von Mark Daniel Jaeger
Sanktionen als Instrument der Außenpolitik sind besonders bedroht von Pauschalisierungen. Politik und Öffentlichkeit verlangen oftmals nach klaren Antworten und eindeutigen Vorhersagen – auch im Zuge ihres jüngst zunehmenden Einsatzes in der Ukraine-Krise. Überzogenen Hoffnungen, Sanktionen mögen Putin niederzwingen stehen pauschaler Skepsis gegenüber, dass sie ohnehin nicht wirken würden. Dieser Beitrag wird jene Sehnsucht nach Komplexitätsreduktion nicht bedienen. Sanktionen wirken immer in einem Konflikt. Die Frage stellt sich vielmehr, welche Entwicklungen ihnen zuschreibbar sind und ob diese Wirkung beabsichtigt ist.
Nach den Erfahrungen der Irak-Sanktionen, die in ihrer ökonomischen Wirkung verheerend und so nicht intendiert waren, setzt nun man international auf so genannte ‚smarte‘ Sanktionen. Sie zielen spezifisch auf politische Eliten oder Gruppen, denen ein unmittelbarer Einfluss auf politische Entscheidungsträger unterstellt wird. In der Ukraine-Krise nutzen die USA, die EU und andere westliche Akteure gezielte Sanktionen, um mit Reisebeschränkungen und dem Einfrieren von Guthaben in westlichen Banken Druck auf Teile der russischen Wirtschaftselite auszuüben (detaillierte Informationen zu den beschlossenen Sanktionen finden Sie hier). Die unmittelbaren volkswirtschaftlichen Auswirkungen solch ‚smarter‘ Sanktionen sind vernachlässigbar. Sind die Unannehmlichkeiten stattdessen für die betroffenen Akteure erst einmal hoch genug, so ist das Kalkül, werden diese politischen Druck ausüben, der die russische Regierung zu einem Einlenken bewegen soll.
Der Fokussierung auf einen solchen Wirkungszusammenhang liegen nun einige Annahmen zugrunde, die zutreffen können, aber nicht müssen. Offensichtlich müssen die Sanktionen zunächst einmal größere Unannehmlichkeiten verursachen, ohne dass dies kompensiert werden könnte. Ebenso essentiell ist, dass die betreffenden Akteure ihre politische Wahrnehmungen und Einstellungen nicht über ihre persönlichen Interessen stellen, auf die die Sanktionen zielen. Dies ist keine Selbstverständlichkeit. Angriffe ‚von außen‘ durch Sanktionen haben in der Vergangenheit mitunter zu einer Solidarisierung ‚nach innen‘ geführt – die Menschen stellen ihre Kritik an der eigenen Regierung hinten an, gegenüber einer als illegitim wahrgenommenen, feindlichen Politik einer fremden Macht.
Generell mag ein Solidarisierungseffekt eher solche Sanktionen betreffen, die stärkere ökonomische Auswirkungen haben und einen größeren Teil der Bevölkerung treffen. Doch ist auch die Annahme, ‚smarte‘ Sanktionen blieben ökonomisch ohne nennenswerte Wirkung bei näherer Betrachtung allzu vereinfachend. Indirekt können sie durchaus erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Globalisierte Kapitalmärkte reagieren schnell und sensibel. Finanzakteure planen Investments auch auf Grundlage einer Analyse politischer Risiken, die ein bestimmter Markt beinhaltet. Krisen wie der Konflikt um die Ukraine führen zu einer substanziellen Risiko-Aufwertung für Investitionen in Russland. Sanktionen sind Indikatoren für einen weiter eskalierenden Konflikt, zumal gezielte Sanktionen auch die Möglichkeit umfassenderer Maßnahmen andeuten. So sind nach Angaben des russischen Finanzministeriums im ersten Quartal 2014 bereits über 60 Milliarden US-Dollar an Kapital abgezogen worden. Eine wirtschaftliche Stagnation scheint für dieses Jahr nicht mehr ausgeschlossen.
Umfangreiche Wirtschaftssanktionen würden die Kosten zweifellos erheblich steigern – für Russland und die EU. Anders als bei einigen Sanktionen gegen schwächere Entwicklungsländer sind die Beziehungen im Ukraine-Konflikt nicht von einer einseitigen Abhängigkeit Russlands gekennzeichnet, sondern von Interdependenz. Auch wenn die russische Wirtschaftsentwicklung durch umfangreiche Sanktionen deutlich zurück geworfen würde und ihre Auswirkungen auf den Staatshaushalt dem Anspruch eines Großmachtstatus nicht eben zuträglich wären: Die EU könnte russische Energielieferungen selbst mittelfristig kaum kompensieren. Schließlich würden höhere Kosten für Russland nicht notwendigerweise in politischen Druck im Sinne der EU auf die russische Regierung resultieren. Stattdessen könnte der bereits stark grassierende Nationalismus eine weitere Solidarisierung begünstigen. Ein Einlenken Russlands wäre dann nicht unbedingt wahrscheinlicher.
