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Hans Kruschwitz
„Ich versuchte die Leere in mir mit Vokabeln zu füllen.“ Identität, Sprache und Trauma in Olga Grjasnowas Roman Der Russe ist einer, der Birken liebt (2012), S. 133
Abstract
Dieser Aufsatz zeigt, wie konsequent Olga Grjasnowa mit ihrem Debütroman Der Russe ist einer, der Birken liebt die nicht zuletzt im Kontext der deutschen Exilliteratur einflussreich gewordene Vorstellung unterläuft, Sprache und kulturelle Identität würden aufs Innigste zusammenhängen. Sprache verbürgt darin keine kulturelle Identität und Mehrsprachigkeit keine Transkulturalität. Prägend für Grjasnowas Figuren sind vielmehr ihre Traumata. Gemeinschaft zwischen den Figuren – sowie vielleicht das Gefühl des Beheimatetseins – entsteht vor allem durch geteilte Sprachlosigkeit.
Alexandra Juster
Juli Zehs Roman Über Menschen: Konvivialistische Herausforderungen zwischen Stadt und Land, S. 145
Abstract
Juli Zehs Roman Über Menschen fokussiert auf die Problematik der Möglichkeitsräume für ein erfolgreiches menschliches Zusammenleben in der sozialen, ideellen und kulturellen Diversität, im Spannungsfeld zwischen Konsens, Widersprüchlichkeit und Hinterfragung, wobei die Wahl des anzustrebenden Lebensraumes zugunsten des ländlichen Dorfes Bracken, als ‚humanerer‘, lebenswerterer Raum, ausfällt, im Gegensatz zum hektischen, einengenden Großstadtleben. Wenn auch die Lebensbedingungen am Land entspannter und erfüllender zu sein scheinen, so bleibt dennoch die Frage nach dem ‚Wie‘ des Zusammenlebens von Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft und Anschauungen in einem begrenzten, unausweichlichen Raum offen. Diese Frage erhebt ebenso die konvivialistische Bewegung, für die es darum geht, zwischenmenschliche Konflikte nicht zu ignorieren, sondern sie zu überwinden. Juli Zeh formuliert in Über Menschen die gleichlautende Erkenntnis: Wenn menschliches Zusammenleben nicht konfliktfrei denkbar ist, so muss es dennoch Wege geben, Widersprüche zu erkennen, darüber zu reflektieren und sie auszuhalten. Dieses Postulat bildet das Grundthema von Über Menschen und ist der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Nach einem kurzen inhaltlichen Abriss des Romans und dem Verweis auf die bisherige literarische Forschung sowie deren Begrenztheit zum Thema der Konvivenz wird die betonte Dialektik zwischen Großstadt und ländlichem Dorf als möglicher Lebensraum in Über Menschen hervorgehoben, wobei es zuletzt darum gehen wird, die Probleme der Meisterung zwischenmenschlicher Beziehungen im Dorf Bracken aufzuzeigen.
Hans-Rüdiger Schwab
Die Kreuzigung „in eigenartig moderner Form“. Zu Detlev von Liliencrons Gedicht „Rabbi Jeschua“ („Golgatha“), S. 159
Abstract
Religiöse Transformationen sind ein Hauptmotiv der Literatur um 1900. Auf vielerlei Weise werden sie von dieser gespiegelt. Ergiebiges Anschauungsmaterial dafür bietet das Werk Detlev von Liliencrons, eines ihrer angesehensten Vertreter. Die Feinanalyse seiner Fortschreibung des Genres ‚Passionsgedicht‘ versucht freizulegen, von welch herausfordernder Relevanz der gekreuzigte Erlöser des Christentums und sein mögliches Geheimnis noch immer zu bleiben vermag. Zeitkritik verbindet sich hier mit anthropologischer Skepsis und einer Sichtweise, die neuen soziologischen Theoriebildungen benachbart ist. Auch die Rolle des Künstlers wird einbezogen. Auf darstellender Ebene wechselt hart Realistisches mit Impressionistischem und Symbolischem. All diese Ausdifferenziertheiten zeigen nicht nur die Fruchtbarkeit einer traditionellen Gattung religiöser Literatur an, sondern wirken noch immer bestehenden Verkürzungen des ästhetischen Diskurses von Liliencron entgegen.
Benedetta Bronzini
Death as Performance in the Conversations between Heiner Müller and Alexander Kluge, S. 183
Abstract
The subject of this essay is the East German dramatist Heiner Müller (1929–1995) focusing on his role of interviewee and analysing his 24 conversations for the West German television with the director and producer Alexander Kluge (1932–). The conversations took place between 1988 and 1995 and are presented, in a shortened and modified version, in the two volumes edited by Kluge, Ich schulde der Welt einen Toten (1995) and Ich bin ein Landvermesser (1996). Indeed, Kluge is the first and only interviewer who turns Müller the individual into both a subject and an object, not only of recent historical events, but also of art itself. In this peculiar context, Mein Rendezvous mit dem Tod (1995), one of the last conversations between the two German artists, represent a unique case, in which Müller performs his illness and his own death in front of the cameras, thus becoming the protagonist of his last drama.