Byzantinische Verhältnisse? Golden Dawn und die eurasische Doktrin

Von Maik Fielitz

Dass die russische Führung auf der Suche nach Verbündeten in Europa auch auf die extreme Rechte zurückgreift, wurde bereits mehrfach diskutiert und analysiert. Ebenso wurde deutlich, dass ganz verschiedene Akteure jenes heterogenen Zielpublikums in Russland wiederum den Hegemon sehen, an dessen Seite sie gegen die ‚neue Weltordnung‘ oder ‚westliche Werte‘ aufbegehren möchten. Die autoritäre Durchsetzung des nationalen / völkischen Interesses im Blick, verweist jenes Spektrum auf die Ideologie des Neo-Eurasismus als Anknüpfungspunkt für außen- und sicherheitspolitische Überlegungen. Die griechische Golden Dawn als stärkste Vertreterin des militanten Flügels der extremen Rechten Europas fügt jener strategischen Russophilie eine historisch-kulturelle Komponente hinzu und unterstreicht damit ihre revisionistischen Ansprüche.

‚Geopolitik‘ ist oftmals unbemerkt eines der zentralen Aktionsfelder der extremen Rechten. Vor allem ideologischen (Bewegungs-)Parteien ist eine (zumeist polarisierende) Positionierung in der Weltpolitik nicht nur ein inneres Anliegen sondern auch eine Artikulationsweise von politischem Dissens. Besonders haben daher dualistische Weltbilder Konjunktur, die in der Lage sind, eine strategische Fundamentalopposition in nationalen Zusammenhängen auf ein internationales Niveau zu heben. Die Ideologie des (Neo-)Eurasismus scheint durch den Aufbau einer kulturellen (Gegen-)Hegemonie sowie der aggressiven und reaktionären Zurückweisung von Globalisierung und Individualismus anschlussfähig zu sein. Vereinfacht gesagt versteckt sich hinter dem Begriff der Ansatz einer geopolitischen Neuausrichtung, die über die Schaffung eines eurasischen Empires eine Renationalisierung durch die Zurückdrängung westlicher Werte und Institutionen verfolgt.

Chefideologe und Berater Putins Alexander Dugin verbreitet diese Ideen über breites Netz an internationalen extrem rechten Parteien und schreckt auch nicht vor offen neonazistischen Gruppierungen zurück. So war es eine Frage der Zeit bis sich auch der Golden Dawn zugewandt wurde. Denn: Die griechischen Neo-Faschisten haben bereits in ihrem Parteiprogramm eine klare Stellung zur ‚geopolitischen Wende‘ bezogen: „…our Homeland has suffered huge losses from the backstage activities of the American Zionists. A drastic turn of our geopolitical orientation and openness to the Russian factor … would be a move favoring our national interests.”

Auf einer Demo der Goldenen Morgenröte. Bild von Max Rüting.

Auf einer Demonstration der Goldenen Morgenröte. Bild von Max Rüting, verwendet mit Erlaubnis.

Dieser russische Faktor zeigte spätestens mit einem gestiegenen Interesse der eurasischen Ideologen an Golden Dawn seine Wirkung: Nach der persönlichen Kontaktaufnahme Dugins mit dem Parteivorsitzenden Michaloliakos im November 2013 verstetigte sich der bilaterale Austausch der „Brudervölker“ und „natürlichen Verbündeten“, wobei zunehmend auch eine kulturelle bzw. religiöse Verbundenheit betont wird: „…uns verbindet mit Russland aber etwas Tieferes als die geopolitischen Interessen: Die Orthodoxie.“ Dank jener ‚orthodoxen Bruderschaft‘ habe Griechenland bereits 1830 durch die Schwächung des Osmanischen Reichs im Verlauf des russisch-türkischen Krieges seine Unabhängigkeit gewonnen. Analog steht heute die Unabhängigkeit von internationalen Finanzinstitutionen und ‚dem Westen‘ im Allgemeinen auf der Agenda und der Eurasismus als Lösung bereit.

Nach Aussage Dugins spiele Griechenland wiederum eine zentrale Rolle im eurasischen Modell. Strategisch gelegen und mit natürlichen Ressourcen ausgestattet, sollen die Griechen vor allem die kulturellen Fertigkeiten aus ihrer Geschichte ins eurasische Imperium mit einbringen. Interessant in diesem Zusammenhang, dass sich Russland nach eigener Vorstellung als „Erben des Byzantinischen Reiches“ sieht, ‚die Griechen‘ jedoch „der Welt erst beigebracht hätten, wie ein Volk und seine Traditionen überleben könne“. Somit obliege es ihnen die intellektuelle Führung im zu schaffenden Empire zu übernehmen, da das griechische Volk aus der Tradition heraus einen „geistigen und strategischen Vorteil gegenüber allen anderen habe.“ Das Schicksal Griechenlands liege Dugin zufolge in der Schaffung eines „neuen Imperiums mit politischer Substanz.“

Dieses nativistische Denken mit dem Anspruch der Neugestaltung ganzer Regionen wird von Golden Dawn euphorisch aufgenommen. Erstmals als Verbündete von einflussreichen Sphären kommt ihr eine externe Legitimität in einer Zeit zu, in der sie juristischer Repression ausgesetzt ist und ein mögliches Verbot als kriminelle Vereinigung geprüft wird. Wohl wissend über die Situation in Griechenland sprach Dugin bei einem Treffen mit einem Abgeordneten der Golden Dawn in Moskau im Mai 2014 seine Unterstützung für die Partei aus. Die strafrechtliche Verfolgung sei nach seinem Auffassen Teil eines westlichen Komplotts gegen die ‚geopolitische Wende‘ hin zu Russland. Solche Aussagen werden gern zur propagandistischen Stärkung aufgegriffen.