Durch diese komplexen Umstände wird deutlich, dass Sanktionen schlicht keine deterministische Wirkung entfalten. Es ist notwendig, sie im Kontext des konkreten Konflikts zu verstehen. Die Obsession einiger deutscher Tageszeitungen mit Putin mag darüber hinweg täuschen, dass die Ukraine mit den langjährigen politischen Spaltungen innerhalb des Landes das Epizentrum der Krise ist. Der Konflikt in der Ukraine ist zudem wesentlich vielschichtiger als eine Einteilung in ‚gute Demokraten‘ im Westen und ‚korrupte Separatisten‘ im Osten. Selbst wenn man eine massive politische Einflussnahme Russlands geltend macht, muss man dennoch die komplizierteren lokalen Realitäten zur Kenntnis nehmen. Der Kontext, in dem Sanktionen verstanden werden müssen, ist die Ukraine-Krise und nicht die Putin-Krise.
In einem reflektierten Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (20. April 2014) ist Konrad Schuller kürzlich dieser Konfliktrealität nachgegangen. In der östlichen Ukraine werden die politischen Umtriebe im westlichen Teil des Landes teils als eine von außen gelenkte Machtergreifung von Kräften wahrgenommen, die in ihrer Symbolik und ihrer Politik in einer faschistischen Anti-Russland-Tradition stehen sollen. Dass die Umstände im Westteil dem weitgehend widersprechen würden, wird nicht gesehen. Umgekehrt wird deutlich, dass die ganz überwiegende Mehrheit im Osten des Landes sich unter keinen Umständen für ‚Europa‘ und gegen die russische Brudernation entscheiden würde – den Kern des Konflikts aber genau darin sieht. Sicherlich kann man lamentieren, wie ‚falsch‘ die Wahrnehmung mancher Menschen in der östlichen Ukraine von Europa und dem Westen ja sei. Doch ändert das nichts daran, dass diese anders wahrgenommene Realität in ihrer Sinnstruktur beständig und politisch von Konsequenz ist: Sie bildet die Grundlage, auf der Aktionen Russlands, der westlichen Fraktionen in der Ukraine, und auch die Sanktionen des Westens wahrgenommen und bewertet werden.
Die russische Regierung mag sich diesen speziellen Konfliktkontext politisch zunutze machen – das Spiel um die Deutungshoheit ist ein Spiel um Einfluss in der Region. Der ist für Russland von hoher strategischer Bedeutung. Ein Verlust des Schwarzmeerstützpunktes in Sewastopol und im weiteren Sinne der Krim wäre angesichts all des großmächtigen Nationalismus innenpolitisch eine Blamage. Dazu käme die Befürchtung, dass eine als Feindbild kultivierte NATO ihre Präsenz in Osteuropa ausbauen könnte. Selbstverständlich sind diese politischen Tautologien in fataler Weise selbstverstärkend.
Welche Optionen bleiben den westlichen Mächten also im Ukraine-Konflikt? Eine realistische Bewertung von Sanktionen schließt eine Betrachtung ihrer Ziele und Alternativen ein. Es erscheint wenig plausibel, dass ein Ausbleiben der bislang eher gering dosierten gezielten Sanktionen einen Durchbruch gebracht hätte. Auf der anderen Seite wäre ein militärisches Eingreifen in jeder Hinsicht mit prohibitiv großen Risiken verbunden. Wird man die russische Regierung durch verstärkte Sanktionen zur Akzeptanz von Maximalforderungen bringen können? Es bleibt dabei, das die Region für Russland (und weniger für den Westen) von großer strategischer Bedeutung ist und sich die Bevölkerung der östlichen Ukraine auch kaum gegen Russland entscheiden wird. Maximalforderungen sind daher unrealistisch. Bei umfassenden Sanktionen wiederum stünde einiges auf dem Spiel und sie wären mit erheblichen Kosten für Europa verbunden. Allerdings steht grundsätzlich besonders für Russland viel auf dem Spiel. Entscheidend ist, dies bei einer weiteren Ergreifung von Sanktionen und anderer politischer Maßnahmen deutlich zu machen, gleichzeitig aber die spezifischen Konfliktrealitäten zu berücksichtigen. Es gilt abzuwägen zwischen der Möglichkeit durch Sanktionen ein Einlenken zu bewirken und dem Risiko einer weiteren Verhärtung gegensätzlicher Positionen, die den Konflikt vertiefen würde.
Wer “Friedensforschung” betreibt, will keinen Frieden, sondern sucht lediglich eine sinnfreie Beschäftigung. Die sowohl notwendige als auch hinreichende (d. h. äquivalente) Bedingung für den Weltfrieden ist gleichbedeutend mit der Lösung der sozialen Frage und längst erforscht und durchdacht:
[Redaktion: Wir sind keine Linkfarm. Wer nach “Eigennutz und Gemeinnutz” sucht, sollte finden, worauf verwiesen wird. Danke.]