Sind das Vorratsdaten, oder kann das weg?

von Thea Riebe

Die anhaltende Beliebtheit elektronischer Datenverarbeitung hat dazu geführt, dass Daten uns in unseren Alltag immer wieder unterschiedlich begegnen. Dadurch hat sich ein breites Begriffsfeld entwickelt: Inhaltsdaten, Metadaten, personenbezogene und anonyme Daten, Big Data, Datenklau, Datenschutz und Datenkraken, um nur einige zu nennen. Doch um Daten wird nicht nur wirtschaftlich gekämpft, sondern auch politisch.

Ein weiteres Daten-Wort ist seit einigen Jahren die Vorratsdatenspeicherung (VDS), oder der wenig elegante Versuch der Regierungsvertreter, das Vorhaben im zweiten Anlauf als  “Mindestspeicherfrist” umzubenennen. Hiermit soll der semantische Fokus von den Daten auf die temporale Dimension des Gesetzesvorhabens wechseln. Dies zeigt: Der Begriff der “Daten” soll für diese Wiederauflage des sicherheitspolitischen Evergreens vermieden werden, denn er ist durch seine kontroverse Geschichte weit mehr als nur ein neutraler Sachausdruck.

Die Wertung des Daten-Konzepts wurde durch die politischen Kämpfe um Daten geprägt. War es in den 1980er Jahren die Debatte um die Volkszählung und den Beginn elektronischer und staatlicher Datenverarbeitung, so ist es heute die Frage nach der VDS und den NSA-BND Selektoren. Sollen die Selektoren der parlamentarischen Kontrolle, oder gar der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden? Kann ich mein Facebookprofil mit Privatem befüllen und trotzdem gegen die VDS sein? Was bedeutet Datenschutz heute? Und steht Datenschutz im Widerspruch zur Sicherheit?

Das Konfliktpotential dieser Fragen wurde spätestens durch Edward Snowdens Enthüllungen vor ungefähr zwei Jahren und seine Flucht ins russische Exil deutlich. Daten sind nicht nur das bloße Wissen um eine Sache. Werden sie in einem Kontext bewertet sind sie als Informationen mächtig und haben existentielle Konsequenzen. Ihre Erhebung und Verwendung ist daher auch Ausdruck von Machtverhältnissen und Strukturen.

Deshalb sind der NSA-BND Skandal und die Debatte um die VDS gar nicht weit von einander entfernt. Im Kern geht es um die Möglichkeit und die Legitimität des Erhebens und des staatlichen Zugriffs auf Daten von Bürgern. Die Zuständigkeiten der Behörden unterscheiden sich nach Aus- und Inland, nach Terrorismusabwehr und Strafverfolgung. Während sich auch ihre Arbeitsweise unterscheidet, führen wir im Kern die selbe Debatte. Sowohl der Geheimdienst als auch die Polizei führen sicherheitsrelevante Arbeit aus, und wir diskutieren, wie diese Arbeit gestaltet werden kann. Das heißt in diesem Fall, wie umfassend die Kompetenzen von Behörden im Zugriff auf unsere Daten sein dürfen und wie diese Daten verwendet werden können. Als Konsequenz beeinflussen die Debatten sich gegenseitig: Die Einführung der VDS würde auch indirekt die Arbeit von Geheimdiensten erleichtern und legitimieren. Denn wenn das systematische und anlasslose Sammeln von Meta-Kommunikationsdaten parlamentarisch beschlossen ist, lässt sich die sehr ähnliche Geheimdienstarbeit kaum mehr problematisieren.

Noch vor der Sommerpause will die große Koalition ihre Neuauflage der VDS beschließen. Doch die öffentliche Debatte ist polarisiert: Wo die Gegner keinen praktischen Nutzen der VDS erkennen können bzw. komplett von der Verletzung des Fernmeldegeheimnisses abraten, argumentieren die Befürworter mit der Notwendigkeit einer effektiveren Terrorbekämpfung, bzw. der Verfolgung schwerer Straftaten.

Wir sind also wieder am Anfang: Welche Bedeutung haben die unterschiedlichen Formen von Daten für uns und in welchem Verhältnis stehen wir zu ihnen und dem Staat, bzw. der Staat zu unseren Daten, bzw. unsere Daten zu unserer Sicherheit? Diese Fragen sind genauso akut wie allen aktuellen Skandalen und Debatten inhärent. Die technischen Veränderungen haben uns gegenüber der Unterscheidung von guter und schlechter Datenerhebung  und -Verarbeitung sprachlos gemacht, vor allem in den Graubereichen weit jenseits von Kreditkartenbetrug und Kinderpornographie. Wir erstellen tagtäglich Daten von uns und geben sie preis, durch die notwendige Nutzung von Computern und Smartphones, oder unserer Haushaltsgeräte. Darf dann der Staat nicht auch auf die Daten zugreifen, die wir so freimütig, sogar mit “digitaler Sorglosigkeit” erzeugen, für etwas so wichtiges wie die Strafverfolgung?  Kurzum: welchen Sinn hat Datenschutz, wenn die Arbeitsfähigkeit unserer technisierten Umgebung von den Daten abhängt, die wir produzieren?

