Wissen schaffen durch Wissenstransfer – Zum Dialog von Forschung und Praxis zu Salafismus in Deutschland

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Dies ist der 22. Artikel unseres Blogfokus "Salafismus in Deutschland". Weitere Informationen gibt es hier.

von Janusz Biene, Svenja Gertheiss, Julian Junk

Die Beiträge der Blogserie "Salafismus in Deutschland – Herausforderungen für Politik und Gesellschaft" beschäftigten sich pointiert mit den gesellschaftlich, politisch, wissenschaftlich und medial wichtigsten Aspekten der salafistischen Glaubenslehre, Ideologie und Bewegung. Sie betonten die vielen Schattierungen dieser sich beständig im Wandel befindlichen Phänomene, wagten den Blick über den deutschen Tellerrand hinaus und formulierten Handlungsempfehlungen für Politik, Medien, Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Obwohl es einige blinde Flecken vor allem in der empirischen Forschung zu Salafismus und Dschihadismus gibt (siehe unter anderem den Beitrag von Riem Spielhaus), ist es offensichtlich, dass nicht nur ein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem besteht: es gibt sehr viel grundlegendes Wissen, welches aber nicht in konkrete Handlungen übersetzt wird und oft in "Inseln des Wissens" verharrt. Dies bezieht sich auf zweierlei: erstens auf die Gestaltung eines nur in seiner Gegenseitigkeit produktiven Wissenstransfers zwischen Wissenschaft und Praxis und zweitens auf eine sinnvolle Priorisierung politischer Steuerungsmaßnahmen.

"Praxisferne" ist ein Vorwurf, der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen regelmäßig ereilt. Konstatiert wird eine Spannung zwischen theoretischem Wissen und politischen Sachzwängen, die verhindere, dass wissenschaftliche Expertise Eingang in politische, administrative und zivilgesellschaftliche Entscheidungsprozesse finde. Dabei besteht zumeist kein grundlegender Mangel an Wissen, sondern ein Kommunikations- und ein Umsetzungsproblem. Beides lässt sich auch in den Bereichen Salafismus und Dschihadismus feststellen. Die Handlungsempfehlungen, die in dieser Blogserie entwickelt wurden, sind ein erster Schritt, um dieses doppelte Defizit zu überwinden. Sie bieten konkrete Handreichungen auf Grundlage wissenschaftlich erworbener Erkenntnisse und basieren dabei auf einem kontinuierlichen Austausch mit Akteuren der Praxis. In einem zweiten Schritt müssen diese Handlungsempfehlungen nun bei verschiedenen Akteursgruppen ankommen, das heißt von ihnen zunächst als relevant wahrgenommen werden. Dieses Anliegen erfordert passende Transferformate. Schließlich sollten die Empfehlungen im Idealfall handlungsleitend sein und in entsprechende Aktivitäten übersetzt werden können – seien es kommunale Projekte, Formate der Weiterbildung oder des Dialogs, Maßnahmen der Prävention und Deradikalisierung, organisationale Reformen, mediale Berichterstattung und politische Kommunikation oder Gesetzestexte und Verordnungen.

In unserem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsverbund "Salafismus in Deutschland – Forschungsstand und Wissenstransfer" haben wir zwar nicht den Anspruch, Gesetzestexte auszuformulieren oder konkrete Weiterbildungsformate umzusetzen. Dennoch möchten wir der weit verbreiteten und bereits beschriebenen Klage der wissenschaftlichen Praxisferne etwas entgegensetzen, und dies in viererlei Hinsicht: Erstens zeichnete sich die in diesem Verbund getätigte Forschung von vornherein durch einen steten Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis aus. In sechs thematischen Clustern (Herausforderungen der empirischen Forschung, Organisations- und Rekrutierungsformen der salafistischen Bewegung in Deutschland, Radikalisierungspfade in den salafistischen Dschihadismus, dschihadistische Rechtfertigungsnarrative und Gegennarrative, transnationale Aspekte sowie Erfahrungen der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit) arbeiteten Autorenteams, die bewusst mit Expertinnen und Experten aus Wissenschaft auf der einen Seite und zivilgesellschaftlicher oder sicherheitsbehördlicher Praxis auf der anderen besetzt waren. Viele von ihnen sind auch Autorinnen und Autoren der Beiträge in dieser Serie. Zweitens unterzogen wir alle Forschungsschritte möglichst umgehend einer Evaluation durch sogenannte Fokusgruppengespräche, in denen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger aus Politik, Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen, Zivilgesellschaft, Sicherheitsbehörden und Medien Wissensbedarfe identifizierten, ihre Ansprüche an unsere Arbeit formulierten und die Forschungsergebnisse diskutierten. Drittens finden die Projektergebnisse ihren Niederschlag in einer Vielzahl von Publikationsformaten: angefangen von einer ergebnisorientierten Webseite, informativen Videoformaten, dieser Blogreihe und einem E-Book über frei zugängliche Forschungsberichte bis hin zu einem auch die interessierte Öffentlichkeit adressierenden Sammelband. Viertens werden wir die Wirkung der verschiedenen Publikationsformate vergleichend evaluieren.

