Ein historischer Moment? Die UN beschließen erstmals Verhandlungen zu einem Nuklearwaffenverbot

von Marco Fey und Giorgio Franceschini

Um Mitternacht deutscher Zeit erscheint das Abstimmungsergebnis auf dem Bildschirm in der UN-Generalversammlung und wird mit lautem Applaus gewürdigt. (Quelle: Daryl G. Kimball auf Twitter)

Um Mitternacht deutscher Zeit beschloss der Erste Hauptausschuss (Ausschuss für Abrüstung und Internationale Sicherheit) der UN-Generalversammlung mit großer Mehrheit, dass im nächsten Jahr Verhandlungen über ein Verbot von Kernwaffen aufgenommen werden sollen. Damit gipfelte die sogenannte Humanitäre Initiative, die sich in den vergangenen Jahren formierte und zunehmend an Momentum gewann, in einer historischen Resolution. Mit 123 zu 38 Stimmen, bei 16 Enthaltungen, stimmten knapp Zweidrittel der Staaten für Resolution L.41 („Taking forward multilateral nuclear disarmament negotiations“). Die USA und Russland, deren Arsenale zusammen über 95% der weltweiten Kernwaffen ausmachen, stimmten ebenso dagegen, wie (mit Ausnahme der Niederlande) sämtliche NATO-Mitglieder, darunter auch Deutschland. Wir rufen an dieser Stelle in Erinnerung, was sich hinter der Humanitären Initiative verbirgt, was es mit dem nun zu verhandelnden Kernwaffenverbot auf sich hat und werfen einen Blick auf das Abstimmungsergebnis.

Die Humanitäre Initiative begann vor drei Jahren als eine Reihe von Staatenkonferenzen, die von Oslo (März 2013) über Nayarit, Mexiko (Februar 2014) nach Wien führten und dort im Dezember 2014 in einem „Austrian Pledge“ mündeten, der von 127 Staaten unterzeichnet wurde. Das zentrale Anliegen der Initiative war es, auf die humanitären Konsequenzen eines Kernwaffeneinsatzes aufmerksam zu machen und auf die prinzipielle Unvereinbarkeit eines solchen Einsatzes mit den Normen des humanitären Völkerrechts. Denn es ist schwer vermittelbar, weshalb  biologische oder chemische Waffeneinsätze aufgrund ihrer Inhumanität schon lange internationalen Verboten unterliegen, Nuklearwaffen hingegen nicht. Daneben war die Humanitäre Initiative sicherlich auch Ausdruck der Frustration der nicht-nuklearen Staatenwelt über die Tatsache, dass die nukleare Abrüstung seit zwei Jahrzehnen nicht mehr vorankam und sich besorgniserregende Trends neuer Rüstungswettläufe abzeichneten.

Dass die Kernwaffenstaaten gegen jegliche Versuche sein würden, Kernwaffen zu ächten, schien ausgemacht – basieren deren Sicherheitsdoktrinen doch ultimativ auf ihren mächtigsten Waffen. Ein Verbot würde die Legitimität dieser Sicherheitsdoktrinen, die schon heute der Vertragsgemeinschaft des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) nicht mehr zu vermitteln ist, weiter reduzieren. Und so stimmten gestern Nacht neben den USA und Russland mit Frankreich und Großbritannien auch zwei weitere offizielle Kernwaffenstaaten und mit Israel ein inoffizieller Kernwaffenstaat gegen die Resolution. Nordkorea stimmte für die Resolution. Überraschend war hingegen, dass sich China sowie Indien und Pakistan enthielten. Während China tatsächlich als relativ „zurückhaltende“ Nuklearmacht gilt, die ein relativ kleines Arsenal unterhält und eine No-First-Use-Doktrin verfolgt, dürfte dahinter doch vor allem das Motiv stecken, dem internationalen Druck auszuweichen, indem man sich hinter den sicheren Nein-Stimmen der anderen Kernwaffenstaaten versteckt. Durch die Enthaltung der drei Länder jedenfalls kann nun nicht mehr länger behauptet werden, dass zwar eine Mehrheit der Staaten für einen Kernwaffenbann sein möge, die Mehrheit der Erdbevölkerung jedoch nicht durch diese Staaten repräsentiert würde.