Datenschutz schützt zunächst nicht die Daten als solche, sondern die Privatsphäre einer Person (Lewinski 2012: 4). Und die Privatsphäre wird oft als Isolation des Individuums missverstanden, wenn zum Beispiel kritisiert wird, dass das Erstellen und Versenden von Nacktbildern das eigentliche Problem sei und nicht der Diebstahl und die unrechtmäßige Verbreitung (z.B. durch Günther Oettinger); oder wenn das Teilen von Informationen auf Facebook unter Generalverdacht gestellt wird (wie durch Angela Merkel auf dem diesjährigen Kirchentag).

Privatheit entsteht aber erst durch die Kommunikation mit anderen und ist “eine mögliche Eigenschaft des Umgangs mit anderen” (Podlech 1989: 266). In Beziehung zum Staat bedeutet das, dass die Gemeinschaftsbezogenheit [der Privatheit] in der Formulierung des Bundesverfassungsgerichts Grund für den Schutz der Privatsphäre ist, und nicht Grund des Eingriffes des Staates in diese (ebd.). 1

Gleichzeitig gibt es einen bedeutenden Unterschied zwischen dem Sammeln der Daten durch Unternehmen und Staaten: Staaten und ihre exekutiven Organe sind Träger des Gewaltmonopols und können durch ihr Handeln existentiellen Einfluss auf das Leben der Bürger nehmen. Gleichwohl haben die Snowden Dokumente gezeigt, dass Staaten sich auch der Information der IT-Unternehmen bedienen. Die Folgen sind zunächst schwer zu visualisieren, denn der Grundrechtsbruch bezieht sich “nur” auf das Fernmeldegeheimnis. Dieses Recht ist jedoch ein Schutzrecht zur Wahrung anderer Rechte, wie der Ausübung der politischen Wahlfreiheit oder der freien Presse.

Im Einzelfall erscheint es deshalb vielen auf den ersten Blick verlockend, das Fernmeldegeheimnis zu verletzen um Straftaten zu verfolgen. Genau das haben Polizei und Geheimdienste allerdings schon immer als Konsequenz auf einen Verdacht im Rahmen von Ermittlungen gemacht. Die VDS versucht aber nun es auf alle Bürger auszuweiten, denn damit ließe sich jegliche Strafverfolgung auch rückwirkend durchführen.

Das Argument der leichteren Verfolgung ist allerdings ein Trugschluss. Denn was bedeutet es, anlasslos, das heißt ohne Verdacht, die Kommunikations-Metadaten aller Bürger zu speichern? Es bedeutet eine Aushebelung des Fernmeldegeheimnisses unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung. Und nein, dafür braucht es keine Inhaltsdaten. Verbindungsdaten lassen sich viel standardisierter, das heißt automatisch, auf Verhaltensmuster auswerten und verraten dadurch viel über den Inhalt des Kommunizierten. Sie sind auch die Grundlage und Begründung für eine mögliche inhaltliche Überwachung.

Was haben also die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung und der NSA-BND Skandal gemeinsam? Das Problem, dass unter dem Deckmantel der Sicherheit und Terrorbekämpfung den Verdächtigen jeglicher Anspruch auf ihr Grundrecht des Fernmeldegeheimnis, in- und außerhalb Deutschlands, durch die deutsche Regierung, den BND und den NSA aberkannt werden. Da aber die Kriterien der Verdächtigung willkürlich scheinen, nicht transparent diskutiert werden, es sich auch nicht mehr um Einzelfälle handelt (siehe Selektoren), trifft uns alle das diffuse Gefühl des Überwachtwerdens, dass das Bundesverfassungsgericht 2010 veranlasste die VDS als verfassungsschädigend zu verbieten. Wie und wann aus unseren gesammelten Daten Informationen werden, wie sie also bewertet werden, wird als sicherheitsrelevantes Geheimnis gehütet und damit willkürlich. Es erzeugt genau dieses diffuse Gefühl der Beobachtung, dass die Freiheit bedroht.

 

Literatur

von Lewinski, Kai (2012) Die Matrix des Datenschutzes, Internet und Gesellschaft 1, Mohr Siebeck.

Podlech, Adalbert (1989) Die Grundrechte, Art. 2, Abs. 1, in: Denninger et al.: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Band 1, Luchterhand.

Rost, Martin (2013) Zur Soziologie des Datenschutzes, in: Datenschutz und Datensicherheit, 37(2): 85-91.

  1. Ein Überblick über die Soziologischen Herausforderungen des Datenschutzes gibt Rostock (2013).

3 Kommentare

  1. Ganz lösen wird man diese Fragen nicht können; was dem einen Freiheit in der Anwendung bedeutet, ist dem anderen Eingriff in die Privatsphäre. Ich denke, es wird ein langer Weg zu einem allgemein zufriedenstellenden gesetzlichen Rahmen für diese neuen digitalen Umgangsformen und Medien.

  2. Was haben also die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung und der NSA-BND Skandal gemeinsam? Aus meiner Sicht ist das eher ein machtpolitisches Spiel zwischen den USA und der EU. Wer hier wohl gewinnen wird ist doch ganz offensichtlich aus meiner Sicht! LG Emma 🙂

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