Um den Mehrwert dieses Vorgehens für die Überwindung von Kommunikations- und Umsetzungsproblemen in den Themenfeldern Salafismus und Dschihadismus beispielhaft zu illustrieren, stellen wir hier abschließend zwei zentrale Handlungsempfehlungen des Forschungsprojektes dar.

1. Bessere Vernetzung wider Inseln des Wissens

Der Dialog mit den verschiedenen Akteursgruppen von Zivilgesellschaft bis Sicherheitsbehörden im Rahmen der Fokusgruppengespräche hat gezeigt, dass das jeweils spezifische Wissen der Teilnehmenden unterschiedlich stark rezipiert wird und die Gefahr einer "Verinselung" von Wissensbeständen und Handlungsroutinen besteht. Dagegen ist ein vernetztes Vorgehen zu setzen – sowohl in abstrakter Hinsicht der Datengenerierung als auch in konkreten Politik- und Projektimplementationen. Während beispielsweise die Angaben von Verfassungsschutzbehörden zur Größe des gewaltbereiten bzw. Gewalt akzeptierenden Spektrums allgemein bekannt sind (und nur teils kritisch reflektiert werden), wird das Erfahrungswissen von Akteuren der Deradikalisierungsarbeit sowie die Kenntnisse von Kommunalverwaltungen über den Wandel von salafistischen Strukturen vor Ort kaum systematisch vergleichend aufgegriffen (siehe für eine kritische Bestandaufnahme und einen Maßnahmenkatalog den Beitrag von Diana Schubert). Zudem wird zu wenig in grenzüberschreitenden Erfahrungsaustausch investiert, dabei könnte er produktiv zu nutzen sein, wie Klaus Hummel in seinem Beitrag zu den niederländischen Erfahrungen aufzeigt. In ähnlicher Weise kann der Transfer von Erkenntnissen aus anderen Phänomenbereichen, beispielsweise aus der mit schon längerer Tradition versehenen Forschung zu Sekten oder zu Rechtsextremismus oder aus der breiteren sozialen Bewegungsforschung, nützlich sein, um die salafistische Bewegung besser zu verstehen. Eine Vernetzung von Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Forschungs- und Praxisfeldern ist dazu unerlässlich, wird aber immer noch viel zu selten umgesetzt.

Auch die Zusammenarbeit zwischen Polizei und zivilgesellschaftlichen Akteuren der Präventions- und Deradikalisierungsarbeit bleibt häufig punktuell. Natürlich darf es bei einer verstärkten Kooperation nicht zu einer Verwischung von Verantwortungs- und Tätigkeitsbereichen kommen – gerade für zivilgesellschaftliche Gruppen, die sich z.B. im Bereich Deradikalisierung engagieren, ist das Vertrauen ihrer "Klienten" in Vertraulichkeit essentiell. Es geht vielmehr darum, durch institutionalisierten Austausch die "Inseln des Wissens" zueinander in Beziehung zu setzen, ohne implizite Hierarchien einzuführen oder ihre jeweiligen Stärken zu unterlaufen.

