In den letzten Monaten brachte die Aktion des Künstlerduos Nora Al-Badri und Jan Nikolai Nelles einen neuen provokanten Impuls in die Kunstraubdebatte um die Nofretete im Neuen Museum in Berlin und zeigte dabei, dass die vielerorts beschworene „Macht der Bilder“ auch für Reproduktionen gilt. Mit einem tragbaren Scangerät haben Al-Abdri und Nelles das Herzstück des Neuen Museums abgetastet und mit creative commons Lizenz als „Nefertiti Hack“ ins Netz gestellt. Außerdem wurde anhand des Scans eine „Other Nefertiti“ angefertigt, die nun in die Heimat ihres Zwillingsstücks zurückkehrt und in Kairo ausgestellt wird. Die politische Brisanz erhält die Aktion insbesondere dadurch, dass durch das exakte Scanverfahren die Grenzen zwischen Original und Reproduktion stark verschwimmen. Exakter als ein Gipsabdruck es sein könnte, gibt der Scan die Konturen der Büste wieder und schafft damit eine Reproduktion, die einen neuen Perfektionsgrad erreicht. Damit möchte das Künstlerduo auf digitalem Weg einen besseren Zugriff auf das Kunstobjekt ermöglichen und prangert dabei die asymmetrischen Besitzverhältnisse, besonders in Bezug auf den Besitz von Objekten anderer Kulturen, an: „With the data leak as a part of this counter narrative we want to activate the artefact, to inspire a critical re-assessment of today’s conditions and to overcome the colonial notion of possession in Germany.”
Die Nofretet wurde am 6. Dezember 1912 durch den Deutschen Ludwig Borchardt bei Grabungen in Ägypten entdeckt und unter rechtlich fragwürdigen Umständen nach Berlin geschafft. Borchardt teilte den Fund mit der Ägyptischen Regierung, jedoch wurde ihm nachträglich vorgeworfen, er habe absichtlich die Nofretete bei der Aufteilung des Funds mit Lehm „getarnt“ und im Gegenzug einen gefälschten Altar angeboten (vgl. Schulz, Matthias, Die entführte Königin, in: der SPIEGEL 49). Seit 1924 erhebt die ägyptische Regierung Restitutionsforderungen auf die Nofretete, die zuletzt 2007 an neuer Brisanz erhielten, als Ägypten ein Ausleihgesuch beim deutschen Kulturstaatsminsiter einreichte. Mit der Erbauung eine Nationalmuseums der Ägyptischen Zivilisation wollte man damals einen adäquaten Ausstellungsraum einrichten, der über die nötigen Sicherheitsvorkehrung zur dauerhaften Aufbewahrung der Büste verfügen sollte. Gegenüber den Forderungen Ägyptens mauerte jedoch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und die umstrittene Geschichte der Nofretete wurde meistens verschwiegen. Im Jahr 2012 beispielsweise veranstaltete das Neue Museum eine Ausstellung zum 100. Jahrestag des Fundes der Büste, ohne jedoch auf die Problematik der Exportumstände und Restitutionsforderungen einzugehen. Vgl. Im Licht von Amarna. 100 Jahre Fund der Nofretete, Ausst.-Kat. Neues Museum, Berlin, 07.12.2012-04.08.2013, hrsg. v. Friederike Seyfreid, Petersberg 2012.
Mit ihrer Gegenerzählung inszenieren Al-Badri und Nelles nun eine Rückeroberung der Nofretete; der Kunstraub findet nicht materiell sondern digital statt. Zwar dürfen Fotografien und Scans im Museum angefertigt werden, jedoch muss die Institution die Freigabe der Daten normalerweise erlauben. Dass das Künstlerduo tatsächlich selbst den Scan angefertigt hat, bezweifelt die Community mittlerweile, da die Qualität der Datei mit einem mobilen Scangerät unter den wachsamen Augen des Museumspersonals nicht hätte erreicht werden können. Die Stiftung hat bereits 2008 einen Scan der Büste erstellt, jedoch nicht die Daten frei zugänglich gemacht. Hat hier ein direkter Hackangriff auf die Stiftung Preußischer Kulturbesitz stattgefunden?
In einer Presseerklärung zum Nefertiti Hack erklärt das Museum, dass es von der Einleitung rechtlicher Schritte absieht, und gibt der Kunstaktion damit keine Plattform, die ein rechtlicher Prozess bedeuten würde. Auch in diesem Statement des Museums werden die problematischen Besitzverhältnisse der Nofretete mitsamt der Restitutionsproblematik verschwiegen und die „Nefertiti Hack“-Aktion dargestellt, als übe sie lediglich Kritik an der spärlichen Zugänglichkeit des Kunstobjekts. Man hält also dagegen: „Die Museen haben alle neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Büste der Nofretete immer öffentlich gemacht. Fotos stehen auf SMB-digital und über die Bildagentur bpk zur Nutzung zur Verfügung.“ Ein Reprint in 2D würde in Kairo ja vielleicht auch genügen…
Auch wenn es sich bei der Internetseite „Virtual Collection of Asian Masterpieces“ im Gegensatz zu der Kunstaktion „Nefertiti Hack“ um einen affirmativen Ansatz handelt, führen auch hier Digitalisate das zusammen, was einst zusammengehörte. Die „Virtual Collection of Asian Masterpieces“ versammelt Asiatische Kunstwerke und -objekte aus unterschiedlichsten Epochen und Regionen im Internet, die einst bekanntermaßen durch kolonialistische Raubzüge und andere Vorgänge geographisch voneinander getrennt wurden. Durch die Zusammenarbeit von 134 Museen weltweit, kann so auf digitale Reproduktionen (unterschiedlichster Qualität) der in der ganzen Welt verteilten asiatischen Kunstwerke zurückgegriffen werden. Wenn auch nicht ausdrücklich von der Seite intendiert, lässt sich doch in diesem Digitalisierungsprojekt, das unter anderem eine Suche von Kunstwerken nach deren Herkunftsland ermöglicht, ebenfalls ein revisionistischer Ansatz ablesen.