von Christopher Daase
Nach dem umstrittenen Referendum in der Ostukraine wird wieder über schärfere Wirtschaftssanktionen gegen Russland gestritten. Im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Kritikern von Wirtschaftssanktionen steht die Frage: Wie erfolgversprechend sind Sanktionen, das Verhalten Russlands zu ändern? Aber das ist die falsche Frage! Ihr liegt das Missverständnis zugrunde, dass Sanktionen in erster Linie den Zweck haben, einen Übeltäter zu bestrafen und ihn dazu zu zwingen, von seinem Tun abzulassen. Zwei Dinge werden hier verwechselt: Sanktionen und Zwangsdiplomatie.
Was sind Sanktionen – eigentlich?
Geht man vom allgemeinen Sprachgebrauch aus, dann sind Sanktionen mehr als Strafen. Im Oxford English Dictionary wird eine Sanktion zwar als „eine angedrohte Strafe für das Nichtbefolgen eines Gesetzes oder einer Regel“ definiert, gleichzeitig aber auch als „offizielle Erlaubnis oder Billigung“. Etwas zu sanktionieren kann also sowohl heißen es zu missbilligen und zu bestrafen, als auch es zu billigen und zu belohnen. Wie kann ein Begriff zwei konträre Bedeutungen haben? Offensichtlich gibt es eine dritte Bedeutung, welche die ersten beiden einschließt. Die Etymologie des Begriffes gibt Aufschluss. „Sanktion“ kommt vom Lateinischen „sancire“, was soviel heißt wie „heiligen“, aber auch „festsetzen“ und „bestätigen“. Sanktionen haben also etwas mit der Rechtfertigung, Begründung und Bestätigung von Normen zu tun, sei es durch Missbilligung und Strafe oder Billigung und Belohnung. So kann der Begriff „Sanktion“ oberflächlich zwei widersprüchliche Bedeutungen haben, weil er eine tiefere Bedeutung besitzt, die auf die normative Basis verweist, die durch das Sanktionieren aktiviert und bestärkt wird.
Häufig werden Sanktionen mit Machtpolitik in Zusammenhang gebracht. Karl Deutsch definierte Macht als die „erwartbare Fähigkeit Sanktionen zu verhängen“. Aber nicht jede Machtausübung ist eine Sanktion, sondern nur die, die mit dem Anspruch auftritt, eine allgemeine Norm zur Geltung zu verhelfen. Klassische Kanonenbootdiplomatie, bei der ein Staat zu Handlungen gezwungen werden soll, die er freiwillig nicht ausführen würde, ist keine Sanktionspolitik. Entscheidend ist die Berufung auf und die Rechtfertigung von allgemeinen Normen, zu deren Erhalt politische, wirtschaftliche oder militärische Macht ausgeübt wird.
Genau genommen verliert mit dem Fokus auf die Normativität der Aspekt der Macht an Bedeutung. Auch machtlose Sanktionen sind Sanktionen im hier verstandenen Sinne. Wenn die Bekräftigung einer allgemeinen Norm die Hauptfunktion von Sanktionen ist und nicht die Erzwingung eines bestimmten Handelns, dann verändern sich auch die Erfolgsparameter von Sanktionen. Protestnoten gegen die Behandlung von Strafgefangen durch das amerikanische Militär sind nicht erfolgreich, insofern sie das Verhalten der USA ändern, aber erfolgreich (und deshalb richtig), weil sie eine Missbilligung unter Verweis auf allgemeine Normen (des Folterverbots, der Verhältnismäßigkeit der Mittel, den Verpflichtungen von Besatzungsmächten usw.) ausdrücken. Sanktionen gegen Russlands Annexion der Krim sind nicht erst dann erfolgreich, wenn sich die russischen Truppen zurückziehen, sondern bereits in dem Moment, in dem sie eine allgemeine Missbilligung ausdrücken und das Recht auf territoriale Integrität, den Grundsatz, keine gewaltsamen Grenzveränderungen vorzunehmen und die Regel, dass Verträge eingehalten werden müssen, bestätigen. Sanktionen scheitern nicht dadurch, dass sie eine beabsichtigte Verhaltensänderung nicht erreichen, sondern allenfalls dann, wenn die Berufung auf die zugrundeliegende Norm nicht gelingt und die Sanktion zu Recht als Zwangsdiplomatie angesehen wird.
Sanktionen sind richtig, auch wenn sie erfolglos sind
Die gegenwärtige Politik des Westens gegenüber Russland hat nicht mehr viel mit Sanktionen zu tun. Sie entwickelt sich immer stärker zu einer klassischen Kanonenbootdiplomatie, bei der Wladimir Putin zu einer „kooperativeren Haltung“ gezwungen werden soll. Dabei ist weitgehend unklar, worin die Forderungen bestehen und ob Russland überhaupt in der Lage ist, sie zu erfüllen. Damit ist die auf Prinzipien und Normen gerichtete Sanktionspolitik des Westens einer an kurzfristigen Interessen orientierten Zwangsdiplomatie gewichen, deren Ausgang mehr als ungewiss ist. Auch „smarte Sanktionen“ sind ein grobschlächtiges Instrument, das häufig gegenteilige Effekte hat (siehe der Beitrag von Caroline Fehl). Vor allem aber entwertet Zwangsdiplomatie die ursprünglichen Sanktionen, die drauf zielten, das Unrecht militärischer Grenzverschiebungen zu missbilligen und die Norm territorialer Integrität und Nichtintervention zu stärken. Nun kann Moskau zu Recht behaupten, die Sanktionspolitik des Westens ziele einzig auf eine Schwächung Russlands ab.
Der Westen muss verhindern, sich weiter von der Ukraine instrumentalisieren zu lassen. Die Forderung des ukrainischen Außenministers Andrej Deschtschiza, Berlin müsse mehr „Härte gegenüber Russland zeigen“, wenn Deutschland nicht Schuld an der Destabilisierung der Region haben wolle, ist absurd. Seine Forderung nach „präventiven Sanktionen“ zielt darauf, Deutschland zum Verbündeten gegen Russland zu machen und den Konflikt zu eskalieren. Damit wären die Vermittlungsbemühungen endgültig zum Scheitern verurteilt.
Sanktionen sind zu wichtig, als dass sie als zweifelhafte Mittel von Zwangsdiplomatie entwertet werden sollten. Wirtschaftssanktionen – und zwar harte – gegen Russland sind richtig (auch wenn sie erfolglos sind!), wenn mit ihnen konkrete Rechtsverstöße missbilligt und die zugrundeliegenden Normen bestätigt werden. Wirtschaftssanktionen sind unsinnig, wenn sie als Zwangsmittel eingesetzt werden. Denn erstens sind sie erfolglos und zweitens unterminieren sie ihre eigentliche Bestimmung: das internationale Recht zu stärken.
Ein sehr interessanter Beitrag der die Absichten und Ideen einer möglichen Sanktionspolitik verdeutlicht und dabei auch der jüngsten Realität standhält bzw. durch diese bestätigt wird.