„Ein Gänsehautschauer nach dem anderen“: Die Bedeutung europäischer Aufmärsche für die deutsche Neonazi-Szene

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von Tobias Hoff

Dass deutsche Neonazis ins europäische Ausland fahren um dort an „Gedenkmärschen“ teilzunehmen, stellt grundsätzlich keinen Widerspruch dar.1 Die extreme Rechte oder der Neonazismus war und ist kein rein nationales Phänomen. Schon im 20. Jahrhundert existierten diverse Bündnisse unter den faschistischen Bewegungen in Europa und auch heute haben sich in verschiedenen europäischen Ländern extrem rechte Bewegungen und Organisationen etabliert, die sich grenzüberschreitend vernetzen, kooperieren und eine (gemeinsame) Straßenpolitik betreiben.

In der Begründung einer länderübergreifenden Zusammenarbeit rekurriert die extreme Rechte auf verschiedene Europakonzeptionen und -vorstellungen. Innerhalb des deutschen Neonazismus existiert eine starke Bezugnahme auf eine Europa-Idee, die auf völkisch-rassistische Ordnungsvorstellungen des Nationalsozialismus zurückgreift. Einen wichtigen Anknüpfungspunkt stellt die Heroisierung der SS bzw. der Divisionen dar, in denen „Waffenbrüder“ aus verschiedenen europäischen Ländern gekämpft haben. Die Orientierung an einem vermeintlichen Kampf für eine „weiße Rasse“ und ein „freies Europa der Völker“ dient der extremen Rechten auch heute als gemeinsame Basis für transnationale Kooperationen. Neben dieser allgemeinen europäischen Ausrichtung der extremen Rechten, existieren weitere konkrete Beweggründe und Faktoren, die dazu führen, dass deutsche Neonazis im europäischen Ausland an Demonstrationen teilnehmen. Ausschlaggebend können persönliche oder organisatorische Kontakte und Freundschaften zwischen extrem rechten Gruppen und Einzelpersonen sein. Dies ist besonders in Grenzgebieten der Fall, und daher finden oft durch die räumliche Nähe transnationale Kooperationen statt. Darüber hinaus kann auch die Hoffnung, sich an Ausschreitungen und Übergriffen beteiligen zu können, ein Grund für deutsche Neonazis sein, sich auf Reisen zu begeben.

NS-Verherrlichung...

Auf der ideologischen Ebene stellt die Verherrlichung des Nationalsozialismus bzw. anderer faschistischer Regime in Europa ein wichtiges Moment der länderübergreifenden Mobilisierungsfähigkeit für die extreme Rechte dar. Noch vor einigen Jahren richtete die extreme Rechte in Deutschland mit den Heß-Märschen in Wunsiedel und den Aufmärschen zum Jahrestag der Bombardierung in Dresden selbst zwei zentrale Events mit europaweiter Beteiligung aus. Geschichtsrevisionistische Aufmärsche und die Glorifizierung des NS sind für die neonazistische Bewegung aber auch ein beliebter Reisegrund. So reisen bspw. NPD-Delegationen seit vielen Jahren im November nach Madrid, um dort am Gedenken für den spanischen Diktator Francisco Franco und den Falange-Gründer José-Antonio Primo de Rivera teilzunehmen, deren Todestage sich jeweils am 20. November jähren. Konnten Ende der 1990er Jahre noch bis zu 100 Personen aus Deutschland mobilisiert werden, hat sich die Teilnahme im Laufe der Zeit auf eher kleine Delegationen reduziert.
Zwei NS verherrlichende Aufmärsche im Osten Europas haben hingegen in den letzten Jahren für deutsche Neonazis größere Bedeutung erlangt.

...in Budapest...

Im Zuge der Befreiung von Budapest durch die Rote Armee im Februar 1945, kam es zu einem versuchten Ausbruch von Einheiten ungarischer Faschisten und der Waffen-SS, bei dem mehrere tausend Soldaten ums Leben kamen. Zur deren Ehre findet seit mehreren Jahren am zweiten Wochenende im Februar in Budapest der sogenannte „Tag der Ehre“ statt. Maßgeblich organisiert wird dieser von ungarischen Aktivisten des Blood & Honour-Netzwerkes bzw. dessen Nachfolgestrukturen. Insbesondere der positive Bezug auf und die Glorifizierung der Waffen-SS spielen bei dem Aufmarsch eine bedeutende Rolle. Der Aufmarsch am „Tag der Ehre“ entwickelte sich in den 2000er Jahren zu einem wichtigen Neonazievent, mit Teilnehmenden aus diversen europäischen Ländern, auch aus Deutschland. Deutsche Neonazis traten dabei immer wieder als Redner in Erscheinung, so zum Beispiel 2007 der damalige NPD-Vorsitzende Udo Voigt oder zwei Jahre später der nordrhein-westfälische Kameradschaftsführer Ralph Tegethoff. Seinen Höhepunkt hatte der „Tag der Ehre“ 2009, als ca. 2000 Neonazis ins Budapester Stadtzentrum mobilisiert werden konnten. In den folgenden Jahren musste die Veranstaltung aufgrund staatlicher Verbote zumeist außerhalb von Budapest bzw. in Waldgebieten stattfinden. Auch die kurzfristig verlegte Kundgebung am 07. Februar 2015 fand mit rund 150 Personen an einem Denkmal für die Waffen-SS in Dég statt. Wie im Jahr zuvor steuerte der Vorsitzende der Kleinstpartei Der Dritte Weg Klaus Armstroff einen Redebeitrag bei.

