von Konstanze Jüngling
Dass die EU und die USA auf die russischen Machenschaften in der Ukraine mit Sanktionen reagiert haben, ist ebenso verständlich wie richtig. Darauf zu bauen, dass diese Maßnahmen Russland zu einer Kurskorrektur bewegen, wäre dagegen fatal. Dass die Sanktionen wirkungslos bleiben, ist nämlich noch die eindeutig bessere Aussicht. Im schlimmeren Fall aber unterstützen die Sanktionen gefährliche Tendenzen der russischen Selbstisolation und sind damit sogar kontraproduktiv. Anstatt auf den Erfolg von Sanktionen zu hoffen, sollte Europa auf eine offene wie ebenbürtige, kritische Auseinandersetzung mit Russland und ein Appellieren an dessen Verantwortung als Großmacht setzen.
„Es wird schon schwierig zu zählen, zum wievielten Mal der Westen Moskau mit scharfen Maßnahmen in Reaktion auf die Ereignisse in der Ukraine droht“, hieß es vor Kurzem in einer Nachrichtenmeldung des liberalen russischen Radiosenders „Echo Moskwy“. Das Lavieren europäischer Mitgliedsstaaten in der Frage einer weiteren, dritten Runde von (Wirtschafts-)Sanktionen aufgrund der russischen Ukraine-Politik lässt sich zu Recht bemängeln. Nichtsdestotrotz fiel die März-Entscheidung für Sanktionen zu Recht. Die zweifellose Missachtung internationalen und ukrainischen Rechts durch die russische Annexion der Krim konnte nicht unbeantwortet bleiben. Dementsprechend hätte ich mir in anderen Episoden der russischen Politik, so z.B. im zweiten Tschetschenienkrieg, stärkere Signale des Widerspruchs gewünscht. Fraglich ist heute nur, ob die Entscheidung für Strafmaßnahmen die möglichen Folgen dieser Entscheidung auch wert ist.
In einem optimistischeren Szenario erzeugen die westlichen Sanktionen keine weiteren Kosten außer den dadurch entstehenden direkten materiellen Schaden selbst – sofern es denn überhaupt zu kostspieligeren Wirtschaftssanktionen kommt. Mit individuellen Kontensperrungen und Einreiseverboten sind zumindest die von der EU verhängten Sanktionen bisher weitgehend symbolischer Natur. Fast schon routinemäßig vorgetragene, pauschale Androhungen härterer Strafmaßnahmen scheinen in Moskau bisher kaum Umdenken zu erzeugen. Vor allem dann, wenn diese Drohungen noch dazu voreilig sind: Nur einen Tag nach Unterzeichnung des Genfer Abkommens drohte das Weiße Haus Moskau so bereits schärfere Sanktionen an, sollte der Kreml seinen Verpflichtungen nicht nachkommen. Die Reaktion von Putins Sprecher Dmitri Peskow kam prompt: „Man kann Russland nicht wie einen schuldigen Schuljungen behandeln. Diese Art der Sprache ist inakzeptabel.“
Selbst wenn sich die EU jedoch zu härteren Wirtschaftssanktionen durchringt und selbst wenn der russischen Regierung dadurch ernsthafter Schaden entsteht, sind von Seiten Russlands keine substanziellen Konzessionen zu erwarten. Das Regime Wladimir Putins ist auf die Wiederherstellung und Demonstration von Stärke sowohl nach Innen als auch nach Außen aufgebaut. Internationalen Sanktionen nachzugeben, würde dementsprechend bedeuten, das eigene Machtsystem zu unterminieren. Um die eigene Großmachtidentität zu bewahren, wird im Zweifelsfall eigener Schaden in Kauf genommen, wenn nicht gar eine starke Gegenreaktion bevorzugt. In keinem der beiden Fälle wird sich Russland zu einer Rückgabe der Krim bewegen lassen – sofern dies überhaupt jemals ernsthaftes Ziel der Sanktionen gewesen ist.
In einem weitaus besorgniserregenderen Szenario sind westliche Sanktionen damit sogar kontraproduktiv und tragen zur weiteren Selbstisolation Russlands bei. Seit der Rückkehr Putins in den Kreml haben sich bereits bestehende Tendenzen der Ablehnung und Absonderung vom Westen verschärft. Die Stilisierung eines westlichen Sittenverfalls und Feindbilds, die zunehmende Kontrolle des Internets, so z.B. in Form des jüngsten Blogger-Gesetzes, sowie die NGO-Agentengesetzgebung sind nur wenige Symptome dieser Abkehr. Die Sanktionen des Westens, insbesondere wenn diese auch die russische Bevölkerung treffen sollten, laufen Gefahr, solche Tendenzen zu fördern. Indizien dafür lassen sich bereits beobachten. Individuelle Konten- und Einreisesperren von Seiten der EU und der USA werden zur populistischen Stimmungsmache verwendet; dies zeigt etwa die Stilisierung dieser Maßnahmen als Auszeichnung bzw. „politischen Oskar“ durch russische Offizielle. Um internationale Abhängigkeiten zu verringern, soll in den kommenden Monaten zudem ein eigenes russisches Zahlungssystem vorangetrieben werden. Die Arbeit ausländischer Kreditkartenanbieter in Russland wurde bereits durch eine Gesetzesnovelle erschwert.
