen; auf nationaler wie globaler Ebene. Das bedeutet für den Westen mehr Transparenz, weniger aggressives Auftreten durch Geheimdienste und Cyberwareinheiten – letztlich bedeutet es, die Glaubwürdigkeit der eigenen Normen zu steigern. Denn dieser Kampf ist von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die auch noch gegen ihre eigenen Regierungen kämpfen müssen, kaum zu gewinnen.
- Ein vollständigerer Überblick über relevante Organisationen und Institutionen findet sich hier: http://www.gp-digital.org/publication/internet-governance-mapping-the-battleground/ ↩
- Der Begriff „Multistakeholder“ hat leider kein deutsches Gegenstück, kann aber etwa erklärt werden als ein Prozess, in dem alle Interessenvertreter mehr oder minder gleichberechtigt eingebunden werden. ↩
- Dazu aktuell z.B. zwei Beiträge in Foreign Affairs, die sich darüber streiten, ob Iran, Russland und China nun revisionistische Mächte sind oder nicht ↩
- Also Staaten, die nicht komplett frei sind, aber auch keine komplette Autokratie darstellen – beispielsweise die Türkei. Für eine detailliertere Einordnung siehe z.B. der Democracy Index ↩