2. Breite Förderung von Präventionsmaßnahmen und ihrer Evaluation

Prävention ist ein Querschnittsthema im Umgang mit Salafismus.1 Die Zusammenarbeit von Forscherinnen und Forschern mit Akteuren aus der Praxis zu den Themen Präventions- und Deradikalisierungsarbeit hat nicht nur zu einer umfangreichen Bestandsaufnahme von bestehenden Angeboten geführt (siehe für Prävention den Beitrag von Götz Nordbruch und für Deradikalisierung den Beitrag von Ahmad Mansour). Vielmehr konnten bereits erste Vor- und Nachteile der jeweiligen Formate ausgemacht werden. Dies stellt einen wichtigen Schritt hin zu einer umfassenderen Evaluierung dar. Gleichzeitig herrschte Einigkeit zwischen den Expertinnen und Experten bezüglich der Vorläufigkeit dieser Befunde: Prävention gegen Salafismus als Ideologie und dschihadistische Radikalisierung sowie die Deradikalisierung von bereits Radikalisierten sei noch ein zu junges Feld, um bereits eine klare Empfehlung für Förderinstitutionen aussprechen zu können. Vielmehr sollten zunächst vielfältige Ansätze Unterstützung erfahren, verbunden mit einer systematischen, wissenschaftlichen Evaluation. Erst basierend auf den Ergebnissen eines solchen, ebenfalls als Dialog angelegten Prozesses ließe sich mittelfristig zu einer stärkeren Fokussierung in der Förderung gelangen.

Diese beiden illustrierenden Beispiele zeigen, dass es sich lohnt, nicht nur in mehr Wissen, sondern auch in den Umgang mit diesem Wissen zu investieren. Auf der Basis von Expertise, die in den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen besteht und als Fundament weiter gepflegt werden muss, lassen sich Projektdesigns in Forschung, Praxis und deren Schnittstellen anlegen, die den offenen Dialog über und den produktiven Transfer von Wissen zum Kern haben. Dies erfordert institutionalisierte Kanäle des Austausches über persönliche Netzwerke hinaus sowie für das organisationale Lernen und den inter-organisationalen Austausch offene Strukturen in allen relevanten Akteursgruppen, die Phänomene von Salafismus und Dschihadismus in Deutschland erforschen und die mit diesem umgehen müssen.

Janusz Biene ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und Co-Koordinator des Forschungsverbunds „Salafismus in Deutschland. Forschungsstand und Wissenstransfer“. Zuvor arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main zu transnationalen Eskalationsmechanismen gewaltsamer Dissidenz im Fall von Al-Qaida im Islamischen Maghreb. Er hat an der RWTH Aachen, der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der University of Wisconsin-Madison Friedens- und Konfliktforschung, Politikwissenschaft und Sprach- und Kommunikationswissenschaft studiert.

Svenja Gertheiss ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Die Politikwissenschaftlerin promovierte 2014 an der Technischen Universität Darmstadt. Ihre Forschungsinteressen umfassen unter anderem die Regulierung von Migration auf internationaler und europäischer Ebene sowie die Rolle von Diasporagemeinschaften in Gewaltkonflikten. Sie ist Co-Koordinatorin des Forschungsverbunds „Salafismus in Deutschland.“

Julian Junk ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Zuvor war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt und an der Universität Konstanz sowie Gastwissenschaftler an der Columbia University in New York, am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Er ist Co-Koordinator des Forschungsverbunds „Salafismus in Deutschland“, befasst sich in seinen Forschungen aber auch mit internationaler Sicherheitspolitik, internationalen Organisationen und humanitären Interventionen.

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  1. Wir legen hier die einschlägige Unterscheidung von primärer, sekundärer und tertiärer Prävention zu Grunde. Während primäre Prävention Radikalisierungsprozesse ohne Fokus auf eine bestimmte Zielgruppe verhindern will, bearbeiten Maßnahmen sekundärer Prävention Radikalisierungen im Frühstadium oder sind auf Risikogruppen fokussiert. Tertiäre Prävention, im Folgenden auch als Deradikalisierung bezeichnet, zielt auf eine Vermeidung gewaltsamer Handlungen und eine ideologische Deradikalisierung bereits radikalisierter Personen.

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