Diese ‚Wende‘ verknüpft nun reflexartig russische Großmachtpolitik mit griechischen Revisionsvorstellungen. So sei es bspw. ein nationales Interesse Griechenlands, dass Russland nun über die Krim einen weiteren Zugang zum Schwarzen Meer habe, auch weil man selbst eine bessere Gelegenheit sieht, umstrittene Gebiete in Epirus, Makedonien und Thrakien zurückzufordern. Weiterhin werden strittige Ereignisse wie der Brand im Gewerkschaftshaus in Odessa oder der Absturz der MH 17 in verschwörungstheoretischer Manier als ‚amerikanozionistische Provokationen‘ abgetan.

Gleiches galt für die Maidanproteste, die von westlichen NGOs und amerikanischen Geheimdiensten gesteuert worden seien, um Russlands Einfluss einzugrenzen. Während in Neonazikreisen noch Anteilnahme über die Beteiligung extrem rechter Gruppen herrschte, distanzierte sich Golden Dawn von Gruppen wie dem Rechten Sektor, da sie enge Verbindungen zur ‚American Jewish Community‘ hätten, die sich traditionell gegen Golden Dawn richte. Es stellte sich heraus, dass Golden Dawn ihren Einfluss auf die extreme Rechte nutzte, um in der Ukraine-Frage pro-russisch zu intervenieren.

Während beispielsweise der enge Verbündete Nick Griffin – ehemaliger Europaabgeordneter der British National Party – anfangs eine sympathisierende Haltung zu extrem rechten Einflüssen auf dem Maidan ausdrückte, schwenkte er schnell auf die Linie der Golden Dawn um, indem er den Rechten Sektor als „zionistisch manipuliert“ bezeichnete. Dies geschah im März auf einem Kongress der Jugendorganisation der NPD, die vorher den Rechten Sektor noch eingeladen hatte (die Teilnahme wurde aufgrund von Visaproblemen abgesagt). Die NPD selbst, die unter Holger Apfel noch Kontakte zur Swoboda pflegte, schlug unter dem Einfluss Udo Voigts – ein langjähriger Partner der Golden Dawn – einen russlandfreundlichen Kurs ein und verprellte den alten Bündnispartner. In neonazistischen Netzwerken kam es zu teils heftigen Auseinandersetzungen, wobei sich eher die pro-russische Position durchsetzte.

Die Doktrin des Eurasismus ist dabei ebenso kompatibel mit einem „Europa der Nationen“, das Dugin gemeinsam mit Golden Dawn, aber auch gemäßigteren Strömungen der extremen Rechten aufbauen will. Dieses ethnopluralistische Konzept gilt seit Jahrzehnten als Modell extrem rechter geopolitischer Vorstellungen und vereint ein zersplittertes Spektrum. So betonte der (nun inhaftierte) Pressesprecher der Golden Dawn Kasidiaris nach der Europawahl: „Today is a new beginning for Europe. We fight for a Europe of the nations against the bankers. In our Europe, Russia is in the first position. Orthodox Russia – the first ally of Greece“.

Fackeln auf einer Demonstration der Goldenen Morgenröte. Bild von Max Rüting.

Fackeln auf einer Demonstration der Goldenen Morgenröte. Bild von Max Rüting, verwendet mit Erlaubnis.

Die Beschäftigung mit der eurasischen Thematik wäre wohl kaum der Rede wert, wenn diese nicht immer konkretere Züge annehmen würde. Dazu zählen neben der Ausweitung des Einflussgebietes auf Europa die kürzlich entstandene eurasische Wirtschaftsunion und die Vorbereitung zu einer politischen Eurasischen Union 2015. Aber auch der Einfluss von ultra-nationalistischen Kreisen auf die Politik Putins, die ein expansives Noworossija (Neu-Russland) fordern1, spielt mit hinein. Eine opportunistische Bündnispolitik kann wie im Fall Griechenlands zu einer anti-pluralistischen Eigendynamik auf nationaler und internationaler Ebene führen sowie Netzwerke der extremen Rechten ausweiten – aber auch spalten.

Dugin, der für viele Jahre eine Professur an der staatlichen Lomonossow-Universität innehatte, wird wohl sein Amt ab September nicht weiterführen. Als Nachfolger stand Wladimir Schirinowski im Gespräch. Der Vorsitzende der ‚Liberal-Demokratischen Partei Russlands‘ arbeitete bereits in den 90er Jahren an dem Aufbau einer „Patrintern“, die nationalistische Gruppen in Europa vereinen sollte – zu denen auch Golden Dawn zählte. Ihre Vertreter waren zu mehreren Besuchen in Moskau eingeladen und verteidigten Schirinowski in der Neonaziszene als deutlich wurde, dass jener jüdische Wurzeln habe.2 Es ist daher auch kaum überraschend, dass Schirinowski sich heute an die Seite der Golden Dawn stellt und seine Anteilnahme ausdrückt. Mit Blick auf die beachtlichen Verbindungen zu militanten Nationalisten zeigt sich, dass Golden Dawn ebenso vielfältige Kontakte nach Russland hat, wie die Eurasier nach Europa.

  1. Vgl.: Thumann, Michael (2014): Der Atem in Putins Nacken, in: Die Zeit 31, S. 4.
  2. Vgl.: Psarras, Dimitris (2012): ΗΜαύρηΒίβλοςτηςΧρυσήςΑυγής(Das Schwarzbuch von Golden Dawn), Polis, S. 76.

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