Solche Tendenzen der Selbstisolation Russlands sind gefährlich. So krude die russische Argumentation in der Krim-Frage für westliche Zuhörer auch klingen mag: Bisher legt der Kreml noch immer großen Wert darauf, sein Vorgehen in der Ukraine durch den Verweis auf internationales Recht zu rechtfertigen. Für die Beziehungen zu Russland bedeutet dies, dass es immerhin noch eine gemeinsame Ausgangsbasis und damit mögliche Einflusskanäle des Westens gibt. Ein Fortschreiten der Selbstisolation Russlands könnte zu einem vollständigen Wegbrechen dieser ohnehin schon porösen Ausgangsbasis „internationales Recht“ führen. Die Möglichkeit einer diplomatischen Einflussnahme auf Russland wäre damit de facto nicht mehr existent. Aus dieser Perspektive ist der Entzug des Stimmrechts der russischen Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vor einigen Wochen durchaus kritisch zu sehen.
Sollte die internationale Gemeinschaft also tatenlos zusehen, während der Kreml seine aggressive Außenpolitik ungehindert fortsetzt? Sicherlich nicht. Was jetzt gefragt ist, ist jedoch weniger eine Politik der Sanktionierung, sondern eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Moskau. Auseinandersetzung meint dabei keinen „Schön-Wetter-Dialog“, sondern schließt offene wie unverblümte Kritik mit ein. Eines hat die Krim-Annexion klar gezeigt: Russland fordert seinen Großmacht-Status ein und ist bereit, eine entsprechende internationale Anerkennung als solche notfalls gewaltsam zu erzwingen. Der Westen sollte dieses Streben nach Anerkennung ernst nehmen und die russische Großmachtrhetorik beim Wort nehmen. Großmacht zu sein beinhaltet nicht nur bestimmte Privilegien, sondern ist auch an die Erfüllung von Pflichten gebunden, so z.B. die Aufrechterhaltung internationaler Normen, wie diese von der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft verstanden und interpretiert werden. Europa sollte vom Kreml die Erfüllung dieser Großmacht-Pflichten einfordern, indem es Moskau klar macht: „Ja, du bist Großmacht, aber genau deswegen dürfen wir von dir auch erwarten, dass du deinen Großmacht-Pflichten nachkommst“. Zu argumentieren, dass Russland dies derzeit nicht tut, würde freilich ein Eingeständnis eigener Versäumnisse von Seiten anderer Großmächte erfordern. Die USA müssten so etwa zugeben, dass sie selbst durch ihre verheerende Menschenrechtspolitik im „Krieg gegen den Terror“ ihre Pflichten als Großmacht verletzt haben. Auch wären weitere Sanktionen im Lichte dieses Narrativs sowie der oben beschriebenen Gefahr zu kalkulieren und anzupassen. Nur wenn Russland eine Rückkehr in die westliche Wertegemeinschaft unter Wahrung des eigenen Gesichts ermöglicht wird, wird eine friedliche Regulierung der Krise in und um die Ukraine möglich sein und kann größerer Schaden vermieden werden. Es ist von fundamentaler Bedeutung, sämtliche Möglichkeiten zu nutzen, bevor sich die Türen bis auf Weiteres schließen.
Sehr geehrte Frau Jüngling,
in Ihrem Beitrag wiederholen Sie 1:1 den ständigen Tenor unserer “Quali-täts- und Leitmedien” Worin genau bestehen denn die Werte der westlichen Gemeinschaft? Manifestierten sie sich etwa im Jugoslawien-krieg oder in der Vernichtung von Libyen einschließlich der Geheimope-rationen der britischen und US – amerikanischen Spezialkräfte dort und in Syrien oder im Krieg gegen den Irak, der Beteiligung an Militär- und Geheimdienstoperationen rund um den Globus.Wenn Sie die “NGO -Agenten-gesetzgebung” ansprechen,möchte ich Sie daran erinnern, dass in den USA seit 1938 der FARA gilt,den die Russen fast wörtlich abgeschrieben ha-ben.Ähnliche Gesetze gibt es auch in etlichen anderen Staaten.So arbei-ten in der RF fast 10000 ausländische NGOs.Ihre speziellen Arbeitsge-biete kann man häufig an Hand der Projektbezeichnungen in den Rechen-schafts- und Finanzberichten nachvollziehen, ebenso wie die Herkunft ihrer Finanzausstattung(NED)Zu Ihrem Aufsatz ließen sich etliche wei-tere Anmerkungen machen, aber es reicht mir jetzt mal.Auf Ihre wissen-schaftliche Qualifikation wirft der Artikel jedenfalls kein gutes Licht.Mit freundlichen Grüßen
Erich Schöpfer