Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer: Zur globalen Bedeutung des Schiedsgericht-Urteils im Streit zwischen China und den Philippinen

von Peter Kreuzer

Am 12. Juli wurde vom Internationalen Schiedshof das Urteil im Streit zwischen den Philippinen und der VR China verkündet. Der Schiedshof erklärte, dass große Teile der chinesischen Ansprüche im Südchinesischen Meer null und nichtig sind, da sie einer rechtlichen Grundlage entbehren. Dies betrifft zunächst die auf der sog. nine-dash line basierenden Ansprüche. Dabei handelt es sich um eine aus den 1940er Jahren stammende Karte mit neun unterbrochenen Strichen, mittels derer China seit Jahrzehnten die äußeren Grenzen seiner nicht näher bestimmten historischen Rechte auf große Teile des Südchinesischen Meeres begründet. Gefallen sind auch die Ansprüche auf eine bis zu 200 Seemeilen umfassende ausschließliche Wirtschaftszone (Exclusive Economic Zone; EEZ) in den Spratly-Inseln und rund um Scarborough Shoal im Norden des südchinesischen Meeres, weil diesen vom Gericht der Inselstatus abgesprochen wurde. Der Verlust dieser Rechte wiederum hat zur Folge, dass die chinesische Besetzung mehrerer Riffe und Atolle als illegal eingestuft wird, weil sie innerhalb der ausschließlichen Wirtschaftszone EEZ der Philippinen liegen.

Streng genommen gilt das Urteil nur für die verhandelten Fälle und ist nur für die zwei Konfliktparteien bindend. Die allgemeine Diskussion nimmt das Urteil vor allem vor dem Hintergrund der wachsenden chinesischen Bereitschaft zur unilateralen Durchsetzung eigener Interessen und der sich wandelnden sicherheitspolitischen Konstellation in Ostasien wahr. Dabei geht unter, dass das Urteil des Schiedshofs potenziell globale Implikationen hat und die internationale Geografie der ausschließlichen Wirtschaftszonen nicht unbeträchtlich verändern könnte.

Mit dem Urteil hat ein internationales Gericht erstmals eine umfassende Präzisierung und Anwendung der abstrakten und unscharfen Kategorien unternommen, die Inseln von Felsen unterscheiden. Im Seerechtsübereinkommen heißt es hierzu unter Artikel 121 lediglich,

„(1) Eine Insel ist eine natürlich entstandene Landfläche, die vom Wasser umgeben ist und bei Flut über den Wasserspiegel hinausragt. […] (3) Felsen, die für die menschliche Besiedlung nicht geeignet sind oder ein wirtschaftliches Eigenleben nicht zulassen, haben keine ausschließliche Wirtschaftszone und keinen Festlandsockel“ (für eine deutsche Version des Textes siehe hier).

Während also Inseln im Sinne der Seerechtskonvention eine eigene EEZ von bis zu 200 Seemeilen Radius generieren, die noch dazu über die sogenannte Festlandssockel-Regelung vergrößert werden können, kommen Felsen lediglich Territorialgewässer von 12 Seemeilen Radius zu.

Der Schiedshof kam in seinem Urteil zu dem Schluss, dass es sich bei allen in Frage stehenden Erhebungen nicht um Inseln im Sinne des Seerechts, sondern nur um Felsen handelt, denen keine eigene EEZ zukommt. Um dies sauber begründen zu können, verwendet der Schiedshof in seinem Urteil immerhin zehn Seiten allein auf die Frage, wie Artikel 121(3) des Seerechtsübereinkommens zu interpretieren ist. Es folgen 15 Seiten, in denen die Verhandlungsgeschichte des Seerechtsübereinkommens und die staatliche Praxis analysiert wird, bevor der Schiedshof auf weiteren fünf Seiten seine Interpretation von Artikel 121(3) für die Abgrenzung von Inseln und Felsen entwickelt. Vereinfacht und zusammengefasst argumentiert der Schiedshof, dass ein Fels im Sinne des Seerechts nicht notwendigerweise ein Fels im geologischen Sinn ist und der Status einer Erhebung als Fels oder Insel darüber zu bestimmen ist, ob die Erhebung in ihrem natürlichen Zustand dauerhafte menschliche Besiedlung ermöglicht.

Und „wirtschaftliches Eigenleben“ meint nicht einfache Rohstoffextraktion. Vielmehr muss die lokale Bevölkerung in ihrem alltäglichen Leben von den ökonomischen Aktivitäten auf und direkt im Umfeld der Erhebung leben. Kriterien sind zum einen, ob die Erhebung über Wasser, Nahrung und Unterkunft in ausreichender Menge verfügt, um einer Gruppe von Personen ein dauerhaftes Leben zu ermöglichen, ob dies in der Vergangenheit nachweisbar war und ob eine aktuelle Besiedlung ohne externe Unterstützung von außen möglich ist.