Botschafter Kuglitsch

Botschafter Kuglitsch, Österreich, äußert sich vor der Presse zum Abstimmungserfolg (Quelle: Susi Snyder auf Twitter)

Die NATO-Staaten (mit der Ausnahme der Niederlande), stimmten ebenso wie Südkorea und Japan, die alle unter dem nuklearen Schirm der USA stehen, gegen die Resolution. An dieser Stelle ernüchternd ist, dass mit Dänemark, Island und Norwegen drei NATO-Staaten gegen die Resolution stimmten, die zu den Befürwortern der Humanitären Initiative zählten und von den Befürwortern eines Verbots als Beispiel angeführt wurden, dass sich sehr wohl NATO-Mitgliedschaft und Humanitäre Initiative vereinbaren lassen. Dass sich die NATO-Staaten im Großen und Ganzen aber mit einem Verbot schwer tun würden, überrascht nicht. Schließlich handelt es sich bei der NATO um eine nukleare Allianz. Noch dazu erleben angesichts der geopolitischen Situation Kernwaffen eine Renaissance innerhalb der Allianz: Für die östlichen NATO-Verbündeten ist der nukleare Schutzschirm eine ultimative Rückversicherung gegen Russlands revisionistische Politik der letzten Jahre. Die deutsche Position veranschaulicht den Spagat, den viele Abrüstungsbefürworter in der NATO derzeit machen müssen: Einerseits sei man selbstverständlich für eine Welt ohne Kernwaffen, andererseits solle dies innerhalb des im Rahmen des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags vereinbarten Prozesses Schritt für Schritt passieren. Die deutsche Bundesregierung ist außerdem der Auffassung, dass ein Verbot den NVV beschädigen würde.  Dass es nun zukünftig aufgrund eines Kernwaffenverbots auf den alle fünf Jahre stattfindenden Überprüfungskonferenzen des NVV schwerer werden soll, einen Konsens zu erzielen, ist kein schlagendes Argument. Die Vertragsgemeinschaft ist ohnehin tief gespalten aufgrund des mangelnden Fortschritts im Bereich der nuklearen Abrüstung.

Die Befürworter des Verbots haben die besseren Argumente auf ihrer Seite. Ohne Verbot ist noch keine Waffengattung abgeschafft worden. Und der schrittweise Abrüstungsprozess innerhalb des NVV verliert zunehmend an Legitimität, da er regelmäßig seine Zielmarken verpasst und dieses Nichteinhalten von Vertragszielen für die Atommächte keine Konsequenzen hat. Weil der bislang eingeschlagene Weg nicht fruchtet, ist es an der Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen. Ein Kernwaffenverbot, dem die Nuklearmächte nicht beitreten, muss kein zahnloser Tiger bleiben.

Was an physischer Abrüstung nicht erreicht werden kann, könnte an verbaler Abrüstung gelingen: wenn Kernwaffen von einer Staatenmehrheit geächtet werden, wird das öffentliche Sprechen über Nukleardoktrinen und nuklearer Abschreckung schwieriger werden und die nukleare Drohung, eine Konstante der gegenwärtigen russischen Außenpolitik, wieder seltener werden.

Ebenso könnte ein Kernwaffenverbot zu einer strategischen und taktischen nuklearen Zurückhaltung führen, wie wir dies etwa bei den Landminen beobachten konnten: führende Staaten, wie etwa die USA, sind zwar nicht der Landminenkonvention beigetreten, haben aber die Einsatzszenarien dieser grausamen Waffen seit Inkrafttreten der Konvention drastisch eingeschränkt. Die Macht, die die Norm eines Kernwaffenverbots entfalten kann, sollte daher nicht unterschätzt werden. Zumindest sollte der Versuch gewagt werden, qua Kernwaffenverbot dem Ziel einer Welt ohne Kernwaffen näher zu kommen.

Marco Fey ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Er beschäftigt sich mit Rüstungskontrolle und amerikanischer Außen- und Sicherheitspolitik. Giorgio Franceschini ist Chair des EU Nonproliferation Consortium und wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HSFK. Er forscht zu nuklearer Rüstungskontrolle.

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