Internet Governance im Limbo: Die Verzögerung des ICANN-Transfers und ihre Folgen

von Martin Schmetz

Es war nur eine Fußnote in der deutschen Medienlandschaft: Die USA, genau genommen deren Wirtschafts- und Handelsministerium, verlängern den Vertrag mit ICANN über die Ausübung der IANA-Funktionen. Es hätte mehr Aufmerksamkeit verdient, denn hinter dieser kleinen Meldung verbirgt sich ein Kampf um die zukünftige Kontrolle des Internets.

Denn die IANA-Funktionen sind essentiell für das Internet. Sie umfassen die Kontrolle über zentrale Ressourcen des Netzes: Technische Standards, welche Domain-Endungen es gibt und vor allem wer über wie viele Adressen verfügen darf. Vereinfacht gesagt braucht jedes Gerät im Internet eine solche Adresse um angesprochen werden zu können. Ebendiese Adressen sind jedoch eine begrenzte Ressource und fast alle bereits vergeben. Wer die IANA-Funktionen kontrolliert, hat also immense Macht im Internet.

Traditionell lag diese Kontrolle allein bei den USA: Diese hatten über ihre Nationale Telekommunikations- und Informationsverwaltungsbehörde (NTIA) 1998 einen Vertrag mit der ICANN, einer gemeinnützigen Stiftung mit Sitz in Kalifornien, abgeschlossen. Das wurde - nicht ganz unberechtigt - von anderen Staaten als problematisch aufgefasst. 2014 starteten daher NTIA und ICANN einen Prozess, mit dem diese Funktionen internationalisiert werden sollten. Dafür sollte ein Plan ausgearbeitet werden, mit dem die ICANN und die von ihr ausgeübten IANA-Funktionen aus dem Vertrag mit den USA herausgelöst werden sollten. Im September 2015 sollte es soweit sein. Doch dies wurde nun mindestens um ein weiteres Jahr nach hinten verschoben.

Die Gründe für den Aufschub sind vielfältig. Nicht zuletzt ein Aspekt zeigt allerdings sehr gut, wieso dieser Aufschub so eine politische Sprengkraft hat: Die USA, allen voran die Republikaner, waren sich nicht sicher, ob beim Transfer der IANA-Funktionen auf internationale Ebene die Freiheit des Netzes und die Multistakeholder-Architektur gewährleistet werden kann. Gerade letzteres ist ein Streitpunkt zwischen westlichen Regierungen und einer Koalition von vor allem autoritären Staaten, angeführt von Russland und China. Multistakeholder bedeutet in diesem Fall, dass Staaten nur eine von vielen Akteuren in der Internet Governance sind. Unternehmen, Forscher, Nichtregierungsorganisationen und viele mehr sind ebenso involviert. Mit diesem Modell ist man bis jetzt sehr gut gefahren. Allerdings bedeutete dies auch ein freies, von Staaten nur schwer kontrollierbares Internet. China und Russland möchten dies ändern und die Kontrolle des Netzes zukünftig nur noch Staaten überlassen. Sie haben dies bereits in der UNO und in verschiedenen anderen Foren versucht, scheiterten aber bisher immer am Veto westlicher Staaten. Diese Haltung haben sie gerade in einem bilateralen Abkommen bestärkt, in der sie sich der gegenseitigen Kooperation versichern um dieses Ziel zu erreichen.

Die Position Chinas und Russlands hat sich in den letzten Jahren gefestigt, während die westlichen Regierungen, allen voran die USA, stark an Glaubwürdigkeit eingebüßt haben, nicht zuletzt durch die Enthüllungen Snowdens. Insbesondere Vertreter der Schwellenländer kritisieren das momentane Modell als ungerecht, mit einer viel zu starken Position für die USA. Aber auch die EU hat das existierende Modell mit Verweis auf Snowden kritisiert. Mit dem Aufschub könnte nun langfristig der Position China und Russlands in die Hände gespielt werden. Denn nicht nur, dass ein als illegitim wahrgenommenes Governance-Modell verlängert wird - es ist auch nicht klar, ob die USA in einem Jahr bereit sein werden, die IANA-Funktionen zu transferieren. Denn die Regierung Obama zeigte sich bisher offen gegenüber diesem Vorhaben. Hillary Clinton hat sich bis jetzt hingegen nicht dazu geäußert, ihr Mann steht dem Vorhaben aber kritisch gegenüber.

Die Republikaner haben überdies wiederholt versucht, den Transfer zu torpedieren. Die meisten Kandidaten haben sich bis jetzt nicht explizit dazu geäußert - lediglich Marco Rubio war verhalten positiv. Aber da Vertreter der Partei wiederholt dagegen opponiert haben und die konservativen Medien ebenfalls Front gegen den Transfer machen, erscheint es wahrscheinlich, dass ein zukünftiger republikanischer Präsident den Transfer verhindern würde. Dies war bis vor kurzem vor allem eine theoretische Option, denn Hillary Clinton lag in den Umfragen weit in Führung. Durch ihren E-Mail-Skandal aber ist sie zurückgefallen. Donald Trump hingegen holt auf und ist in aktuellen Umfragen fast gleichgezogen. Speziell dessen hurrapatriotischer Plattform ist kaum zuzutrauen, die Kontrolle über eine derart wichtige Funktion abzugeben.

So könnte sich in einem Jahr das Fenster für den Transfer fürs Erste schließen. Die Internet Governance würde im Status Quo verharren, obwohl außer den USA niemand so richtig glücklich mit diesem Arrangement sein kann. Genug Zeit und Möglichkeit für Russland und China, sich als einzige glaubwürdige Alternative zu positionieren.

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