Diese zugegebenermaßen trockenen Differenzierungskriterien sind geeignet, eine beträchtliche Anzahl von nationalen Ansprüchen auf exklusive Wirtschaftszonen in Frage zu stellen. Es ist nämlich nicht so, dass nur China an Buchstaben oder Geist des internationalen Rechts vorbei, versucht, die nationale Kontrolle über die Meere weitestmöglich auszudehnen und selbst kleinste Erhebungen im Meer, die kaum mehr als ein paar Quadratmeter umfassen, zu Inseln zu erklären. Vielmehr ist ein derartiges Verhalten gängige staatliche Praxis, derer sich auch nicht nur Staaten bedienen, denen im internationalen Diskurs eine mangelnde Rechtsstaatlichkeit vorgeworfen wird. Gerade auch führende Demokratien haben in vielen Regionen der Welt ihre vielfach noch aus kolonialer bzw. imperialer Vergangenheit in die Gegenwart geretteten Besitzungen dazu genutzt, riesige Meeresgebiete zumindest ökonomisch als EEZ de facto zu nationalisieren.

Ein vom Gericht selbst prominent thematisierter Fall ist Japans Anspruch auf eine eigene EEZ auf Basis der japanischen Souveränität über Oki-no-Tori-shima. Dabei handelt es sich um ein Korallenriff, von dem nur wenige Quadratmeter auch bei Flut über Wasser ragen. Seit den 1980er Jahren wird es unter massivem Einsatz von Beton gegen das Versinken im Pazifik geschützt.

Erwähnt werden sollte auch Minami-Tori-shima, eine einen Quadratkilometer große Insel weitab von allen anderen japanischen Inseln im Pazifik, die jedoch die Grundlage für japanische EEZ-Ansprüche von knapp 430.000 km2 bildet. Dort befindet sich zwar ein Flughafen, der jedoch vollständig von außen versorgt wird. Für die zwischen China und Japan umstrittenen Senkaku-Inseln beanspruchen beide Konfliktparteien eine EEZ, obgleich diese sieben Inseln zusammen kaum 6 km2 groß und für menschliche Besiedlung gänzlich ungeeignet sind.

Kaum anders sieht es mit einer Reihe von US-amerikanischen Territorien im Pazifik aus. Das Wake Atoll ist zwar immerhin gut 7km2 groß ist, verfügt aber weder über eine indigene Bevölkerung, noch über Süßwasser und beherbergt lediglich einen zu 100 Prozent extern versorgten Flugplatz. Mit weniger als 3 km2 ist die Landfläche des Jonston Atolls noch kleiner. Auch dieses Atoll verfügt über kein Süßwasser, hatte nie eine eigene Bevölkerung und wurde in den 1950er und 1960er Jahren lediglich vom US-Militär für Kernwaffentests, sowie später für Raketentests und zur Vernichtung von Chemiewaffen genutzt. Frankreich beansprucht nach den USA die zweitgrößte EEZ der Welt, die mehr als 18 mal so groß ist wie sämtliche französischen Territorien. Die subantarktischen Kerguelen Inseln sind zwar deutlich größer als die bisher genannten, ihr alternativer Name Iles de la Désolation (Inseln der Trostlosigkeit) verdeutlichen jedoch ihren Charakter. Bis heute gibt es dort nicht mehr als eine nur mit Schiffen versorgbare Forschungsstation. Trotzdem beanspruchen die USA und Frankreich in allen genannten und vielen ähnlich gelagerten Fällen jeweils eine vollumfängliche EEZ.

Im Sinne des Schiedshofsurteils stellen sich damit diese Staaten nicht nur gegen den Geist des Seerechts, sondern nun auch gegen eine Interpretation durch eine neutrale höchstrichterliche Instanz. Dem Schiedshof zufolge gilt auch für sie die Intention des Artikels 121(3). Explizit argumentiert das Gericht, dass dieser Artikel 121(3) dazu dient, auszuschließen, dass Staaten aufgrund ihrer Souveränität über kleine Erhebungen „ungerecht und unbillig enorme Anrechte auf Meeresraum generieren, der nicht der lokalen Bevölkerung zugute käme, sondern dazu dient, dem (potenziell entfernten) Staat ein unerwartetes Geschenk zu verschaffen, der einen Anspruch auf solch ein Gebilde aufrechterhalten hat“ (Permanent Court of Arbitration, PCA Case No. 2013-19 Award, S. 217).

In diesem Sinn ist zu hoffen, dass das aktuelle Urteil nicht allein als Waffe in der Auseinandersetzung um Souveränität, maritime Rechte und regionale Vorherrschaft mit China instrumentalisiert wird, sondern im Geist der Rechtsstaatlichkeit zu einer Überprüfung der Ansprüche aller anderen Staaten in ähnliche gelagerten Fällen führt, um dem Argument der Doppelstandards der Boden zu entziehen. Damit würde die universale Gültigkeit rechtlicher Normen und deren freiwillige Befolgung gerade durch die „demokratischen Vorbilder“ demonstriert.

Peter Kreuzer ist Vorstandsmitglied und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.

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