...und Sofia

Anlässlich des Todestages des ehemaligen bulgarischen Kriegsministers und Generals Hristo Lukov findet jährlich im Februar in Sofia der sogenannte „Lukov-Marsch“ statt, regelmäßig auch mit deutscher Beteiligung. Lukov war ein überzeugter Anhänger des Nationalsozialismus und Anführer des faschistischen Bunds der Bulgarischen Nationalen Legionen. Im Februar 1943 wurde er von kommunistischen Partisanen erschossen. Maßgeblich organisiert wird der seit 2004 durchgeführte „Lukov-Marsch“ vom Bulgarischen Nationalbund (BNS), regelmäßig nehmen an die 1.000 Personen teil. Den martialisch inszenierten Fackelmarsch besuchen neben bulgarischen NeofaschistInnen auch solche aus verschiedenen europäischen Ländern. Auch nordrhein-westfälische Neonazis um den ehemaligen Nationalen Widerstand Dortmund und heutigen Die Rechte Kreisverband Dortmund reisen seit mehreren Jahren immer wieder – wie zuletzt am 13. Februar 2016 – nach Sofia. Im Vorjahr traten Vertreter aus Dortmund auch als Redner in Erscheinung. Die Dortmunder Neonazi-Szene pflegt seit langer Zeit gute Kontakte zum BNS und Delegationen aus Bulgarien waren regelmäßig bei den Aufmärschen bzw. Kundgebungen zum Antikriegstag in Dortmund zu Gast.

Inszenierung

Es ist nicht „nur“ die Möglichkeit zur Verherrlichung des NS, die es für deutsche Neonazis attraktiv macht sich auf Reisen zu begeben. Auch die Form und die Inszenierung faschistischer Ästhetik, wie Fackeln, Marschformation oder militärische Uniformierung, spielen eine Rolle. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieser geschichtspolitischen Aufmärsche für die deutschen Neonazis ist, dass sie hier die Erfahrung machen, für ihre offen nach außen getragene NS Verherrlichung nicht angefeindet zu werden. So finden in Sofia und Budapest keine größeren Gegenmobilisierungen statt, welche die Aufmärsche stören oder behindern. Dies ist auch bei dem jährlichen „Tag der Legionäre“ im lettischen Riga von Bedeutung. Bei diesem Aufmarsch von Alt- und Neonazis, bei dem bis zu 2.000 Teilnehmende zusammenkommen, werden die lettischen Einheiten der Waffen-SS im Kampf gegen den „Bolschewismus“ glorifiziert. Auch hier waren die reisefreudigen Dortmunder Neonazis vor Ort und berichten von einem „ehrvollen Gedenken“ und einer positiven Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung, da die „Freiwilligen in Lettland einen Heldenstatus“ genießen würden.

Massenerlebnis

Einen der aktuell größten europäischen Aufmärsche der extremen Rechten in Europa mit mehreren tausend Teilnehmenden veranstaltet die Goldene Morgenröte jährlich in Athen. Mit dem „Imia-Marsch“ soll an den Tod drei griechischer Offiziere bei einem Hubschrauberabsturz im Territorialkonflikt mit der Türkei um zwei Inseln 1996 erinnert werden. In den letzten Jahren haben an diesen Aufmärschen regelmäßig Delegationen der NPD und anderer deutscher Neonazis aus dem früheren Kameradschafts- und heutigen Spektrum von Die Rechte oder Der Dritte Weg teilgenommen. Neben der grundsätzlichen Faszination der extremen Rechten für den Erfolg der Goldenen Morgenröte hat insbesondere der Massenaufmarsch mit einem riesigen Fahnenmeer und dem massiven Einsatz von Pyrotechnik eine starke identitätsstiftende und emotionale Wirkung. „Wie jedes Jahr umfasste die deutschen Teilnehmer dabei ein Gänsehautschauer nach dem anderen“ schwärmt „völlig begeistert und beeindruckt von der Zusammensetzung der Teilnehmer, der Veranstaltung und der positiven Energie“ ein/e deutsche/r TeilnehmerIn auf der Homepage von Der Dritte Weg. Derart emotionale Berichte waren in den 2000er Jahren auch regelmäßig nach Besuchen deutscher Neonazis im schwedischen Salem zu lesen. Nachdem dort im September 2000 der junge Neonazi Daniel Wretström bei einer Auseinandersetzung mit Jugendlichen ums Leben kam, etablierte die extreme Rechte für mehrere Jahre einen der wichtigsten Neonaziaufmärsche Nordeuropas. Zu diesem „Trauermarsch“, der in Hochzeiten an die 2.000 Neonazis aus verschiedenen europäischen Ländern mobilisieren konnte, reisten spektrenübergreifend zeitweise auch über 100 deutsche Neonazis an. Neben den traditionell guten Kontakten zwischen schwedischen und deutschen Strukturen, lag die Mobilisierungskraft beim „Salem-Marsch“ bei der Inszenierung mit Schweigemarsch und Fackelmeer bzw. einem emotional betriebenen Märtyrerkult.

Grenzen

Allerdings lassen sich auch Grenzen und Hindernisse der Mobilisierung zu Demonstrationen im Ausland feststellen. Zwar haben die nationalistischen Massendemonstrationen in Polen zum Jahrestag der Unabhängigkeit Anziehungskraft für die extreme Rechte aus Ländern wie Ungarn, Tschechien, Spanien oder Italien. Und der „Unabhängigkeitsmarsch“ bzw. der „Marsch der Patrioten“ erfüllt sogar Kriterien, wie Nachbarland, Massenevent mit mehreren zehntausend Teilnehmenden und bietet auch militante Auseinandersetzungen. Doch eine Teilnahme deutscher Neonazis bei diesen Aufmärschen wurde bisher nicht registriert, was an dem historischen Kontext und antipolnischen Ressentiments in der Szene liegen dürfte.

Auch England war und ist kein attraktives Demonstrationsziel für die extreme Rechte aus Deutschland. Während deutsche Neonazis regelmäßig bei Konzerten im „Mutterland“ des RechtsRock anzutreffen sind, haben die Demonstrationen bspw. der English Defence League (EDL) keine Anziehungskraft für die hiesige Szene gehabt. Lediglich vereinzelt waren Mitglieder der German Defence League (GDL) bei Veranstaltungen der EDL zu Gast. Trotz guter Kontakte nach Italien und der verbreiteten Faszination für Gruppen wie CasaPound, ist auch hier keine nennenswerte Beteiligung an Aufmärschen der dortigen neofaschistischen Bewegung festzustellen.

Fazit

Grundsätzlich bietet der Besuch von Aufmärschen im Ausland eine Begegnungs-, Vernetzungs- und Kontaktmöglichkeit für die extreme Rechte über Ländergrenzen hinweg und stellt eine wichtige Praxis der transnationalen Zusammenarbeit dar. So findet sich nahezu in jedem Erlebnisbericht der Szene, dass es neben dem Aufmarsch ein Treffen und Austausch mit lokalen „Kameraden“ gegeben hat. Die juristische, politische und kulturelle Rahmung der Demonstrationen in den Ländern spielt eine große Rolle hinsichtlich der Attraktivität, zu dem jeweiligen Aufmarsch zu fahren, insbesondere in Bezug auf Inszenierungspraxen wie martialische Uniformierungen, Teil eines Massenevents zu sein oder das Zeigen hier verbotener Symboliken. So war es deutschen Neonazis schon in den 1990er Jahren möglich in Dänemark, bei dortigen Ersatzveranstaltungen für die in Deutschland verbotenen Heß-Märsche, mit Hakenkreuzfahnen und -schildern aufzulaufen. Eine gemeinsame Straßenpolitik ist nur ein Indiz für eine länderübergreifende Kooperation, denn nur weil deutsche Neonazis nicht zu Aufmärschen in ein Land fahren, heißt das noch nicht, dass es auf anderen Ebenen, sei es auf parlamentarischer oder subkultureller, keine Zusammenarbeit gibt. Insgesamt lässt sich sagen, dass die Besuche aus Deutschland eher aus Delegationen bestehen und es keine große bundesweite Mobilisierung zu einem europäischen Event gibt. Auch der gerne propagierte gemeinsame „Kampf der europäischen Völker“, kommt nicht immer an der Basis an. So beschwert sich ein Kommentator unter einem Bericht über die Teilnahme von Dortmunder Kameraden beim „Lukov-Marsch“ 2015 in Sofia: „Wozu fahrt ihr nach Bulgarien? Hätte gereicht in die Nordstadt zu fahren, denn da haste mittlerweile genauso viele von denen“.

Tobias Hoff schreibt für die Zeitschrift Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen. Die Lotta wird von einem ehrenamtlich arbeitenden Redaktionskollektiv herausgegeben und berichtet dreimonatlich über die Aktivitäten, Strukturen und Hintergründe der extremen Rechten sowie deren gesellschaftlichen Anknüpfungspunkte.
  1. Dieser Beitrag erscheint als editierte und aktualisierte Version des gleichnamigen Artikels aus der Zeitschrift Lotta – Antifaschistische Zeitung aus NRW, Rheinland-Pfalz und Hessen, Ausgabe 58, Frühjahr 2015.

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